Sehr geehrte Mitglieder des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag,
sehr geehrte MinisterpräsidentInnen der Bundesländer,
alle zwanzig Jahre findet in Deutschland eine Krankenhausreform statt. 1985 hat der Bundestag erlaubt, die Krankenhäuser in Firmen umzuwandeln, die Gewinne erwirtschaften können. Im Jahr 2004 wurden die Fallpauschalen eingeführt, die dazu führten, dass es lukrative und unrentable Behandlungen gibt. Zusammen hat das ein großes Kliniksterben erst in Ostdeutschland und dann auch in vielen westdeutschen Kommunen verursacht. Vor allem private Betreiber spezialisieren sich seither auf ertragreiche Behandlungen. Wir mussten den steilen Aufstieg privater Klinikkonzerne erleben. Die Folgen davon spüren wir heute im gesamten Krankenhausbereich: die Entmenschlichung des Klinikbetriebs mit blutigen Entlassungen, Fließbandarbeit, Unterfinanzierung, weiten Wegen zum nächstgelegenen Krankenhaus sowie chronischem Personalmangel und Überarbeitung bis zur Erschöpfung.
Seit der letzten Reform sind 20 Jahre vergangen. Ein Strukturwandel ist angesichts der Zustände in der stationären Versorgung bitter nötig. Minister Karl Lauterbach hat dazu eine „Revolution“ angekündigt. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bleiben allerdings auf der Strecke, Lauterbach hat sinnbildlich nur die Guillotine aus Frankreich übernommen: mit rigiden Strukturvorgaben für die Krankenhäuser treibt er einen verschärften Klinik-Kahlschlag voran. Bis zu einem Drittel aller Krankenhäuser in Deutschland droht das endgültige Aus, ein weiteres Drittel muss das Behandlungsspektrum stark reduzieren1. Besonders betroffen sind Allgemeinkrankenhäuser in ländlichen Räumen. Auch Geburtshilfen bleiben chronisch unterfinanziert und werden weiter geschlossen, obwohl deren Anzahl in den letzten 30 Jahren schon fast halbiert wurde2. Diese Entwicklung bedroht Leib und Leben von Millionen Menschen.
Die Grausamkeiten der Regierungspläne verbergen sich hinter Begriffen wie „Leveln“, „Leistungsgruppen“, „Ambulantisierung“, oder „Umwandlungen“ von Krankenhäusern. Blumige Worte wie „Vorhaltepauschalen“ suggerieren, dass stationäre Versorgung bereitgehalten wird. Tatsächlich plant die Ampelregierung ein organisiertes Krankenhaussterben, wie wir es noch nie erlebt haben. Die flächendeckende klinische Versorgung in Deutschland steht damit auf dem Spiel.
Die angebliche Qualitätssteigerung durch Zentralisierungen führt in Wahrheit zu einer Zwei-Klassen-Medizin: Wer im Notfall ein Krankenhaus erreichen kann, wird gut versorgt. Wer es aber aufgrund des weiten Weges nicht rechtzeitig schafft, braucht mitunter gar keine Behandlung mehr.
Für die Beschäftigten gibt es ebenfalls Anlass zur Unruhe: Weit über hunderttausend Stellen sind durch geplante Umwandlungen und Schließungen betroffen. Es drohen weitere Wege zum Arbeitsplatz, noch mehr Bürokratie und Arbeitsverdichtung sowie der Verlust von Ausbildungsplätzen. Schließt das Krankenhaus vor Ort, kehrt das Personal häufig dem Krankenhausberuf ganz den Rücken. So droht mit Lauterbachs Krankenhausreform eine Verschärfung des gravierenden Personalmangels.
Die Krankenhausreform ist kompliziert – was unser Gesundheitswesen braucht, ist allerdings einfach: Wer schwer erkrankt, muss schnell ein Krankenhaus erreichen können. Dort soll sich genügend Personal, das gut qualifiziert und gerecht bezahlt ist, um die Behandlung kümmern und nicht um Papierkram und erst recht nicht um die Rendite von Investoren. Gesundheitsversorgung ist Daseinsvorsorge.
Wir fordern:
Abschaffung der Fallpauschalen – Selbstkostenfinanzierung jetzt! Die DRG-Fallpauschalenfinanzierung hat uns verheerende Fehlanreize und überbordende Bürokratie gebracht.
Renditeverbot in der Krankenhausversorgung! Die Möglichkeit, Rendite zu erwirtschaften und diese dem Krankenhausbetrieb zu entziehen hat zu massiven Privatisierungen geführt.
Bedarfsorientierte Krankenhausstrukturen, bei denen alle Menschen binnen 30 Minuten ein Allgemeinkrankenhaus mit mindestens den Bereichen Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie, Geburtshilfe, Intensivmedizin und Basisnotfallversorgung erreichen können.
Sie haben jetzt für die nächsten 20 Jahre die einmalige Gelegenheit, das Blatt zu wenden. Sie werden im Bundestag beziehungsweise im Bundesrat über die Reform entscheiden. Stimmen Sie nicht den aktuellen Reformvorschlägen zu, die unsere Gesundheitsversorgung massiv verschlechtern würden. Setzen Sie sich stattdessen mit aller Kraft für eine flächendeckende, bedarfsgerechte und gemeinwohlorientierte Krankenhausstruktur ein!
Hintergrund:
Bündnis Klinikrettung, Selbstkostendeckung der Krankenhäuser. Kritik am DRG-Fallpauschalensystem und Entwicklung eines alternativen Modells: https://www.gemeingut.org/buendnis-klinikrettung-veroeffentlicht-studie-zur-selbstkostendeckung-als-alternative-zu-fallpauschalen/
Bündnis Klinikrettung, „Ja zur besseren Krankenhausstruktur – nein zu Lauterbachs Leveln. Das Modell des Bündnis Klinikrettung für bundeseinheitliche Krankenhausstruktur im Sinne einer flächendeckenden, bedarfsgerechten Krankenhausversorgung“: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/03/2023-03-13_Buendnis-Klinikrettung_Modell_bedarfsgerechte_Krankenhausstruktur.pdf
Bündnis Krankenhaus statt Fabrik, Das Fallpauschalensystem und die Ökonomisierung der Krankenhäuser – Kritik und Alternativen: https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/index.php?get=download&cfilename=BRwTBQoFUFcdcng8SkcIEBUsIgoEGFhYbXtCDEpQAREEAQE0VFoDAxxJVAU%3D