Faktenblatt Nr. 5 • Hrsg. Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e.V.
Zusammengestellt von Carl Waßmuth – November 2011
Das Faktenblatt zum herunterladen: FB-05 PPP & Privatisierung
„PPP ist keine Privatisierung.“ Es scheint ein zentrales Ziel der PPP-Lobby zu sein, darzustellen, dass PPP keine Privatisierung ist. Diese Form der unbelegten Vor-Behauptung macht es der Lobby offenbar im ganzen folgenden Prozess wesentlich leichter, Menschen dazu zu bringen, sich auf so ein doch relativ unbekanntes und gleichzeitig komplexes Konstrukt wie PPP einzulassen. Was PPP stattdessen sein soll, stellt man auch dar: „PPP ist eine alternative Beschaffungsmaßnahme.“ Beide Aussagen bleiben allerdings unbelegt. Was es tatsächlich damit auf sich hat, zeigen wir in diesem Faktenblatt.
Wieso ist der Unterschied so wichtig: Privatisierung versus keine Privatisierung
Die Behauptung „PPP ist keine Privatisierung“ hat Gründe: Privatisierung hat mittlerweile ein sehr schlechtes Ansehen. Nach der letzten repräsentativen Forsa-Umfrage, beauftragt vom Deutschen Beamten-Bund (dbb)[1], wünschen sich 79% der Bürgerinnen und Bürger keine weiteren Privatisierungen oder sogar deren Rück-abwicklung. Diese Zahlen werden noch höher, wenn es in spezifische Bereiche der Daseinsvorsorge geht. PPP hat Schulen im Fokus, Gefängnisse und neuerdings Krankenhäuser und Pflege- und Gesundheitsdienste. Das sind – neben der Polizei – genau die Bereiche, im denen die weit überwiegende Mehrheit der Menschen Verschlechterungen und Verteue-rungen durch Privatisierung erwarten.
PPP als alternative Beschaffungsmaßnahme
Konventionelle Ausschreibung und PPP sind – anders als Mantra-artig behauptet – keine Beschaffungsvarianten. Die Kategorisierung unter den Begriff „Beschaffung“ wurde übrigens von dem Teil der Bauindustrie eingeführt, der gleichzeitig erheblich von PPP profitiert. Der eine Gleichsetzbarkeit suggerierende Begriff ist bezogen auf die Tätigkeit der öffentlichen Hand ziemlich irreführend:
1. Bei Beschaffung wird angenommen, dass auf verschiedene Art und Weisen eine Sache beigebracht wird, diese Sache bleibt dabei aber immer die gleiche Sache. Bei den Alternativen Konventionelle Ausschreibung und ÖPP erhält man aber nicht die gleiche Sache. Seitens der ÖPP-Lobby wird dieser Unterschied oft betont, allerdings nur, soweit es die von ihnen versprochenen positiven Effekte geht (größere Mitbestimmung der NutzerInnen, nachhaltigere Bauweise etc.). Auf der Negativ-Seite gilt jedoch dasselbe: ÖPP greift tief in die Eigentumsverhältnisse und Verfügungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand im Zeitraum der Vertragslaufzeit ein.
–> Entscheidet man sich für ÖPP, dann sind 25 oder 30 Jahre lang und oft auch danach die Eigentums- und Besitzverhältnisse fundamental verändert.
2. Auch die Baukultur ist betroffen, Architekturwettbewerbe sind bei ÖPP nahezu unmöglich, im Gegensatz zur konventionellen Ausschreibung.
–> Entscheidet man sich für ÖPP, dann sieht das Gebäude außen und innen anders aus, hat andere Nutzungsoptionen, eventuell fehlen manche sogar.
3. Selbst die für das Vorhaben zugehörige Verwaltung wird von einem ÖPP-Vorhaben stark betroffen werden: Zum einen stellt die Ausschreibung ganz andere und in Teilen deutlich umfangreichere Anforderungen an die Ausschreibenden, müssen doch in kurzer Zeit 25 oder 30 Jahre antizipiert und in rechtssichere Vertragsregeln gegossen werden. Zum anderen entfallen mit der endgültigen Entscheidung für ÖPP zahlreiche Aufgaben und oft auch mittelbar die damit verbundenen Stellen, zugleich entstehen völlig neue Anforderungen hinsichtlich der fortlaufenden Kontrolle der Verträge.
–> Entscheidet man sich für ÖPP, dann verändert man unweigerlich die Bauverwaltung, meist handelt es sich dabei um einen massiven Abbau, der auch verbunden ist mit einem Verlust an Know-How, das sich nicht einfach nach 25 oder 30 Jahren „neu einstellen“ läßt.
4. ÖPP ist nicht einfach eine Art auszuschreiben oder zu bauen. Wie finanziert wird, ist dabei untrennbar mit der Konstruktion „ÖPP“ verbunden. Zumeist wird die Forfaitierung mit Einredeverzicht gewählt, in jedem Fall erfolgt eine Festlegung des Kapitaldienstes über die 25 bis 30-jährige Laufzeit. Alles, was man üblicherweise bei einem Kredit darf, z .B. Umschulden oder früher tilgen, ist damit ausgeschlossen.
–> Entscheidet man sich für ÖPP, dann definiert man damit auch ein für alle Mal die Art und Weise, wie finanziert wird.
5. Und last but not least hat ÖPP nach aktuell geltender Gesetzeslage einen gravierenden Einfluss auf die Art, wie die Verbindlichkeiten Niederschlag im Haushalt finden. Anstelle einer transparenten Verschuldung werden intransparente Finanzprodukte gebildet, die es einerseits ermöglichen, die Verschuldung als Miete zu verbuchen und die auf der anderen Seite zur Herausbildung eines Marktes (mit der Infrastruktur der öffentlichen Daseinsvorsorge als Basis der Spekulation) führen.
–> Entscheidet man sich für ÖPP, greift man grundlegend in die Art und Weise ein, ob und wie die Schulden für das Projekt bilanziert werden, bis hin zur Frage, ob die Schulden nach Maastricht gemeldet werden oder nicht.
Definitiv „beschafft“ man also bei den Alternativen ÖPP und Konventioneller Ausschreibung völlig unterschiedliche Dinge, weswegen der Begriff unsinnig, ja irreführend wird.
PPP als goldener Mittelweg zwischen Privatisierung und Staatswirtschaft
Manche argumentieren nun etwas weniger scharf, und zwar dahingehend, dass PPP der goldene Mittelweg zwischen der (anerkanntermaßen häufig nachteiligen) Privatisierung und einer Staatswirtschaft wäre, die sich im konkreten Fall ebenfalls als miserabel erwiesen hat (Quellen!) Tatsächlich werden bei PPP aber aus Sicht der öffentlichen Hand und der NutzerInnen und Steuer- und Gebühren-zahlenden die Nachteile beider Modell verbunden.
Das bedeutet im zutreffenden Umkehrschluss, dass die Privatisierung auf dem Weg von PPP-Verträgen enorm vorteilhaft für die sogenannten Investoren ist. Gerlinde Schermer, von 1991 bis 1999 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und unfreiwillige Zeugin der Umsetzung des damals größten PPP-Projekts in Europa, der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe, spricht in diesem Zusammenhang von „Planwirtschaft für Private“.
Was wird bei PPP alles privatisiert
PPP ist Privatisierung, und das verstehen umso mehr Menschen, je länger es PPP gibt. Es sollte aber für alle betont werden, die noch keine konkreten Erfahrungen mit PPP machen konnten (oder mussten). Natürlich sind bei der konventionellen Ausschreibung immer auch Private beteiligt: Einen Teil der Planung übernehmen private Planer, es bauen private Baufirmen, und eventuell (eher selten) unterstützen einzelne Privatfirmen die öffentliche Hand im Betrieb. Bei PPP liegt nun aber die gesamte Planung ab der ersten Minute in der Hand eines Privaten, und das für 25 oder 30 Jahre lang: der ganze Bau bzw. die gesamte Sanierung, die komplette Finanzierung, der ganze Betrieb und die vollständige Verwertung. Dazu kommt die Privatisierung des Politik-Prozesses selbst im Vorfeld und Verlauf der Ausschreibung: Da PPP derart komplex ist, dass Kommunalpolitiker die Rahmenbedingungen gar nicht selbst ermitteln können, kommen im großen Umfang private Berater ins Spiel. Diese übernehmen nun Kernaufgaben des Parlaments: Sie bestimmen, was wirtschaftlich ist und was nicht, und sie verfassen die Vertragspassagen für die öffentliche Hand, in der diese über 30 Jahre rechtssicher ihre Interessen gegenüber den konträr gegenüberstehenden Interessen der Privaten zu wahren sucht.
PPP macht die Daseinsvorsorge zum Finanzprodukt
Dass PPP eine Form von Privatisierung ist, ist zuletzt auch daran ablesbar, dass mit PPP die Umwandlung der Infrastruktur unserer Daseinsfürsorge in handelbare Finanzprodukte beobachtet werden kann. Großbritannien hat bereits eine Welle von Weiterverkäufen von PPPs erleiden müssen, der „Sale of equity“ setzt sich nun in Deutschland fort[2].
In Großbritannien sind die Profite bei diesen Weiterverkäufen enorm: In einem Beispiel mit 154 ausgewerteten weiterverkauften PPPs lag die durchschnittliche Profitrate bei 50,4%. Die durchschnittliche Profitrate der Bauindustrie in ihrem bisherigen Geschäft, dem Bauen, betrug im gleichen Zeitraum 1,5%[3].
Wie konkret der Zusammenhang zu den internationalen Finanzmärkten für Infrastruktur ist, ist daran zu sehen, dass PPPs unmittelbar in diesem Zusammenhang in Verkaufsprospekten für Geldanlage beworben werden. Und dabei geht es laut OECD um Billionen von Euro:
“Die OECD beziffert den weltweiten Bedarf an Infrastrukturinvestitionen bis zum Jahr 2030 auf mindestens 41 Billionen USD. Pro Jahr entspricht dies rund zwei Billionen USD – dem gegenüber werden jährlich nur rund 1 Billion USD investiert, vorwiegend durch die öffentliche Hand. Angesichts hoch verschuldeter Staatshaushalte zeichnet sich schon heute eine gigantische Finanzierungslücke ab. Vor diesem Hintergrund gewinnen private Investitionen in Infrastruktur zunehmend an Bedeutung. Public-Private-Partnerships bis hin zu vollständigen Privatisierungen sollen zusätzliches Kapital aktivieren. Infrastruktur entwickelt sich in diesem Umfeld immer mehr zu einer eigenen Anlageklasse für langfristig orientierte Investoren. Ein attraktives Risiko-Rendite-Profil, geringe bis keine Korrelation zu herkömmlichen Anlageklassen, jährliche Ausschüttungen und sogar Schutz gegen Inflation gelten als Vorteile.” [4]
Was bleibt, ist die Zahlungsverpflichtung
Bei PPP bekommt also ein Privater das Recht, sehr lange, zumeist 30 Jahre lang, über alles zu bestimmen, was mit einer Einrichtung der Daseinsvorsorge zu tun hat: Er kann die Infrastruktur in seinem Sinne planen und bauen und auch später wieder verändern, er verfügt auf dem Weg über die Leasingraten über die von der öffentlichen Hand erhobenen Gebühren bzw. Steuergelder für die Einrichtung, er kann die Einrichtung für andere Zwecke verwerten, und er kann diese Rechte alle weiterverkaufen. Und nicht selten hat er sogar ein attraktives Vorkaufsrecht für die Einrichtung am Ende der Laufzeit. Die öffentliche Hand hat hingegen nicht das Recht, Mängel zu beanstanden, hat nicht das Hausrecht, hat keine Möglichkeit, Umnutzungen oder Umbauten vorzunehmen, ja noch nicht einmal das Recht, die Heizung drosseln zu lassen. Dafür hat sie die Pflicht, 30 Jahre lang zu zahlen, egal was geschieht. Und „egal-was-geschieht“ schließt ein, dass der Private den Betrieb einstellt: Leimen zahlte für ein geschlossenes Schwimmbad.
Die Summe, die die öffentliche Hand im gesamten Zeitraum bezahlen muss, übertrifft regelmäßig die einmalige Investitionssumme um ein vielfaches. Möchte der Private die Einrichtung am Ende der Laufzeit nicht kaufen, z.B. weil sie in der Substanz völlig heruntergewirtschaftet ist, dann hat die öffentliche Hand auf Papier einen hochkomplexen, meist mehrtausendseitigen Vertrag, den sie schon bei Unterzeichnung häufig nicht durchdrungen hat. Vertragspartner ist eine Projektgesellschaft, deren haftendes Eigenkapital 25.000 Euro zumeist nicht übersteigt. Damit kann die öffentliche Hand dann versuchen, Schadensersatzforderungen in vermutlich mehrfacher Millionenhöhe beizutreiben.
Das Faktenblatt zum herunterladen: FB-05 – PPP & Privatisierung
[1] Forsa-Umfrage im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes: www.dbb.de/dbb-beamtenbund-2006/dbb-pdf/forsa_2010-inhalt.pdf
[2] z.B. Feuerwache Mülheim an der Ruhr: www.hannover-leasing.de/geschlossene-immobilienfonds-deutschland.php
[3]Dexter Whitfield, Sale of equity, www.publications.parliament.uk/pa/cm201012/cmselect/cmtreasy/1146/1146vw43.htm
[4]Aus: Anlageklasse Infrastruktur: Potenziale und Perspektiven: http://www.fhpe.de/vc-panel/Anlageklasse%20Infrastruktur_Summary_FHP.pdf