Ein Erfahrungsbericht von Laura Valentukeviciute / GiB, zuerst erschienen als Blogbeitrag auf www.neues-deutschland.de/rubrik/in-bewegung
»Können Sie mehr zur Entstehungsgeschichte der Treuhand erzählen? Ich habe sie nicht mehr erlebt und weiß auch zu wenig darüber«, wünschte sich ein Schüler, der vergangenes Wochenende an der neuen privatisierungskritischen Stadttour von Attac Berlin und Gemeingut in BürgerInnenhand teilnahm. »Das ist ja eine Schweinerei, das haben wir alles gar nicht erfahren«, kommentierte eine ältere Frau, nachdem wir die Station »Treuhandanstalt« verlassen haben und uns auf den Weg zu »Berlins größtem Supermarkt« – dem Abgeordnetenhaus – machten.
Die Treuhand ist wahrhaftig ein Star der Tour, was wir schnell erkannten, um gleich mit Entsetzen die Gründe dafür festzustellen: Dieses Kapitel der neuesten deutschen Geschichte wurde kaum kritisch aufgearbeitet. Mit den TeilnehmerInnen haben wir diskutiert, ob es daran liegen kann, dass wichtigste SchreibtischtäterInnen der Treuhandanstalt, wie Thilo Sarrazin, sich noch immer auf dem politischen Spielfeld bewegen – wenn auch glücklicherweise immer mehr im Abseits.
Der Weg zwischen den Stationen ist nicht lang – wir laufen im Areal zwischen Bundesfinanzministerium und Reichstagsufer. Dabei besuchen wir sieben unterschiedliche Stationen. Diese sind nur eine Auswahl, die bei der Vorbereitung in langen Arbeitssitzungen ausgehandelt worden ist. Wir mussten auf viele wichtige Fälle und Orte verzichten, wie beispielsweise Wohnungsprivatisierungen oder das neueste ÖPP-Großprojekt in Berlin, das Stadtschloss.
Wir schildern die Geschichte der Treuhandanstalt, die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe oder die Tricks von Vattenfall. Außerdem befassen wir uns mit der Deutschen Bahn AG und schauen uns bei den Ministergärten die Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik am Beispiel der Initiative Finanzstandort Deutschland mit Peer Steinbrück an. Am Ende geht‘s um Public Private Partnership – die moderne Form der Privatisierung – und um Geheimhaltung, ohne die solche PPP-Verträge gar nicht zustande kämen. Durch alle Stationen ziehen sich wie ein roter Faden die Fragen nach Demokratie und Transparenz. Das führt zu spannenden Diskussionen unter den TeilnehmerInnen: Warum wird die über Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte von öffentlicher Hand geschaffene Infrastruktur der Daseinsvorsorge unter strengster Geheimhaltung und in möglichst zügigen Verfahren verkauft? Oder: Warum sind Geschäftsgeheimnisse der Privaten wichtiger als öffentliches Interesse?
Während diese Fragen noch beantwortet werden können, bleibt eine andere in der Luft hängen: Wieso tun die PolitikerInnen das? Die Suche nach den wirklichen Ursachen würde zu lange dauern, und deswegen laden wir die TeilnehmerInnen zu regelmäßigen Treffen von attac oder Gemeingut in BürgerInnenhand, wo wir solche und ähnliche Themen diskutieren.
Eine unerwartete, aber sehr willkommene Entdeckung machen wir als TourleiterInnen: Der Spaziergang ist ein Nehmen und Geben. Einerseits erhalten die BesucherInnen auf den Punkt gebrachte Informationen zu Privatisierung und ihren »Kollateralschäden«, wie zum Beispiel Entlassungen in den effizient gemachten Betrieben und steigende Ausgaben der öffentlichen Hand für das Arbeitslosengeld. Andererseits machen die TeilnehmerInnen uns auf diverse Initiativen aufmerksam, die sich bundesweit gegen Wohnungsprivatisierung oder Outsourcing in Krankenhäusern wehren.
Wir beenden die Tour mit einem Gefühl der Zuversicht, dass die Idee, an der wir ein Jahr mit rein ehrenamtlichen Kräften gearbeitet haben, erfolgversprechend ist und wir einen Weg gefunden haben, die Menschen über die Auswirkungen von Privatisierungen zu informieren und uns gemeinsam darüber auszutauschen.
Wer Interesse daran hat, ist herzlich willkommen: Die Touren werden jeden zweiten und vierten Samstag im Monat angeboten. Anmeldung und weitere Infos: www.gemeingut.org/stadttour