Von Dr. Ulrike Kölver. Kommentar zum Gastbeitrag vom 27.6. 2017 in der Frankfurter Rundschau von Johannes Kahrs (haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag) zur Privatisierung der Autobahnen: „Nichts wird privatisiert“
Die SPD hat begriffen: Privatisierungen kommen schon lange nicht mehr gut an in der Bevölkerung.
Was tun, wenn man trotzdem der Großwirtschaft mit Privatisierungsvorhaben gefällig sein will?
Mit Nebelkerzen den Eindruck erzeugen, Privatisierung sei gar keine Privatisierung.
Und wie erzeugt man einen solchen Eindruck? Mit dem bewährten Rezept der Verzerrungen, des Verschweigens und der Halbwahrheiten. Aus solchen besteht überwiegend der FR-Gastbeitrag von Johannes Kahrs.
Verzerrung 1: Die für die Autobahnen zuständigen Behörden der Länder „funktionieren mal besser, mal schlechter, sind teilweise unterbesetzt und kaputtgespart“.
„Kaputtgespart“ sagt Kahrs, ein Tatbestand und Miss-Stand, der sonst regierungsseitig allzu gern geleugnet wird. Wer aber hat für Kaputtsparen gesorgt? Die Bundesregierung selbst mit dem Diktat der Schuldenbremse. Die Schuldenbremse bremst jedoch keine Schulden, sondern sie ist einer der wichtigsten Machthebel der Bundesregierung, mit dem sie in den verschiedensten Formen die Umverteilung von unten nach oben weiter treibt, mit dem sie seit Jahren Länderhaushalte unter Druck bringt – und den sie jetzt zum Schaden der ausgewogener Machtbalance zwischen Bund und Ländern eingesetzt hat.
Verzerrung 2: alle 16 Bundesländer haben zugestimmt. Weggelassen und verschwiegen ist dabei:
dass die Bundesregierung hier eine völlig sachfremde Verbindung zum Bund-Länder-Finanzausgleich zur Stärkung der eigenen zentralen Machtbefugnis herbeigeführt hat und den lang anhaltenden Streit zwischen reichen und armen Bundesländern für ihr Privatisierungsprojekt instrumentalisiert hat. Dass die Verkehrsminister der Länder „kaltgestellt“ wurden. Dass Zustimmung des Landes Thüringen mit dem Versprechen (von Bundesverkehrsministers Dobrindt, CSU) zur zusätzlichen Elektrifizierung einer Bahntrasse in Thüringen „gekauft“ wurde.
Verzerrung 3: „In Zukunft kümmert sich der Bund um alles selbst“: wer eigentlich kümmert sich da?
Den Ländern wird ihre bisherige grundgesetzliche Kompetenz entzogen. Der Bund gründet ein neues Amt und eine privatrechtliche Gesellschaft. Wer hat da welche Kompetenzen? Das erklärt Kahrs uns nicht. Eine Gesellschaft nach Privatrecht hat jedenfalls das Recht, der Öffentlichkeit, auch dem Parlament Informationen über ihre internen Geschäftsabläufe zu verweigern. Das ist für eine bundesweite Einrichtung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur ein Unding. Über das Verhältnis dieses neuen Amtes und der privatrechtlichen Gesellschaft bleibt Kahrs uns jeden Hinweis schuldig.
Verzerrung 4: eine privatrechtliche Gesellschaft ist eine „formale Privatisierung“, gibt Kahrs notgedrungen zu, behauptet aber: „Das ist aber nicht das, was die meisten Menschen unter „Privatisierung“ verstehen.“ Nun ist „formale Privatisierung“ ein eindeutiger und juristisch klar definierter Begriff. Kahrs scheint jedoch über die „meisten Menschen“ die Meinung zu haben, sie seien außerstande, dieses schlichte Faktum zu begreifen.
Entsprechend ist auch sein vergleichender Blick auf die sog. „Entwicklungshilfe“ nichts als eine Nebelkerze: obwohl hierzulande Entwicklungshilfe in Form einer GmbH organisiert sei, drohe doch keine Privatisierung der deutschen Entwicklungshilfe, behauptet er. Richtig, denn der Schaden (für ärmere Länder) durch Privatisierung ist schon vor Jahren eingetreten, was die auf diesem Gebiet engagierten Organisationen der Zivilgesellschaft zu Recht seit langem kritisieren. Das „Argument“ von Kahrs sticht überhaupt nicht – aber da Entwicklungshilfe für das öffentliche Bewusstsein weit weg ist, verlässt er sich hier einfach auf die vermutete unzulängliche Information der Öffentlichkeit.
Verzerrung 5: Kahrs rühmt, die SPD habe dafür gesorgt, dass die privatrechtliche Verkehrsinfrastruktur GmbH, der sie mit ihren Stimmen Verfassungsrang einräumt, unveräußerliches Eigentum des Bundes bleibe. Verzerrung: Die SPD hat eine schwere Mitschuld daran, dass die privatrechtliche Wirtschaftsform für die Bewirtschaftung der Autobahnen – mit Eröffnung der Möglichkeit materiell-rechtlicher Wirtschaftsformen (die Kahrs verschweigt!) – nun Eingang ins Grundgesetz gefunden hat. Mit breiter Zustimmung der SPD ist somit eine enorme Verschlechterung unserer Verfassung beschlossen worden: im GG soll also jetzt stehen, dass dieses „unveräußerliches Eigentum des Bundes“ privatrechtlich organisiert sein darf. Und das versucht die SPD uns als Schutz vor Privatisierung zu verkaufen. Geht’s noch?
Verzerrung 6: Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP) gab es doch schon bisher auch bei den Autobahnen. Das ist richtig, schlimm genug. Es gibt keinen einzigen Fall von Privatisierung zum Nutzen des Gemeinwohls. Die SPD hat uns davor nicht geschützt, sondern dazu beigetragen, dass ÖPP jetzt auch noch Grundgesetzrang bekommen hat!
Verzerrung 7: „eine Privatisierung der deutschen Autobahnen ist erstmals verfassungsrechtlich ausgeschlossen“, behauptet Kahrs. Das Gegenteil ist richtig: sie ist erstmals (s.o.) ausdrücklich erlaubt. Bis die unsäglichen Privatisierungspläne der CDU-SPD-Bundesregierung aufkamen, waren die Fernstraßen durch die Verteilung der Kompetenzen auf Bund und Länder gegen Privatisierung weit besser gesichert. Jetzt ist dieser Schutz durch Änderung von Art. 90 GG zerstört worden: Die SPD, voran Ex-Wirtschaftsminister Gabriel und im Gefolge die große Mehrheit botmäßiger Parlamentarier haben bereitwillig mitgemacht – zum bei weitem noch nicht absehbaren Schaden des Gemeinwohls.
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Kahrs beschuldigt Kritiker der GG-Änderungen und der Autobahnprivatisierung der „Unterstellungen“ und der „Stimmungsmache“. Dem stehen ernstzunehmende Rechtsgutachten namhafter Juristen entgegen. Dem stehen vor allem die harten Tatsachen entgegen, die sich auch mit allen Tricks und Täuschungen nicht unsichtbar machen lassen.