Alle zehn Tage eine Privatisierung – Was lehrt uns Griechenland?

Eine kommentierte Presseschau – Fortsetzung von http://blog.gemeingut.org/2011/06/am-abgrund/

Von Jürgen Schutte

Es ist schon erstaunlich und natürlich erfreulich, dass sich mit der Entwicklung der „Griechenland-Krise“ auch bei einigen meinungsführenden Medien ein Bewusstsein von der Unhaltbarkeit neoliberaler Glaubensartikel durchzusetzen beginnt. Fast zehn Jahre nach der Einführung des Euro werden grundlegende Schwächen spürbar. Die seither festgelegten – und vor allem die fehlenden –Regelungen treiben die Eurozone von einer „schwierigen Situation“ in die nächste. Im Februarheft 2011 der Blätter für deutsche und internationale Politik hatte Michael R. Krätke, Professor für Politische Ökonomie an der Universität Lancaster, die selbstverschuldete Handlungsunfähigkeit der europäischen Regierungen im unerklärten „Währungskrieg“ herausgestellt. Er bezeichnet die Verträge von Maastricht und Lissabon sowie den gesamten Stabilitäts- und Wachstumspakt als „die dümmsten und dogmatischsten Wirtschaftsverträge aller Zeiten“.

Quelle: Blätter für dt. und int. Politik…

Auch wenn man diese radikale Einschätzung nicht teilt – die nicht enden wollende Krise zeigt: „Euroland ist eine Fehlkonstruktion. Weil eine gemeinsame Währungspolitik […] nicht ohne gemeinsame Finanz- und Wirtschsaftspolitik zu haben ist.“ (Krätke). Die Propagierung immer schärferer „Sparprogramme“, die sich längst als unwirksam und kontraproduktiv erwiesen haben, öffnet auch das Tor zu ebenso schädlichen, umfassenden Privatisierungen. Diesen Einsichten will „Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB)“ eine größere Öffentlichkeit verschaffen.

Aus Luxemburg berichtet Carsten Volkery am 20. Juni für Spiegel online: Luxemburgs Premierminister Juncker wurde nach dem Sparprogramm der Griechen gefragt,es bedeute schließlich, vier Jahre lang durchschnittlich alle zehn Tage eine Staatsfirma zu privatisieren. Antwort: „Sie muss es tun.“

„Das Misstrauen der Finanzmärkte“ in die Bereitschaft der griechischen Bevölkerung, dem Ausverkauf ihrer Gemeingüter tatenlos zuzusehen, ist groß. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mahnt, wohl eher an die griechische Regierung gewandt: „eine Währungsunion stelle hohe Anforderungen an ihre Mitglieder, und dieser Herausforderung müssten sich die Griechen nun stellen.“ Es geht ihm hauptsächlich um die „freiwillige Beteiligung“ der Banken an einer Krisenlösung; diese werde wohl funktionieren, „weil alle ein Interesse an einer stabilen Entwicklung in Griechenland haben. Es brauche keine zusätzlichen Anreize, um die Banken zum Mitmachen zu bewegen. Sie würden dies schon aus Eigeninteresse tun.“

Hoffen wir das Gleiche, denn um die Macht der Banken, zu tun und zu lassen, was ihnen gefällt, geht nach unserer Überzeugung das ganze Spiel.

Quelle: Spiegel…

 

Das Misstrauen gegenüber der Exekution einer alternativelosen Sparpolitik und ihrer Finanzierung durch Steuergelder der EU-Bevölkerung scheint auch im Bundestag um sich zu greifen. Man nähert sich der Auseinandersetzung mit den Verursachern der griechischen „Schuldenkrise“. Es regt sich Kritik gegenüber Merkel und Schäuble, die sich mit der Forderung einer „bindenden Beteiligung der Banken und Versicherungen“ gegenüber dem französischen Präsidenten Sarkozy nicht durchsetzen konnten. So verlangt der CSU-Europaexperte Thomas Silberhorn „verbindliche Regeln mit einer zwingenden Beteiligung“ privater Investoren. Diese sei „in Europa derzeit nicht durchsetzbar“, stellt der Autor des Berichts, Philipp Wittrock, am gleichen Tag und ebenfalls auf Spiegel online fest. Die Kritik an der „Pseudo-Einigung zwischen Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Sarkozy“ wird in guter Spiegel-Manier als ein „Aufstand der Frustrierten“ bezeichnet, die Kritiker als „Überzeugungstäter“ in schiefes Licht gebracht. Dass sich der Versuch einer „zwingenden Beteiligung“ schon zwei Tage später als frommer Wunsch entpuppt, lesen Sie am Ende dieses Kapitels.

Quelle: Spiegel…

 

Es entspricht der Vielseitigkeit des Hamburger Nachrichtenmagazins, dass Stefan Kaiser und Maria Marquart am gleichen Tag (20.6.) die Frage nach der Handlungsfähigkeit der Regierungen deutlich schärfer stellen. Die „Banken diktieren Bedingungen für Griechen-Hilfe“ ist der Bericht überschrieben – „und sie dürften sich damit durchsetzen.“ Die entscheidende Frage hätten die europäischen Minister nicht geklärt: Wie können Banken und Versicherungen dazu gebracht werden, dem hochverschuldeten Griechenland freiwillig länger Geld zu leihen? Die Antwort sei ernüchternd: Da das Schicksal Griechenlands vom Urteil der Rating-Agenturen und vom guten Willen der Banken und Versicherungen abhängig sei, werde man sich wohl dem Willen dieser Herren des Finanzmarkts beugen müssen und – aus den Taschen der Steuerzahler – zahlen.

Quelle: Spiegel…

 

„Denn sie wissen, was sie tun“ steht über dem Bericht von Michael Martens Athen für die FAZ am 21. Juni. Das soll heißen, sie wissen es nicht. Gemeint „Griechenlands Regierungsgegner“, Opposition und Gewerkschaften, deren Protest sich wenigstens auch gegen das Krisen-Management von EU, EZB und den IWF richtet. Die Demonstrationen gegen die rigorosen Sparprogramme der Regierung finden nach Meinung des Bericherstatters unter falschen Parolen statt. „Die Schuldigen sind bei solchen Veranstaltungen schnell gefunden. Als die griechischen Schurken gelten Ministerpräsident Papandreou und sein abgelöster Finanzminister Papakonstantinou. Aber sie werden meist nur als Erfüllungsgehilfen angesehen, denn die Hauptgegner sitzen im Ausland: Es sind die politischen Führer der EU (allen voran Bundeskanzlerin Merkel) und des Internationalen Währungsfonds (IWF). […] Es ist zwar nur eine Minderheit, die die Ursachen für das derzeitige Unheil allein im Ausland sieht – aber es ist eine lautstarke und einflussreiche Minderheit, die dem Land schon oft ihren Willen aufgezwungen hat.“

Das Rezept ist bekannt: Alles wäre besser, wenn nur die Unverbesserlichen ihren Mund halten würden. Von der Notwendigkeit einer Einheit im Sinne des „nationalen Selbsterhaltungstriebs“ war vorher schon die Rede. Der Gewährsmann für die Anerkennung der geforderten Kürzunge und Einschnitte ist „Takis Michas, einer der bekanntesten Publizisten Griechenlands“. Er plädiert für mehr Strenge mit Griechenland: „Wenn die europäischen Führer tatsächlich glauben, dass die Zukunft der Eurozone oder gar der Weltwirtschaft von dem guten Willen griechischer Gewerkschaften und ihrer Freunde im Parlament abhängt, dann sollten sie das auch sagen.“ So lenkt man ab von der Tatsache, dass auch die Regierungen schon längst nicht mehr das Heft des Handelns in den Händen haben.

Quelle: Franfurter Allgemeine Zeitung…

Auf die Frage „Wer denn, wenn nicht die Regierungen?“ gibt der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister in der Frankfurter Rundschau vom 21. Juni eine interessante Antwort: „Seit November 2009 entdecken die Märkte die Bonitätsunterschiede: Bis Mai 2010 stiegen die Zinsen für Griechenland auf 12 Prozent (derzeit: 18), dann jene für Irland auf 9 und jüngst für Portugal auf 11 Prozent. Der Rettungsschirm musste her und nun heißt es: Sparen bis zum Umfallen.

Jedoch: „Märkte sind keine Subjekte. Welches Spiel ziehen die echten Akteure ab, Politiker in den USA und der EU, Ratingagenturen, Finanzalchemiebanken wie Goldman Sachs oder Deutsche Bank? Grundkenntnisse über Zinssatz, Wachstumsrate und Verschuldungsdynamik sind unverzichtbar.“

Die werden in Kürze, aber für jeden verständlich vermittelt. Und zwar so, dass die „Neoliberale Einfalt“ der Privatisierungs- und Sparpolitik auf einmal einleuchtend deutlich wird. „Verstärken diese Länder dennoch ihre Sparbemühungen, ziehen sie sich tiefer in den Strudel: Die Wirtschaft schrumpft, die Zinsen steigen, die Staatsschuld auch. Gegen die Zinseszins-Mechanik hilft kein Sparen.“ Denn diese Mechanik eruht darauf, dass die Zinsen der einen die Renditen der anderen sind.

Als die wichtigsten Züge in diesem „Euro-Milliardenspiel“ nennt der Autor:

  • Die USA wollen die Position des Dollar als globale Leitwährung bewahren.
  • Die US-Ratingagenturen und Finanzalchemiebanken wollen ihre Geschäfte ausweiten. Das Doppelpassspiel von Herabstufung von Euroländern und Spekulation mit Credit Default Swaps (CDS, Ausfallrisiken von Krediten) ist extrem lukrativ, erhöht die Zinsen im Euroraum sowie deren Unterschiede zwischen den Ländern.
  • In Bezug auf die USA verzichtet man auf dieses Spiel.
  • In der EU wird das positive Zins-Wachstums-Differenzial überhaupt nicht als systemische Ursache der Krse begriffen …

Quelle: Frankfurter Rundschau…

Eine aufschlussreiche Beschäftigung mit diesem Spiel findet man am 22. Juni 2011 auf den Internet-Seiten der ARD. www.tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen zur „Schuldenkrise in Hellas“ – zum Beispiel: Was fordern EU, EZB und IWF? – Was ist das Ziel der Sparbemühungen? – Wie sieht das neue Sparpaket aus? und weitere, deren sachlich-nüchterne Beantwortung zu eigenem Urteil einlädt. Es wird unter anderem deutlich, dass das „Sparprogramm“ ein umfassendes Privatisierungsprogramm enthält, dass die „gesparten“ Milliarden vor allem von der Bevölkerung aufgebracht werden, dass sie eine verheerende Wirkung auf die griechische Wirtschaft haben und damit eigentlich das Gegenteil von dem erreicht wird, was man sich – und uns! – mit dem Sparpaket verspricht.

Einen würdigen voprläufigen Schlussstein für die kühne, neoliberale Konstruktion mit dem Titel „Rettung Griechenlands“ setzt die ARD mit folgenden zwei Meldungen:

1. Die Ratingagenturen senken den Daumen. Nun erhöhen auch die Ratingagenturen Fitch und Standard & Poor’s den Druck in der Griechenland-Krise: Experten der US-Agenturen haben die Hoffnungen der Euro-Staaten auf eine reibungslose Umschuldung des südeuropäischen Landes weitgehend zunichte gemacht. Sie kündigten an, dass selbst eine freiwillige Beteiligung privater Gläubiger an einem neuen Rettungspaket für die Griechen wohl als Zahlungsunfähigkeit des Mittelmeerlandes eingestuft würde.

2. Fünfzig deutsche und französische Spitzenmanager haben in ganzseitigen Zeitungsanzeigen vor einem Scheitern d es Euro gewarnt und weitere Finanzhilfen für hoch verschuldete Länder gefordert. „Kurzfristig muss diesen von der Verschuldungskrise betroffenen Ländern finanziell geholfen werden, damit sie ihre finanzielle Unabhängigkeit zurückgewinnen und sich für die Bevölkerung dort eine bessere Zukunftsperspektive einstellt“, heißt es in der Anzeige, die in mehreren großen Tageszeitungen erschien. Zu den Unterzeichnern gehören auch Banken und Versicherungen.

Letzte Meldung: Die Ratingagenturen nehmen Italien aufs Korn.

Quelle: tagesschau.de…

Es kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die Konzernherren und die Manager der Finanzumärkte die von ihnen selbst wenn nicht verursachte so doch verschärfte Krise zu einem Generalangriff auf den Lebensstandard und die gesellschaftliche Ordnung in Europa nutzen. Sie zeigen damit auch den demokratisch gewählten Regierungen die rote Karte. Nachdem klar ist, dass es keine „freiwillige Beteiligung“ an den Kosten der Krisenbewältigung geben wird, stellt sich die Frage: Von wem wird sich die Regierung die zur Rettung des Euro notwendigen Milliardenbeträge holen?

Einmal dürfen Sie raten!

Als ein „Mangel an finanzpolitischer Kompetenz“ erscheint die Handlungsunfähigkeit unserer Regierung in dem Interview, das der ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause der Tagsschau am. 22. Juni gab. Die Berliner Geschwätzigkeit sei Teil des Problems und mache die Krise noch teurer. Nötig sei eine klare Haltung. Die „erschreckende Berliner Geschwätzigkeit“, welche Krause sieht, ist vermutlich eine Folge der realen Handlugnsunfähigkeit: Die Regiereung ist nicht in der Lage, wirkliche Abhilfen auch nur anzudenken. Sehr lange habe Berlin allein in moralischen Kategorien gedacht. Nach dem Motto: Wer bei den Schulden sündigt, der muss durch Strafen davon abgehalten werden oder eben dafür bestraft werden. Einer Erkenntnis der Krise sei dieses  nicht günstig, in der wir uns befinden. „Uns droht dieser Laden um die Ohren zu fliegen.“ Vielleicht müsse man erst richtig „vor die Wand“ fahren, um die Fixierung auf die sture Bekräftigung der Sparpolitik zu durchbrechen.

Quelle: tagesschau.de…

Die Medien sind voll von direkter und indirekter Polemik gegen die griechische Bevölkerung, die ebenso selbstvergessen wie anspruchsbewußt ihren Lebensstandard gegen die aufgezwungenen Kürzungen, Einschnitte und Privatisierungen demonstrieren. Die Deutschen haben jedoch allen Anlass, sich bei der Jagd auf den „Sündenbock Griechenland“ zurückzuhalten. Diese Auffassung vertritt der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl von der London School f Econnomics and Politics Science einem am 21. Juni veröffentlichten Spiegel-Interview: Deutschland habe im 20. Jahrhundert die wohl größten Staatspleiten der jüngeren Geschichte hingelegt, in denen sie durch die Großzügikeit der USA, aber auch anderer Völker – darunter Griechendland – sanft entschuldet wurden. Die Anti-Griechenland-Stimmung sei daher hochgefährlich; denn nur durch den weitgehenden Schulden- und Reparationsverzicht seiner Kriegsopfer aus dem Zweiten Weltkrieg sei Deutschlands Wiederaufstieg möglich geworden. Das habe auch in Griechenland niemand vergessen.

„Die Griechen kennen die feindlichen Artikel aus deutschen Medien sehr gut. Wenn die Stimmung im Land umschlägt, alte Forderungen nach Reparationszahlungen laut und auch von anderen europäischen Staaten erhoben werden und Deutschland diese je einlösen muss, werden wir alle bis aufs Hemd ausgezogen.“

Quelle: Der Spiegel …

 

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