Von Laura Valentukeviciute / GiB
Am letzten Wochenende, dem 25.-27.4.2014 fand der Kongress „Kopf machen“ statt und war ganz nach seinem Motto eine Veranstaltung, in der BahnfreundInnen sich viele Gedanken darüber gemacht haben, wie die Bahn attraktiver werden kann. Im Gegensatz zu den Überlegungen der DB AG-Führung und der Bundesregierung ging es bei den Diskussionen der Teilnehmenden in Stuttgart um die Attraktivität der Bahn für die NutzerInnen und nicht für die möglichen Investoren.
WissenschaftlerInnen, BahnaktivistInnen, PolitikerInnen und JournalistInnen haben diskutiert und ihre Standpunkte und Ideen ausgetauscht. Die breite Themenpalette der Workshops und Vorträge umfasste u.a. die Fragen: Worin besteht der Auftrag der Bahn zur Zeit und wie sollte er in Zukunft aussehen? Wie können die BürgerInnen darüber mitbestimmen, auf welche Art und Weise die Steuermittel und Einnahmen der Bahn eingesetzt werden sollen, sodass die Bahn attraktiver wird? Welche Wege werden die Bahn in die Zukunft führen und setzt die Bahnführung mit S21 nicht auf ein totes Pferd? Und viele andere mehr. Mit insgesamt zwanzig Workshops, mehreren Podiumsdiskussionen, einem Pressegespräch, einer abschließenden PolitikerInnenrunde, einer Kundgebung und zwei tollen Kulturabenden war das Programm nicht nur reichhaltig, sondern auch sehr abwechslungsreich gestaltet.
Besondere Aufmerksamkeit erhielt das schweizerische Bahn-Modell und viele Fragen und Diskussionsbeiträge drehten sich um die Zukunft der Bahn in Deutschland bzw. um die Möglichkeit auch hierzulande die Taktung nach schweizerischem Beispiel einzuführen. Die Bahnexperten wie Prof. Heiner Monheim oder Prof. Hermann Knoflacker argumentierten sogar, dass die bundesweite Einführung der Taktung womöglich sogar das Ende von Stuttgart21 bedeuten würde. Denn für dieses Modell werden leistungsfähige Verkehrsknoten benötigt, die mindestens 14 Gleise erfordern werden, die gleichzeitig befahren werden können. Dies kann der Kopfbahnhof in Stuttgart noch bieten, S21 aber nicht mehr.
Diese Aussichten bekräftigen den Protest gegen Stuttgart21, der laut den örtlichen AktivistInnen gerade einen vorläufigen Tiefpunkt erlebt. In der Konferenz haben die AktivistInnen von ihren Erfahrungen und Schwierigkeiten berichtet und gleichzeitig viel Bewunderung dafür erfahren, dass sie es bis heute schaffen, jeden Montag 2000 bis 3000 TeilnehmerInnen zu den Demonstrationen gegen S21 zusammen zu bringen. Dass S21 und die Alternativen dazu viele Menschen in Stuttgart interessieren, zeigte nicht nur die hohe TeilnehmerInnenzahl bei der Konferenz, sondern auch die gut besuchte Kundgebung und Demonstration am Samstag Nachmittag in der Stadt.
In der Abschlussrunde Sonntag Nachmittag diskutierten drei Bundestagsabgeordnete von CDU (Dirk Fischer), Bündnis 90/Die Grünen (Matthias Gastel) und Die Linke (Sabine Leidig) über die Bahnreform und die aktuelle Verkehrspolitik. Die SPD – so die Auskunft der Organisatoren – wurde auch eingeladen, nur hat sich kein einziger Vertreter bzw. Vertreterin gefunden, um die Position der SPD bei der Tagung darzustellen und zu verteidigen. Lediglich Peter Conradi, ehemaliger Bundestagsabgeordnete der SPD-Fraktion, befand sich im Saal, weigerte sich aber, die Position der SPD in der Bahnpolitik zu vertreten mit dem Argument, er habe eine andere Meinung dazu als seine Partei.
Eines der wichtigsten Themen der Diskussion war die formelle Privatisierung der Bahn, als Teil der Reform von 1994, und ihre Auswirkungen. Gastel bemängelte die daraus resultierende Geheimhaltung zu den Belangen der Bahn, die soweit geht, dass sogar die parlamentarischen Anfragen keinen Einblick in die Geschäfte der Bahn ermöglichen. Er schilderte die absurde Situation, dass im Bundestag anstelle der fehlenden Fakten und Einblicke in die Geschäfte der Bahn, unbegründet positive Darstellungen und Lob für die Bahnpolitik und -führung verbreitet werden.
Am Ende der Abschlussrunde skizzierte Sabine Leidig folgende Schritte, die man möglichst bald und als erstes machen könnte und muss:
1. Das längst überfällige Gesetz zur Ausgestaltung der Gemeinwohlorientierung der Bahn erlassen. Unerlässlich dafür wäre aber auch die Beteiligung der und Konsultationen mit diversen Gruppen wie BahnkundInnen, ArbeitnehmerInnen, Umweltverbänden u.ä.
2. Die Gewinne der DB-Netz nicht mehr an die DB AG bezahlen, sondern in den Erhalt der Infrastruktur reinvestieren.
3. Aufsichtsrat und Vorstand mit kompetenten Bahn-Fachleuten besetzen. Nächstes Jahr findet die nächste Aufsichtsratswahl statt und die Linke wird das Thema im Vorfeld in die Öffentlichkeit tragen.
Workshop zur Demokratisierung der Bahn
Gemeingut in BürgerInnenhand hat den Kongress unterstützt und einen Workshop mit dem Titel „Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern“ angeboten. Unser Referent Carl Waßmuth führte lieferte eine Einführung in das Thema und wies insbesondere darauf hin, dass es keinerlei Transparenz über die DB AG gibt. So befindet sich die DB AG zwar in der Hand der Regierung, diese aber versteckt sich hinter dem Argument der privatrechtlichen Körperschaft und verteidigt damit die Geheimhaltungspolitik der Bahn.
In der Diskussion wurden zahlreiche Mitbestimmungsmöglichkeiten angesprochen, u.a. die Fahrgastbeiräte und Fahrplankonferenzen, die dringend demokratisiert werden sollen. Eine weitere Möglichkeit der Mitbestimmung stellen Volksabstimmungen zur Bahnpolitik dar. In diesem Zusammenhang wurde die Frage diskutiert, inwiefern landesweite Volksentscheide initiiert werden könnten, um mit deren Hilfe einen bundesweiten Volksentscheid zu erzwingen. Auch wurde die Idee eingebracht, eine Klage einzureichen, um das bis heute fehlende Gesetz (nach Art. 87e GG) zur Ausgestaltung des Fernverkehrs der Bahn zu erzwingen. Diskutiert wurden außerdem verschiedene mögliche Rechtsformen von Körperschaften sowie die Frage, welche davon demokratische Mitbestimmung zulassen. Demokratische Mitbestimmung wurde dabei so verstanden, dass sie von unten und unter Einbezug diverser NutzerInnen und Betroffenengruppen stattfindet.
Der Diskussionsprozess über die Demokratisierung der Deutschen Bahn soll fortgesetzt werden und als erster Schritt wird die Mailingliste bahn@gemeingut.org eingerichtet: alle Interessierten sind eingeladen, sich für diese Liste anzumelden und mitzudiskutieren (für die Liste melden Sie sich hier an: https://ml06.ispgateway.de/mailman/listinfo/bahn_gemeingut.org). Des Weiteren wird zeitnah ein Treffen angestrebt, z.B. im Rahmen der 4. Internationalen degrowth-Konferenz in Leipzig vom 2. bis 6. September. Näheres wird über die oben genannte Arbeitsliste und auf der Webseite www.gemeingut.org bekannt gegeben.
Carl Waßmuth hat im Vorfeld des Workshops den Reader „Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern – das Beispiel: Deutsche Bahn“ vorbereitet, in dem die diskutierte Problematik facettenreich dargestellt ist.