Pressemitteilung vom Bündnis Klinikrettung
Heute tagt die Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Sie soll noch vor der Sommerpause die Weichen für die Krankenhausreform stellen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach befürwortet die Schließung von 20 Prozent der Krankenhäuser. Gesundheitsökonom und Mitglied der Regierungskommission Reinhard Busse spricht sogar davon, dass 50 Prozent aller Kliniken in Deutschland geschlossen werden sollten. Es verblieben dann 850 statt 1.700 Kliniken.
Laura Valentukeviciute, Sprecherin vom Bündnis Klinikrettung:
„Wir sind auf keinem Basar, wo Bund und Bundesländer um die Zahl der Krankenhäuser feilschen können. Die Bundesländer dürfen nicht mit Lauterbach Schließungsdeals aushandeln. Es ist an der Zeit, die Grundübel bei der Wurzel zu packen: das Fallpauschalensystem, den Renditeabfluss an die privaten Klinikkonzerne und die unzureichende Finanzierung der Investitionen durch die Länder.“
Klaus Emmerich, Klinikvorstand i. R.:
„Wer – wie die Regierungskommission – in ihrer Fünften Stellungnahme selektive statistische Daten in Unkenntnis klinischer Abläufe interpretiert, kommt zu fatalen Fehlentscheidungen! Die von der Regierungskommission kritisierten Tumor-, Schlaganfall- und Herzinfarktbehandlungen in kleinen ländlichen Krankenhäusern sind durch Fallbeispiele erklärbar, sinnvoll und unvermeidbar. Forderungen nach Ausschluss selektiver Leistungen führen unvermeidbar in die Irre.“
Hintergrundinformationen:
Am 22. Juni 2023 veröffentlichte die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung die Fünfte Stellungnahme unter dem Titel „Verbesserung von Qualität und Sicherheit der Gesundheitsversorgung. Potenzialanalyse anhand exemplarischer Erkrankungen“[i]. Die Stellungnahme berücksichtigt aus Sicht vom Bündnis Klinikrettung die reale Behandlungspraxis und die Abläufe in den somatischen Krankenhäusern nicht ausreichend.
Unsere Kritikpunkte im Detail:
A) Aktuelle Qualitätsdiskussion anhand der Statistik und nicht des realen Alltags in den Krankenhäusern
Im Mai 2022 berief Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ mit VertreterInnen aus Großkliniken sowie mit den Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Boris Augurzky und Prof. Dr. Reinhard Busse. Beide Gesundheitsökonomen plädieren seit Jahren für 330 bzw. 600 statt 1.887Krankenhäusern bundesweit.[ii] Für die Notwendigkeit der Reduktion der Krankenhauszahl führt die Kommission verschiedene Gründe auf, in der aktuellen Debatte geht es um die angeblich schlechte Versorgungsqualität in kleineren Krankenhäusern der Allgemeinversorgung. Mit selektiven statistischen Analysen versucht die Kommission, die Qualität kleiner Krankenhäuser bewusst in Frage zu stellen. Schon in der Vergangenheit forderten Busse und Augurzky beispielsweise, kleine Krankenhäuser generell von Corona-Behandlungen und damit von der finanziellen Unterstützung auszuschließen. Andere Studien zur Qualität hingegen, wie zum Beispiel die Weiße Liste der Bertelsmann-Stiftung oder die Studie „Deutschlands beste Krankenhäuser 2023“ vom F.A.Z.-Institut, belegen eine oft überdurchschnittliche Qualität kleiner ländlicher Krankenhäuser. Insbesondere klinische Routinebehandlungen leisten kleine Krankenhäuser qualitativ oft besser als Großkliniken, weil sie diese häufiger durchführen. Es ist auch nicht sinnvoll, Routinebehandlungen in teuren Großkliniken durchzuführen und dadurch dort die Wartezeiten künstlich zu verlängern. Die Qualität der medizinischen Versorgung wird in OECD-Berichten auch daran gemessen, wie lange die Wartezeiten für Diagnose- und Behandlungstermine in den Kliniken sind. Deutschland hat in dieser Kategorie bisher im EU-Vergleich gut abgeschnitten. Die Schließungen der Kliniken werden an dieser Stelle das Ranking von Deutschland verschlechtern.
Das Bündnis Klinikrettung kritisiert, dass Statistiken die klinischen Abläufe nicht in Gänze abbilden können. Das führt zu folgenden Lücken bei der Gesamtbeurteilung der Qualität, einige Beispiele:
- Entscheiden sich unheilbare Krebserkrankte in ihrer letzten Lebensphase gegen lebensverlängernde Maßnahmen und wählen für die notwendigste medizinische Behandlung ein wohnortnahes Krankenhaus, erhöht das die Todesrate in diesem Krankenhaus und „verschlechtert“ statistisch gesehen die Lebensdauer der dortigen PatientInnen.
- Erkennt ein Patient seinen Herzinfarkt oder Schlaganfall nicht, lässt er sich von den Angehörigen zunächst in ein kleines Allgemeinkrankenhaus fahren. Dort bekommt der Patient die Erstbehandlung und wird dann umgehend in ein geeignetes Krankenhaus verlegt. Die geleistete Erstbehandlung kann dem Allgemeinkrankenhaus nicht vorgeworfen werden. Im Rahmen zertifizierter Herzinfarkt- und Schlaganfallnetzwerke gibt es klare Abläufe, und die Erstbehandlung ist ein Teil davon. Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung.
- Erleidet eine ältere Patientin, während ihres Aufenthalts in einem kleinen Allgemeinkrankenhaus aufgrund der Lungenentzündung einen Herzinfarkt, muss sie dort zunächst die Erstbehandlung bekommen und dann in das weiter entfernt gelegene Herzzentrum verlegt werden. Dem kleinen Allgemeinkrankenhaus darf das Recht auf die Erstbehandlung nicht entzogen werden.
Angesichts der wiederholten Aussagen zur alternden Gesellschaft müssen die Fälle bei denen es um die alltägliche Behandlung der hochbetagten multimorbiden PatientInnen geht, besonders berücksichtigt werden. Diese Menschen brauchen wohnortnahe klinische Versorgung, vielfach ohne Einsatz hochtechnisierter Medizin.
Das Bündnis Klinikrettung ist der Ansicht, dass sich aus selektiven Untersuchungen keine Schlüsse auf eine allgemeine Konzentration aller hochwertigen klinischen Leistungen ziehen lassen. Auch kann daraus keine allgemein schlechte Behandlungsqualität kleiner Allgemeinkrankenhäusern abgeleitet werden. Diese einseitige und unvollständige Qualitätsdebatte dient als Vorwand, die Krankenhausschließungen als notwendig darzustellen.
Zudem muss zur Fünften Stellungnahme der Regierungskommission kritisch hinterfragt werden: Warum wurde der Herzinfarkt nicht untersucht, warum nicht der traumatische Verkehrsunfall? Waren da kleine Krankenhäuser etwa besser?
B) Kosteneinsparung: das wahre Ziel der Krankenhausreform?
Das Bündnis Klinikrettung wirft Minister Lauterbach und seiner Regierungskommission vor, dass es ihnen gar nicht um Qualität, sondern um Kosteneinsparungen durch den Abbau von Klinikbetten und Klinikstandorten geht. Dass Kostengründe eine vorrangige Rolle spielen, geht nicht zuletzt aus den Interviews von Prof. Dr. Reinhard Busse und Prof. Dr. Karl Lauterbach hervor. Hierzu zwei Beispiele:
Prof. Dr. Reinhard Busse: „Je länger sich alles verzögert, desto mehr Krankenhäuser drohen insolvent zu gehen. Was den Ländern klar werden muss: Wenn die gleiche Summe Geld neu verteilt wird und die Anzahl der Krankenhäuser gleich bleibt, dann kann es am Ende nicht allen besser gehen. Die setzen immer noch drauf, dass es am Ende mehr Geld gibt. Wichtiger wäre jedoch eine konsensfähige Systematik, welche Häuser systemrelevant sind.“[iii]
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach: „Nach einer Übergangsphase bezahlen wir nicht mehr, wo die Qualität schlecht ist.“[iv]
C) Fazit
Das Bündnis Klinikrettung hat Fragen formuliert, deren Beantwortung durch Minister Lauterbach und seine Regierungskommission einem genaueren Gesamtbild der Situation in den Kliniken Rechnung tragen würden:
- Sollen kleine Krankenhäuser PatientInnen nach erkanntem Schlaganfall oder Herzinfarkt abweisen, statt Erste Hilfe zu leisten?
- Müssen kleine Krankenhäuser geriatrische PatientInnen, die während ihres Krankenhausaufenthaltes einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erleiden, aus der Klinik entlassen?
- Plädieren die Autoren der Fünften Stellungnahme für eine Behandlung von Krebspatienten ausschließlich in Tumorzentren? Ist für sie die bewusste Entscheidung eines unheilbar Krebskranken irrelevant, die letzten Krebsbehandlungen lieber in einem kleinen wohnortnahen Krankenhaus im sozialen Umfeld zu verbringen? Und ist das dann schlechte Qualität?
- Was helfen uns weit entfernte zentralisierte Kliniken, wenn die Patienten auf dem Weg dort hin versterben?
Um die Debatte wieder auf den Kern zurückzuführen weist das Bündnis Klinikrettung erneut auf die Ursachen der Finanzierungsprobleme der Krankenhäuser hin:
- Fehlende Finanzierung der Bundesländer
- DRG-Fallpauschalensystem
- Renditeabfluss durch die privaten Klinikträger
- Die parallelen Strukturen bei der privaten und öffentlichen Krankenversicherung sowie die problematisch hohe Zahl der Kassen.
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[i]Bundesgesundheitsministerium, Fünfte Stellungnahme der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/potenzialanalyse-krankenhausreform.html
[ii]Prof. Dr. Boris Augurzky und Prof. Dr. Reinhard Busse in Bertelsmann-Stiftung 5.07.2019, Studie: Eine bessere Versorgung ist nur mit halb so vielen Kliniken möglich, https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/juli/eine-bessere-versorgung-ist-nur-mit-halb-so-vielen-kliniken-moeglich/, Prof. Dr. Reinhard Busse, Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften, 330 reichen aus – Argumente für eine neue Krankenhaus-Struktur, https://www.static.tu.berlin/fileadmin/www/10002433/Vortraege/2019/2019.09.11_Busse.330reicht.pdf
[iii]Vgl. Zeit online, „Niemand sieht einem Krankenhaus an, ob es eine Dorfklitsche ist“, https://www.zeit.de/gesundheit/2023-06/krankenhausreform-karl-lauterbach-plaene-insolvenz/komplettansicht
[iv]ZDF, Debatte bei „Markus Lanz“ https://www.zdf.de/nachrichten/politik/lanz-lauterbach-krankenhaus-reform-100.html
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Die andauernde Sucht, am besten Gesundheitssystem an allen möglichen Stellen Geld einzusparen, wird am Endergebnis kostenmäßig überhaupt nichts ändern. Der Haupt anreiz für diese Sucht ist einzig der Ehrgeiz und die Ruhmsucht eingebildeter Verwaltungs-Büro-Männlein, die glauben alles besser zu wissen, was aber nachweislich falsch ist. Die „Gesundheitsrevolution“ wird die Krankenversorgung sicher nicht billiger, aber nur schlechter machen. Denn die nahe Erreichbarkeit einer Klinik ist kein Luxus, sondern ein hoher Qualitätsmaßstab für die Patientenversorgung und die Gesundung der Patienten. Ich hatte überwiegend sogar schlechtere Erfahrungen in Großen Kliniken als in kleineren.