Eine Betrachtung zu Transparenzverweigerung am 28. Jahrestag der Öffnung der Berliner Mauer.
Von Carl Waßmuth
28 Jahre soll das schon her sein? Die Mauer ist also schon so lange wieder weg, wie sie stand. Ihr plötzlicher Fall hing auch mit einer unerwarteten Transparenzgewährung des damaligen Mitglieds des Zentralkomitees zusammen. Auf der legendären (und live ausgestrahlten) Pressekonferenz antwortete Günter Schabowski auf die Frage „Wann tritt das [der Reisegesetzentwurf [1]] in Kraft?“:
„Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“
Die Menschen strömten zu den Grenzübergängen, die Folgen sind bekannt. Wie aber steht es heute mit Transparenz? Der Rat der Bürgermeisterin Berlin verweigert seit Anfang des Jahres widerrechtlich die Einsichtnahme in die Niederschriften seiner Sitzungen. Dabei geht es um viel, nämlich um ein „ ja“ oder „nein“ zur Privatisierung der Schulen in Berlin. Auf diesem Wege, nämlich hinter verschlossener Tür und unter Ausschluss der interessierten Öffentlichkeit, konnte es dazu kommen, dass am Montag, dem 6. November 2017 offenbar der Abgabe von Schulgrundstücken an eine privatrechtliche Gesellschaft (GmbH) zugestimmt wurde. Genaueres wird noch herauszufinden sein, denn die Niederschrift steht noch aus.
Der zugehörige Diskussionsprozess läuft schon seit Monaten. Aber seit dem 9. Februar werden die Beschlüsse des Rats der Bürgermeister nicht mehr veröffentlicht [2]. Angeblich wurde die betreffende Stelle eingespart, die diese Veröffentlichungen vornehmen soll. Allerdings sind die Niederschriften auch auf Nachfrage nicht mehr zu erhalten. Der vorsitzende Bürgermeister verweigert sich sogar persönlich, die Niederschriften weiterzugeben – ohne Angabe von Gründen. Dabei ist die Regelung eindeutig. Die Beschlüsse müssen unverzüglich nach Bestätigung der Niederschrift ins Internet gestellt werden:
„§ 8 Niederschriften
(1) Über jede Sitzung des Rats der Bürgermeister ist eine Niederschrift zu fertigen, die
- Angaben über die Dauer und die anwesenden Personen und 2. die Beratungsergebnisse enthält. […]
(4) Die Beschlüsse werden unverzüglich nach Bestätigung der Niederschrift bzw. beschlossener Änderung von der Senatskanzlei in das Internet gestellt. Ausnahmen beschließt der Rat der Bürgermeister.“
Unverzüglich bedeutet nach § 121 Absatz 1 Satz 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Dem Handelnden steht dabei nach gängiger Rechtsauffassung eine angemessene Überlegungsfrist zu. Als Obergrenze für ein unverzügliches Handeln wird durch die Rechtsprechung in der Regel ein Zeitraum von zwei Wochen angesehen. Bei einem Totalschaden einer Produktionsmaschine hat der BGH die Mängelrügefrist nach § 377 Abs. 1 HGB von 7 Wochen als rechtzeitig eingestuft. Liegt die Dauer bei 2 ½ Monaten nach Lieferung, so ist dies nicht mehr unverzüglich. Abgesehen von diesen Einzelfällen hat sich im Alltag die zwei-Wochen-Frist eingebürgert. So hat der Versicherungsnehmer die Versicherungsprämie „unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen“.
Eine wichtige Sitzung des Rats der Bürgermeister war am 24. August diesen Jahres. Dass dort über die Frage beraten wurde, weiß man, weil eine Beschlussvorlage dazu bekannt wurde. Was aber – bis heute! – nicht bekannt ist, das ist, was letztlich beschlossen wurde:
Abbildung 1: Screenshot der Webseite des Senats mit den Beschlüssen des Rats der Bürgermeister
https://www.berlin.de/rbmskzl/regierender-buergermeister/buergermeister-von-berlin/rat-der-buergermeister/beschluesse/, abgerufen am: 09.11.2017
Nun ja, zwei Wochen sind um, und auch sieben Wochen, falls man dem Gremium einen „Totalschaden einer Produktionsmaschine“ zugesteht. Alles was nach diesen sieben Wochen unterlassen wurde fällt allerdings unter „schuldhaftes Zögern“. Und dieses Zögern verhindert, dass Bürgerinnen und Bürger sich vor den Parteitagen von SPD und Linken in Berlin diesen November über die geplante Form der Schulprivatisierung informieren können. Es ist ein gewaltiger Skandal.
Anmerkungen
[1] Gemeint war der Reisegesetzentwurf, nach dem Privatreisen nach dem Ausland ohne Vorliegen von Voraussetzungen beantragt werden konnten und auch Visa zur ständigen Ausreise ohne Vorliegen von Voraussetzungen unverzüglich zu erteilen waren. Günther Schabowski hatte den betreffenden Abschnitt zuvor vorgelesen.
[2] https://www.berlin.de/rbmskzl/regierender-buergermeister/buergermeister-von-berlin/rat-der-buergermeister/beschluesse/
ja, so ändern sich die Zeiten.
Ich wollte noch was loswerden zur „Friedlichen Revolution“, die ja bekanntlich zur Öffnung der Mauer geführt hat.
Was leider ständig ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass zu einer „Friedlichen Revolution“ immer zwei Seiten gehören. Die eine Seite demonstriert friedlich und die andere Seite lässt friedlich demonstrieren, ohne wie in anderen Ländern geschehen, auf die Demonstranten zu schießen.
Wenn heute diese Massen zwecks Systemwechsel demonstrieren würden, ginge dies nicht so friedlich ab.
Beispiel Wurzen: Da demonstrieren 250 (in Worten zweihundertundfünfzig) Menschen und die Polizei fährt 5 Wasserwerfer und Massen von Polizei auf.
Man stelle sich vor, dort hätten so viele demonstriert, wie 1989 in Leipzig.
Ich weiß gar nicht, ob es in Deutschland so viele Wasserwerfer und Polizisten gibt.