Sehr geehrte Damen und Herren,
wir haben diese Pressemitteilung verfasst, weil wir weiterhin an der Umsetzung des Bürgerbegehrens festhalten, an einer 100% igen Rekommunalisierung der Stuttgarter Netze für Gas, Strom, Wasser und Fernwärme, in öffentlichen Händen, demokratisch gestaltbar.
Das Bürgerbegehren wurde von Herrn OB Schuster abgelehnt mit der Begründung, es sei rechtlich unzulässig. Diese Beurteilung teilen wir nicht. Wir sind der Überzeugung, dass auch nach der heutigen Rechtslage eine Eigentümerschaft und Betreiberschaft durch die Stadt selbst (Inhouse-Geschäft) ohne Ausschreibung möglich ist. Allenfalls könnte man die Auslegung des § 46 EnWG, und um diesen geht es im Wesentlichen, als strittig erachten.
- § 46 EnWG lässt eine gewissen Interpretationsspielraum
- insbesondere § 46 Abs. 4 lässt sich auslegen, da hier die Stadt als Bietender oder als Ausschreibender verstanden werden kann
- entscheidend ist jedoch, § 46 EnWG vor dem Hintergrund des ranghöheren Artikel 28.2 unseres Grundgesetzes auszulegen, in welchem die Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen als ein Grundpfeiler unserer Verfassung und unseres Rechtsstaats festgeschrieben ist. (Subsidiaritätsprinzip)
- auch die Europäische Charta der Kommunalen Selbstverwaltung schreibt die kommunale Souveränität fest http://de.wikipedia.org/wiki/Kommunale_Selbstverwaltung
- EU-Recht zwingt nicht zur Ausschreibung, bei einem Inhouse-Geschäft
- die Stadt Stuttgart würde die anerkannten Kriterien für ein Inhouse-Geschäft erfüllen, wenn sie die Netze selbst betreiben will
- der Leitfaden der Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamts „drängt“ zwar zu einer Ausschreibungspflicht, auch bei Inhouse-Geschäften, stellt aber keine bindende Grundlage dar
- keine Ausschreibungs- und Vergabepflicht besteht, wenn der öffentliche Auftraggeber beabsichtigt, den Auftrag unmittelbar selbst auszuführen oder an ihm angegliederte Stellen zu übertragen, die zu 100% in seinem Eigentum stehen, weil kein Wettbewerb besteht
- zu der Frage, ob auch bei einem Inhouse-Geschäft eine Ausschreibungspflicht besteht, existiert kein letztinstanzliches Urteil.
Vor diesem Hintergrund erwarten und verlangen wir von der Stadtverwaltung, dass sie sich entschieden für die Interessen der Bürgerschaft einsetzt, bzw. für die Grundversorgung in öffentlichen Händen, im Sinne des Bürgerbegehrens, und nicht in „vorauseilendem Gehorsam“ ausschreibt und damit einmal mehr den Verlust der Gestaltungshoheit über die städtische Infrastruktur riskiert.
Bei allen denkbaren Handlungsvarianten kann es zu einem Rechtstreit kommen, auch bei einer Ausschreibung, etwa durch diskriminierende Vorfestlegungen, durch diskriminierende Ausschreibungskriterien, durch Anfechtung der Auswahlentscheidung oder durch Anfechtung der angeblichen Ausschreibungspflicht als solcher.
Zielführender wäre hingegen, wenn die Stadt entschieden für ihr kommunales Selbstverwaltungsrecht einträte, nötigenfalls auf dem Rechtsweg.
Zu bedenken ist zudem, dass der seit Jahren schwelende Streit um die Stuttgarter Energieversorgung auch überregionale Bedeutung hat. Tausende von Konzessionen laufen in der nächsten Zeit aus und Konzerne haben ein massives Interesse daran, die Energieversorgung der Städte – über ihre Lobbyisten – in einen Wettbewerb zu zwingen, um so für den eigenen Profit den Fuß in die Tür zu bekommen. Wenn nun Stuttgart als Landeshauptstadt „kampflos“ einen Ausschreibungszwang hinnimmt, so hat dies erhebliche Signalwirkung und anerkennt die Verschiebung der Grundversorgung von einer selbstverwalteten Bedarfswirtschaft (Kostendeckungsprinzip) hin zu einer Erwerbswirtschaft im Wettbewerb (Profite). Auch aus diesem Grunde ist es wichtig, diesen „Dammbruch“ zu verhindern und die Verfassung bezüglich der Selbstverwaltungsgarantie zu verteidigen.
Um nun dem Gemeinderat und der Öffentlichkeit eine objektive Entscheidungsgrundlage zu geben, sehen wir die Verwaltung in der Pflicht, ein vergleichsweise günstiges „Gegengutachten“ einzuholen, von Fachanwälten, die gegenteilig argumentieren und ein Inhouse-Geschäft ohne Ausschreibung für zulässig halten. Auch kann die Stadt den Beschlussantrag über die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens im Gemeinderat vertagen.
Angesichts der Bedeutung dieser Entscheidung werden wir bei einer Ablehnung des Bürgerbegehrens durch den Gemeinderat klagen und der Verwaltungsspitze vorwerfen, einseitig Informationen eingeholt – und als alternativlos dargestellt zu haben. Wir sind auf keinen Fall bereit, die kommunale Selbstverwaltung im Bereich der Energieversorgung wegen einer angeblichen Ausschreibungspflicht aufzugeben.
Jens Loewe, Barbara Kern und Uli Jochimsen
(für das Stuttgarter Wasserforum)
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Artikel „Inhousevergaben von Strom- und Gasnetzkonzessionen nach § 46 EnWG. Zulässigkeit und Grenzen ausschreibungsfreier Netzvergaben – Beteiligung kommunaler Einheiten an Ausschreibungen.“ Von Prof. Dr. Stefan Hertwig und Andreas Haupt, CBH Rechtsanwälte, Köln. Erschienen in Zeitschrift für Kommunalwirtschaft, Ausgabe 1/2012, auf S. 12. http://www.kommunalverlag.de/downloads/pdf/2012/Innen-KoWi_01-2012.pdf