von Carl Waßmuth
Warum wenige Jahre Unterinvestitionen Jahrzehnte lang die Öffentlichkeit belasten
S-Bahn Nachrichten in Berlin: „Obwohl die Werkstätten unter Hochdruck arbeiten, konnte die S-Bahn auch am Mittwoch nach Angaben des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) nur 423 Doppelwagen einsetzen; was selbst für den Notfahrplan nicht ausreicht, für den man 425 Doppelwagen brauche.“
Die Berliner S-Bahn gilt mittlerweile als Paradebeispiel für die verfehlte Ausrichtung eines öffentlichen Unternehmens auf die Privatisierung. Notwendige Investitionen in die Wagen-Infrastruktur der im Eigentum der DB AG befindlichen S-Bahn erfolgten nicht, selbst sicherheitsrelevante Wartungsarbeiten wurden „gestreckt“, was mit anderen Worten bedeutet, sie wurden nicht zu dem Zeitpunkt erledigt, den Sicherheit und nachhaltiges Fuhrparkmanagment erforderten. Man glaubte sich das erlauben zu können: Die DB AG hatte die S-Bahn von der BVG geschenkt bekommen. Geschenkt? Geschenkt. Zudem stand in den für die Auszehrung der S-Bahn verantwortlichen Jahren 2004 – 2007 der Börsengang (vermeintlich) unmittelbar bevor, die Neuausschreibung hingegen lag mit 2017 weit entfernt. Es sprach in der Logik der Börsengänge viel dafür, durch Unterinvestitionen Geld aus der S-Bahn für die Story der steigenden Gewinne des Mutterkonzerns DB AG abzuziehen. In der Folge kam es zu den bekannten Technikversagen bei Achsen, Radsätzen, Bremsen und Motoren, seit 2008 lösen sich Notfahrpläne und Not-Notfahrpläne ab, ein Ende ist nicht abzusehen.
Unterinvestitionen können auftreten im Zuge einer erfolgten Privatisierung oder auf dem Weg zu einem vorgesehenen Verkauf. Neuster „Hype“ der Finanzmärkte für Infrastruktur ist diesbezüglich die Privatisierung per 30 Jahre laufendem PPP-Vertrag (PPP: Public Privat Partnership). Die finanziellen Schäden für die Steuer- und Gebührenzahler übersteigen nicht selten die „klassischen“ Formen“ der Schädigung des Gemeinwesens in Form zu hoher Gebühren und zu geringer Verkaufserlöse. In Großbritannien wurde zum Beispiel der Schaden am britischen Eisenbahnsystem nach 10 Jahren Infrastrukturmanagment durch die private Aktiengesellschaft rail track auf bis zu 110 Milliarden Euro beziffert.
Warum die S-Bahn nicht zur Ruhe kommt – und warum auch 2018 Fahrzeugmangel herrschen wird
Bei der S-Bahn werden die Unterinvestitionen jenseits des derzeitigen, bereits drei Jahre andauernden „S-Bahn-Chaos“ in periodischen Abständen gravierende Probleme mit der Kapazität für die Wartung ergeben. Im Moment arbeitet die Berliner S-Bahn einen riesigen Berg ab, der deutlich über dem liegt, was sie von ihren Kapazitäten eigentlich schaffen könnte. In 2011 müssen bei den Wagen (Viertelszügen) 127 Revisionen und 45 Inbetriebnahmen erledigt werden. Das zugehörige Werk Schöneweide hat in seiner Geschichte noch nie mehr als 90 Revisionen / Inbetriebnahmen pro Jahr geschafft. 2013 sind dann nur noch 34 Revisionen erforderlich. Dann steigt es wieder an, um 2018 wieder zu einem Berg zu führen, wie er aktuell vorliegt. Dem Problem könnte nur begegnet werden, wenn Wagen gekauft würden, deren Revision auf 2013 – 2015 fällt. Das ist aber von der Beschaffung her schlicht unmöglich.
Kommen wie bei der S-Bahn durch die Minderinvestitionen zusätzliche Schäden zustande, werden für deren Behebung weitere Kapazitäten gebunden, die für die Arbeiten an den Neu- und Ersatzinvestitionen fehlen. Wenn Teile der Infrastruktur ausfallen, werden die anderen Teile über Gebühr beansprucht und können deswegen auch ausfallen. Das kann sich zum Teufelskreislauf entwickeln, der bis hin zum schlagartigen Versagen von Infrastrukturen führen kann dem Infarkt oder Kollaps. Großbritannien musste zum Beispiel nach einem schweren Zug-Unfall (infolge im Wortsinn zerbröselnder Schienen , „rail has literally been desintegrated“) ein nahezu landesweites Tempolimit für Züge verhängen.
Langfristige Folgen von Unterinvestitionen am Beispiel der Berliner Wasserbetriebe
1999 wurden die Berliner Wasserbetriebe teilprivatisiert. In der Folge gab es enorme Minderinvestitionen: In die Trinkwasserinfrastruktur wurden nur 33% der erforderlichen Gelder investiert, statt in 50 Jahren werden die zugehörigen Anlagen erst in 152 Jahren einmal erneuert sein. (1) Für den Abwasserbereich errechnet eine aktuelle Studie sogar nur 28%, das Abwassernetz wäre bei diesem Tempo erst nach 340 Jahren erneuert. Statt wie erfolgt 2,5 Milliarden Euro bis Ende 2009 hätte die tatsächlich erforderliche Investitionssumme 6,9 Milliarden Euro betragen müssen, 400 Millionen Euro jährlich fehlen. Der Fehlbetrag wird sich bis Ende 2011 auf ca. 5,2 Milliarden Euro aufsummieren. Zur Erinnerung: Die privaten Investoren hatten 1,7 Milliarden für 49,9% Beteiligung bezahlt und entnahmen seither wieder 1,3 Milliarden Euro Gewinne.
Kommt es zu großen Abwasserrohrbrüchen, kann die Keimbelastung des Berliner Wassers innerhalb von kurzer Zeit auf gesundsheitsbelastende Werte steigen. Benachbarte Rohre erleiden nicht vorgesehene Belastungen, neue Risse legen die Sollbruchstelle für den nächsten Rohrbruch. In Lübeck kam es Ende 2010 zu einer Serie von Rohrbrüchen: „Die Stadt befand sich damals wie im Ausnahmezustand: Stadtwerke, Feuerwehr und das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein richteten Krisenstäbe ein und erarbeiteten Notfallpläne. Viele Lübecker Bürger besorgten sich Trinkwasser an Tankstellen, die Krankenhäuser bauten eine Notversorgung auf.“ (2) Rainer Kersten, Geschäftsführer des Steuerzahlerbundes Schleswig- Holstein in Kiel, bezeichnete den Kollaps des Lübecker Wassernetzes als „Warnschuss“ für die Netzbetreiber im ganzen Land. „Sie sollten nicht bei der Instandhaltung der Infrastruktur sparen und ihre eigenen Systeme auf Schwachstellen überprüfen“, sagte Kersten.
Demokratische Kontrolle zur Verhinderung von Infrastrukturversagen
Mittlerweile gestehen die BWB zu, dass wenigstens mit dem Ziel einer Erneuerung alle 100 Jahre investiert werden müsste, was einer Verdreifachung der aktuell eingesetzten Mittel bedeuten würde. Inzwischen sind aber die Kapazitäten im zugehörigen Mittelstand stark abgebaut worden, und auch den BWB selbst fehlen massiv Fachleute. Wollte man zudem die seit 1999 durch Unterinvestition verursachte Delle bis 2020 ausgleichen, müssten diese Kapazitäten nicht nur verdreifacht, sondern versechsfacht werden! Zudem treten auch in den kommenden Jahren, je nach Lebensdauer der entsprechenden Bauteile, zyklisch enorme Wartungs- und Erneuerungsspitzen auf, die durch diese Phase der Unterinvestition verursacht wurde. Die Kosten der Beseitigung dieser Mißstände werden daher auch noch nach 2020 teilweise deutlich über denen liegen, die bei kontinuierlicher Investition entstanden wären. Die Wahrscheinlichkeit, dass Teilsysteme der Infrastruktur kollabieren, ist deutlich gewachsen. Kommt es in Berlin zu einem schweren Rohrbruch, wird vermutlich wie bei den Radbrüchen bei der S-Bahn im Material des gebrochenen Rohrs nach dem Schuldigen gesucht.
Spass beiseite: Es benötigt keine Warnschüsse mehr. Das S-Bahn-Chaos spricht für sich, nur ein Drittel der erforderlichen Investitionen in die lebensnotwendige Infrastruktur für unser Wasser ebenfalls.
Die privatrechtliche Aktiengesellschaft DB AG befindet sich laut gültigem Bundestagsbeschluß weiter auf dem Weg zur Börse. Die privaten Anteilseigner der BWB wollen nicht verkaufen oder nur zu Mondpreisen, sie wollen weiter bis wenigstens 2029 ihre vertraglich garantierte hohe Rendite. In beiden Fällen zeigt sich, dass die Strukturen der Steuerung und Kontrolle die zugehörigen Infrastrukturen in kurzer Zeit nachhaltig schädigen oder schädigen werden. Der einzige Ausweg ist, die betroffenen Institutionen, die unsere Gemeingüter Mobilität und Wasser in unserem Namen und mit unserem Geld verwalten und betreiben, unter demokratische Kontrolle zu holen. Dazu ist es nicht ausreichend, wenn das Eigentum der zugehörigen Infrastrukturen öffentlich ist oder wird und öffentlichem Recht folgt. Aber es ist für alles andere die notwendige Voraussetzung.
(2) NDR zu: Wasserrohrbruch in Lübeck, Stand: 13.12.2010 07:48 Uhr