Gemeinsame Pressemitteilung der Organisationen Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), Bündnis „Bahn für Alle“ und Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB)
Berlin, den 5. Januar 2015: Auf einem Katerfrühstück bilanzierten heute die Organisationen Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), Bündnis „Bahn für Alle“ und Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB) aktuelle Entwicklungen bei der DB AG und der Bahnpolitik. Insbesondere warnten sie vor einem neuen Anlauf zur Entwertung der Bahn Card 50 durch die DB AG und zur Bahnprivatisierung durch die große Koalition.
Dazu Carl Waßmuth, Sprecher von Gemeingut in BürgerInnenhand:
„Das Vorhaben ‚Bahnprivatisierung‚ -schon seit 2008 beschlossen- lag auf Eis ‚wegen der Situation auf den Finanzmärkten‚. Nun wird es wieder herausgeholt. Minister Dobrindt auf Seiten der Bundesregierung und Ex-Minister Pofalla auf Seiten der DB AG sollen offenbar noch in diesem Jahr 24,9 Prozent der Transportsparte verkaufen oder über einen Aktientausch an einen privaten Investor geben.“ Eine solche Option hätte erneut den erbitterten Widerstand Aller an einer nachhaltigen Mobilitätspolitik und Klimaschutzpolitik interessierten Organisationen zur Folge. Sie würde erneut kapitalmarktfixierte Fehlentscheidungen zur Folge haben, mit einer Vernachlässigung des Netzes und Fahrzeugparks und einem weiteren Rückzug aus der Fläche.“
Winfried Wolf, Verkehrsexperte und Mitbegründer des Bündnisses „Bahn für Alle“ hat die Pläne zur sogenannten Weiterentwicklung der BahnCard untersucht:
„Geplant ist nicht eine Weiterentwicklung, sondern die Aushöhlung und faktische Abschaffung der Mobilitätskarte BahnCard 50 zugunsten der Rabattmarke BahnCard25 und den verwirrenden Sonderpreisaktionen. Auch beim ersten Anlauf zur Bahnprivatisierung war die Reform des Preissystems mit dem sog. PEP ein wichtiger Baustein mit fatalen Folgen. Es kam zu massiven Fahrgastverlusten im Fernverkehr. Fahrgäste sollten umerzogen werden, um die Auslastung zu verbessern. Die Einfachheit und Flexibilität des Bahnfahrens wurde beschnitten. Erst der breite Widerstand konnte das PEP- Preissystem stoppen. Wer einen Neuaufguss solcher Rezepte versucht, wird erneut scheitern und die Marktposition der Bahn schwächen. Vorbild der Preispolitik sollte die Schweiz sein, die mit ihrer BC 50 (Haltax-Abo) und ihrem Generalabo um ein Vielfaches erfolgreicher ist als die DB AG.“
Professor Heiner Monheim. Mitglied der Gruppe von Bahnexperten „Bürgerbahn statt Börsenbahn“, warnt davor, dass die dringend nötige Verkehrswende durch eine falsche Tarifpolitik und einen neuerlichen Versuch der Bahnprivatisierung versperrt werde:
„Deutschland braucht eine Verkehrswende dringender denn je. Dazu brauchen wir ein einfaches Tarifsystem, das möglichst viele Dauerkunden bindet und die komplette Mobilitätskette einbezieht. BahnCard 50 oder 100 für alle muss das Ziel sein, nach dem Vorbild des Generalabo und Halbtaxabo der Schweiz. Dann kommt es zu massenhaftem Umsteigen von der Straße auf die Schiene. Aus dem Stauland Deutschland wird wieder ein Bahnland. Hierfür muss sich der Bund angemessen engagieren. Mit einem Fernbahngesetz mit guten Bedienungsstandards, vielen Knoten und dem integralen Deutschlandtakt. Wer statt dessen nur auf Großprojekte wie Stuttgart 21 setzt, weiter mit einem Bahnbörsengang „zündelt“ für Teilverkäufe und andere Formen der Bahnprivatisierung und sich mehr im Ausland als in Deutschland engagiert, macht eine Verkehrswende dauerhaft unmöglich.“
Die Organisationen kündigen an, einen neuen Anlauf zur Bahnprivatisierung und zur Kannibalisierung der BC 50 mit einer eigenen Kampagne zu verhindern. Im Detail verweisen sie auf die folgenden aktuellen Texte:
Knierim, Waßmuth, Wolf: Die Bundesregierung plant für 2015 die Bahnprivatisierung (Berlin, 2015)
Winfried Wolf: Das Projekt Abschaffung der BahnCard50 und die Aktualität der Bahnprivatisierung 2015 – 14 Thesen (Wilhemshorst, 2015)
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Noch bis 12. Januar 2015 kann der Aufruf für die Demokratisierung der Bahn unterzeichnet werden. Nächste Woche wird der Aufruf und die Unterschriften der Bundeskanzlerin Merkel überreicht.
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Meldungen zu der Pressekonferenz:
05.01. RBB-Inforadio „Neuerlicher Privatisierungsanlauf bei der Bahn“ von André Tonn: http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/wirtschaft_aktuell/201501/214882.html
05.01. taz „Bahncard soll bleiben“ von Richard Rother: http://www.taz.de/Buendnis-Bahn-fuer-alle/!152271/
06.01. Neues Deutschland „Bahn auf Privatisierungskurs?“ von Rainer Balcerowiak: http://www.neues-deutschland.de/artikel/957471.bahn-auf-privatisierungskurs.html
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Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) tritt ein für die Bewahrung und Demokratisierung öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge ein. Gemeingüter wie Wasser, Bildung, Mobilität, Energie und vieles andere soll zurückgeführt werden unter demokratische Kontrolle. Ein inhaltlicher Schwerpunkt unserer Arbeit gegen Privatisierung ist die Aufklärung über PPP. GiB ist Teil von Bahn für Alle, des breiten Bündnisses gegen die Bahnprivatisierung. Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e.V., Weidenweg 37, 10249 Berlin, Tel.: 030 37 300 442, Mehr Infos: www.gemeingut.org
Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB) ist ein Zusammenschluss von Bahnexperten (Michael Bienick, Prof. Dr. Karl-Dieter Bodack, Thilo Boehmer, Peter Conradi, Dr. Christoph Engelhardt, Klaus Gietinger, Johannes Hauber, Eberhard Happe, Prof. Dr. Wolfgang Hesse, Andreas Kegreiß, Andreas Kleber, Dr. Bernhard Knierim, Thomas Kraft, Karl-Heinz Ludewig, Prof. Dr. Heiner Monheim, Prof. Dr. Jürgen Rochlitz, Roland Schuster, Gangolf Stocker, Dr. Winfried Wolf). BsB ist Teil von Bahn für Alle, des breiten Bündnisses gegen die Bahnprivatisierung.
„Bahn für Alle“ setzt sich ein für eine bessere Bahn in öffentlicher Hand. Im Bündnis sind die folgenden 20 Organisationen aus Globalisierungskritik, Umweltorganisationen, politischen Jugendverbänden und Gewerkschaften vertreten: Attac, autofrei leben!, Bahn von unten, BUND, Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz BBU, Bürgerbahn statt Börsenbahn, Gemeingut in BürgerInnenhand, Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Grüne Jugend, GRÜNE LIGA, IG Metall, Jusos in der SPD, Linksjugend Solid, NaturFreunde Deutschlands, ProBahn Berlin-Brandenburg, ROBIN WOOD, Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken, Umkehr, VCD Brandenburg und Ver.di. Mehr Infos: www.bahn-fuer-alle.de
Ich denke, ganz so einfach ist es nicht, wie sie schreiben. Aber behandeln wir mal Eines nach dem Anderen:
– Sparpreise sind grundsätzlich gut. Sie verbilligen die Reisen und helfen Kunden zu lenken, die Auslastung einwenig zu steuern. Grundsätzlich gut. Aber man sollte nicht alleine auf diese setzen. Selbst in der so viel gelobten Schweiz hat es Feldversuche damit gegeben und man kann diese für bestimmte Relationen kaufen, aber nicht immer an jedem Tag. Auch die so viel gelobte Schweiz beisst sich an der ungleichen Auslastung der Züge die Zähne aus, allen voran die SBB. Während zu Stosszeiten, die Züge so voll sind, dass sie sogar noch Zusatzmodule anhängen müssen und teilweise noch Zusatzzüge fahren (Bern-Zürich, Entlastungszüge zu Feriendestinationen an Wochenenden) sind zu Randzeiten die Züge gähnend leer. Die durchschnittliche Auslastung im Fernverkehr liegt bei der SBB gerade mal bei 30%, wenn ich mir den Wert richtig gemerkt habe. Seit Jahren ist dies vor allem bei der SBB, aber nicht nur bei ihr ein Thema, wie man die Auslastung zu Randzeiten steigern könnte.
– Rabattkarten wie BC 50 und BC 100 sind eben auch eine gute Sache. Diese Sachen sollten aber eben bezahlbar bleiben und nicht immer weiter verteuert werden. BC 50 und BC100-Reisende sind auch gute Kunden, die es zu schätzen und zu pflegen gilt. Auch Normalpreise mit BC50 und 100 müssen bezahlbar bleiben.
Und auch hier versucht CH mit Sparbilletten Gegensteuer zu betreiben, wenn auch diese nicht den Stellenwert haben, wie in D. Ausserdem gibt es Sparbillette grundsätzlich nur im Internet und leider nicht am Schalter. Im Übrigen beissen sich SBB&KTU mittlerweile auch immer mehr daran die Zähne aus, dass immer mehr Leute ein GA oder Pauschalfahrausweise wie Tageskarten benutzen und die mit diesen Pauschalfahrausweisen zurückgelegte Distanz immer mehr steigt. (Dazu tragen aber Ausbaumassnahmen wie Bahn 2000, Fahrzeitverkürzungen, Tunnelausbauten wie Lötschbergbasistunnel, Gotthardtunnel, Durchmesserlinie … bei). Dies hat gemäss Communiqués der SBB und KTU zur Folge, dass der Erlös pro gefahrenem Kilometer sinkt. Darunter stönt mittlerweile nicht nur die SBB, auch die MOB verliess es intern als Problem verlauten. Es müsse etwas getan werden, um die Erlöse zu steigern. Mit anderen Worten Pauschalfahrausweise sind gut für die Kundschaft und machen den öV attraktiv, aber sie können den betreffenden TU auch neue Probleme bereiten. Die TU können dadurch Opfer ihres eigenen Erfolgs werden.
– Was CH auch noch besser macht: ein Preis für alle. Es gibt nicht drei verschiedene Preisstufen. Es gibt einen Preis. Mit einem Billett für eine Strecke können alle auf dieser Strecke verkehrenden Züge benutzt werden, wenn auch mit Ausnahmen: Glacier-Express, Bernina-Express, CNL, Talgo Pau Casale, gewisse Extrafahrten …
– in Sachen Halbtax-Anerkennung und Kindermitnahme gibt es bundesweit einheitliche Regelungen, die auch die Verbünde anwenden (müssen). Da macht nicht jeder Verbund, was er will. Auch gibt es da eine landesweite Regelung, was die Benutzung von Schnellzügen in Verbünden anbetrifft. Es dürfen grundsätzlich alle Schnellzüge (auch IC und ICE) benutzt werden, wenn auch Verbundbillette nur bis zum letzten Verkehrshalt gelten. Da finde ich die österreichische Regelung, wo Verbundbillette auch in Fernzügen, unabhängig vom Verkehrshalt, benutzt werden dürfen, noch besser.
– ein an die Börse bringen, der Bahn sehe ich als kontraproduktiv an. Der Schuss kann nach hinten losgehen. Ich finde es grundsätzlich gut, dass in CH der Staat beim Fernverkehr mitredet und der SBB Vorgaben macht und mit ihr Leistungsvereinbarungen abschliesst. Das sollte in D die Bundesregierung auch tun. Aber ich glaube nur, sie will es nicht, weil dann die DB von ihr Geld verlangen würde. Selbst in PL wird ja der Fernverkehr teilweise vom Staat bezuschusst, warum sollte man es ausgerechnet in D nicht tun?
Aber CH kann auch von D etwas lernen:
– es gibt neben den Verkaufsstellen auch noch Kundendienste, diese gibt es in CH nur in Basel, Bern und Zürich. Sonst habe ich diese nirgends gesehen.
– es gibt an Knotenpunkten Kundendienst und Aufsichtspersonal. Das gibt es in CH kaum noch, an grossen Bahnhöfen wie Bern oder Zürich vielleicht noch ein oder zwei Mann für den gesamten Bahnhof. Diese können in Absprache mit dem Zugpersonal auch die Bremsprobe und die Abfertigung übernehmen, müssen sie aber nicht. Gut ist, dass da situativ Zugpersonal und Bahnhofspersonal sich absprechen, wer es übernimmt.
– es gibt teilweise auch im Nahverkehr (von den Aufgabenträgern bezahlt) Zugpersonal. Das gibt es in CH bei der SBB gar nicht mehr, bei der BLS nur noch auf drei RE-Linien. Immerhin gibt es noch ZP auf der ZB in den Zügen Interlaken-Luzern sowie Luzern-Engelberg, bei der RhB auf gewissen Zügen, bei der MGB auf fast allen Zügen, bei allem, was zur Jungfraubahngruppe gehört, bei der MOB tagsüber zwischen Zweisimmen und Montreux. Leider auch nicht mehr zu Tagesrandzeiten.
– In Fernverkehrszügen tut deutlich mehr Personal Dienst, minimum 2 Mann, nicht selten auch 3 bis fünf. In CH selten mehr als 2.
– in einigen Zügen ist sogar der Verkauf von Fahrausweisen am Platz möglich. Das ist in CH FAST gar nicht mehr möglich. Es ist aber klar, dass dafür ausreichend Personal auf den Zügen sein muss, sonst fährt die Hälfte gratis.
Herzliche Grüsse
Es ist schon gut, wenn mal ein Kenner der Schweizer Verhältnisse im Detail darstellt, dass auf den Schienen in CH auch nicht alles Friede, Freude Eierkuchen ist.
Vielen Dank für die Info.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen D und CH ist allerdings noch unbedingt hinzuzufügen :
Die Schweizer betrachten den Öffentlichen Verkehr als ihre ureigenste Angelegenheit, was nicht nur durch die Akzeptanz dieser Verkehrsmittel deutlich wird. Vielmehr lässt sich die Bevölkerung ihren Besitz an öffentlichem Eigentum nicht durch renditegeile Finanzfachleute aus der Hand nehmen, sondern fühlt sich -auch durch Abstimmungen- dafür selbst verantwortlich ; und das in dem Lande, das gemeinhin als Lordsiegelbewahrer des großen Geldes gilt!
In Deutschland ist es hingegen cleveren neoliberalen Strategen und all zu vielen korrupten Politikern schon seit den frühen 90ern bis auf den heutigen Tag gelungen, den Eisenbahnverkehr gesetzlich ganz anders aufzustellen.
Es wurde ein Zwitterstatus für die DB AG geschaffen: Nominell ist diese Aktiengesellschaft 100%iges Bundeseigentum, aber faktisch ein unkontrollierbarer Konzern(plus ungezählter verschachtelter Tochterunternehmen), dessen AGs und GmbHs privatrechtlich organisiert und einer echten öffentlichen Kontrolle entzogen sind.
Eindeutiges Ziel jedes bisherigen Managements ist es leider nie gewesen, die Qualität des öffentlichen Schienenverkehrs zu verbessern oder nur zu erhalten, sondern die legale Ausplünderung der Staatskassen durch das Management bilanzmäßig zu verschleiern und einen „Gewinn“ zu erzielen, der aber immer nur durch staatliche Zuschüsse zustande kommt.
Würde die SBB mit Schweizer Staatseigentum auf den internationalen Märkten als Global Player so auftreten und herumzocken, wie es die Herren vom DB-Vorstand ungeniert tun, da wäre aber in der Schweiz etwas los !!!
Der deutsche Michel hingegen und sein von „Ausschuss-Fachleuten“ gekapertes Parlament gestattet schon über zwei Jahrzehnte lang die Ausplünderung staatlicher Kassen zur Bezahlung unangemessener Top-Gehälter und risikoloser Global-Player-Spielchen mit diesen angeblichen Gewinnen. Dafür garantieren schon diese speziellen Parteien-Fachleute, die nach ihrem Politikerverpuppungsstadium auf den Vorstandssesseln der Bahn auftauchen.
Der neuerliche Wunsch von eingeweihten Politikern, Managern, Bankern und „Beratern“ nach einem neuen Privatisierungsversuch ist schon deshalb verständlich, weil die bisherige Praxis der DB AG gezeigt hat, wie leicht es tatsächlich ist, auf diesem Weg Staatsgelder legal in viele private Kassen abzuzweigen.
Dass das deutsche Autofahrervolk dieses Manöver durchschaut und sich gegen ein solch perfektes Abzockmodell erfolgreich wehrt, kann man nur hoffen; in der Schweiz käme so ein Thema gar nicht erst auf.
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