Von Carl Waßmuth
Am 04. Juni 2014 hat der Bundesrechnungshof (BRH) hat in seinem Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages Mehrkosten bei fünf der sechs vergebenen ÖPP- Verkehrsprojekte in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro gerügt. Dieser Bericht hatte viel Aufmerksamkeit erregt. Das Bundesland Sachsen-Anhalt war sogar gänzlich aus der ÖPP-Förderung ausgestiegen. Zum genannten BRH-Gutachten hat nun am 18. September 2014 das Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) einen Bericht an den Rechnungsprüfungsausschuss (RPA)des Deutschen Bundestages übersandt. Berücksichtigt man die übliche höfliche Sprache im Schriftverkehr von Ministerien und parlamentarischer Gremien untereinander, so stellt der Bericht des BMVI einen deutlichen Verriss des BRH-Gutachtens dar. Auf 43 Seiten geht man zahlreiche Aussagen des BRH durch und kommt zu dem Schluss, dass das BRH-Gutachten
„an zentralen Stellen inhaltlich nicht haltbar ist und zudem rein formale „Mängel“ enthält. Die These des BRH, das BMVI habe seine ÖPP-Ziele nicht erreicht, kann i. E. nicht aufrecht erhalten bleiben.“
Nun ist es nichts völlig neues, dass ein Ministerium verschnupft reagiert, wenn es vom Bundesrechnungshof auf Geldverschwendung hingewiesen wird. Der Bericht des BMVI ist dennoch mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Diese Besonderheiten sollen nachfolgend dargestellt werden. Zentrale Untersuchungsmethode ist eine vorgewichtete Frequenzanalyse. Ergänzt wird diese vorwiegend numerische Darstellung um Beiträge zur Diskussion, wie eine Sachdebatte um die Frage „teurer oder nicht?“ zu einer besseren Vergleichbarkeit für Dritte führen könnte – wie etwa den Rechnungsprüfungsausschuss, den Haushaltsausschuss oder eine interessierte Öffentlichkeit.
Bei ÖPP geht es vorrangig um Ungewissheiten
Auf den ersten Blick fällt auf, dass das BMVI eine hochgradig technokratische Sprache verwendet. Beim näheren Hinsehen sieht man jedoch, dass kaum neue Berechnungsergebnisse vorgestellt wurden. Auch werden wenige Sachverhalte neu angeführt. Dafür quillt der Text geradezu über von Ungefährem. Wie das? Zu einem großen Teil liegt das am Sujet: Ein Risiko ist ein Schaden, der in der Zukunft liegt – oder vielmehr liegen kann. So gerne man genau sein möchte, bei Risiken geht es um Ungewissheiten. Versicherungen versuchen dem beizukommen, indem sie aus einer riesigen Menge an Schäden Statistiken bilden. ÖPPs gibt es in Deutschland allerdings wenig mehr als dreihundert, und kaum ein ÖPP-Projekt gleicht dem anderen. Autobahn-PPPs sind aktuell erst sechs in der Betriebsphase. Daraus lassen sich keine belastbaren Statistiken machen. Der Text trägt dem sprachlich Rechnung: Das Wort Risiko kommt 74-mal vor, im Schnitt auf jeder Seite zweimal. Die Worte Prognose, prognostiziert, Unsicherheit, Vermutung, vermutlich, womöglich, künftig, vorhersagen, eventuell und unvorhersehbar bilden eine Wortgruppe mit 67 Treffern. Zwanzig Mal geht es um Einschätzungen oder Kostenschätzungen. Insgesamt bilden die eher dem Vagen zuzuordnenden Worte und Begriffe eine Gruppe, deren Mitglieder sich auf 159 Stellen im Text verteilen. Jede Menge Ungewissheiten eben.
Eine Flut von Wertungen
Noch etwas anderes kontrastiert mit der technokratischen Sprache: Die große Anzahl von Wertungen. „Der BRH behauptet“ und „die Behauptung des BRH“ kommen 21-mal vor, die Worte „angeblich“ sowie „vermeintlich“ zusammen ebenfalls 21-mal. 18-mal ist davon die Rede, dass der BRH unterstellt, suggeriert, konstruiert oder spekuliert. Aussagen der BRH werden 17-mal als Thesen oder Hypothesen bezeichnet, 13-mal sind Beispiele oder Betrachtungen des BRH fiktiv oder idealisiert. 13-mal sollen Aussagen, Bemerkungen oder Thesen des BRH unzutreffend, nicht zutreffend oder irreführend sein, zwölfmal verkürzt beziehungsweise isoliert. Nicht relevant, irrelevant, abwegig, unreflektiert, „überzeugt nicht“, „nicht neutral“ und „ist abzulehnen“ bilden eine Gruppe von elf Begriffen, „nicht belastbar“, „wenig aussagekräftig“, „geht ins Leere“ beziehungsweise „führt ins Leere“, „nicht nachvollziehbar“ sowie „ohne Anhaltspunkte“ eine Gruppe von zehn Begriffen. Da sind Wertungen wie „der BRH versucht zu belegen“, „versucht zu suggerieren“ oder „versucht den Eindruck zu erwecken“ mit insgesamt vier Nennungen geradezu selten. Insgesamt bilden allein die aufgeführten Wertungen eine Gruppe von 142 Begriffen, drei bis vier Wertungen pro Seite.
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Sujet von Zukünftigem wie Prognosen und Risikobewertungen dominiert wird, liegt der Gedanke nahe, dass so viele Wertungen gleichwohl recht ungefährdet geäußert werden können. Wer kann schon in die Zukunft blicken? Verifizierbares ist dementsprechend deutlich seltener zu finden: Von falschen Schlussfolgerungen, Darstellungen, Eingangsdaten, Prognosen oder Berechnungen des BRH ist nur achtmal die Rede, sieben Mal heißt es, dass etwas nicht belegt sein soll. Unrichtig oder „nicht sachgerecht“ kommt sechsmal vor, unberücksichtigt beziehungsweise „fehlerhaft berücksichtigt“ viermal, „nicht logisch“ und „im logischen Widerspruch stehend“ nur je einmal. Damit kommen überprüfbare Aussagen innerhalb der genannten Begriffe 27-mal vor. Auch wenn man berücksichtigt, dass es noch eine Handvoll implizit falsifizierbare Aussagen gibt sowie Begriffe, die in den genannten Wortgruppen noch fehlen, so bleibt doch ein klares Missverhältnis sichtbar: viele Wertungen, deutlich weniger hingegen, was überprüfbar ist.
Wer bestimmt, was real ist?
Die Entgegnungen des BMVI stützen sich insbesondere auf Bekräftigungen, dessen, was aus Sicht des BMVI die Realität ist – im Kontrast zu dem, was zuvor beim BRH in Frage gestellt wurde. 19-mal wird etwas durch das Wort „tatsächlich“ unterstrichen, Beschaffung kontrastiert zehnmal mit einer sogenannten Beschaffungswirklichkeit, die vermutlich realer sein soll. Herangehensweisen oder Prüfungen werden neunmal mit dem Attribut „objektiv“ versehen, eine Wortgruppe mit 16 Mitgliedern versammelt die drei Begriffe Realität (sieben Treffer), Praxis (ebenfalls sieben) sowie Finanzierungswirklichkeit (zwei). Zweimal kommt der Ausdruck „Fakt ist“ vor. In der Summe will man vom BMVI wenigstens 56-mal betonen was real ist – und sich damit implizit davon abgrenzen, was irreal sein könnte, und stellenweise auch explizit davon, was als fiktiv zu betrachten ist. Diese Häufung von – darf man sagen behaupteten? – Unverrückbarkeiten kontrastiert mit den zahlreichen Ungewissheiten, die gemäß Absatz 1 ebenfalls aus dem Text hervorgehen. Erkennbar wird jedenfalls das deutliche Bemühen, zu definieren, was Realität ist und was nicht. Für einen Diskurs ist das nur teilweise hilfreich. Erkennbar werden auf diesem Wege sicherlich, ob und wo Unterschiede in der Wahrnehmung vorliegen. Um zu einer gemeinsamen Grundlage für eine Bewertung zu kommen, müsste die wahrgenommene Realität aber auch beschrieben werden. Dazu reicht es nicht aus, z.B. auszusagen, die Beschaffungswirklichkeit sähe anders aus als vom BRH angenommen.
Was ist vergleichbar?
Völlig signifikant in der Frequenzanalyse ist die zentrale Bedeutung der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, abgekürzt als WU´en: 109-mal kommen sie vor. Auch wenn eine Handvoll der Nennungen auf Zitate aus dem BRH-Gutachten zurückgehen, so wird auch ohne zählen deutlich: Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen werden vom BMVI als ein Schlüsselelement angesehen in der Bewertung, ob es nun teuer wird als angenommen oder nicht. Allerdings kommt auf diesem Wege eine neue Ungewissheit hinzu: Was nämlich in den Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zu den betrachteten Projekten steht, ist weiterhin geheim und kann somit weder zitiert noch als Beleg angeführt werden. Dass das notwendigerweise so ist, dazu findet sich eine eigene Aussage im Bericht:
„Anhand des sehr detaillierten WU-Datenrahmens kann anschaulich nachvollzogen werden, dass es bei einer WU um eine eigene Kalkulation der öffentlichen Hand handelt. An der sozialen Marktwirtschaft Beteiligte veröffentlichen üblicherweise nicht ihre eigenen Kalkulationen, so- lange sich diese im Wettbewerb befinden, in der Regel auch darüber hinaus nicht. Wettbewerbe und öffentliche Ausschreibungen stehen unter einer besonderen Verschwiegenheit, da ansonsten der Wettbewerb und damit eine Ausschreibung sich selbst überflüssig machen würden. Transparenz kann es daher an den Stellen geben, die nicht wettbewerbsrelevant sind, wie Leitfäden und Methodiken. Das BMVI sieht daher allenfalls die Möglichkeit, nach einer Karenzzeit und der damit auslaufenden wettbewerblichen Relevanz von eigenen Kalkulationen diese zu veröffentlichen, wobei dies auch Ausstrahlungswirkung auf andere ÖPP-Bereiche haben dürfte und daher nicht losgelöst für den Bundesfernstraßenbereich betrachtet und entschieden werden kann.“
Es sei dahingestellt, ob die effektiv praktizierte Geheimhaltung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen für ÖPP-Projekte des Bundes damit hinreichend begründet ist. In jedem Fall ergibt sich damit ein großes Problem für den Diskurs zu der Frage, ob die Berechnungen in den WU´en richtig oder falsch sind. Der BRH hat möglicherweise eine input-output-Betrachtung angestellt. Das BMVI setzt dem entgegen: Die WU´en wurden richtig erstellt, sind richtig und stimmen im Übrigen mit den Forderungen der Bundeshaushaltsordnung (BHO, 14 Nennungen) überein. Damit steht nun Aussage gegen Aussage. Der BRH wird im gleichen Zug vom BMVI der Intransparenz bezichtigt, aber so richtig übersichtlich wird es für Dritte durch die Aussagen des BMVI „bei uns auch intransparent, aber alles richtig“ auch nicht. Und geht es weiter mit Dingen, die weniger aufklären als Positionen abstecken: Nutzenvergleich, Kosten-Nutzen-Analyse sowie Nutzeneffekte (29 Nennungen) sind möglicherweise monetarisierbar, sicherlich aber gibt es dabei einen großen Interpretationsspielraum. Dasselbe gilt für Effekte aus der Lebenszyklusbetrachtung (25 Nennungen), da die betrachteten Projekte alle gerade erst in die noch 20 bis 25 Jahre dauernde Betriebsphase eingetreten sind. Zu monetären Effekten bezogen auf den Betriebszyklus ist somit fast nichts bekannt, geschweige denn zum Lebenszyklus, der 50 oder 80 Jahre betragen kann – manche Autobahnen wurden bekanntermaßen schon unter Hitler gebaut.
Die Vergleichbarkeit der Aussagen wird gänzlich hinfällig, sobald das BMVI sich auf eine neue Vergabepraxis bezieht, die für die vom BRH untersuchten ÖPP-Projekte noch gar nicht gegolten hat. Für die ersten sechs ÖPP-Autobahn-Modelle sprach man vom A-Modell (A für Anschubfinanzierung), heute wird gemäß BMVI das V-Modell (V für Verfügbarkeit) zur Ausschreibung gebracht. Tatsächlich hat der BRH in seinem Bericht am Rande auch das Verfügbarkeitsmodell angesprochen. Es bleibt aber rätselhaft, wie das das BMVI veranlassen konnte, selbst 45-mal auf das Verfügbarkeitsmodell Bezug zu nehmen – für die zentrale vom BRH prognostizierte Kostenüberschreitung von 1,9 Milliarden Euro spielte dieses Modell keine Rolle, da es ja noch nicht angewandt wurde.
Wo sich das BMVI intensiver verteidigt
Mit der häufigen Bezugnahme auf das Verfügbarkeitsmodell wird fraglos vom Thema abgelenkt, ob absichtlich oder im missionarischen Eifer sei dahingestellt. Andere häufige Nennungen zeigen aber womöglich, wo man sich in der Argumentation angegriffen fühlte: Einige Begriffe, die beim BRH eher selten auftauchen, führen beim BMVI zu zahlreichen Verteidigungen. Der wichtigste dieser Begriffe ist der Zins: Die Wörter Zins, Zinssatz, Zinsänderung oder Zinszahlungen verzeichnen ansehnliche 66 Nennungen. Kurz gefasst legte der BRH einen recht simplen Dreisatz dar: Der Bund zahlt niedrige Zinsen für Kredite. Private zahlen höhere Zinsen für Kredite. Bei ÖPP nehmen Private die Kredite für den Bund auf. Also zahlt der Bund, der auch die Kreditzinsen bei ÖPP bezahlen muss, höhere Zinsen und hat somit bezogen auf die Finanzierung höhere Kosten. Ob die Relativierung dieser Aussage in den 66 Nennungen gelungen ist? Ein besonders schillerndes Beispiel aus der Zins-Verteidigungs-Armada ist dieses:
„Die plakativen Aussage „ÖPP kann nicht wirtschaftlich sein, weil der Staat sich ja günstiger finanziert als ein Privater“ ist unvereinbar mit dem Begriff der „Wirtschaftlichkeit“ gemäß BHO §7. Nach der Logik des BRH, allein auf die Finanzierungskosten abzustellen, müsste der Staat dann eigentlich auch – ähnlich plakativ ausgedrückt – Autos und Smartphones bauen, was er aus gutem Grunde nicht macht.“
Nicht ganz so häufig, aber immer noch signifikant ist die Nennung von (vermeintlichen, konstruierten, etwaigen) Fehlanreizen sowie der vom BMVI sogenannten „Fehlanreiztheorie des BRH“: 20-mal kommt das vor. Dass man Fehlanreizen ausgesetzt gewesen sei oder gar darauf reagiert habe, möchte man gründlicher von sich weisen als Kritik in Bezug auf die Schuldenbremse beziehungsweise Schuldenregel (zwölf Nennungen) oder die Transparenz (zusammen mit intransparent, nicht transparent elf Nennungen).
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass der BMVI-Bericht die Debatte um ÖPP bereichert. Es tauchen unabhängig von der oben teilweise geäußerten Kritik viele Argumente auf, die so im Diskurs zu Sinn und Unsinn von ÖPP bisher noch nicht bereitgestellt wurden. Neben dieser ersten vor allem zahlenmäßigen Auseinandersetzung ist eine intensive Auseinandersetzung mit den einzeln geäußerten Argumenten geboten und auch sicher aufschlussreich.