Von Jürgen Schutte / GiB über einen Artikel im Tagesspiegel vom 15. September 2013
Der Tagesspiegel vom vergangenen Sonntag druckte einen Essay von Carsten Brönstrup über Die neue Lust an der Verstaatlichung, der nicht unwidersprochen bleiben darf. Merkwürdig war schon die Handhabung der Angelegenheit durch die Redaktion. Auf einen spontan geschriebenen Leserbrief erhielt ich postwendend eine Antwort vom Autor. Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass man beim Tagesspiegel eine Publikation meiner Kritik dadurch hinfällig machen will. Indem Brönstrup seine eingeschränkte Sicht der Dinge brieflich bekräftigte, fordert er erst recht zum Widerspruch heraus. Er kann oder will den Gegensatz zwischen staatlicher Verfügung und demokratischer Kontrolle nicht erkennen. Dabei wäre das eine elementare Voraussetzung für die qualifizierte Teilnahme an der Debatte. Angesichts dieser Verzerrung in zentralen Punkten ist auch seine scheinbar sachliche Aufzählung von Meinungen und Erscheinungen von Aufklärung weit entfernt.
Wieso Rekommunalisierung?
Unlust bereiten die Verdrehungen von Sachverhalten, die sich in dem Essay häufen. So kommentiert Brönstrup den Rückkauf der Berliner Wasserbetriebe durch das Land Berlin mit den Worten „Ein Plan wie aus dem Lehrbuch für Investmentbanker“. Ausgespart ist der politische Wille, der in dem Volksentscheid vom 13. Februar 2012 zum Ausdruck kam und der ein wesentliches Motiv für den strategischen Rückzug des Senats von dem katastrophalen PPP-Projekt gewesen sein dürfte. Eine nicht näher begründete Lust am „Deal“ erscheint bei Brönstrup als Ursache für den Rückkauf. Und die Bereitschaft des Senats, den Konzernen die für dreißig Jahre zugesagten Gewinne beim Rückkauf ohne eine Gegenleistung nachzuwerfen, erscheint als „erzkapitalistisch“. Ja, wie soll es denn sonst zugehen, wenn sich Komplizen im Privatisierungsgeschäft zusammenraufen?
Was den Autor am meisten umtreibt, ist die sich ausbreitende Kritik an der Privatisierung. Auch ihm ist bekannt, dass inzwischen 79% der Bevölkerung gegen weitere Veräußerungen öffentlicher Infrastruktur sind. Aber seine Darstellung klingt so: „»Privatisierung« ist ein Wort mit gefährlichem Beiklang geworden. Skeptiker machen mit ihm Stimmung gegen das vermeintlich neoliberale Böse. Sie schwärmen für die ordnende Hand des Staates“. So einfach ist das. Die Gegner des Ausverkaufs öffentlicher Einrichtungen an private Unternehmen erscheinen als naive Ideologen, die im Neoliberalismus die Inkarnation des Gottseibeiuns sehen und den Staat ungeheuer cool finden. Klar, dass diese Sicht nur desorientierten Köpfen entsprungen sein kann. Man kennt diese rhetorische Figur seit der Antike. Der politische Gegner wird als Narr hingestellt, das sagt man aber nicht, sondern man läßt es durchscheinen. So drückt man sich vor einer Auseinandersetzung mit den gegnerischen Argumenten.
Was heißt denn“privat“?
Da wir einmal beim Verdrehen sind, stoßen wir auch auf einen anderen, einfacheren Klassiker der Rhetorik: Man wiederholt eine Behauptung so oft, bis sie geglaubt wird. Das ist in diesem Fall die Mär von der Überlegenheit des privaten Unternehmertums. Der Staat gilt den Lobbyisten der Privatisierung auf allen Gebieten als langsam, unbeweglich und einfallslos. „Und die Deutsche Bahn, der letzte große Staatskonzern, produziert unablässig Skandale …“, schreibt Brönstrup. Das Beispiel ist ein bedeutungsvoller Fehlgriff, machen doch die sich häufenden Pannen bei der Bahn gerade deutlich, welche Folgen die Privatisierung haben kann. Denn die Deutsche Bahn ist seit ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft ein privates Unternehmen, dessen Geschäftspolitik keine öffentliche Sache mehr sein kann. Der Autor unterscheidet nicht zwischen staatlicher, gesellschaftlicher und privater Verfügung. Die Privatisierung der Bahn und anderer öffentlicher Unternehmen der Daseinsvorsorge entzieht die Entscheidungen dieser Konzerne der demokratischen Kontrolle. Sie können Personal entlassen, die Arbeit bis zur Unerträglichkeit verdichten, die Infrastruktur herunterkommen lassen und anderes mehr. Brönstrup erwähnt dergleichen, aber er bringt es nicht auf die Reihe.
An dem entgegengesetzten Beispiel von der Überlegenheit des Marktes wird dieser blinde Fleck noch einmal deutlich. Es gebe viele Fälle heißt es, „in denen der Markt gehalten hat, was seine Anhänger zuvor versprochen hatten.“ Erwähnt wird die Telekommunikation. Stimmt: Es gibt solche Beispiele, wenn auch nur sehr wenige. Wie man jedoch unschwer erkennen kann, sind die „Erfolge“ der Telekommunikation gerade nicht allein dem Markt zu verdanken, sondern der technischen Revolution, die in der Hochzeit des ökonomischen Neoliberalismus stattgefunden hat.
Wer soll das Sagen haben?
Der eigentliche Stein des Anstoßes ist dieser blinde Fleck. Er gibt Anlass zu dem Verdacht, dass der Autor es versäumt hat, sich ausreichend kundig zu machen. Was die von ihm als „Privatisierungsskeptiker“ bezeichneten Leute wollen, ist in Brönstrups Essay geschickt entschärft. Es verschwindet hinter der unterstellten Geldgier und der ebenso unterstellten ideologischen Verblendung.
Dabei hätte er es durch ein wenig Aufmerksamkeit auf die Verlautbarungen des „Berliner Wassertischs“, des „Berliner Energietischs“ und von „Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB)“ erfahren können. Die von dieser Bewegung angestrebte Rekommunalisierung meint eben nicht Verstaatlichung. Vielmehr soll die Kontrolle über die zurückerworbenen Stadtwerke einer demokratisch legitimierten Instanz übergeben werden, um deren Gestaltung beim „Berliner Wassertisch“ gegenwärtig gerungen wird. Das wäre eine Repräsentanz der Bürgerinnen und Bürger, von denen nach unserem immer noch geltenden Grundgesetz „alle Staatsgewalt“ ausgeht. Denn die Gemeingüter gehören nicht dem Staat, also der Exekutive, sondern der Bevölkerung.
Diesen Unterschied zu denken ist der Autor des Essays nicht in der Lage oder nicht willens. Er schließt seinen schon erwähnten Brief an den Verfasser mit dem Satz: „Mir wäre es daher lieber, man würde von Verstaatlichung sprechen – das klingt zwar nicht so toll wie Demokratisierung, aber es trifft die Sache sehr viel besser.“
Das können wir so nicht stehen lassen.
Der Tagesspiegel-Artikel: „Die neue Lust an der Verstaatlichung“