Wer unmittelbar nach Bekanntwerden der „Änderungen an den Änderungen“ an eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten geschrieben hatte, erhielt im besten Fall 36 Stunden vor der Abstimmung eine 10- oder 8-seitige, vorformulierte E-Mail. Die meisten antworteten erst nach der Abstimmung und fügten dann ihre schriftliche Erklärung nach §31 der Geschäftsordnung des Bundestags bei. Darin berufen sich viele auf Bundesrechnungshof als Zeugen und auf die Gewerkschaft ver.di. Inhaltlich waren die letzten Argumente, auf die die Zivilgesellschaft nicht mehr antworten konnte, die folgenden:
- Eine Privatisierung der Autobahnen würde ausgeschlossen. Dazu würden der Verkauf sowie direkte und indirekte Beteiligungen grundgesetzlich ausgeschlossen. Eine formelle Privatisierung wäre keine richtige Privatisierung, es gäbe bundeseigene GmbHs, die nicht gewinnorientiert arbeiten, ähnlich wie viele Stadtwerke und Betriebe des öffentlichen Nahverkehrs. ÖPPs wären nicht das Gleiche wie eine Privatisierung. Der Verfassungsrechtler Prof. Christoph Degenhart hielt dem entgegen: „Es handelt sich hier um eine formelle oder Rechtsform-Privatisierung, die auf der Projektebene Effekte einer materiellen Teil-Privatisierung haben könnte.“ Werner Rügemer führte das weiter aus: „Die Privatisierung der Autobahnen überall in der EU läuft anders. Die private Gesellschaft kann so viele PPP-Verträge vergeben wie sie will, neue Autobahnen in Auftrag geben, Kredite aufnehmen, Staatszuschüsse bekommen, Tochtergesellschaften gründen, Aufträge in Saudi-Arabien oder sonstwo suchen und so weiter. Die Investoren legen ja sowieso keinen Wert darauf, die Autobahnen zu kaufen. Das ist nirgends in der EU der Fall, auch nicht in Frankreich, Spanien und Italien, wo es die privaten Maut-Autobahnen schon länger gibt. Der französische Baukonzern Vinci verdient jährlich 6 Milliarden Euro mit dem Betrieb von Autobahnen – vor allem in Südfrankreich. Der hat noch nie auch nur einen Zentimeter Autobahn gekauft. […] In Deutschland ging es nie um den Verkauf der Autobahnen. Wenn trotzdem jetzt behauptet wird, es gebe keine Privatisierung, dann ist das eine Lüge.“ Tatsächlich hatten Versicherungswirtschaft und Bauindustrie zu Beginn auch nur genau das gefordert, was am Ende auch umgesetzt wurde: Eine Beteiligung privater Partner an der Infrastrukturgesellschaft lehnen sie ab. Eine solche Gesellschaft böte jedoch auf Projektebene viele Möglichkeiten, privates Kapital zu beteiligen. „Öffentlich-private Partnerschaften haben sich bewährt.“ [1]
- Eine Argumentationskette der SPD lautete: ÖPPs mögen nachteilig sein. Aber ÖPPs gäbe es auch schon heute, sie zu reduzieren wäre nicht primäres Ziel der Reform gewesen. Dennoch würden ÖPPs künftig seltener zum Zuge kommen: Gerade weil sie unwirtschaftlicher sind, würde eine formell privatisierte Autobahngesellschaft ÖPPs vermeiden. Außerdem würden ÖPPs auf Einzelprojekte beschränkt, Netz-ÖPPs würden grundgesetzlich, ÖPPs über 100 km Länge einfachgesetzlich ausgeschlossen. Der große Coup dieser Argumentation war der grundgesetzliche Ausschluss von Netz-ÖPPs. Einzel-ÖPPs sollten gegenüber diesem Schreckgespenst offenbar harmlos aussehen. Allerdings gibt es Netz-ÖPPs weltweit nirgendwo. Sie zu verbieten ist ungefähr ein so großer Erfolg wie ein Verbot von Ufos. Die nun als harmlos geltenden Einzel-ÖPPs sind hingegen die grassierende Privatisierungsform, sie haben auch bei Längen bis 100 km Finanzvolumina von über einer Milliarde Euro.
- Die Interessen der Beschäftigten würden gewahrt, indem es gesetzliche Verpflichtung des Bundes zu Übergangsregelungen gäbe. Alle wechselbereiten Beschäftigten müssten übernommen sowie Tarifverträge abgeschlossen werden. Tatsächlich ist es möglich, dass es für zahlreiche Beschäftigte künftig mehr Geld gibt. In den Ländern liegen die Tarifgehälter teilweise um bis zu einem Drittel niedriger als beim Bund. Unter diesen Bedingungen dürften die meisten der rund 13.000 betroffenen Beschäftigten wechseln. Der Bund müsste dann jährliche Mehrkosten im Bereich zwischen 50 und 100 Millionen Euro bezahlen. Wer es allerdings nicht schafft, zum Stichtag unter die Regelung zu kommen, dürfte es künftig schwer haben. Das betrifft erst recht die Beschäftigten in den per ÖPP ausgelagerten Aufgaben: hier gilt künftig das Dumpinglohn-Prinzip. Dabei geht es dort um viel mehr Arbeitsplätze: Allein um den derzeit aufgelaufenen Sanierungsstau von 25 Milliarden Euro abzubauen, müssten 10 Jahre lang 100.000 Beschäftigte arbeiten. Dazu kommt der Betrieb und Erhalt der Autobahnen,
Die Argumentation der SPD-Spitzen erweist sich also als nicht stichhaltig. Für die wenigen Tage, teilweise Stunden vor der Abstimmung reichte die Darstellung aber offensichtlich aus, viele Abgeordnete stützten sich darauf.
[1] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft und Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (2015): Versicherungswirtschaft und Bauindustrie fordern bessere Rahmenbedingungen für Infrastrukturinvestitionen http://www.gdv.de/2015/10/versicherungswirtschaft-und-bauindustrie-fordern-bessere-rahmenbedingungen-fuer-infrastrukturinvestitionen/
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Ich erkenne das Antwortschreiben meines Abgeordneten wieder. Die SPD-Abgeordneten bestätigen sich mit solche Beschwichtigungen gegenseitig, beruhigen ihr Gewissen, verstehen aber immer noch nicht, worum es geht. Aber werden sie auch mal wach, wenn sich demmächst einmal mehr zeigen wird, dass die Beschwichtigungen unbegründet waren?
Der Staat schafft sich also immer schneller ab. Was uns bürgern dann noch übrig bleibt ist Chaos. Im Prinzip ist das Hochverrat.
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In Punkt 2 werden auf die ersten beiden Argumente m.E. gar nicht eingegangen.
Erstens: „Aber ÖPPs gäbe es auch schon heute, sie zu reduzieren wäre nicht primäres Ziel der Reform gewesen.“
Zweitens: „Dennoch würden ÖPPs künftig seltener zum Zuge kommen: Gerade weil sie unwirtschaftlicher sind, würde eine formell privatisierte Autobahngesellschaft ÖPPs vermeiden.“
Wie lassen sich diese Argumente widerlegen bzw. angreifen?
Auch ich habe mich mit eigenem Text an 31 Abgeordnete gewandt, der Grundgesetzänderung nicht zuzustimmen und habe nur 1 Antwort bekommen, Zitat: „Die SPD hat sich immer dafür eingesetzt, jegliche Privatisierung – auch eine durch die Hintertür – durch entsprechende Regelungen im Grundgesetz auszuschließen. Und dies ist ihr jetzt gelungen. Ich fühle mich betrogen und verschaukelt, fast ohnmächtig. Diese komplexen und undurchschaubaren GrundGesetzänderungen mit der Art ihrer Abstimmungen sind irreführend und schrecken den Bürger davon ab, sich einzumischen bzw. sich überhaupt dafür zu interessieren. Das werden wir nun alle sehr teuer bezahlen müssen!
Das ist die Antwort vom SPD-Parteivorstand, die ich gestern erhalten habe auf meine Beschwerde:
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre E-Mail, die uns am 04. Juni 2017 erreicht hat.
Da wir zu dieser wichtigen Frage einige hundert Anfragen erhalten haben, bitten wir um Verständnis für diese
Standardantwort. Die eindeutige Position Ihrerseits haben wir in jedem Falle zur Kenntnis genommen.
Vorweg kann ich Ihnen sagen, dass auch wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns stets gegen eine
Privatisierung der deutschen Autobahnen und Bundesstraßen gestellt haben. Diese klare Position konnte auch im
Gesetzgebungsverfahren zur Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen durchgesetzt werden.
Neben der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs beinhaltet das Gesetzespaket auch eine Lockerung des
Kooperationsverbotes im Bildungsbereich. Dadurch kann der Bund die finanzschwachen Kommunen bei der
Bildungsinfrastruktur unterstützen und beispielsweise Schulgebäude sanieren und modernisieren. Dabei ist
wichtig, dass die Gelder vom Bund über die Länder an die Kommunen fließen und diese dann vor Ort selbst
entscheiden, wie investiert werden soll.
Ein weiterer Teil des Gesetzespakets regelt den Unterhaltsvorschuss neu. Künftig werden Alleinerziehende
nicht nur bis zum 12. Lebensjahr des Kindes unterstützt, sondern bis zum 18. Geburtstag des Kindes. Auch wird
die ungerechte Befristung auf maximal 6 Jahre aufgehoben.
Die meiste Kritik und Bedenken gibt es bei der Neuordnung hinsichtlich Verwaltung und Bau von Autobahnen und
allen weiteren Bundesfernstraßen. Es ist der SPD jedoch in der Bundesregierung gelungen eine doppelte
Privatisierungsschranke durchzusetzen. Im Artikel 90 Grundgesetz wird entsprechend geregelt, dass nicht nur
die Bundesfernstraßen selbst im unveräußerlichen, 100-prozentigen Eigentum des Bundes bleiben, sondern auch
die Infrastrukturgesellschaft selbst, die für Planung, Bau und Betrieb zuständig ist.
Wir konnten uns damit gegen die Vorschläge von CDU-Finanzminister Schäuble und CSU-Verkehrsminister Dobrindt
durchsetzen, die bereit gewesen wären 49 Prozent der Gesellschaft an private Investoren zu verkaufen.
Darüber hinaus hat die SPD-Bundestagsfraktion durchgesetzt:
1.Die unmittelbare und mittelbare Beteiligung Dritter an der Infrastrukturgesellschaft und deren
Tochtergesellschaften wird ausgeschlossen. Damit bleibt die Gesellschaft staatlich.
2.Ausgeschlossen wird auch die funktionale Privatisierung durch eine Übertragung eigener Aufgaben der
Gesellschaft auf Dritte. Dies gilt insbesondere auch für sogenannte Teilnetz-ÖPP. Öffentlich-Private
Partnerschaften können nur auf der Ebene von Einzelprojekten bis maximal 100 Kilometer Länge erfolgen und
dürfen dabei nicht räumlich miteinander verbunden sein.
Entgegen der Unterstellung, wir würden der Privatisierung die Tür öffnen, ist klar festzustellen, dass wir
auch theoretisch mögliche Hintertüren für eine Privatisierung gerade schließen!
Dieses bestätigt auch der Bundesrechnungshof in seinem jüngsten Bericht vom 24. Mai 2017. Darin heißt es:
Der Änderungsantrag berücksichtigt in weiten Teilen die Anregungen des Bundesrechnungshofes zur Organisation
der Infrastrukturgesellschaft. Danach muss das Parlament einem möglichen Rechtsformwechsel der
Infrastrukturgesellschaft zustimmen. Darüber hinaus ist jegliche Privatisierung der Bundesautobahnen
ausgeschlossen.
Abschließend gilt es einige Kritikpunkte aufzugreifen und klarzustellen:
-Da die Gesellschaft nicht kreditfähig wird, ist die Gefahr einer Aufnahme von privatem Kapital zu
erwarteten hohen Zinsen ausgeschlossen. Stattdessen wird es auch dieser Gesellschaft möglich sein
Liquiditätshilfen, also zinslose Darlehen, aus dem Bundeshaushalt zu erhalten.
-Auch die Sorge, dass Altschulden auf die Gesellschaft übertragen werden, ist ausgeschlossen.
-Wichtig ist, dass das wirtschaftliche Eigentum an den Bundesautobahnen nicht an die Gesellschaft übergeht,
sondern beim Bund bleibt. Auch die Übertragung und Überlassung von Nießbrauch-Rechten und anderen Rechten
werden ausgeschlossen.
-Die neue Gesellschaft wird als GmbH errichtet und damit als juristische Person des privaten Rechts. Dies ist
jedoch keineswegs als ?Privatisierung? zu verstehen.
-Häufigster Kritikpunkt ist, dass durch die Möglichkeit einzelner ÖPP-Projekte eben doch die
Privatisierung ermöglicht würde. Hierbei muss zunächst klar gestellt werden, dass öffentlich-private
Partnerschaft nicht mit Privatisierung gleichzusetzen ist. Darüber hinaus ist wichtig, dass ÖPP nur dann
erlaubt ist, wenn sie wirtschaftlicher als die herkömmliche Beschaffung ist. Dies wird jedoch bei einer
effizient arbeitenden neuen Gesellschaft viel seltener vorkommen als in den jetzigen Strukturen. Abschließend
ist festzuhalten, dass ÖPP auf Einzelprojekte beschränkt ist und es dauerhaft verboten wird ein ÖPP an das
andere anzufügen und so wesentliche Teile des Autobahn- oder des Bundesstraßennetzes in einem Bundesland
als ÖPP betrieben werden.
Unser verkehrspolitisches Ziel ist es, die neue Gesellschaft so zu gestalten, dass sie als
gemeinwohlorientierte Einrichtung für ein effizientes Autobahn-Netz in Deutschland sorgt, das wiederum allen
Menschen in unserem Land zu Gute kommt.
Wir freuen uns dabei auch auf den weiteren Dialog und Austausch mit Ihnen und den vielen anderen Aktiven der
Zivilgesellschaft.
Wir möchten Sie daher einladen, auch weiterhin unsere politische Arbeit zu begleiten und sich einzumischen.
Auf unserer Kampagnen- und Informationsplattform KAMPA17 erfahren Sie mehr über unsere Vorhaben:
http://www.spd.de/kampa17start/
Mit freundlichen Grüßen aus dem Willy-Brandt-Haus
Team Direktkommunikation
SPD-Parteivorstand
Direktkommunikation
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Meine Antwort an Fr. Dr. Eva Högl MdB
„Danke für Ihre Antwort, diese führt für mich zu einer kompletten Verabschiedung der SPD aus meiner „Ideenlandschaft“. Die Argumentationen und Kritiken des Bundesrechnungshofes verfolge ich schon länger, das er plötzlich kurz vor der nicht notwendigen „Eilabstimmung“ dieses sonderbaren Abstimmungspaketes seine eigenen Daten unterschlug, ist für mich ein weiteres Zeichen für AfD fördernde Klientelpolitik. Global agierende Unternehmen zu fördern scheint SPD Priorität seit Schröder zu sein. Anstelle der notwendigen Stützung regionaler Unternehmen, gern effizient, das hätte Priorität gehabt, auch zur Konsolidierung der kommunalen Finanzen (Steuerabgaben). Die Steuerlast der Großunternehmen ist dazu relativ gering.
Dazu noch mehrere tausend Parteimitglieder (Unterschriftenliste) vor den Kopf zu stoßen ist mehr als arrogant.
Ihre Argumentationen aus diesem vorgefertigten Antwortschreiben sind Schönmalerei die Sie hoffentlich nicht selbst glauben. Eine Staatsverwaltung mit Zugriff auf günstigste Kredite soll letztlich teurer sein als ein zentralisierter Verwaltungsapperat der im Sinne des „billigsten Anbieters“ mit Schrottqualität die Rendite von Anlegerkapital auf 30 Jahre sichern soll? Da ist wohl eine Reform (Entfilzung) des Verwaltungsapperates nötig. Schauen Sie mal in der Deutschlandradiomediathek nach einer kleinen Doku über sächsische Justizvollzugsanstalten die per ÖPP zustande kamen und schon mehrmals per Rückvermietung von den Kommunen komplett bezahlt wurden. Wenn die Staatsverwaltung schon absurder Weise wie ein neoliberales Unternehmen geführt werden sollte, dann doch bitte die lukrativen Projekte selbst umsetzen. Das allerdings funktioniert ja nichtmal im klammen Griechenland (Privatisierung von Flugplätze, Häfen usw.). Was nötig ist? Ein funktionierender Rechnungshof der Projekte im Vorfeld bewertet, im Verlauf und danach, auf Effizienz und Dauerhaftigkeit. Parteien die Gesellschaftspolitik statt Klientelpolitik betreiben. Und vor allem ein Ende der „Schuldenbremse“. Aber sowas ist mit der SPD nicht mehr zu machen.
Viel Spaß als zukünftige FDP Schwesterpartei.
Hendrik Flöting“
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