Wir freuen uns über diesen Erfolg unseres langjährigen Mitstreiters Dr. Werner Rügemer.
Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA, Bonn), finanziert von der Deutsche Post-Stiftung, zieht nach Ausscheiden des Direktors Prof. Dr. Klaus Zimmermann seine Klage gegen den Autor Werner Rügemer vollständig zurück – kurz vor einem Verhandlungstermin vor dem OLG Hamburg, der für den 8. Januar 2019 angesetzt war; dieser wurde aufgehoben.
Rügemers inkriminierter Beitrag über „Tarnkappen-Professoren“, unternehmensabhängige Wissenschaftler und Think-tanks kann nun wieder bedenkenlos und unzensiert publiziert werden. Das gilt allerdings nicht für die Blätter für deutsche und internationale Politik, die eine Unterlassungserklärung abgegeben hatten (mehr dazu ganz unten).
Der Kölner Publizist Werner Rügemer ist Vorstandsvorsitzender und Mitbegründer der aktion ./. arbeitsunrecht. Der Verein hatte seit Juni 2014 über den Fonds Meinungsfreiheit in der Arbeitswelt Spenden gesammelt, um die Verfahrenkosten zu bestreiten.
Das IZA bot die Groß-Kanzlei Redeker Sellner Dahs auf.
Der Fall IZA ./. Rügemer (OLG Hamburg, Az. 7 U 19/15) sorgte unter kritischen Wissenschaftlern, investigativen Journalisten, Gewerkschaftern und Bürgerrechtlern für einige Aufregung. Er ist für zukünftige Auseinandersetzungen von Bedeutung.
Pressesprecher Elmar Wigand erklärte:
„Der Ausgang bestätigt unsere Linie, dass wir keine faulen Kompromisse machen, wenn es um Grundrechte geht. Wir verteidigen uns durch öffentliche Mobilisierung, investigative Recherche und juristische Kompetenz.
Am Ende hat unser Kollege gewonnen und Kläger Klaus Zimmermann seinen Job beim IZA verloren.
Wir freuen uns über diesen Erfolg und hoffen auf weitere Zuspenden in unseren Rechtshilfe-Fonds!“
Die erstatteten Prozess- und Anwaltskosten werden in den Fonds Meinungsfreiheit in der Arbeitswelt zurück fließen und zur Abwehr künftiger Maulkorb-Verfahren gegen Gewerkschafter, Betriebsräte und kritische Bürger verwendet.
Einstweilige Verfügung und Klage
Die Klage aus 2013 richtete sich gegen Werner Rügemers Veröffentlichung „Der unterwanderte Staat“ in 8/2013 der Blätter für deutsche und internationale Politik. Zimmermann hatte zunächst durch Einstweilige Verfügung das Verbot von vier Aussagen durchgesetzt:
- „Faktenwidrig bezeichnet sich das Institut als unabhängig.“
- „Von freier Wissenschaft kann hier beim besten Willen nicht gesprochen werden.“
- „Das IZA betreibt Lobbying zugunsten der Unternehmer.“
- „Die Finanzierung durch die Deutsche Post AG ist dem breiten Publikum unbekannt.“
Rügemer hatte die Unabhängigkeit des IZA in Zweifel gezogen
Die Verflechtung des IZA mit der Kapitalseite sei augenfällig:
- Exklusive Dauer-Finanzierung durch die Deutsche Post-Stiftung,
- Übereinstimmung mit Forderungen der Unternehmerlobby:
- Polemik gegen den Mindestlohn,
- Arbeitspflicht für Hilfsempfänger,
- verlängerte Arbeitszeit;
- Gefälligkeits-Gutachten für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM,
- Verteidigung der vier Hartz-Gesetze;
- vielfältige personelle Vernetzung über policy fellows mit Regierungsparteien und Konzernen einschließlich z.B Friedrich Merz und Blackrock.
Die Unterwanderung des Staates bestehe darin, dass Lobbyisten wie das IZA nicht von außen an den Staat herantreten, sondern durch Dauerbeauftragung etwa für die Bundesregierung, für die Europäische Kommission und die Weltbank als Teil des Staates agieren und Lobbyarbeit hinter etablierten Lobbyverbänden wie BDI und Leitmedien wie der FAZ betreiben (Stichwort: Deep lobbying, siehe: lobbypedia.de).
Rückschläge vor der Hamburger Presse-Kammer
Das Hamburger Landgericht verfügte auf Antrag von Prof. Zimmermann am 13.1.2014, dass bei Wiederholung der fraglichen Passagen ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro oder eine Ordnungshaft bis zu zwei Jahren fällig sei. Der Streitwert lag bei 80.000 Euro.
Die Verfügung richtete sich auch gegen die Neue Rheinische Zeitung (www.nrhz.de), die den Artikel übernommen hatte. Da solche Vorwürfe in einem Hauptverfahren zu klären sind, forderten wir das IZA auf, die Hauptsachenklage zu erheben.
Prof. Zimmermann ließ sich durch die Bonner Groß-Kanzlei Redeker Sellner Dahs vertreten (Mandanten u.a. Helmut Kohl, Christian Wulff, Papst Benedikt XVI., Angela Merkel) und maß somit der Auseinandersetzung – auch durch die eingesetzten Kosten und Mühen – eine gewisse Bedeutung zu.
Obwohl Rügemer in Köln wohnt und das IZA in Bonn residiert wurde Hamburg als Gerichtsort gewählt. Grund ist der traditionell unternehmensfreundliche Ruf der Pressekammer Hamburg (maßgeblich geprägt durch den Richter Andreas Buske, kanzleikompa.de, 5.12.2011).
Wie kam es zur Rücknahme der Klage?
Bereits in dem Urteil in der 1. Instanz entschied das Landgericht, dass die ersten beiden Äußerungen nicht verboten werden können.
Weil Rügemer wegen der beiden weiteren Äußerungen (insbesondere „Lobbying“) nicht klein beigeben wollte, landete das Verfahren 2015 beim Oberlandesgericht Hamburg. (Az. 7 U 19/15).
Weil das OLG bis 2018 keinen Verhandlungstermin angesetzt hatte, machte der Autor beim zuständigen Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg die höchstmögliche Entschädigung von 1.200,- € pro Jahr geltend. Nachdem sie Ende 2018 ausgezahlt wurde, setzte das OLG für den 8.1.2019 umgehend einen Verhandlungstermin an.
Der Kläger zog daraufhin sofort seine gesamte Klage zurück und übernahm die gesamten Gerichtskosten und die Hälfte von Rügemers Anwaltskosten. Das OLG sagte den Termin ab.
Somit bekommt der Beklagte mehrere tausend Euro Verfahrenskosten zurück, die größtenteils vom Solidaritätskonto „Meinungsfreiheit in der Arbeitswelt“ der aktion ./. arbeitsunrecht (www.arbeitsunrecht.de) übernommen worden waren.
Danke für die Solidarität!
Werner Rügemer zeigte sich am Ende hoch zufrieden mit dem juristischen Sieg:
„Ich bedanke mich für die vielfältige Solidarität, die, wenn auch mit langer Verzögerung, zur Aufhebung der Klage geführt hat.
Zum einen hat die Aktion gegen Arbeitsunrecht das Solidaritätskonto Meinungsfreiheit in der Arbeitswelt eingerichtet. Darauf gingen zahlreiche Spenden ein. Die mehreren tausend Euro Verfahrenskosten konnten somit gedeckt und das Verfahren durchgehalten werden.
Enorm wichtig war die Solidarisierung des wissenschaftlichen Beirats von attac. Auch der Support von 30 Leuten vor dem Hamburger Gericht hat gut getan und Druck entfaltet.
Schließlich bedanke ich mich für die engagierte und kenntnisreiche Unterstützung durch meinen Kölner Anwalt Eberhard Reinecke. Ohne ihn hätte ich mich durch den deutschen Medienrechts-Dschungel nicht durchgefunden.“
Zensur beenden, Originalversion veröffentlichen!
Im Gegensatz zur Redaktion der Neuen Rheinischen Zeitung und zu Werner Rügemer hatte die Redaktion der Blätter für deutsche und internationale Politik die von Zimmermann zu Beginn geforderte, kostenpflichtige und strafbewehrte Unterlassungs-Erklärung unterzeichnet. Deswegen sind bis jetzt auf der Blätter- Internetseite die fraglichen Passagen gelöscht.
Für juristische Laien bemerkenswert: Weil die Unterlassungs-Erklärung weiterbesteht, kann die Zeitschrift trotz Rücknahme der Klage auch weiterhin nur die gekürzte Fassung veröffentlichen.
Weitere Hintergrund-Informationen: https://arbeitsunrecht.de/presserecht-ruegemer-siegt-gegen-post-lobbyisten-iza/