Von Katrin Kusche und Carl Waßmuth (zuerst erschienen in LP21 Extra 2017/18)
Eine Privatisierungswelle schwappt über die deutsche Krankenhauslandschaft. Der Anteil der privaten Krankenhäuser hat sich zwischen 1991 und 2015 in Deutschland mehr als verdoppelt: von 15 Prozent auf gut 35 Prozent [1]. 2016 setzte sich der Trend fort. Vor allem in den letzten 15 Jahren war der Anstieg enorm. Die Zunahme privater Krankenhäuser zulasten öffentlicher Krankenhäuser stellt den stärksten Anstieg von Krankenhausprivatisierungen in Europa dar. Was ist daran bedrohlich?
Studien in den USA belegen eine signifikant höhere Mortalität in gewinnorientierten Krankenhäusern [2]. Für Deutschland gibt es noch keine systematischen Studien dazu. Bekannt ist jedoch, dass nach der Privatisierung von Krankenhäusern in Deutschland die Arbeitsverdichtung in der Pflege um 10 bis 20 Prozent ansteigt. Man weiß auch, dass die Bettenanzahl zurückgeht und die Bettenbelegungsquote steigt. Bekannt ist ebenfalls, dass nach Krankenhausprivatisierungen eine enorme Tarifflucht der Arbeitgeber einsetzt und die Tariflöhne um durchschnittlich zehn Prozent fallen. Es gibt Berichte von Krankenschwestern, die von privaten Krankenhäusern in den öffentlichen Dienst zurückkehren, obwohl sie dort keine Chance auf eine adäquate Tätigkeit sehen. Als Begründung wird angegeben, dass die Patientenschlüssel in privaten Kliniken so geändert wurden, dass in jeder Nachtschicht nur noch eine Pflegekraft auf der Station war. Es gab dann Ausfälle und regelrechte Zusammenbrüche von Pflegekräften, so dass sich Patienten gegenseitig versorgen mussten. Auch wurde als Grund für einen Wechsel zurück in den öffentlichen Dienst angegeben, dass das Wissen um den Umstand, dass am Ende jeder Nachtschicht wieder mehrere Klingelrufe nicht versorgt worden waren, zu enormer psychischer Belastung geführt hatte.
Eine dänische Studie belegt eine signifikant höhere Mortalität für Krankenhauspatienten bei höchster Belegungsrate im Vergleich zu einer Belegungsrate von unter 80 Prozent sowie eine höhere Sterblichkeit von Patienten, die am Wochenende oder an Feiertagen aufgenommen worden sind statt an Werktagen [3]. Weitere Studien zeigen den Zusammenhang zwischen der Anzahl von Patienten, die pro Arzt beziehungsweise Pflegekraft zu versorgen sind, und der Mortalität im Krankenhaus. „Bettenknappheit“ und Krankenhausinfektion sind als Risikofaktor für Patienten im Krankenhaus wissenschaftlich belegt [4][5].
Deutscher Krankenhaussektor im Wandel
In Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten eine enorme Marktkonzentration stattgefunden: Es gibt im Wesentlichen fünf teilweise miteinander verschränkte Krankenhauskonzerne: Das Rhön-Klinikum (Umsatz: 1,2 Milliarden Euro, elf Kliniken an fünf Standorten, rund 16.500 Beschäftigte, 2016 rund 813.000 behandelte Patienten), die Schön-Klinik (Umsatz 2016: 0,8 Milliarden Euro, 17 Kliniken), den Konzern Sana (Umsatz: 2,4 Milliarden Euro, 50 Kliniken, 32.000 Beschäftigte, 2,2 Millionen behandelte Patienten), den Konzern Asklepios (Umsatz: 3,0 Milliarden Euro und 150 Kliniken; dieser ist mit 15,25 Prozent an den Rhön-Kliniken beteiligt) sowie die Helios-Fresenius (Umsatz: 5,5 Milliarden Euro, 117 Kliniken, darunter 40 von den Rhön-Kliniken aufgekaufte Krankenhäuser).
Im
internationalen Vergleich sind bisher zwar nur relativ geringe Anteile
deutscher Krankenhauskonzerne in den Händen von Hedgefonds. Dennoch sind
bereits zwei der Konzerne börsennotiert, und über Carpio
(verantwortlich für das Desaster mit der mittlerweile wieder
verstaatlichten Bundesdruckerei) gibt es bereits einen Hedgefonds im
Hintergrund. In den USA gehört der größte Krankenhauskonzern der Welt,
„Hospital Corporation of America“, dem traurig-berühmten
Finanzdienstleister Merrill Lynch.
Im Zuge der vielen Krankenhausprivatisierungen kam es oft zu Verkäufen
weit unter Wert. Die öffentliche Hand kann also mit den Erlösen nicht
anderswo eine gleichwertige oder bessere Patientenversorgung betreiben.
So übernahm beispielsweise Sana das Stadtklinikum Offenbach 2013 zum
Preis von einem Euro. Es gab auch verlustreiche Rekommunalisierungen wie
in Herbolzheim im Schwarzwald.
Private Krankenhäuser sind in der Bevölkerung und bei Patientinnen und
Patienten oft unbeliebt, erst recht bei Belegschaften und
Gewerkschaften. Wo Mitbestimmung bei der Frage der
Krankenhausprivatisierung eine Rolle spielte, kam es zur deutlichen
Ablehnung: Bei einem Volksentscheid in Hamburg stimmten 75 Prozent gegen
die Krankenhausprivatisierung. Der Volksentscheid wurde jedoch
bedauerlicherweise ignoriert. Bei einem Volksentscheid in Rottal 2009
stimmten 90 Prozent gegen die Privatisierung dreier Krankenhäuser.
Beachtliche 54 Prozent der Stimmberechtigten beteiligten sich an diesem
Volksentscheid. 2008 wurde in Frankfurt-Höchst ein Krankenhaus-ÖPP im
Frankfurter „Römer“ abgelehnt.
Abgesehen von Komplettprivatisierungen ändert sich auch bei öffentlichen Krankenhäusern seit Jahren die Rechtsform. Laut Pressemitteilung des Bundesamtes für Statistik vom 14. August 2017 waren 2016 noch rund 29,1 Prozent aller Kliniken öffentliche Einrichtungen. Fakt ist aber auch: Rund 60 Prozent von ihnen firmieren unter einer privatrechtlichen Rechtsform, gut 20 Prozent sind öffentlich-rechtlich selbständig, der Rest öffentlich-rechtlich unselbständig. Gründe für diesen Wandel sind größere Handlungsspielräume der Klinikleitungen, größere Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme, durch Umgehung der Schuldenbremse größere Spielräume bei der Kreditaufnahme.
Gesundheit ist keine marktfähige Handelsware
Gesundheit ist ein lebensnotwendiges Gut. Es hat den Charakter eines Gebrauchsguts. Gesundheit ist zudem ein kollektives und öffentliches Gut. Auf Krankheit (= Verlust von Gesundheit) kann nicht wie auf Konsumgüter verzichtet werden. In der Regel können weder der Zeitpunkt noch Art und Umfang von Leistungen infolge Krankheit selbst bestimmt werden. Die Nachfrage des Patienten beziehungsweise der Patientin ist unspezifisch, sie wird erst durch die Kompetenz der medizinischen Fachkraft definiert. Die aber hat infolge der begrenzten Wissenschaftlichkeit einen großen Ermessensspielraum, welche Diagnosemittel und welche Therapie sie wählt. Die Patienten sind infolge Krankheit hilfsbedürftig, und zwar aus einer spezifischen Position der Unsicherheit, Schwäche und Abhängigkeit heraus, häufig verbunden mit Angst und Scham. Daher müssen öffentliche Schutzfunktionen für das Verhältnis Markt/Patient greifen.
Das betriebswirtschaftlich organisierte Gesundheitswesen ist ein klassisches Beispiel für die Theorie des Marktversagens. Der Markt ist blind, also auch blind für die beschriebene Schutzbedürftigkeit. Der Markt ignoriert den Konflikt zwischen betriebswirtschaftlicher und gesamtwirtschaftlicher Betrachtung. Die generierte Rentabilität bezieht sich auf einen Krankenhausbetrieb, der häufig für die Gesellschaft das Gegenteil von Rentabilität bewirkt. So kann es für ein Krankenhaus rentabel sein, die Umwelt zu schädigen. Für ein Krankenhaus kann es rentabel sein, Kosten zwischen ambulantem und stationärem Sektor so zu verschieben, dass Behandlungen mit einen guten Kosten-Einnahmen-Verhältnis im Krankenhaus und die anderen ambulant erfolgen – unabhängig vom medizinischen Nutzen oder Schaden der Verlagerung. Die Verteilungsfunktion betriebswirtschaftlich ausgerichteter Krankenhäuser oder anderer Wettbewerbsinstrumente im Gesundheitswesen ist für das von der Gesellschaft gewünschte Ergebnis – einer würdigen, flächendeckenden und volkswirtschaftlich effizienten medizinischen Versorgung – völlig unzureichend. Unwirksame oder sogar gefährliche Dienstleistungen können den gleichen Gewinn erbringen wie nützliche beziehungsweise wirksame – oder sogar einen höheren Gewinn ermöglichen. Entscheidungen zum Gesundheitswesen müssen daher von der Gesellschaft getroffen werden, nicht vom Markt.
Der Akteur Bund
Der Bund mischt aktiv mit in der Krankenhauspolitik. Er sorgt dabei auch dafür, dass mit Krankenkassenbeiträgen Gehälter von Vorständen privatisierter Krankenhäuser und Dividenden von Krankenhaus-Aktionären bezahlt werden. Die Infrastruktur des Gesundheitswesens wird vom Bund zum Spielball auf internationalen Finanzmärkten gemacht.
Der Bund fördert auch öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) massiv. Es gibt eine eigens zur ÖPP-Beförderung angelegte Gesetzgebung. Die staatliche Lobby-Agentur Partnerschaften Deutschland (bis Ende 2016 selbst eine teilprivatisierte Aktiengesellschaft) empfiehlt den Ländern gern ÖPP im Krankenhausbereich. Der Bund verstärkt im Gesundheitswesen und im Bereich der eigentlich in der Zuständigkeit der Bundesländer befindlichen Krankenhäuser kontinuierlich seinen Einfluss – finanziell oft zu Lasten der Länder, die gleichzeitig weiterhin den Versorgungsauftrag innehaben. Er verfolgt keine originären krankenhauspolitischen Ziele, sondern allgemeine Ziele der Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitspolitik, zum Beispiel die „Beitragsstabilität“ oder die Senkung der Lohnnebenkosten. Hierzu wählt er in der Rechtssetzung eigens Gesetze, die nicht durch den Bundesrat zustimmungspflichtig sind.
ÖPP im Krankenhausbereich
Neben
der klassischen Privatisierung von Krankenhäusern ist die
Öffentlich-Private Partnerschaft eine stark wachsende
Privatisierungsform im Krankenhaussektor. Dabei wird permanent ÖPP
verharmlost.
ÖPP kommt immer dann und nur dann ins Spiel, wenn in einem öffentlichen
(und oft schon formell privatisierten) Krankenhaus bereits eine enorme
Finanznot herrscht, wenn zum Beispiel keine weitere Kreditaufnahme mehr
möglich ist. Dann kommt ÖPP als Option für Schattenhaushalte ins Spiel.
Die mit ÖPP verbundenen Knebelverträge stellen zwar nach europäischer
Auffassung ebenfalls eine Verschuldungsform dar, jedoch noch nicht nach
der offiziellen Auffassung in Deutschland.
Keine der bereits 100 Prozent privaten oder freigemeinnützigen Kliniken hat je einen mit ÖPP vergleichbaren, auf Jahrzehnte angelegten Vertrag mit einem Dritten abgeschlossen. Was also der öffentlichen Hand als effizient und vorteilhaft anempfohlen wird, wollen Private für sich selbst nicht als Geschäftsmodell umsetzen. Sie wissen offensichtlich weshalb.
Zusammenfassung
Die Krankenhausprivatisierung in Deutschland ist eine bedrohliche Entwicklung. Darunter fallen Komplettverkäufe ebenso wie Krankenhaus-ÖPPs. ÖPP ist kein Beschaffungsinstrument, auch nicht für Krankenhäuser. ÖPP ist Privatisierung für lange Zeit. ÖPP bewirkt die Ökonomisierung des schutzwürdigen Gesundheitsbereichs und führt zur Überordnung der Rendite über den Versorgungsauftrag. ÖPP ist teuer und schwächt die öffentlichen Haushalte zu Lasten unserer Kinder für lange Zeit. Das Argument „es ist kein Geld da“, geht am Kern vorbei. Wer im Gesundheitswesen Geld hat, wird politisch gestaltet: In jeder Legislaturperiode gibt es dazu eine Gesundheitsreform. Der Staat, vor allem die Länder, haben einen Versorgungsauftrag. Private Konzerne haben in letzter Konsequenz den Versorgungsauftrag nicht. Wenn schließlich „kein Geld mehr da ist“, weil der Betreiber den Bereich aufgibt, das Krankenhaus schließt oder gar Insolvenz anmeldet, ist die Politik verpflichtet, die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten. Diesen teuren, unter Umständen für Einzelne tödlichen Umweg über Krankenhausprivatisierung und Krankenhaus-ÖPPs kann und muss sich die Gesellschaft ersparen.
Katrin Kusche arbeitet als freiberufliche Journalistin und Redakteurin unter anderem für die kultur- und wirtschaftspolitische Zweiwochenschrift Ossietzky.
Carl Waßmuth ist beratender Ingenieur und aktiv in der Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand.
Anmerkungen
[1] Quellen: www.dkgev.de/media/file/57891.Foliensatz_Krankenhausstatistik_Stand_August_2017.pdf.
Der Anteil von Krankhausbetten in Einrichtungen privater Träger betrug 2016 hingegen nur 18,7 Prozent.
www.dkgev.de/media/file/57311.RS307-17_Anlage1_Krankenhausstatistik_2016.pdf
[2] Höhere Mortalität in gewinnorientierten Spitälern. Devereaux PJ, Choi PT, Lacchetti C et al. A systematic review and metaanalysis of studies comparing mortality rates of private for-profit and private not-for-profit-hospitals. CMAJ 2002 (28. Mai); 166: 1399-1406, www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12054406?dopt=Abstract.
Die Metaanalyse stützt sich auf 15 Beobachtungsstudien, die zwischen 1982 und 1995 in den USA durchgeführt worden waren und die Mortalität in gewinnorientierten und nichtgewinnorientierten Akutspitälern analysiert hatten. Die Daten stammen aus insgesamt 26.000 verschiedenen Akutspitälern und umfassen 38 Millionen Personen, bei denen man den Hospitalisationsverlauf – in den meisten Fällen über 30 Tage – festgehalten hat.
[3] Health Aff [Millwood] 2014 July 1; 33[7]: 1236–44
[4] Grandt, Daniel: Patientensicherheit: Risikofaktor Bettenknappheit: Deutsches Ärzteblatt 2014; 111(35-36): A-1460 / B-1257 / C-1197, www.aerzteblatt.de/archiv/161415/Patientensicherheit-Risikofaktor-Bettenknappheit
[5]Sachse, Jonathan; Drepper Daniel (2017): „Der große Krankenhaus-Raub“, https://correctiv.org/recherchen/stories/2017/02/24/der-grosse-krankenhaus-raub/