Von Karl Goebler
Anfang 2012 rief der Berliner Kultursenat die Belegschaft der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) in einem Hörsaal der Technischen Universität Berlin zusammen. Ein neuer Managementdirektor, so hieß es, solle neben der fachlich verantwortlichen Generaldirektorin vorgestellt werden. Zur großen Überraschung präsentierte der Kulturstaatssekretär dann den Leiter seiner Kulturverwaltung als Manager der ZLB; gleichzeitig verabschiedete er die Generaldirektorin – sie werde in Zukunft Aufgaben als Leiterin einer Bibliothek im Emirat Katar wahrnehmen. Damit war die erst ein Jahr zuvor per Gesetz eingeführte Doppelspitze der ZLB praktisch schon wieder abgeschafft.
Seit dieser Rochade ringen Belegschaft und Führung um die grundlegende Ausrichtung der Bibliothek. Die ZLB ist mit 3,4 Millionen Medien nicht nur die größte öffentliche Bibliothek Deutschlands, sie verfügt auch über den größten ausleihbaren Buchbestand einer öffentlichen Bibliothek in Europa. Die ZLB bietet dabei eine für die Allgemeinheit wichtige, einzigartige Bandbreite von populären und wissenschaftlichen Büchern. Bis zum Führungswechsel sorgte ein Stab hochqualifizierter Mitarbeiter für den Aufbau des Medienbestandes. Die Bibliothekare kooperierten mit zahlreichen ausgewählten Verlagen und Buchhandlungen und gewährleisteten auf diese Weise die für eine demokratische Gesellschaft unverzichtbare Vielfalt des Medienangebots. Wie Umfragen und die hohe Ausleihzahl zeigen, entsprach dieses Angebot auch den Wünschen des Publikums.
Trotz der positiven Erfahrungen, möchte die Leitung der ZLB in Zukunft andere Wege gehen. So heißt es auf der Website der Bibliothek: »In unserer sich wandelnden Gesellschaft mit Zugang zu Informationen und Medien rund um die Uhr im Internet kann und darf der Schwerpunkt bibliothekarischer Arbeit nicht mehr auf dem Bestandsaufbau liegen.« Statt Medienauswahl und -beschaffung, so die neue Führung, sollten die Bibliothekare »Zukunftsaufgaben« übernehmen, wobei vage auf den Besucherservice und die Mithilfe bei der Durchführung von »Events« hingewiesen wird. Im Rahmen ihrer »Zukunftsstrategie« hat die Bibliotheksleitung bis heute allerdings keine in sich stimmige, ausformulierte digitale Agenda vorgelegt. Immerhin aber machte sie deutlich, wohin die Reise gehen soll: Ein »Höchstmaß an wirtschaftlichem Einsatz von Fremddienstleistungen« sei angestrebt.
Bereits Anfang 2015 hatte die ZLB unter dem neuen Managementdirektor Volker Heller beschlossen, etwa die Hälfte ihrer Buchbestellungen an die EKZ-Bibliotheksservice GmbH (EKZ) in Reutlingen auszulagern. Doch die Zusammenarbeit erwies sich als problematisch, die Auslieferung war zu pauschal, wurde in standardisierten Paketen mit vielen Doppelungen abgewickelt. Daraufhin erfolgte eine europaweite Ausschreibung, die schließlich der Konzern Hugendubel gewann. Waren bislang mit der Auswahl hausinterne Fachlektoren oder Bibliothekare befasst, ist seit September 2017 der Großbuchhändler Hugendubel nahezu allein dafür zuständig, welche Medien angeschafft werden. Der Vorstand der ZLB hat ihm den Zuschlag erteilt, in den nächsten drei Jahren den Großteil der Medien der Bibliothek zu liefern.
Dagegen regte sich massiver Widerstand. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zum Beispiel stellte am 29. August 2017 – nach Berechnung auf Basis des Hugendubel vertraglich zugesicherten Volumens – kritisch fest, dass die Auswahl der Bücher damit »nahezu komplett an die Privatwirtschaft übergeben« werde. Die Kritiker befürchten, dass mit dem Zuschlag an Hugendubel, die Kompetenz und Gemeinwohlorientierung einer öffentlichen Institution dem Partikularinteresse und den gänzlich andern Qualitätskriterien eines privaten Konzerns geopfert werden. Ein gewinnorientiertes Buchhandelsunternehmen, das zudem ohne bildungs- und kulturpolitischen Auftrag handelt, könne eine qualifizierte Medienauswahl nicht in gleicher Weise leisten.
Nach dem Führungswechsel in der ZLB verloren 17 Fächer ihre erfahrenen Fachlektorinnen und -lektoren, nur acht wurden beibehalten. Die Zahl der Fachlektoren in der Erwachsenenbibliothek wurde von 25 (2013) auf 15 (2016) reduziert. Ohne einen solchen Stab von inhaltlich spezialisierten Fachleuten können jedoch weder die Medienauswahl noch die Auswahl von Datenbanken und digitalen Diensten oder die Fachberatung in angemessener Qualität erfolgen. Solche Mitarbeiter sind ebenso unverzichtbar wie die Redakteure von Zeitungen oder die Lektoren in Verlagen. Die Angestellten eines Wirtschaftsunternehmens können hier nicht im geringsten einen Ausgleich schaffen.
Die »Hugendubelisierung« der ZLB, wie es die Vorsitzende des Berliner Landesverbandes von ver.di auf den Begriff bringt, wird das bisher anspruchsvolle und universelle Profil der Bibliothek in Richtung eines populistischen Freizeit- sowie Aus- und Weiterbildungsangebots im Dienste der Wirtschaft verändern. Bildung für Menschen, die sich ungebunden und zweckfrei mit den Gebieten ihres Interesses befassen wollen, wird eine vollkommen untergeordnete Rolle spielen – im Vordergrund steht die schnelle, verwertbare Information. Was bei dieser Ausrichtung verlorengeht, hat der Autor und Literaturkritiker F. J. Raddatz vor einigen Jahren so ausdrückt: »Lesen aber als die große Wanderung durch das Unwirkliche, gerade in unserer Zeit der optischen Inflation, ist die Chance zur Besinnung, zur Selbstbegegnung. Wer sich dem Sog fremder Phantasie nie ausgesetzt hat, kann sehr schwer eigene entwickeln; kann Bedrohungen und Zwängen der wirklichen Welt kaum Aktivitäten entgegensetzen, nicht einmal Toleranz.«
Mit der Privatisierung der Medienbeschaffung an der ZLB soll ein weiterer wesentlicher Bestandteil unserer literarischen Kultur und Bildung der Kommerzialisierung unterworfen werden. Die Zerrüttung öffentlicher Einrichtungen erweist sich einmal mehr als zentraler Schauplatz neoliberaler Strategien. Gegen das an der ZLB statuierte Exempel haben 20.000 Berlinerinnen und Berliner eine Petition unterschrieben. Wird es dennoch als Exportmodell in Sachen Medienprivatisierung in Deutschland Schule machen?
Karl Goebler ist als Ökonom und Analyst bei einem internationalen Beratungsunternehmen tätig. Er engagiert sich für die Bürgerinitiative Berliner Wassertisch und für Gemeingut in BürgerInnenhand. Als Mitbegründer des Berliner Wasserrats setzt er sich für die Demokratisierung öffentlicher Unternehmen der Daseinsvorsorge ein.
Der Beitrag erschien in Ossietzky – Zweiwochenschrift für Politik | Kultur | Wirtschaft, Nr. 4/2018 vom 24. Februar 2018, 21. Jahrgang, S. 127 f. Wir danken dem Verlag Ossietzky für die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Leseempfehlungen:
- „Die Privatisierung einer Metropolenbibliothek“, Artikel von Ulrike von Wiesenau
- „Öffentliche Bibliotheken im Ausverkauf“, Pressemitteilung von GiB, 6. März 2018
- Offener Brief an den Kultursenator Dr. Klaus Lederer: Privatisierung der Medienbeschaffung an Berlins Öffentlichen Bibliotheken
Pingback:Gemeingut » Blog Archive » Die Privatisierung einer Metropolenbibliothek
Pingback:Gemeingut » Blog Archive » Öffentliche Bibliotheken im Ausverkauf