TTIP und Privatisierung – Ein kleiner Katechismus

Von Jürgen Schutte (GiB)

ttip_privatisierung_Katechismus
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, urn:nbn:de:hbz:061:1-97987

Ein Katechismus ist ein Handbuch der Unterweisung in den Grundfragen des christlichen Glaubens. Das Verb κατηχεĩν […] bedeutet wörtlich „von oben herab tönen“ und davon abgeleitet „unterrichten“ (s. Wikipedia: Katechismus). Im Blick auf das Transatlantische Investitions- und Freihandelsabkommen (TTIP) wünschen sich  manche vielleicht eine verständliche und übersichtliche Unterrichtung über die Bedeutung der Verhandlungen, über die einzelnen Themen und über die möglichen Folgen dieses Vertrages.

An Luthers Kleinen Katechismus erinnern wir uns eventuell aus dem Konfirmationsunterricht. Er handelt davon, was wir glauben dürfen und nicht glauben, was wir tun sollen und nicht tun. Er stellt immer wieder die Frage: „Was ist das?“ Es ist dabei klar, dass der Fragende die Antwort von vornherein weiß.

Der Zweifel, ob man mit diesen ernsten Glaubensfragen an ein so weltliches Thema wie TTIP und Privatisierung herangehen kann, ließ sich überwinden. Wir haben es bei der Auseinandersetzung mit den Freihändlern ganz unzweifelhaft auch mit einem Glauben zu tun. Die religiöse Dimension der Verhandlungen lässt sich daran erken­nen, wie leicht die Denkmuster in Übereinstimmung zu bringen sind:

Das erste Gebot
Du sollst keine anderen Maßstäbe haben neben mir
Was ist das? Antwort
Wir sollen dem Markt über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.

Im Kampf um die Verteilung der natürlichen Ressourcen und um die von den arbeitenden Men­schen produzierten Werte wird mit dem Transat­lantischen Investitions- und Freihandelsabkom­men (TTIP) eine neue, systemverändernde Stufe erreicht. TTIP verhält sich zu den laufenden ÖPP-Projekten und Privatisierungsvorhaben wie eine Schlacht zu einzelnen Gefechten.
Wir werden diese nicht mehr bestehen, wenn wir jene auf die leichte Schulter nehmen.

Die folgenden Erklärungen und Thesen stehen unter dem Vorbehalt, dass die Verhandlungen über das wichtige und folgenreiche Vertragswerk unter strikter Ge­heimhaltung geführt werden, so dass wir – die davon Betroffenen – bei unserer Kritik auf „durchgesickerte“, von mutigen Informanten und findigen Journalisten an den Tag gebrachten Bruchstücken ausgehen müssen. Einige Kritikpunkte stützen sich auf die Analogie mit CETA.

Allgemeines

Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) ist ein langfristig vorbereiteter, mit großer Energie vorgetragener Angriff auf die Lebensbedingungen in den sozialen Demokratien Europas.
Über diese Partnerschaft wird seit 2013 zwischen der EU und den USA verhandelt. Die Agenda der Initiatoren sieht einen Abschluss der Verhandlungen bis 2016 vor. Zu diesem Zeitpunkt soll der Vertrag nach Ratifizierung durch die Parlamente, in Kraft treten. Er wird systemverändernde Wirkungen haben.

Ausstieg aus der Demokratie

Dieser Eindruck ergibt sich noch vor allen Inhalten der Verhandlungen aus der unge­schriebenen Geschäftsordnung:

  • Es gilt strenge Geheimhaltung; Aufklärung und Kritik sollen ins Leere laufen und lassen sich aufgrund dieser Voraussetzung leicht als Verschwörungstheorien abtun.
  • Das Verhandlungsergebnis wird ein Vertrag sein, der vom Europaparlament nur als ganzer ratifiziert oder abgelehnt werden kann. Änderungsanträge werden nicht mehr zugelassen. Man kann sich den Druck auf das Gewissen der Abgeordneten vorstellen.
  • Der einmal beschlossene Vertrag wird in der Folge unveränderbar sein. Es gibt also keine Möglichkeit, ihn gegebenenfalls veränderten äußeren Bedingungen anzu­passen oder, zum Beispiel, privatisierte Institutionen oder Dienstleistungen zu rekommunalisieren.
  • Die Einrichtung von privaten Schiedsgerichten setzt für Konflikte zwischen Staat und Unternehmen das jeweilige Recht außer Kraft. TTIP bricht Bundes- und Lan­desrecht und hat Vorrang vor den bestehenden Kompetenzen der Kommunen.

Die Gegenstände der Verhandlung

In den Entwürfen spielen die Regelungen für Investitionen eine zentrale Rolle und über sie wird auch am intensivsten verhandelt. Investitionsschutz, Marktzugang und Ausschreibungsregeln nehmen einen breiten Raum ein. Das relative Übergewicht dieser Themen ergibt sich daraus, dass es für den Freihandel kaum noch regelungsbe­dürftige Fragen gibt. Die meisten Handelsprobleme zwischen den USA und Europa sind seit Jahren oder Jahrzehnten eingespielt.

Die vorgesehenen Regelungen für Investitionen sind nahezu ausnahmslos Ent-Rie­gelungen, ihr Zweck ist die Beseitigung von bestehenden sozialen Standards, von Ar­beitnehmerrechten, Maßnahmen des Umwelt- und Verbraucherschutzes sowie Bür­gerrechten. Es gilt die Rhetorik der Umkehrung: Die Destruktion bestehender Sys­teme wird als Zugewinn an Freiheit und Sicherheit dargestellt: Investitions- und En­teignungsschutz, Marktzugang, Beseitigung von Wettbewerbshindernissen.

Diese Regulierungen gelten für Baumaßnahmen, Beschaffungen und Dienstleis­tungen, also praktisch für alle öffentlichen Aktivitäten im Dienst des gesellschaftli­chen Bedarfs. Einige Ausnahmen von dieser Regel sind – oder wirken – in den bisher vorliegenden Entwürfen wie „Weichmacher“ – Zugeständnisse, die man später aus­merzen wird: „Kommt Zeit, kommt Rat!“.

Ähnliches gilt für das Auftragswesen und die Ausschreibungspraxis. Maßnahmen, deren Kosten über einem festgelegten Schwellenwert liegen, müssen Europa- und USA-weit ausgeschrieben werden. Das wirft die regionale und lokale Wirtschaft aus dem Rennen. Die Hoffnung, hier durch die Festsetzung höherer Schwellenwerte ei­nen ökonomischen und administrativen Spielraum zu bewahren, wird sich am Ende voraussichtlich als trügerisch erweisen.

Staatliche Subventionen aller Art, zum Beispiel Beihilfen und Ausgleichszahlun­gen, aber auch Projektförderungen geraten durch das Regime der „Anti-Diskriminie­rung“ unter erheblichen Druck. Die Unterstützung etwa der Sozialverbände oder bestimmter Kommunen ist für die Gewährleistung sozialer Vorsorge aller Art jedoch unentbehrlich.

Generell gerät die von der öffentlichen Hand zu gewährleistende Daseinsvorsorge durch diese und weitere vorgesehene „Deregulierungen“ unter einen ökonomischen und politischen Druck, dem zu entgehen praktisch unmöglich sein wird. Neu struktu­rierte oder eingeführte Leistungen würden als schädlich für den Markt bezeichnet. Die öffentliche Hand wird mit einer Klagedrohung schon wegen der immensen Kos­ten eines Schiedsverfahrens zum Rückzug genötigt.

Ganz besonders unverfroren ist, wie gesagt, die vorgesehene Einrichtung eines Pri­vaten Schiedsgerichts. Diese Institution wird mittlerweile von vielen Seiten in Frage gestellt, vom Tisch ist sie nicht. Die drei Schiedsrichter, meistens Angestellte großer Wirtschaftskanzleien und Beratungsunternehmen, sind auf solche Verfahren speziali­siert und an der Vertretung möglichst zahlreicher Fälle interessiert. Sie entscheiden über Entschädigungen für ausgebliebene Gewinne und andere „Hindernisse“. Die Konstruktion dieser Schiedsgerichte ist nicht verbesserbar; sie sind als solche inak­zeptabel. Sie bedeuten:

  • die nationale Rechtsordnung wird ausgehebelt
  • Interessenkonflikte der Schiedsrichter werden die Regel sein
  • der Korruption sind Tür und Tor geöffnet
  • verhandelt und geurteilt wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit
  • die zu Grunde liegenden Dokumente bleiben unter Verschluss
  • es gibt keine Berufungsinstanz

Es wird aus dieser nüchternen Aufstellung der Eigenschaften von TTIP schon deut­lich, dass die Betreiber dieses Projekts, die großen Konzerne und Kapitaleigner mit diesem Projekt einen konzentrierten Großangriff auf die Gemeingüter starten. Die zahlreichen Mängel und „Sollbruchstellen“ der ÖPP-Projekte und vieler Privatisie-rungsvorhaben sind in den Vorschlägen für TTIP leicht erkennbar. Sie sollen jetzt möglichst ein für alle Mal und, wenn es geht, bei noch verbesserten Voraussetzungen und höheren Renditen aus dem Weg geräumt werden. Die in zahlreichen ÖPP-Projekten und Privatisierungsvorhaben beförderte Demontage der sozialen Demokratie wird nun verallgemeinert: Die Initiatoren von TTIP wollen viele Gefechte überflüssig machen, indem sie zur Schlacht blasen.

Die Befürworter dieser Politik, auch solche, die TTIP nur teilweise wollen und an die Versprechungen – Wachstum, Arbeitsplätze, Freiheit des Handels u.ä. – immer noch glauben, verraten bereits jetzt ihren Auftrag, Schaden von der Gesellschaft abzuwen­den. Was sie sich und uns als freien Markt, als Nichtdiskriminierung, als Beseitigung von Hindernissen andienen, läuft auf die Etablierung einer umfassende Bürokratie hin­aus, welche mit der Ratifizierung von TTIP auf die Anwaltskanzleien, die Beratungs­unternehmen und die zuständigen Abteilungen der Konzernzentralen übergehen wird.

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