Von Jürgen Schutte (GiB)
Ein Katechismus ist ein Handbuch der Unterweisung in den Grundfragen des christlichen Glaubens. Das Verb κατηχεĩν […] bedeutet wörtlich „von oben herab tönen“ und davon abgeleitet „unterrichten“ (s. Wikipedia: Katechismus). Im Blick auf das Transatlantische Investitions- und Freihandelsabkommen (TTIP) wünschen sich manche vielleicht eine verständliche und übersichtliche Unterrichtung über die Bedeutung der Verhandlungen, über die einzelnen Themen und über die möglichen Folgen dieses Vertrages.
An Luthers Kleinen Katechismus erinnern wir uns eventuell aus dem Konfirmationsunterricht. Er handelt davon, was wir glauben dürfen und nicht glauben, was wir tun sollen und nicht tun. Er stellt immer wieder die Frage: „Was ist das?“ Es ist dabei klar, dass der Fragende die Antwort von vornherein weiß.
Der Zweifel, ob man mit diesen ernsten Glaubensfragen an ein so weltliches Thema wie TTIP und Privatisierung herangehen kann, ließ sich überwinden. Wir haben es bei der Auseinandersetzung mit den Freihändlern ganz unzweifelhaft auch mit einem Glauben zu tun. Die religiöse Dimension der Verhandlungen lässt sich daran erkennen, wie leicht die Denkmuster in Übereinstimmung zu bringen sind:
Das erste Gebot
Du sollst keine anderen Maßstäbe haben neben mir
Was ist das? Antwort
Wir sollen dem Markt über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.
Im Kampf um die Verteilung der natürlichen Ressourcen und um die von den arbeitenden Menschen produzierten Werte wird mit dem Transatlantischen Investitions- und Freihandelsabkommen (TTIP) eine neue, systemverändernde Stufe erreicht. TTIP verhält sich zu den laufenden ÖPP-Projekten und Privatisierungsvorhaben wie eine Schlacht zu einzelnen Gefechten.
Wir werden diese nicht mehr bestehen, wenn wir jene auf die leichte Schulter nehmen.
Die folgenden Erklärungen und Thesen stehen unter dem Vorbehalt, dass die Verhandlungen über das wichtige und folgenreiche Vertragswerk unter strikter Geheimhaltung geführt werden, so dass wir – die davon Betroffenen – bei unserer Kritik auf „durchgesickerte“, von mutigen Informanten und findigen Journalisten an den Tag gebrachten Bruchstücken ausgehen müssen. Einige Kritikpunkte stützen sich auf die Analogie mit CETA.
Allgemeines
Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) ist ein langfristig vorbereiteter, mit großer Energie vorgetragener Angriff auf die Lebensbedingungen in den sozialen Demokratien Europas.
Über diese Partnerschaft wird seit 2013 zwischen der EU und den USA verhandelt. Die Agenda der Initiatoren sieht einen Abschluss der Verhandlungen bis 2016 vor. Zu diesem Zeitpunkt soll der Vertrag nach Ratifizierung durch die Parlamente, in Kraft treten. Er wird systemverändernde Wirkungen haben.
Ausstieg aus der Demokratie
Dieser Eindruck ergibt sich noch vor allen Inhalten der Verhandlungen aus der ungeschriebenen Geschäftsordnung:
- Es gilt strenge Geheimhaltung; Aufklärung und Kritik sollen ins Leere laufen und lassen sich aufgrund dieser Voraussetzung leicht als Verschwörungstheorien abtun.
- Das Verhandlungsergebnis wird ein Vertrag sein, der vom Europaparlament nur als ganzer ratifiziert oder abgelehnt werden kann. Änderungsanträge werden nicht mehr zugelassen. Man kann sich den Druck auf das Gewissen der Abgeordneten vorstellen.
- Der einmal beschlossene Vertrag wird in der Folge unveränderbar sein. Es gibt also keine Möglichkeit, ihn gegebenenfalls veränderten äußeren Bedingungen anzupassen oder, zum Beispiel, privatisierte Institutionen oder Dienstleistungen zu rekommunalisieren.
- Die Einrichtung von privaten Schiedsgerichten setzt für Konflikte zwischen Staat und Unternehmen das jeweilige Recht außer Kraft. TTIP bricht Bundes- und Landesrecht und hat Vorrang vor den bestehenden Kompetenzen der Kommunen.
Die Gegenstände der Verhandlung
In den Entwürfen spielen die Regelungen für Investitionen eine zentrale Rolle und über sie wird auch am intensivsten verhandelt. Investitionsschutz, Marktzugang und Ausschreibungsregeln nehmen einen breiten Raum ein. Das relative Übergewicht dieser Themen ergibt sich daraus, dass es für den Freihandel kaum noch regelungsbedürftige Fragen gibt. Die meisten Handelsprobleme zwischen den USA und Europa sind seit Jahren oder Jahrzehnten eingespielt.
Die vorgesehenen Regelungen für Investitionen sind nahezu ausnahmslos Ent-Riegelungen, ihr Zweck ist die Beseitigung von bestehenden sozialen Standards, von Arbeitnehmerrechten, Maßnahmen des Umwelt- und Verbraucherschutzes sowie Bürgerrechten. Es gilt die Rhetorik der Umkehrung: Die Destruktion bestehender Systeme wird als Zugewinn an Freiheit und Sicherheit dargestellt: Investitions- und Enteignungsschutz, Marktzugang, Beseitigung von Wettbewerbshindernissen.
Diese Regulierungen gelten für Baumaßnahmen, Beschaffungen und Dienstleistungen, also praktisch für alle öffentlichen Aktivitäten im Dienst des gesellschaftlichen Bedarfs. Einige Ausnahmen von dieser Regel sind – oder wirken – in den bisher vorliegenden Entwürfen wie „Weichmacher“ – Zugeständnisse, die man später ausmerzen wird: „Kommt Zeit, kommt Rat!“.
Ähnliches gilt für das Auftragswesen und die Ausschreibungspraxis. Maßnahmen, deren Kosten über einem festgelegten Schwellenwert liegen, müssen Europa- und USA-weit ausgeschrieben werden. Das wirft die regionale und lokale Wirtschaft aus dem Rennen. Die Hoffnung, hier durch die Festsetzung höherer Schwellenwerte einen ökonomischen und administrativen Spielraum zu bewahren, wird sich am Ende voraussichtlich als trügerisch erweisen.
Staatliche Subventionen aller Art, zum Beispiel Beihilfen und Ausgleichszahlungen, aber auch Projektförderungen geraten durch das Regime der „Anti-Diskriminierung“ unter erheblichen Druck. Die Unterstützung etwa der Sozialverbände oder bestimmter Kommunen ist für die Gewährleistung sozialer Vorsorge aller Art jedoch unentbehrlich.
Generell gerät die von der öffentlichen Hand zu gewährleistende Daseinsvorsorge durch diese und weitere vorgesehene „Deregulierungen“ unter einen ökonomischen und politischen Druck, dem zu entgehen praktisch unmöglich sein wird. Neu strukturierte oder eingeführte Leistungen würden als schädlich für den Markt bezeichnet. Die öffentliche Hand wird mit einer Klagedrohung schon wegen der immensen Kosten eines Schiedsverfahrens zum Rückzug genötigt.
Ganz besonders unverfroren ist, wie gesagt, die vorgesehene Einrichtung eines Privaten Schiedsgerichts. Diese Institution wird mittlerweile von vielen Seiten in Frage gestellt, vom Tisch ist sie nicht. Die drei Schiedsrichter, meistens Angestellte großer Wirtschaftskanzleien und Beratungsunternehmen, sind auf solche Verfahren spezialisiert und an der Vertretung möglichst zahlreicher Fälle interessiert. Sie entscheiden über Entschädigungen für ausgebliebene Gewinne und andere „Hindernisse“. Die Konstruktion dieser Schiedsgerichte ist nicht verbesserbar; sie sind als solche inakzeptabel. Sie bedeuten:
- die nationale Rechtsordnung wird ausgehebelt
- Interessenkonflikte der Schiedsrichter werden die Regel sein
- der Korruption sind Tür und Tor geöffnet
- verhandelt und geurteilt wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit
- die zu Grunde liegenden Dokumente bleiben unter Verschluss
- es gibt keine Berufungsinstanz
Es wird aus dieser nüchternen Aufstellung der Eigenschaften von TTIP schon deutlich, dass die Betreiber dieses Projekts, die großen Konzerne und Kapitaleigner mit diesem Projekt einen konzentrierten Großangriff auf die Gemeingüter starten. Die zahlreichen Mängel und „Sollbruchstellen“ der ÖPP-Projekte und vieler Privatisie-rungsvorhaben sind in den Vorschlägen für TTIP leicht erkennbar. Sie sollen jetzt möglichst ein für alle Mal und, wenn es geht, bei noch verbesserten Voraussetzungen und höheren Renditen aus dem Weg geräumt werden. Die in zahlreichen ÖPP-Projekten und Privatisierungsvorhaben beförderte Demontage der sozialen Demokratie wird nun verallgemeinert: Die Initiatoren von TTIP wollen viele Gefechte überflüssig machen, indem sie zur Schlacht blasen.
Die Befürworter dieser Politik, auch solche, die TTIP nur teilweise wollen und an die Versprechungen – Wachstum, Arbeitsplätze, Freiheit des Handels u.ä. – immer noch glauben, verraten bereits jetzt ihren Auftrag, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Was sie sich und uns als freien Markt, als Nichtdiskriminierung, als Beseitigung von Hindernissen andienen, läuft auf die Etablierung einer umfassende Bürokratie hinaus, welche mit der Ratifizierung von TTIP auf die Anwaltskanzleien, die Beratungsunternehmen und die zuständigen Abteilungen der Konzernzentralen übergehen wird.
Genau, von oben herrab tönen wie ein Stück Erz : 1.Korinther 13:1 !