Wie kommen Mietpreise zustande und warum wird das Wohnen immer teurer?
Von Andrej Holm, zuerst erschienen in der Zeitschrift Lunapark21 extra, Heft 20-21/2019 „Mietenexplosion vs. Daseinsvorsorge“. (Ein oder mehrere Exemplare der Zeitschrift können kostenlos per E-Mail bei GiB bestellt werden.)
Mit dem Berliner Senatsbeschluss, einen Mietendeckel einzuführen, ist eine Diskussion über die angemessene Höhe von Mietpreisen entbrannt. Vor allem Eigentümerverbände, aber auch Genossenschaften beschweren sich nicht nur über den staatlichen Eingriff in die Autonomie des Vertragsverhältnisses, sondern befürchten auch wirtschaftliche Einbußen, weil die künftigen Mieterträge zu niedrig seien, um alle Aufwendungen zu decken. Mieterorganisationen und auch die Berliner Regierung argumentieren mit den massiven Mietsteigerungen in den vergangenen Jahren und begründen den Mietpreisstopp mit dem Ziel, das Wohnen für alle bezahlbar zu machen. In einem Wirtschaftsfeld, in dem sich der Gewinn der einen aus den (Miet-)Kosten der anderen speist, ist eine polarisierte Positionierung keine Überraschung. Doch was wäre ein angemessener Mietpreis und wie müsste er berechnet werden? Gibt es den von Immobilienverbänden suggerierten Zusammenhang von Miet preisen und wirtschaftlichen Aufwendungen tatsächlich?
Im Beitrag werden verschiedene Ansätze vorgestellt, einen Mietpreis zu bilden. Auch wenn es uns die Ökonomen der neoklassischen und neoliberalen Schulen immer wieder einzureden versuchen: Es gibt für die Berechnung von Mietpreisen nicht nur Angebots-Nachfrage-Logiken.
Marktpreis
Auf dem Podium einer immobilienwirtschaftlichen Tagung, den 30. Münsteraner Wohnungswirtschaftlichen Gesprächen, diskutierte kürzlich eine Herrenrunde über die möglichen Folgen des Mietendeckels und anderer staatlicher Eingriffe. Ausgehend von der These, wonach gesetzliche Mietsenkungen einen Anstieg der Bewerbungen auf Wohnungsangebote zur Folge haben würden, merkte der Moderator, selbst Kleinvermieter, an, dass er schon jetzt, also ohne jeden Mietdeckel, aus über zehn Wohnungssuchenden auswählen könne. Darauf erklärte ihm ein Wirtschaftsprofessor, dass dies kein Wunder sei, denn das Beispiel belege, dass der Journalist seine Wohnung unterhalb des Gleichgewichtspreises angeboten habe.
Willkommen in der Welt von Angebot und Nachfrage. Die klassische Ökonomie geht davon aus, dass der Preis als Marktpreis aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage abgeleitet werden kann. Steigt die Nachfrage für ein knappes Gut, dann erhöht sich auch die Bereitschaft, einen hohen Preis dafür zu zahlen. Der ertragsoptimierte Preis wäre demnach der höchste Preis, zu dem noch vermietet werden kann. Da es für die einzelnen Vermieterinnen und Vermieter schwer ist, dieses Optimum zu finden, orientieren sich die meisten an den sonst üblichen Angebotspreisen für eine vergleichbare Wohnung. Dass Perspektiven einer sozialen Wohnversorgung dabei unter den Tisch fallen, ist Teil des Systems, denn günstige Wohnungsangebote zu leistbaren Mietpreisen für Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen gibt es in dieser Logik erst bei einem deutlichen Überangebot von Wohnungen.
Die durchschnittliche Neuvermietungsmiete in Berlin lag im Jahr 2018 bei knapp 11 Euro/m².1 Die Marktpreise haben keinen direkten Bezug zu den Kosten und orientieren sich an der maximalen Zahlungsbereitschaft der Wohnungssuchenden.
Ortsübliche Vergleichsmiete
Eine zweite Methode zur Berechnung von Mietpreisen leitet sich aus dem Mietrecht ab. Paragraph 558 BGB lässt eine „Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete“ zu. Die im Gesetz definierte Berechnungsmethode sieht vor, dass „die ortsübliche Vergleichsmiete (…) aus den üblichen Entgelten (gebildet wird), die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten vier Jahren vereinbart (…) worden sind“. Berücksichtigt werden dabei die frei vereinbarten Neuvermietungsmieten sowie alle im Bezugszeitraum veränderten Mieten durch vorangegangene Mietanpassungen an die ortsübliche Vergleichsmiete, modernisierungsbedingte Mietsteigerungen und vertraglich vereinbarte Mietsteigerungen aus Staffelmietverträgen. In den meisten größeren Städten wird die ortsübliche Ver gleichsmiete – differenziert nach Baualtersklassen, Ausstattungsstandards, Wohnungsgrößen und Lagen – in Mietspiegelerhebungen alle zwei Jahre auf der Basis einer repräsentativen Erhebung festgestellt.
Die durchschnittliche ortsübliche Vergleichsmiete in Berlin lag laut Mietspiegel 2019 bei 6,56 Euro/m². Die Mietspiegelwerte liegen also deutlich unter den Marktpreisen der Angebotsmieten. Doch auch die ortsübliche Vergleichsmiete hat keinen Bezug zu den tatsächlichen Aufwendungen für den Bau und die Bewirtschaftung von Wohnungen. Sie wird aus den Mietpreisen für vergleichbare Wohnungen abgeleitet.
Sozialmieten in Förderprogrammen
In den Programmen des sozialen Wohnungsbaus (bis 2004) und der Wohnraumförderung (seit 2005) wurden und werden für einen jeweils festgelegten Förderzeitraum Sozialmieten festgelegt. In den meisten Förderprogrammen erwirken öffentliche Baukostenzuschüsse, Darlehen oder Tilgungsverzichte Mietpreis- und Belegungsbindungen, so dass die Vermietung der geförderten Wohnungen ausschließlich an Haushalte mit Einkommen unterhalb der Einkommensgrenzen für einen Wohnberechtigungsschein erfolgt. Die Bewilligungsmieten der Förderprogramme sind je nach Förderprogramm unterschiedlich, liegen aber in der Regel zwischen 6,00 und 8,00 Euro/m² (netto kalt). In vielen Programmen sind die Sozialmieten als Einstiegsmieten konzipiert, die durch planmäßige Mietsteigerungen erhöht werden können.2
Die aktuellen Einstiegsmieten der Förderprogramme in Berlin liegen bei 6,50 Euro/m² (für Haushalte mit Einkommen bis zu 100 Prozent der im Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) definierten Einkommensgrenzen) oder bei 6,70 Euro/m² (für Haushalte mit Einkommen zwischen 100 und 140% der WoFG -Einkommensgrenzen) und steigern sich alle zwei Jahre um 0,20 Euro/m².3
Der Fördersystematik basiert auf dem Grundgedanken, mit dem Einsatz von Fördermitteln trotz der in den Programmrichtlinien festgelegten Mietpreise eine auskömmliche Bewirtschaftung der Wohnhäuser sicherzustellen. Am Beispiel von Programmen mit sogenannten Aufwendungszuschüssen kann das Prinzip der Förderkalkulationen anschaulich beschrieben werden. Die monatlichen Zahlungen der öffentlichen Zuschüsse schließen die Lücke zwischen den Aufwendungen für die Bewirtschaftung der Wohnungen und für die Refinanzierung der Investitionen auf der einen und den Einnahmen aus den Sozialmieten auf der anderen Seite. Die Mieten selbst werden durch den Staat im Rahmen der Förderprogramme festgelegt und sollen das Ziel der Wohnraumförderung sicherstellen – die Wohnungsversorgung für „Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können“.
Die Förderprogramme geben einen Hinweis auf die Kalkulation einer kostendeckenden Miete, da in der Grundsystematik der Förderprogramme letztendlich die unrentierlichen, das heißt die nicht gedeckten Kosten vom Staat übernommen werden, die entstehen, wenn die laufenden Aufwendungen die Einnahmen übersteigen. Der Mietpreis von Sozialwohnungen wird politisch definiert und entspricht den durch die Fördersubventionen geminderten Kosten für den Wohnungsbau.
Kostendeckende Mieten
Eine kostendeckende Miete ist der Betrag, der für den Bau und die Bewirtschaftung von Wohnungen aufgebracht werden muss.
Die anerkannten Bewirtschaftungsaufwendungen für Wohnimmobilien werden in der 2. Berechnungsverordnung (II. BV) für Neubauprojekte definiert und umfassen auf der Basis der Gesamtkosten für Grundstück und Baukosten die Summe aus Finanzierungsaufwand und Bewirtschaftungskosten.
Als Finanzierungsaufwand anerkannt werden dabei vor allem die Zinsen für die aufgenommenen Fremdmittel sowie etwaige Verwaltungspauschalen der Banken sowie eine Abschreibung (Gebäude-AfA) von zwei Prozent. Tilgungszahlungen dürfen nur unter spezifischen Bedingungen als laufende Aufwendungen angerechnet werden (sog. „Zinsersatz“ bei Zinssätzen unter vier Prozent, § 22 Abs. 2, BV).
Als Bewirtschaftungskosten zählen in der Berechnungsverordnung
(a) Verwaltungskosten in Höhe einer Pauschale von 285 Euro je Wohnung und Jahr,
(b) eine baualterabhängige Instandhaltungspauschale zwischen 7,10 Euro/m² und 11,50 Euro/m² pro Jahr (die sich um 8,50 Euro/m² erhöhen kann, wenn die Vermieterinnen und Vermieter die Schönheitsreparaturen übernehmen) sowie
c) ein Mietausfallwagnis in Höhe von zwei Prozent der Mieterträge.4
In Abhängigkeit von Gesamtkosten, Finanzierungskonditionen und Baualter können auf dieser Basis die laufenden Aufwendungen zur Bewirtschaftung von Wohnimmobilien bestimmt werden, mit dem Ergebnis, dass die laufenden Aufwendungen für Verwaltung und Instandhaltung der Wohngebäude sowie für Zins und Tilgung der Baufinanzierung in Städten wie Berlin deutlich unter den tatsächlich gezahlten Mieten liegen.
Neubaukosten sind vor allem vom Finanzierungsmodell abhängig
Für den Neubau folgender Beispielrechnung werden Baukosten (mit Baunebenkosten) von 2.800 Euro/m² sowie Grundstückskosten (inklusive Nebenkosten) mit 1.200 Euro/m² angenommen. Für die Refinanzierung der insgesamt 4.000 Euro/m² werden 20 Prozent Eigenkapital, entsprechen 800 Euro/m², angesetzt, die während der Rückzahlphase mit jährlich zwei Prozent verzinst werden. Für die 800 Euro/m² entspricht die Eigenkapitalverzinsung einem monatlichen Mietanteil von 1,33 Euro/m². Die 3.200 Euro/m², die als Fremdkapital aufgenommen werden, gehen in Anhängigkeit von den Finanzierungsmodalitäten in die laufenden Kosten ein.
Üblich sind Annuitätendarlehen, bei denen die Kosten für Zins und Tilgung für die gesamte Laufzeit des Kreditvertrages fixiert sind (und sich der Tilgungsanteil pro Jahr vergrößert). Je höher die Anfangstilgung, desto höher die laufenden Aufwendungen. Bei einem günstigen Zinssatz von jährlich einem Prozent und einer Anfangstilgung von ebenfalls einem Prozent liegt die Annuität (zwei Prozent) bei einem monatlichen Mietanteil von 5,33 Euro/m². Das Haus müsste langfristig refinanziert werden und wäre erst nach 70 Jahren abbezahlt. Bei einer Anfangstilgung von drei Prozent (Annuität = vier Prozent) wäre die gleiche Darlehenssumme bereits nach etwa 30 Jahren vollständig zurückgezahlt – die monatliche Mietbelastung der Refinanzierung würde jedoch bereits 10,67 Euro/m² betragen. Wird eine Rückzahlung innerhalb von 40 Jahren angestrebt, müsste die Anfangstilgung bei zirka zwei Prozent liegen und die Aufwendungen für die Fremdkapitalkosten würden mit 8,00 Euro/m² in die monatliche Miete einfließen. Die gesamten Finanzierungskosten inklusive der Eigenkapitalverzinsung für den Neubau würden ohne jede Förderung 9,33 Euro/m² im Monat betragen.
Hinzu kommen noch die Verwaltungskostenpausschale von 285 Euro pro Jahr und Wohneinheit sowie eine Instandhaltungsrücklage und ein Mietausfallwagnis von zwei Prozent der Nettokaltmiete. Bei einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 70 m² gehen die Verwaltungskosten mit 0,33 Euro/m² in die monatliche Miete ein. Bei der Festlegung der Instandhaltungsrücklage wird das Baualter berücksichtigt; die II. Berechnungsverordnung sieht für Gebäude, deren Bauzeit nicht länger als 22 Jahre zurückliegt, 7,10 Euro/m² pro Jahr vor. Für unseren Neubau wären das pro Monat 0,59 Euro/m². Das Mietausfallwagnis würde im hier dargestellten Beispiel bei 0,20 Euro/m² pro Monat liegen. Die Bewirtschaftungskosten summieren sich auf einen Betrag von 1,13 Euro/m² und der Gesamtbetrag einer kostendeckenden Miete im Neubau zu den beschriebenen Konditionen liegt bei 10,46 Euro/m² (nettokalt).
Eine aktuelle Auswertung für Berlin kommt zu dem Ergebnis, dass Wohnungen der jüngsten Baualtergruppe (2010 bis 2019) von privaten Anbietern für eine durchschnittliche Nettokaltmiete von 19,85 Euro/m² angeboten werden.5 Bei einer Anfangstilgung von drei Prozent (Annuität = vier Prozent) würde dieser Mietpreis einer Eigenkapitalverzinsung von über 20 Prozent entsprechen. Von den jährlichen Mieteinnahmen für eine Wohnung (mit 70 m²) in der Höhe von fast 17.000 Euro werden für die Refinanzierung und Bewirtschaftung nicht mehr als 9.000 Euro pro Jahr benötigt – der Rest kann als Gewinn oder für den beschleunigten Vermögensaufbau eingesetzt werden.
Bestandsimmobilien – Geschäft mit dem Überschussertrag
In einem Bestandsgebäude, dessen Grundstücks- und Baukosten nach beispielsweise 50 oder 60 Jahren komplett zurückgezahlt wurden, stellt sich die Rechnung anders dar. Da für das Gebäude keine Fremdkapitalkosten mehr zu refinanzieren sind, beschränken sich die wirtschaftlich notwendigen Aufwendungen auf die Bewirtschaftungskosten aus Verwaltungskostenpauschale, Instandhaltungsrücklage und Mietausfallwagnis. Die Verwaltungskosten werden wie gehabt mit 285 Euro/m² angesetzt – bei durchschnittlich 60 m² Wohnfläche in der Baualtergruppe entspricht das einem monatlichen Mietanteil von 0,39 Euro/m². Da das Gebäude älter als 32 Jahre ist, wird eine erhöhte Instandhaltungspauschale von jährlich 11,50 Euro/m² in den Berechnungen eingesetzt. Das entspricht einem Instandsetzungsbudget von etwa 700 Euro pro Wohnung und Jahr. Da Reparatur- und Instandsetzungsbedarfe diskontinuierlich anfallen, gibt es Jahre, in denen die tatsächlichen Aufwendung en deutlich darüber liegen, und Jahre, in denen die Summe nicht ausgeschöpft wird und in Form von Rücklagen angespart werden kann. Modernisierungsmaßnahmen sollen nicht aus dem Instandsetzungsbudget bezahlt werden; für sie gibt es gesonderte rechtliche Regelungen. Der monatliche Mietanteil der Instandhaltungsrücklage beträgt für die Bestandswohnung 0,96 Euro/m². Das Mietausfallwagnis (zwei Prozent der Nettokaltmiete) geht mit 0,09 Euro/m² in die monatlichen Mieterträge ein. Die für die Bewirtschaftung notwendigen Ausgaben betragen in der Summe lediglich 1,44 Euro/m².
Um auch nach der Refinanzierung die Investition in den Wohnungsbau wirtschaftlich zu honorieren und zumindest hypothetisch die langfristige Ersetzung des Gebäudes zu ermöglichen, wird eine Abschreibung von zwei Prozent pro Jahr auf die Baukosten in die Mietzahlung aufgenommen. Bei einem Baukostenansatz von 2.000 Euro/m² (großzügig gerechnet für ein Gebäude aus den 1960er Jahren) geht die Abschreibung mit 3,33 Euro/m² in die monatliche Miete ein.
Trotz der Einberechnung von Mietanteilen, denen keine konkreten Ausgaben gegenüberstehen, beläuft sich die kostendeckende Miete für das Bestandsgebäude aus den 1960/70er Jahren auf 4,77 Euro/m². Die tatsächlich erhobenen Mieten liegen meist deutlich über den kostendeckenden Beträgen der Modellrechnung. Die durchschnittliche Nettokaltmiete einer Wohnung – Baujahr 1960, übliche Ausstattung, mittlere Lage – liegt in Berlin bei 6,00 Euro/m². Die jährlichen Einnahmen aus den Mietzahlungen betragen pro Wohnung etwa 4.300 Euro – für Bewirtschaftung und Instandsetzung müssen pro Jahr etwa 1.000 Euro pro Wohnung ausgegeben werden. Schon mit der durchschnittlichen Bestandmiete lässt sich also ein erheblicher Überschussertrag erzielen.
Noch deutlicher wird die Differenz zwischen den betriebsnotwendigen Einnahmen und den Ertragserwartungen bei Neuvermietungen. Die Auswertung von Mietenwatch zeigt für 2018/19, dass für Wohnungen aus den 1960er Jahren von privaten Wohnungsunternehmen inzwischen Mietpreise in der Höhe von über 14 Euro/m² (nettokalt) aufgerufen werden. Von den über 10.000 Euro Mieterträgen pro Jahr und Wohnung werden gerade einmal 1.036 Euro für die tatsächliche Bewirtschaftung benötigt – der Rest ist privater Gewinn oder bildet das Budget aus dem die hohen Erwerbskosten für Bestandsimmobilien refinanziert werden.
Kreislauf der Immobilienspekulation treibt Mieten hoch
Wenn die tatsächlich notwendigen Bewirtschaftungskosten selbst mit einer fiktiven Abschreibung von zwei Prozent pro Jahr bei deutlich unter 5,00 Euro/m² liegen, ist die Aufregung um den Mietdeckel kaum zu verstehen, denn auch die Obergrenzen des Mietdeckels würden einen dauerhaften Gewinn ermöglichen. Doch insbesondere Eigentümerinnen und Eigentümer, die erst in den letzten Jahren Eigentumswohnungen oder Bestandsimmobilien erworben haben, verweisen zu Recht auf höhere Kosten. Die Kredite für den Kauf müssen ja zurückgezahlt werden und in Abhängigkeit von Lage, Preis und Zinssätzen entstehen neue Finanzierungskosten, die auf die Bewirtschaftungskosten aufgerechnet werden müssen.
Mit jedem Verkauf wird letztendlich die Logik der kostendeckenden Miete durchbrochen und ein neuerlicher Kreislauf der Refinanzierung in Gang gesetzt. Die zu zahlenden Mieten gehen dann nicht mehr auf die ursprünglichen Erstellungskosten zurück, sondern hauptsächlich auf die Bodenwerte und die Kreditkonditionen. Die über die Bewirtschaftungskosten hinausgehenden Mietanteile können als Zahlungen für privaten Gewinn, für eine hohe Bodenrente oder als Zinsen für die Banken angesehen werden, mit denen der Kauf der Bestandsimmobilien finanziert wird. Im Gegensatz zu den Baukosten, die auf einen tatsächlichen Produktionsprozess zurückgehen, sind die Kosten aufgrund hoher Bodenpreise und Zinsen für Kredite immer nur eine Umverteilung bereits geschaffener Werte. Marx beschrieb den Kredit als fiktives Kapital und gibt einen wichtigen Hinweis zur aktuellen Einordnung der Finanzialisierung der Wohnungswirtschaft: „Die rasche Entwicklung des Leihkapitals ist […] ein Resultat der wirklichen Akkumulation, denn sie ist die Folge der Entwicklung des Reproduktionsprozesses, und der Profit, der die Akkumulationsquelle dieser Geldkapitalisten bildet, ist nur ein Abzug von dem Mehrwert …“.6
Andrej Holm ist promovierter Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Stadtentwicklung und Wohnungspolitik. Er lebt und arbeitet in Berlin und unterstützt seit vielen Jahren Mieterinitiativen in der Stadt.
Anmerkungen:
Für die zur Verfügung gestellte Abbildung danken wir Joachim Römer: www.unterblicken.de.
1 IBB 2019, S. 61.
2 SenSW 2019.
3 SenSW 2019.
4 Siehe II. BV, §24 bis §29.
5 Mietenwatch 2019.
6 Karl Marx, MEW 25, S. 519.
Quellen:
IBB – Investitionsbank Berlin 2019: IBB-Wohnungsmarktbericht 2018. Berlin: IBB
II. BV 2007: Verordnung über wohnungswirtschaftliche Berechnungen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (Zweite Berechnungsverordnung – II. BV), zuletzt geändert am 23.11.2007 (https://www.gesetze-im-internet.de/bvo_2/BJNR017190957.html)
Marx, Karl: Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Dritter Band, Buch III: Der Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion, MEW Band 25, Berlin: Dietz Verlag.
Mietenwatch 2019: Mietenwatch – Auswertung von Online-Wohnungsangebote. Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Prototyp Fund (https://mietenwatch.de)
SenSW (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen) 2019: Verwaltungsvorschriften für die soziale Wohnraumförderung des Miet- und Genossenschaftswohnungsbaus in Berlin 2019 (Wohnungsbauförderungsbestimmungen 2019 – WFB 2019), Bekanntmachung vom 25. Juli 2019, in: Amtsblatt Berlin, ABl. Nr. 36 / 30, 5411-5423
WoFG 2001: Gesetz über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsgesetz – WoFG) vom 13.09.2001. (https://www.gesetze-im-internet.de/wofg/BJNR237610001.html)