Die Bundesregierung plant ein lukratives Geschäftsmodell für KapitalanlegerInnen. Sie will den Autobahnbau in einer privatrechtlichen »Bundesfernstraßengesellschaft« zentralisieren. Private InvestorInnen könnten Anteile der Gesellschaft kaufen oder sich an einzelnen Bauprojekten beteiligen. Dem Staat eröffnet sich ein Weg, die Schuldenbremse zu umgehen. Dazu soll das Grundgesetz geändert werden. Von Carl Waßmuth
300 Milliarden Euro – so viel werden Erhaltungsmaßnahmen, Neu- und Ausbauvorhaben sowie der Betrieb von Fernstraßen in den kommenden 30 Jahren kosten. Und für eben diesen Zeitraum sollen diese Maßnahmen privatisiert werden: in öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) mit drei Jahrzehnten Laufzeit oder sogar durch die Privatisierung der neuen Fernstraßengesellschaft mit all ihren Aufgaben. Denn Fernstraßen sind begehrt: Zwar machen sie weniger als zehn Prozent des Straßennetzes aus, dafür rollen aber fast drei Viertel des Straßenverkehrs über sie hinweg. Im Bundeshaushalt ist ihnen deswegen im Land der Autofahrer ein großer Posten sicher. Darüber hinaus spülen die Autobahnen über die Lkw-Maut und zukünftig auch über die Pkw-Maut weiteres Geld in die Kasse. Wenn es nach den Plänen der großen Versicherungskonzerne geht, dann steht diese Kasse – eine wahre Melkkuh – künftig bei Allianz, Axa, Ergo und Co.
Treibende Kräfte dieses größten Privatisierungsvorhabens der letzten 15 Jahre sind die Minister Dobrindt, Gabriel und Schäuble. Ihre Motive sind dabei unterschiedlich: Der mögliche Kanzlerkandidat der SPD Sigmar Gabriel will als Wirtschaftsminister beweisen, dass er »Wirtschaft kann«. Deutschland ist bei den Investitionen in Europa Schlusslicht, seit 15 Jahren wird weniger nachinvestiert als gleichzeitig verfällt. Sigmar Gabriel träumt davon, der Mann zu sein, der Deutschland auf den Pfad üppiger Investitionen zurückführt. Die von ihm einberufene »Fratzscher-Kommission« hat den Vorschlag zur Autobahnprivatisierung aufgebracht. Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat sich wie kein Minister vor ihm dem Modell öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) verschrieben. Mit der neuen Bundesfernstraßengesellschaft könnte ÖPP von Einzelprojekten auf bisher 5 Prozent der Autobahnstrecken zum Standard auf 100 Prozent der Fernstraßen erhoben werden. Entsprechend treibt Alexander Dobrindt die Gründung einer solchen Einrichtung voran. Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht in dem kaum zu leugnenden Investitionsbedarf eine Bedrohung für sein Lebenswerk »schwarze Null«. Also hilft er dabei, ein Konstrukt aus der Taufe zu heben, mit dem Milliardenkredite an der Schuldenbremse vorbei aufgenommen werden können und der Bundeshaushalt – zumindest auf dem Papier – weiter ausgeglichen bleibt.
Am 14. Oktober 2016 einigten sich Bundesregierung und MinisterpräsidentInnen auf den Einstieg in die Autobahnprivatisierung. Eine »privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft Verkehr« soll künftig anstelle der Länder die Autobahnen verwalten. Und die Länder haben gleich einen Blankoscheck für das Privatisierungsvorheben des Bundes unterschrieben: »Dazu entsprechende Ermächtigungen in Art. 90 Grundgesetz. Eckpunkte für die Ausgestaltung sind festzulegen.«
Es ist nicht nachvollziehbar, wie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nur wenige Stunden später in einem Rundbrief an alle SPD-Mitglieder stolz frohlocken kann: »Wir konnten durchsetzen, dass die Privatisierung von Autobahnen und Bundesstraßen ausgeschlossen wird.« Entlarvt wird die Aussage des SPD-Vorsitzenden durch die Protokollerklärung von Thüringen: »In der Ermächtigung des Art. 90 Grundgesetz soll aus Sicht des Freistaats Thüringen geregelt werden, dass das unveräußerliche und vollständige Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen sowie an der Infrastrukturgesellschaft Verkehr festgeschrieben werden soll.« So eine Protokollerklärung ist nur eine »Nice to have«-Notiz, auf den Beschluss hat sie kaum Einfluss. Hier aber führt sie vor Augen, was genau im Beschluss fehlt – nämlich der Erhalt des Eigentums in der öffentlichen Hand. Nach jetzigem Stand ist sowohl ein Komplettverkauf der Autobahnen als auch ein Verkauf oder Teilverkauf der neugegründeten Gesellschaft möglich.
Gegen den Ausverkauf formiert sich zu Recht Widerstand: Gewerkschaften, Umweltverbände und Bürgerinitiativen haben sich schon zusammengeschlossen. Jetzt müssten noch die AutofahrerInnen dazukommen.
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