Brief an Umweltverbände in Deutschland
betrifft: Emissionen durch Krankenhausabriss und -neubau
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Strukturreform im Krankenhaussektor soll unter anderem die Zahl kleinerer, regionaler Kliniken reduzieren zugunsten von zentralen Großkliniken und dezentraler ambulanter Versorgung. Damit ist vorgesehen, die Versorgungsqualität zu steigern und Kosten zu sparen. Ob diese Ziele mit der Reform erreicht werden können oder im Gegenteil konterkariert werden, wird derzeit heiß debattiert. Dass das Vorhaben in der jetzigen Ausgestaltung extrem umweltschädlich wird, spielte bisher in der Debatte keine Rolle. Wie kommt es zu den Umweltschäden?
Der Bedarf an Gesundheitsversorgung wächst im Zuge des demographischen Wandels, seit 1991 hat sich in deutschen Krankenhäusern das Patientenaufkommen um rund 25 Prozent erhöht. Dennoch sollen hunderte Klinikstandorte geschlossen werden. Die Auswirkungsanalysen im Auftrag des Gesundheitsministeriums gehen von 358 bis 416 Schließungen aus. Die zugehörigen Kapazitäten müssen an anderer Stelle durch Neubauten neu geschaffen werden, dabei geht es um eine Nutzfläche von drei Millionen Quadratmetern (1) !
Mit der Schließung jedes Krankenhauses wird dort in großem Umfang wertvolle fest verbaute Technik zu Elektroschrott. Auch darüber hinaus lassen sich Gebäudeteile oder die Gebäude insgesamt nur in sehr geringem Umfang anderweitig nutzen. Leerstand oder Abriss sind meist die Folge. Und es fallen in großem Umfang weitere Wege an, mindestens 20 Millionen Personenkilometer pro Jahr (2). Aus ökologischer Sicht wäre die Weiternutzung als Krankenhaus daher wesentlich sinnvoller. Qualitätssteigerung und Kostenreduktion des Gesundheitswesens treten in einen Zielkonflikt mit den Anforderungen des Klimaschutzes.
Wir würden uns gerne mit Ihnen zu dem Thema „Umweltschäden durch Klinikschließungen“ austauschen. Wenn Sie Interesse haben, laden wir Sie gerne zu einer Videokonferenz ein.
Mit herzlichen Grüßen
Laura Valentukeviciute, Carl Waßmuth,
für den Vorstand von Gemeingut
Hintergrund
Die Pariser Klimaziele geben vor, dass zur Vermeidung schwerwiegender, irreversibler Umweltschäden CO2- und CO2-äquivalente Emissionen bis zum Jahr 2040 auf nahe Null zu reduzieren sind. Infrastrukturen der Daseinsvorsorge haben einen bedeutenden Anteil an den CO2-Emissionen in Deutschland.
Die Anforderungen an Leistungen der Daseinsvorsorge verändern sich kontinuierlich. Bisher hat die öffentliche Hand in vielen Fällen darauf reagiert, indem Infrastrukturen neu gebaut wurden. Weniger nachgefragte Infrastrukturen wurden gleichzeitig stillgelegt oder rückgebaut. Klimaaspekte wurden vor allem durch Effizienzziele beim Neubau adressiert. Um den Herausforderungen des Klimaschutzes begegnen zu können reicht es jedoch nicht aus, Effizienzpotentiale auszuschöpfen. Neben der Effizienz wird Suffizienz im Sinne eines auch absolut geringeren Verbrauchs von Ressourcen benötigt. Erforderlich sind dazu Veränderungen im Konsum öffentlicher Dienste und Güter. Suffizienz soll ein gutes Leben für alle ermöglichen und fordert dafür einen klugen Umgang mit Ressourcen, um auch für kommende Generationen eine gute Lebensgrundlage zu erhalten (Wolfgang Sachs). Bezogen auf Gebäude bedeutet Suffizienz unter anderem, Abrisse zu vermeiden und Gebäude klug umzunutzen.
Die Zahl der Menschen, die in Deutschland leben, hat sich seit 1990 nur um etwa 0,2 Prozent pro Jahr erhöht. Die Neubautätigkeit im selben Zeitraum war wesentlich intensiver, weil gleichzeitig auch immer Gebäude abgerissen wurden. Auch heute noch stehen in Deutschland pro Jahr 32,3 Millionen Quadratmeter neu gebauter Nutzfläche eine Menge von 5,6 Millionen Quadratmeter jährlich abgerissene Nutzfläche gegenüber. Gleichzeitig besteht im Bereich der Infrastrukturen ein erheblicher Sanierungsstau, für dessen Abbau nach jüngsten Schätzungen 60 Milliarden Euro jährlich aufgewendet werden müssen. Das Statistische Bundesamt geht unter der Annahme gleichbleibender Zuwanderung davon aus, dass die Bevölkerung künftig zurückgeht und sich bis 2070 um jährlich 0,05 Prozent verringert. Neubau sollte daher bald die Ausnahme sein. Aber noch sind Bauindustrie und Baustoffhersteller überwiegend vom Neubau abhängig. Es ist offensichtlich, dass in Deutschland Fehlanreize bestehen, die Sanierungen ausbremsen und gleichzeitig Abriss und Neubau begünstigen. Ökologische Aspekte werden von der öffentlichen Hand bisher im Wesentlichen bezogen auf Einzelgebäude diskutiert, nicht jedoch auf Veränderungen von Infrastrukturen in ihrer Summe.
Ein Ausgleich der Interessen hinsichtlich der Klinikstandorte kann nur auf Ebene der langfristigen und großräumigen Infrastrukturplanung gefunden werden. Bei Krankenhäusern bedürfen weder die Gebäude noch die Standorte einer Reform. Im Gegenteil, die (noch) vorhandene relativ großflächig angelegte stationäre Versorgung stellt einen eigenen Wert dar. Reformbedürftig sind das bundesweit gültige Vergütungssysteme der Kliniken sowie die Organisation der Personalgewinnung und –bindung.
Der Bedarf nach Krankenhausstandorten ergibt sich aus der Siedlungsstruktur: Im Notfall sollte man in weniger als 30 Minute eine Rettungsstelle erreichen können. Dabei ist es unvermeidlich, dass eine qualitativ hochwertige Versorgung in der Peripherie für die Gesellschaft als Ganze aufwändiger und somit teurer ist als in den Zentren. Hierzu sollte man Gelder, Personal und Knowhow transferieren, nicht Gebäude. Auf diesem Weg kann Abriss ebenso vermieden werden wie weite Wege.
Anmerkungen:
(1) Ein Krankenhaus weist im Bundesdurchschnitt 55 bis 60 Quadratmeter Nutzfläche pro Bett auf. Die durchschnittliche Bettenzahl pro Krankenhaus liegt bei 260. Geschlossen werden jedoch eher kleinere Krankenhäuser mit ca. 150 Betten.
358 Kliniken * 57,5 Nutzfläche pro Bett * 150 Betten pro Klinik = 3.087.750 qm Nutzfläche
(2) Ein Krankenhausbett wird im Durchschnitt pro Jahr 40 mal belegt. Wenn die Wege sich von 15 auf 20 km verlängern, ergibt sich folgende Summe: 2 * 5 Zusatzkilometer * 150 Betten * 40 Belegungen pro Jahr * 358 Krankenhäuser = 21,48 Mio. pkm