Rekommunalisierung – Fortschritt oder verpasste Chance?

Bild: Daniel Gast / pixelio.de
Bild: Daniel Gast / pixelio.de

Gemeingut in BürgerInnenhand hat bereits mehrere Bürgerbegehren unterstützt, die eine nachhaltige Energieversorgung vor Ort und unter demokratischer Kontrolle fordern:

– Bürgerbegehren „Energie-& Wasserversorgung Stuttgart“, https://www.gemeingut.org/2012/03/die-notige-zahl-der-unterschriften-erreicht-das-burgerbegehren-%E2%80%9Eenergie-wasserversorgung-stuttgart-erfolgreich/
– Volksbegehren „Hamburger Energienetze in die Öffentliche Hand!“, https://www.gemeingut.org/2011/06/pm-attac-uber-110-000-unterschriften-fur-volksbegehren-%E2%80%9Eunser-hamburg-unser-netz/
– Volksbegehren „Neue Energie für Berlin“, https://www.gemeingut.org/2013/06/gewonnen-berlin-energietisch-reicht-265-000-unterschriften-ein/

Gleichzeitig haben wir bereits mehrfach erleben müssen, wie völlig überteuerte Rückkäufe die Verschuldung von Kommunen derart in die Höhe getrieben haben, dass der finanzielle Spielraum für weitere demokratisch legitimierte Anliegen auf Null schrumpfte. In Berlin brüstet sich der dortige Senat aktuell damit, die Wasserbetriebe zu rekommunalisieren. Die Bürgerinitiative „Berliner Wassertisch“, die durch ihre Arbeit die Offenlegung der Verträge erzwungen hat, deckte auf, dass der Rückkauf ein goldener Handschlag ist: die Auszahlung der vollen (und weit überhöhten) Gewinnansprüche bis 2028 bei gleichzeitiger Übernahme aller Risiken durch die öffentliche Hand.
https://www.gemeingut.org/2013/08/senator-nusbaums-geschenke-an-veolia/

Auch die Bildung neuer intransparenter Strukturen kann bei Rekommunalisierungen beobachtet werden. So versteht sich und agiert die Thüga (eine privatrechliche Aktiengesellschaft) geradeso wie die vier Oligopolisten, die großen Energiekonzerne. Es ist bei der Thüga keine Steuerung durch die betroffenen BürgerInnen möglich, die die Zuschreibung „demokratisch“ verdient. Stattdessen wird dort der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge weiter ökonomisiert. Unter dem Damoklesschwert der Schuldenbremse ist eine spätere Privatisierung so viel einfacher, aber auch der Ausverkauf von Filetstücken oder eine hohe Verschuldung im laufenden Betrieb.
Ob Rekommunalisierung also emanzipatorisch ist oder eine Chance für gewissenlose PolitikerInnen, Privatenkonzernen ihre ungerechtfertigt hohen Gewinnansprüche vorfristig auszuzahlen, muss im Detail betrachtet werden. In Thüringen steht aktuell der Rückkauf der EON-Anteile an. Wir dokumentieren aus diesem Anlass zwei Beiträge zu dem Thema: von Ulrich Kecke aus Jena und Frank Kuschel, MdL in Thüringen.

I. Der Milliardendeal. Rekommunalisierung der E.ON Thüringer Energie AG (ETE)

Von Ulrich Kecke, Jena (Juni 2013), zuerst veröffentlicht auf http://www.jenapolis.de/2013/04/kommentar-rekommunalisierung-der-e-on-thueringer-energie-ag-ete/

Zunächst glaubt man an Sinnestäuschung. Seit 1991 wird in Deutschland alles was kommunales oder staatliches Eigentum betrifft systematisch und möglichst geheim privatisiert. Kein Massenmedium ist mir bekannt, das Rekommunalisierungen als Überraschung bzw. als mögliche Wende im Umgang mit Gemeineigentum thematisiert hat.

Wo bleibt die Verteidigung der Kernaussage der Neoliberalen zur Begründung der Privatisierung, dass nur ein Privatunternehmen in der Lage sei, effektiv zu arbeiten? Nicht einmal ein kleiner Privatanteil namens PPP wird bei den in Mode gekommenen Rekommunalisierungen in Betracht gezogen, da offenbar langfristig zu viel Risiken und zu wenig Profit zu befürchten sind.

Gleichzeitig ist mir kein „Deal“ zur Privatisierung bekannt, an welchem die Bevölkerung gut und auch noch dauerhaft daran verdient hätte. Warum soll es bei dieser Rekommunalisierung anders sein?

„Wir haben damit alle notwendigen Schritte vollzogen, um eine wettbewerbsfähige und auf die Energiewende in Thüringen ausgerichtete Thüringer Energie AG zu ermöglichen“ sagte zum Kaufabschluß der Verbandsvorsitzende der KET Frank Rostek.

Unstrittig aber (leider) sicher und nachweisbar ist in der Marktwirtschaft folgendes: Ein nachhaltig profitables Privatunternehmen wird nicht und ein nicht profitables wird verkauft! Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Kommunen bei solchen Kaufgeschäften regelmäßig die unrentierlichen Kosten mit Steuergeldern auffüllen müssen. Die Frage sei erlaubt: Warum wurde dieser Milliardenkauf vorangetrieben?

Zum Ablauf:

Der Kommunale Energiezweckverband Thüringen (KET) hat den Kaufvertrag mit E.ON Thüringen durch genehmigte Bankvereinbarungen wirksam werden lassen. Die KET wurde eiligst gegründet und vertritt ca. 400 Kommunen. Die bereits vorher bestehende Kommunale Energie Beteiligungsgesellschaft Thüringen AG (KEBT AG) mit ca. 800 Kommunen war offenbar nicht befugt, eine solche finanzielle Last von fast 1 Mrd. € zu übernehmen. Anders ausgedrückt, 50% der Kommunen von der KEBT AG wollen sich offensichtlich nicht noch mehr verschulden.

Die Medien vermittelten schon lange vorher dem Leser die gewaltige Bedeutung dieser Angelegenheit durch Gefühlsausbrüche wie: „Städte fürchten Verlust“, „einmalige Chance“, „Machnig mahnte“, „Kommunen haben komfortable Situation beim Kredit“, “Wir sind stolz und glücklich, dieses Mammutprojekt gestemmt zu haben!“ und endlich „Aufatmen: Der EON-Deal ist jetzt perfekt“.

Die Freude für den Thüringer Stromkunden scheint verständlich, wenn nun 90% der (E.ON)-Energieversorgung in kommunaler Hand sind und endlich eine Alternative zum profitsüchtigen Privatkonzern geschaffen wurde. Ob das so gemeint war?

Hintergrund:

EON kämpft mit Einbußen durch den beschleunigten Atomausstieg und hat Schulden von mehr als 35 Milliarden Euro. Aus diesem Grund trennt sich der größte deutsche Energiekonzern von diversen Töchtern. Nun ist es ihm gelungen, ein großes Beteiligungspaket an einem Regionalversorger in Thüringen zu verkaufen (Handelsblatt, 02.01.2013). Abbau von 6000 Stellen im Jahre 2012.

Aha, EON musste verkaufen! Da klingen doch die zitierten Gefühlsausbrüche verständlicher – wie aus dem Munde von EON. Die Medien fühlen mit dem Konzern und vermitteln den für den LeserInnen den Eindruck, dass es sich um eine gute Sache für sie handelt.

Die Strom- und Erdgasnetze sind von EON an die 100-prozentige Tochtergesellschaft Thüringer Energienetze GmbH (TEN) verpachtet worden und nicht Kaufgegenstand. Der Absatz an Haushalts- und Gewerbekunden ging 2011 um 12 % zurück.

Innenminister Jörg Geibert behauptete am 5.2.13: „Das Projekt zeige exemplarisch die Stärke, Entschlusskraft, aber auch die Handlungsmöglichkeiten der Thüringer Kommunen, die in den Verhandlungen mit dem Mutterkonzern – der E.ON Energie AG – zum Tragen gekommen seien.“ Bis zu diesem Zeitpunkt bestand die „Stärke und Entschlusskraft“ hauptsächlich darin, dass die Kommunen bereit waren, sich nennenswert zu verschulden.

Kaufpreis

Haben sich nun unsere Politiker als Prediger der „unsichtbaren Hand“ bzw. einer staatsfreien Selbstregulierung durch Angebot und Nachfrage in der Kaufpreisverhandlung marktgerecht verhalten?

Ganz eindeutig: Nein! Der Kaufpreis wurde von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young durch „Errechnung“ des Anlagewertes festgestellt. Also völlig unabhängig von marktrelevanten Daten und den zukünftigen Herausforderungen des Stromversorgers. Eine „starke“ Leistung, die wohl nur für EON den größtmöglichen Gewinn erwarten lässt. Wegen des Vorkaufsrechtes der Kommunen sind weitere ernsthafte Interessenten nicht bekannt. Auch weil dieser Regionalversorger nicht profitabel genug arbeitet!

In einem Interview mit der Überschrift „Neue Kraftwerke sind nötig“ (TLZ 11.2.13) mit Wirtschaftsminister Matthias Machnig und Professor Maubach (EON) wurde bereits Energiekonsens vermittelt und klargestellt, dass bei ETE Investitionsrückstau besteht. Nur in Bezug auf den Verkauf der EON-Mehrheitsanteile herrschte (noch) unkommentierter Dissens.

Zu keiner Zeit wurden in der Öffentlichkeit Fragen gestellt, die die Finanzierung dieses Milliardengeschäftes und der Folgeinvestitionen betrafen. Offenbar war genug Geld verfügbar, ein Zustand, der nur durch politisch korrektes Handeln zu erklären ist. Wenn man bedenkt, dass die Kommunen durchweg hochverschuldet sind und nun jede von ihnen im Durchschnitt 2,5 Mio. € neue Schulden zu übernehmen hat!

Zum Vertragsinhalt ist kaum etwas bekannt. Zu befürchten ist, dass mögliche Altlasten oder anteilige Kosten der Atomentsorgung stillschweigend übernommen wurden. Der aufmerksame Leser wird die Entwicklung verfolgen. (oder: Der Leser sollte die Entwicklung aufmerksam verfolgen.) Bekannt ist, dass der Vertrag ohne Eigenkapital und verbindliche Finanzierung bereits unterschrieben wurde. Eine marktferne, also ungewöhnliche Situation, die die Kommunen täglich 82.000 € Zinsen kostete.

Am Rande sei nur angemerkt, dass der EON-Konzern Anfang der neunziger Jahre Anteile der Thüringer Energieinfrastruktur (TEAG) „für’n Appel und`n Ei“ von der Treuhand erhalten hat.

Auf diesen ganzen Vorgang passt die Bemerkung von Nikolaus Pieper (SZ 25.07.03), dass „liberale Ökonomen zwar im Ruf stehen, nach Effizienz und Freiheit zu streben, sich jedoch nicht für Gerechtigkeit zu interessieren“.

Kaufbegründung:

Zunächst mahnte Herr Machnig: „Das EON-Angebot jetzt schnell umsetzen“ (5.6.12). Herr Ramelow, Fraktionsvorsützender der LINKEN tönte, wir hätten es „in Thüringen mit dem Aufbau des größten kommunalen Strombetriebes Deutschlands“ und mit der Schaffung eines „modernen Hochleistungsstromnetzes“ zu tun.

Ralf Rusch, der Geschäftsführer des Thüringer Gemeinde- und Städtebundes und Mitglied im Aufsichtsrat der ETE behauptete zum erstrebten Kauf sogar: „Die Kommunen haben sich das gewünscht. Das ist für alle die beste Lösung.“ Selbst der Energiepolitiker Dirk Adams redete von „einer riesigen Chance für die Energiewende und die Daseinsvorsorge in den Kommunen“. Was haben alle diese Prominenten damit gemeint?

Weiterhin wurden Verlautbarungen bekannt wie die, der EON_Kauf sei „das Herzstück für die Energiewende“ oder es gehe darum, „die Wertschöpfungskette bei Energie in Thüringen zu erhöhen“ (Ramelow).

Nach dem Aufatmen von EON sagte der Minister Machnig: „Künftig werden wichtige Entscheidungen für die Energieversorgung in Thüringen nicht mehr in Düsseldorf, sondern in Erfurt getroffen“. Damit hat der Wirtschaftsminister ungewollt (?) eine Bankrotterklärung seiner Politik zum Ausdruck gebracht: dass wichtige Entscheidungen der Energiepolitik bisher vom Sitz der Firmenzentrale ausgingen ist eine bekannte aber selten zugegebene Wahrheit im politischen Alltag.

Darüber hinaus war auffällig, dass bei diesem Kauf kein einziges Mal von Arbeitsplatzsicherung die Rede war. Vielleicht soll dort ebenso eine „Personalanpassung“ erfolgen wie bei den Landesbediensteten? Über die 1800 Arbeitsplätze von Bosch wird eine gewaltige Show auch mit staatlich finanzierten Anzeigen zur Demo aufgeführt. Derweil ist das Land mit geplanten ca. 1.400 „Freistellungen“ pro Jahr der größte Arbeitsplatzvernichter!

Fazit

Nichtprofitable und strukturbelastete Unternehmen werden unter dem Zwang der kommunalen Daseinsvorsorge von Privateigentümern gewinnbringend „rückverkauft“.

Durch den nicht marktgerechten Kauf des lokalen Energieversorgers steckt die KET in einem wirtschaftlichen Dilemma: Die Anschaffungs- und Betriebskosten müssen über den Endpreis finanziert werden. Jedoch kaufen die potentiellen Stromkunden Thüringens dort den Strom, wo er am billigsten ist und das deutschlandweit! Die versprochene Schaffung eines „modernen Hochleistungsstromnetzes“ in Thüringen lässt diesen Aspekt völlig außer Acht.

Also, nicht wo der „größte kommunale Strombetrieb Deutschlands“ aufgebaut wird drängeln sich automatisch die Kunden.
Andererseits bekommen einige dezentrale Energieversorger eine gute Absatzchance, weil sie diese von oben organisierten Lasten nicht zu tragen haben.

Auffällig ist auch, dass bei diesem Kaufprocedere neben den Kommunen als Hauptbeteiligten und Kostenträgern, sich die CDU und FDP nicht zu Wort gemeldet haben und der Vorteil für den potentiellen Endkunden nur sehr schwammig in Umrissen zu vermuten ist. Insbesondere ist zu vermerken, dass die FDP und CDU als Avantgardisten der Privatisierung diese „Entnahme“ aus dem Privateigentum nicht vehement öffentlich kritisiert haben. Diese Parteien singen doch das hohe Lied von einer florierenden Marktwirtschaft, welche nur auf der breiten Basis des Privateigentums gedeihen könne. Vielleicht findet hier eine zweite Welle der Verteilung von Steuergeldern an Konzerne durch Überzahlung im Kaufpreis und Übernahme aller Risiken durch kommunale Einrichtungen statt?

Parallel zu dieser Rekommunalisierung kämpft Minister Machnig für eine Änderung der Kommunalordnung. Damit sollen Kommunen berechtigt werden, Profit in ihre Preise einzurechnen, um einen „Anreiz“ zu bekommen!! Moral und Ethik zur Absicherung der Daseinsvorsorge scheinen nicht mehr ausreichend vorhanden zu sein!?

An der neuen Stellschraube zur Belastung der Bürger wird weiter gedreht, der Einstieg der Kommunen in die endlose Preistreiberei beginnt und das Kapital (Geld) wird zum flächendeckenden Maßstab aller Leistungen gemacht.

Die neuen kommunalen Eigentümer müssen ihre finanziellen Belastungen weitergeben. Über den Energiepreis wird es wegen des Wettbewerbes kaum möglich sein. Daher ist zu vermuten, dass die Kommunen mit ihrer Verordnungsmacht neue Gebühren, Zuschläge und Hebesätze erfinden, um die Mehrkosten leistungsunabhängig auf ihre Bürgerinnen und Bürger abzuwälzen. So entsteht ein neuer „Wachstumsmotor“, der allen Hauseigentümern und Mietern gleichermaßen die Liquidität stiehlt.

Was dann, wenn die Liquidität ausgeplündert ist? Mit den Daten des „Zensus“ und der zeitnahen Datenaufnahme der Finanzämter bei Immobiliengeschäften aller Art könnte problemlos eine Sonderabgabe per Mausklick über Nacht in das Grundbuch als Sicherungshypothek eingetragen werden.

Natürlich alles zum Wohle der Menschen!

Anmerkung zur Geschäftspolitik von E.ON Bayern: Seit Jahren zahlt EON Bayern an verschiedene Kommunen (Essenbach, Kochel, Karlsfeld usw.) trotz Hinweis der Gemeinden zu hohe Gewerbesteuern als Vorauszahlung. Hintergrund: Überzahlte Steuern werden gesetzlich mit 6 % Zinsen zurückgezahlt! Fazit: Die Kommunen werden als zinsgünstige Anlageinstitute missbraucht.

***

II. Kommunalisierung der EON-Anteile in Thüringen

Von Frank Kuschel (6. August 2013)

Die Kommunalisierung der EON-Anteile war eine große (und vielleicht auch einmalige) Chance zur Stärkung des öffentlichen Anteils am Energiemarkt. Der Monopolstellung der vier großen Energiekonzerne wurde dadurch zumindest eine diskussionswürdige Alternative entgegen gestellt.

Mit der Rekommunalisierung ist das größte Gemeindewerk entstanden. Hieraus ergeben sich auch neue Potenziale für kommunale Beiträge (Investitionsmaßnahmen) zur Energiewende. Bisher haben sich rund 460 der 840 Städte und Gemeinden aus Thüringen an der Kommunalisierung beteiligt. Bis Ende 2013 können weitere Kommunen Mitglied des kommunalen Zweckverbandes werden. Von den Städten mit mehr als 20.000 EinwohnerInnen sind nur Gera und Ilmenau derzeit nicht Mitglied des kommunalen Zweckverbandes.

Gemessen an der Bilanzsumme, der Höhe des Anlagevermögens und der Gewinnentwicklung der jüngsten Vergangenheit, ist der vereinbarte Kaufpreis für die Rekommunalisierung in Höhe von rund 1 Milliarde EUR (600 Mio. EUR Barmittel, 400 Mio. EUR Kreditübernahmen) nicht überzogen. Dies bestätigt auch die THÜGA, der Stadtwerkeverbund, der Anteile von rund 15 Prozent von EON Thüringen übernommen hat. Der Kaufpreis wurde durch zwei Gutachten ermittelt und bestätigt und dies in Anwendung des Ertragswertverfahrens.

Unverantwortlich war es, dass sich einzelne Minister der Landesregierung auf dem Rücken der Kommunen einen Kompetenzstreit liefern, der bei allen Beteiligten zu Verunsicherungen führt. Der Ministerpräsidentin war es dabei nicht gelungen diesem Streit ein Ende zu bereiten und klarzustellen, dass die gesamte Landesregierung die kommunale Übernahme der EON-Anteile unterstützte. Zunächst äußerte der CDU-Innenminister Bedenken und zugleich spielte sich der SPD-Wirtschaftsminister als bedingungsloser Kommunalisierungsbefürworter auf. Nachdem der CDU-Innenminister seine Bedenken ausräumte und den Weg zur Kommunalisierung von EON Thüringen frei machte, nahm der SPD-Wirtschaftsminister seine neue Rolle als Bedenkenträger ein. Die dabei geäußerten Argumente hatten das Niveau von Stammtischdebatten. Es wurden u. a. Haftungsrisiken für das Land und die Kommunen konstruiert, die nicht einmal theoretisch eintreten könnten.

Die FDP versuchte (unter Einbeziehung der IHK) im Landtag über Anträge und parlamentarische Initiativen (Anfragen, Selbstbefassung in den Ausschüssen) das Kommunalisierungsprojekt EON Thüringen zu verhindern. Die Argumente waren vergleichbar mit den Bedenken, die letztlich der SPD-Wirtschaftsminister äußerte.

Der Thüringer Wirtschaftsminister und die IHK Thüringen hatten zum Abschluss des Kommunalisierungsprozesses erneut rechtliche Bedenken. Sie bezogen sich dabei auf einen Vertragsinhalt im Kreditvertrag mit der Helaba (Landesbank Hessen – Thüringen). Die Helaba finanziert nur ca. 5 Prozent der Kaufsumme. Im Vertrag gibt es eine Regelung, wonach sich das Land, als Rechtsaufsicht des kommunalen Zweckverbandes „KET“, verpflichtet, für den Fall, dass die EU aus beihilferechtlicher Sicht die Zulässigkeit des Kommunaldarlehns der Helaba an die KET verneit, die dann notwendige Kreditumschuldung in einen marktüblichen Kredit rechtsaufsichtlich zu genehmigen.

Der Thüringer Wirtschaftsminister und die IHK werten diese Vertragsregelung als uneingeschränkte Patronatserklärung, in deren Folge das Land uneingeschränkt für die gesamte Kaufsumme von fast 1 Milliarde EUR haften würde.

Hierzu ist klarzustellen:

Dass die IHK immer wieder die Kommunalisierung in Frage stellt, ist keine Überraschung. Als Lobbyverband der Wirtschaft, favorisiert die IHK stets die Privatisierung der EON-Thüringen-Anteile.

Überraschend sind schon die jetzt geäußerten Bedenken des Thüringer Wirtschaftsministers. Ursprünglich war es der Wirtschaftsminister, der sich innerhalb der Landesregierung für eine fast bedingungslose Kommunalisierung von EON-Thüringen einsetzte. Damals hatte noch der CDU-Innenminister Bedenken. Seit dem der Innenminister seine Bedenken ausgeräumt hatte und sich für die Kommunalisierung von EON Thüringen einsetzte, ist nun der SPD-Wirtschaftsminister der Bedenkenträger. Hier ist der Verdacht der Eigenprofilierung auf dem Rücken dieses Kommunalisierungsprojektes wohl nicht unbegründet.

Die strittige Vertragsregelung ist nur im Kreditvertrag der Helaba enthalten und betrifft damit nur 5 Prozent der Kaufsumme und damit keinesfalls, wie von IHK und Wirtschaftsminister behauptet, die gesamte Kaufsumme. Zudem handelt es sich bei der Vertragsregelung nicht um eine Patronatserklärung, sondern nur um eine Zusicherung, dass im Falle der Umwandlung der Kreditsumme von einem Kommunaldarlehn in ein marktübliches Darlehn die rechtsaufsichtliche Genehmigung erfolgt. Diese Zusage konnte das Land bereits jetzt völlig unbedenklich treffen, weil das daraus entstehende Zinsrisiko bei maximal 1 Prozentpunkt liegt.

Die Kommunalisierung von EON Thüringen erfolgte nicht in einem freien Wettbewerbsverfahren, bei dem auch beihilferechtliche Vorgaben zu berücksichtigen wären. Vielmehr haben zwei Eigner auf Grundlage der Regelung im Gesellschaftervertrag die Übernahme von Unternehmensanteilen vollzogen. Insofern ist es höchst unwahrscheinlich, dass beihilferechtliche Regelungen der EU betroffen sind. Doch selbst wenn es beihilferechtliche Bedenken sind, wären davon ganze 5 Prozent der Kaufsumme betroffenen.

Die Kritiker der Kommunalisierung von EON Thüringen verwiesen und verweisen auf die bestehenden Risiken. Sie befürchten Energiepreiserhöhungen und finanzielle Auswirkungen auf die beteiligten Kommunen. Ein sehr häufiges Argument ist dabei, dass EON niemals seine Anteile verkaufen würde, wenn auch in Zukunft jährliche Gewinne von rund 100 Millionen EUR zu erwarten wären. Also kann da irgendetwas nicht stimmen. Und diese Spekulationen wurden auch durch die sehr zurückhaltende Informationspolitik von EON „angeheizt“. So war der Übernahmevertrag für die Öffentlichkeit auch viele Bürgermeister nicht uneingeschränkt zugänglich.

Thematisiert werden auch immer wieder bestehende finanzielle Risiken für die beteiligten Kommunen. Diese bestehen dann, wenn EON Thüringen nicht ausreichend Gewinn erwirtschaften würde, um die eingegangenen Kreditverpflichtungen zu erfüllen. Finanzielle Risiken bestehen auch bei unvorhergesehen Investitionen, wenn deren Refinanzierung über die Energieentgelte nicht vollständig gesichert würde. In diesem Zusammenhang befürchten die Kommunalisierungskritiker Preiserhöhungen, die den Kommunen angelastet werden könnten.

Betrachtet man die aktuellen betriebswirtschaftlichen Kennziffern, dann sind die beschrieben finanziellen Risiken für die Kommunen durchaus überschau- und damit beherrschbar. Preiserhöhungen infolge der Kommunalisierung sind auch nicht zu befürchten, was jedoch Preisentwicklungen auf Grund der allgemeinen Rahmenbedingungen im Energiesektor nicht ausschließt.

Bei einem Umsatz von rund 1,3 Milliarden EUR erwirtschaftet EON Thüringen jährlich bis zu 100 Millionen EUR Gewinn. Hinzu kommen jährliche Abschreibungen in Höhe von über 300 Millionen EUR. Die jährliche Belastung durch den Kauf der EON-Anteile und die Refinanzierung der „Altkredite“ liegt bei einem Finanzierungszeitraum von 20 Jahren in Abhängigkeit vom Zinsniveau zwischen 60 und 70 Millionen EUR. Hier wird deutlich, dass nicht nur die Finanzierung der Kommunalisierung gesichert ist, sondern auch Finanzierungspotenziale für weitere Investitionen zur Verfügung stehen.

EON verkauft seine Anteile an EON Thüringen aus drei Gründen:

  1. Der jährliche Gewinn von bis zu 100 Millionen EUR ist den EON-Aktionären zu wenig. Diese wollen zweistellige Gewinnraten und bei EON Thüringen liegt diese Gewinnrate „nur“ zwischen 6 und 8 Prozent.
  2. Der Mutterkonzern EON hat den Streit mit den Thüringer Kommunen, die bereits 47 Prozent an EON Thüringen besaßen; einfach satt. Durch das Vetorecht der Thüringer Kommunen konnte die EON-Mutter in der Vergangenheit bestimmte Strukturveränderungen im Konzern nicht so vornehmen wie angedacht. So wollte EON den Netzbetrieb in eine Tochtergesellschaft ausgründen. Dies haben die Kommunen verhindert.
  3. Der EON-Konzern will in anderen europäischen Staaten expandieren und braucht dazu Eigenkapital bzw. eine Reduzierung der aktuellen Verschuldung also des Fremdkapitals. Zudem gibt es auch Bedenken der Kartellbehörden. Und deshalb hat EON vor zwei Jahren bereits für 3,3 Milliarden EUR seine Beteiligung an rund 120 Stadtwerken (Thüga) verkauft.

Selbstverständlich hat eine solche Übernahme von Anteilen an einem Energiekonzern auch Risiken. Diese Risiken ergeben sich aber nicht in erste Linie aus dem Übernahmeverfahren der EON-Anteile selbst, sondern vielmehr aus den unsichern Prognosen der Entwicklung des Energiesektors als Ganzes. Die bisherige Entwicklung von EON-Thüringen lassen aber erwarten, dass die in Rede stehenden Risiken durchaus beherrschbar sind. Die Refinanzierung notwendiger Investitionen ist aus der betriebswirtschaftlichen Struktur heraus gesichert. Die Finanzierung des Kaufpreises für die Übernahme der EON-Anteile ist in einem Zeitraum von 20 Jahren darstellbar. Die Unternehmensstruktur (Energieerzeugung, -handel, -durchleitung) ist breit aufgestellt, so dass Veränderungen am Energiemarkt aufgefangen werden können. EON Thüringen erwirtschaftet nur 15 Prozent seines Umsatzes im Bereich „Energiehandel“. 85 Prozent des Umsatzes resultiert aus Leitungsrechten und Beteiligungen an Stadtwerken. Diese Unternehmensstruktur ist nicht so stark „anfällig“ für die unkalkulierbaren Risiken des Energiemarktes.

EON Thüringen hat als größtes Geschäftsfeld Einnahmen aus den Netzentgelten. Die Höhe der Netzentgelte wird in der Bundesrepublik durch die Bundesnetzagentur reguliert. Dies erfolgt auch, um zu sichern, dass die Leitungsentgelte so auskömmlich sind, um die notwendigen Investitionen zur Gewährleistung der Netzsicherheit tätigen zu können. Dies ist auch ein weiteres Element für die Planungssicherheit. Die jährliche Belastung durch den Kauf der EON-Anteile und die Refinanzierung der „Altkredite“ liegt bei einem Finanzierungszeitraum von rund 20 Jahren in Abhängigkeit vom Zinsniveau zwischen 60 und 70 Millionen EUR.

Hier wird deutlich, dass nicht nur die Finanzierung der Kommunalisierung gesichert ist, sondern auch Finanzierungspotenziale für weitere Investitionen zur Verfügung stehen.

Das Finanzrisiko für die beteiligten Gemeinden wird auch dadurch begrenzt, dass nicht die Gemeinden selbst, sondern der kommunale Zweckverband „Kommunale Energie Thüringen“ (KET) die EON-Anteile übernimmt und finanziert.

Die bisherigen „Altschulden“ von EON sind in Höhe von 400 Millionen EUR bei der konzerneigenen Pensionskasse zu einem Zinssatz von 6,5 Prozent aufgenommen. Diese „Altschulden“ werden als Kommunaldarlehen zu einem Zinssatz von rund 2 Prozent umgeschuldet. Der Zinsgewinn von jährlich 18 Millionen EUR deckt nahezu vollständig die Zinsaufwendungen für die Kredite zum Kauf der EON-Anteile (bei 546 Millionen EUR und 2 Prozent Zinssatz beträgt die jährliche Zinsbelastung ca. 11 Millionen EUR).

Der Zweckverband KET finanziert sich aus dem Gewinn von EON Thüringen. Sollte dieser Gewinn „einbrechen“, was bei 85 Prozent Erlöse aus Leitungsrechten nur eine theoretische Betrachtung ist, müssten die Mitgliedsgemeinden zunächst auf die zugesicherte jährliche Dividende von 4,20 EUR pro Aktie teilweise oder vollständig verzichten. Würde selbst dies nicht ausreichen, müssten die Mitgliedsgemeinden über eine Fehlbetragsumlage die Verluste ausgleichen. Wenn dabei Gemeinden diese Fehlbetragsumlage nicht finanzieren können, müsste das Land haften.

Es muss aber nochmals klargestellt werden, dass es gegenwärtig keinerlei Anhaltpunkte für eine Verlustsituation bei EON-Thüringen gibt. Und auch ohne Kommunalisierung würden die Thüringer Gemeinden mit rund 50 Prozent für Verluste von EON Thüringen haften.

Kritisiert wird ebenfalls, dass der Thüga eine höhere Mindestdividende zu gesichert wird. Diese höhere Mindestdividende begründet sich damit, dass die Thüga keinen Zugang zu zinsgünstigen Kommunaldarlehen hat. Um den Zinsmehraufwand für die Thüga finanzierbar zu machen, ist eine höhere Dividendenzusage ein gangbarer Weg. Und diese Zusage liegt innerhalb der Verzinsung der jetzigen „Altkredite“. Dies heißt, die höhere Dividendenzusage an die Thüga belastet das aktuelle Betriebsergebnis von EON-Thüringen nicht.

Immer wieder gibt es auch Nachfragen zum Kommunalisierungsberater der kommunalen Seite. Die Auswahl des Beraters und seine Vergütung (die nicht bekannt ist), ist eine demokratische Entscheidung der BürgermeisterInnen der beteiligten Gemeinden. Der Vorgang bedarf nicht der Genehmigung des Landes. Fragen zum Berater sind zulässig und auch begründet. Jedoch müssen diese Fragen an die BürgermeisterInnen gerichtet werden. Welchen tatsächlichen Beitrag der Berater zum Kommunalisierungserfolg geleistet hat, werden die BürgermeisterInnen selbst beantworten müssen.

Rückfragen gibt es auch im Bezug auf die anfallenden Zinsen seit dem 1. Januar 2013 wegen der noch nicht vollzogenen Anteilsübertragung infolge der noch nicht erfolgten Genehmigung durch das Land. Hierfür sollen täglich 82.000 EUR an Zinsen anfallen. Gleichzeitig entfallen jedoch die Zinsen für die Kredite zur Finanzierung des Kaufpreises und die Übernahme der Altschulden. Diese Zinsbelastung ist in vergleichbarer Höhe, so dass es sich hier um ein „Nullenspiel“ handelt.

Insgesamt sind die Chancen dieser Kommunalisierung höher zu bewerten als die Risiken. Die Risiken sind durchaus beherrschbar.

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