Mit einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor hat der Berliner Wassertisch heute an den erfolgreichen Volksentscheid vor einem Jahr erinnert. Unter einem Transparent mit der Losung „RWE und Veolia – raus aus unserem Wasser, ihr habt genug eingesackt!“ verlangt er die zügige Umsetzung des am 13. Februar 2011 angenommenen Volksgesetzes. Damals hatten über 666.000 Wahlberechtigte im ersten erfolgreichen Berliner Volksentscheid für die Offenlegung der Geheimverträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserverträge gestimmt.
Leider muss der Berliner Wassertisch feststellen, dass sich die Mehrheit des Abgeordnetenhauses vor einer wirksamen Umsetzung des Gesetzes drückt, das eine umfassende öffentliche Prüfung und Aussprache über den Teilprivatisierungsvertrag vorsieht und zur Anfechtung und Rückabwicklung der Verträge führen soll. Bis zur konstituierenden Sitzung des parlamentarischen Sonderausschusses „Wasserverträge“ sind fast elf Monate vergangen, der Sonderaussschuss verfügt bislang nicht über eine angemessene personelle und finanzielle Ausstattung um seinem Arbeitsauftrag gerecht zu werden und unabhängige Gutachten zur Prüfung der Verträge in Auftrag zu geben. Die Initiatoren des Volksentscheids fordern ihre aktive Beteiligung an der Ausschussarbeit, Rederecht im Ausschuss und eine Aussetzung der Geheimverhandlungen mit den privaten Anteilseignern. Dazu Gerlinde Schermer, Vertragsexpertin des Berliner Wassertischs: „Es ist skandalös, wie die rot-schwarze Koalition die Überprüfung der Verträge zu Lasten der Bürger torpediert. Würde diese Überprüfung ernsthaft betrieben, wäre eine Anfechtung und Rückabwicklung der Verträge längst auf dem Weg, nun werden EU-Kommission und das Bundeskartellamt tätig, die offenbar deutlichen Handlungsbedarf sehen.“
Der Berliner Wassertisch und die Bevölkerung erwarten vom Senat, der in dieser Hinsicht jede Aktivität vermissen liess, endlich Maßnahmen zur Senkung der überhöhten Wasserpreise. Es ist ein Armutszeugnis, dass erst eine Abmahnung des Bundeskartellamts ergehen musste, um dem Willen der Bevölkerung Geltung zu verschaffen. Wenn es sich bei den Wassertarifen, wie von den BWB nun behauptet wird, um Gebühren handelt, dürften diese nur kostendeckend erhoben werden, Gewinnabführungen an Land und Private wären unzulässig. Wenn es sich aber um Preise handelt, muss die vom Kartellamt angeordnete Preissenkung umgehend umgesetzt werden. Der Berliner Wassertisch tritt für das Ende der Beutegemeinschaft von Senat und Privaten ein.
Am Jahrestag des Volksentscheides steht der Berliner Wassertisch heute wieder vor dem Brandenburger Tor und appelliert an die Abgeordneten als unsere gewählten Volksvertreter, den Senat endlich in seine Schranken zu verweisen und dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Eines aber ist klar: wir werden weiterhin mit allem Nachdruck vertreten, was die Berlinerinnen und Berliner uns mit ihremVotum am 13. Februar 2011 aufgegeben haben.
Gerhard Seyfarth, Tel. 0170 200 49 74 Michel Tschuschke,Tel. 0163 664 87 39 Ulrike von Wiesenau, Tel. 030/ 781 46 04
Anhang : 1) Wortlaut der Rede : „13.Februar 2012 – Bilanz zum Jahrestag des erfolgreichen Berliner Wasser-Volksentscheids“ von Ulrike von Wiesenau 2) Foto von der Kundgebung
1) 13.Februar 2012 – Bilanz zum Jahrestag des erfolgreichen Berliner Wasser-Volksentscheids von Ulrike von Wiesenau
Der 13. Februar 2011, ein kalter Sonntag im Februar, war uns vom Berliner Senat zum Abstimmungstag des Wasser-Volksentscheids bestimmt worden. Von den Medien ignoriert, ohne nennenswerte Werbung und finanziellen Hintergrund hatten wir alles in Bewegung gesetzt, hatten unsere Bündnispartner und Netzwerke mobilisiert. Und doch, wer hätte geglaubt, dass 666.000 Berlinerinnen und Berliner den Weg in die Wahllokale nehmen und für unser Gesetz stimmen würden?
Es ist grandios gelungen, der Berliner Wassertisch und die Menschen dieser Stadt haben ein Exempel direkter Demokratie statuiert, das erste Berliner Volksgesetz wurde am 13.Februar 2011 mit einer Mehrheit von 98,2 % der Stimmen beschlossen.
Nur ein kurzes Innehalten haben wir uns nach dem grossen Erfolg gegönnt, denn es war allen klar: die Arbeit würde nun erst richtig beginnen. Wir haben die hohe Verantwortung angenommen, die uns das Votum aufgegeben hat. Es war eines, die Offenlegung der bis dahin geheim gehaltenen Verträge zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe zu erzwingen; die Rekommunalisierung der Wasserversorgung als übergeordnetes Ziel zu gestalten und gegen den Widerstand der Politik durchzusetzen das andere, weit schwerere.
Mit dem von uns umgehend eingerichteten öffentlichen Untersuchungsausschuss „Klaerwerk“ haben wir die systematische Sichtung und Analyse des Vertragswerks vorangetrieben, mit dem Ergebnis, dass die Rechtsbrüche in den Verträgen offensichtlich wurden: die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes wird missachtet, das Demokratiegebot verletzt, die Budgethoheit des Abgeordnetenhauses übergangen. Wir haben Vorlagen zur Anfechtung der Verträge vorbereitet, sie in Informationsblätter für die Abgeordneten und die Bevölkerung gefasst, eine Klaerwerk-Website mit Dokumenten zur Vertragsaufklärung aufgemacht, nun ist es an der Politik sie aufzugreifen und in Handlung umzusetzen.
Eine Kontaktaufnahme bei der EU ergab, dass die Berliner Wasserverträge sich bereits auf dem juristischen Prüfstand des Europarechts befinden. Der Europäischen Kommission liegen zwei Anfragen vor, die rechtswirksam klären werden, ob das europäische Auftragsrecht oder das Recht zur Vergabe europäischer Dienstleistungskonzessionen verletzt wurde. Ein Jahr nach dem erfolgreichen Volksentscheid hat nun die Beihilfenkontrolle der EU-Wettbewerbskommission den Senat aufgefordert die Hintergründe des 1999 geschlossenen Handels zu erklären da der Verdacht besteht, es könnte sich um unerlaubte Beihilfen für die beteiligten Konzerne handeln.
Politischen Druck auszuüben und aufrecht zu erhalten, dem nicht Erhörten und Gefragten eine Stimme zu geben, damit war der Berliner Wassertisch immer erfolgreich gewesen. Für den Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl am 18. September erstellte er Wahlprüfsteine, nahm eine Befragung der Kandidaten aller relevanten Parteien vor, um zu veröffentlichen, wie diese sich bei der durch den Volksentscheid gesetzlich geforderten Abstimmung zu den Teilprivatisierungsverträgen zu verhalten gedenken, ob sie bereit wären, eine Normenkontrollklage zu unterstützen, zu der es 25% der Abgeordneten bedarf.
Eine parallel dazu initiierte, umfassend aufklärerische Kampagne gegen die Kandidatur der ehemaligen Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD), eine der Hauptverantwortlichen für die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe, war von durchschlagendem Erfolg gekrönt, brachte das sicher gewähnte Mandat der Kandidatin zu Fall.
Turbulenzen in unserer Bürgerinitiative und ein daraus folgender umfassender Demokratiediskurs gehörte ebenfalls zu den Herausforderungen des letzten Jahres. Nicht zuletzt ging es dabei um ein neues Volksbegehren zur Rekommunalisierung, das von der großen Mehrheit des Wassertischs zum damaligen Zeitpunkt aus inhaltlichen und formal-juristischen Gründen abgelehnt wurde.
Anfang Dezember ein lang erwarteter Erfolg: Am 9. Dezember stellte das Bundeskartellamt nach umfassender Prüfung und einem Vergleich mit anderen Großstädten eine „missbräuchliche“ Preisfestlegung beim Trinkwasser fest und mahnte die Berliner Wasserbetriebe ab, die Trinkwasserpreise um 19 Prozent zu senken, die Preissenkung sollte schon mit Beginn dieses Jahres greifen. In einem 180-seitigen Antwortschreiben an das Bundeskartellamt hat sich das Unternehmen daraufhin gegen die Forderung gestellt, indem es die Zuständigkeit der Behörde in Zweifel zieht. Wir haben eine zügige Umsetzung des Kartellamtsspruchs gefordert und die Verschleppungstaktik durch Verfahrenstricks massiv kritisiert.
Am 6. Dezember fand dann die konstituierende Sitzung des Sonderausschusses „Wasserverträge“ statt. Zum ersten Mal in der Geschichte der repräsentativen Demokratie wurde ein Sonderausschuss infolge eines Volksgesetzes ins Leben gerufen. Nun gilt es, die Handlungsspielräume dieses Gremiums zu nutzen und eine Partizipation nicht nur des Wassertisches, vielmehr der Zivilgesellschaft in der Diskussion der Verträge durchzusetzen. Der Berliner Wassertisch als Träger des Volksentscheids und Instanz des Vertrauens der Berliner Bevölkerung fordert seine aktive Beteiligung an der Ausschussarbeit und Rederecht im Ausschuss. Um seinem Arbeitsauftrag gerecht zu werden müssen dem Ausschuss angemessene Sach- und Personalmittel zur Verfügung gestellt werden, denn nur eine ausreichende finanzielle Ausstattung ermöglicht es, unabhängige Gutachter zu bestellen, verhindert Gefälligkeitsgutachten die den Ausschuss zur Farce degradieren.
Am Jahrestag des Volksentscheides stehen wir heute wieder vor dem Brandenburger Tor und appellieren an die Abgeordneten als unsere gewählten Volksvertreter, den Senat endlich in seine Schranken zu verweisen und dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen, indem die rechtswidrigen Verträge für nichtig erklärt und rückabgewickelt werden. Eines ist klar: Der Berliner Wassertisch wird weiterhin mit allem politischen und juristischen Nachdruck vertreten, was sich im Wasser-Volksentscheid am 13. Februar 2011 als Wille der Bevölkerung manifestiert hat und dafür Sorge tragen, dass er Gestalt annimmt.