Ein Beitrag von Klaus Emmerich
Gut, dass es in Deutschland angesichts der Corona-Pandemie so viele Krankenhäuser gibt! Diese Aussage war vor allem beim ersten Corona-Lockdown im März und April 2020 vielfach in der Presse zu lesen. ÄrztInnen und Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern waren „die HeldInnen der Nation“.
Das ist vorbei!
Aber das ist leider vorbei! Es gibt etliche Gesundheitsberater, die Corona zum Anlass nehmen, einen massiven Abbau von Krankenhauskapazitäten einzufordern. Die Frage, ob unser deutsches Gesundheitswesen überlastet sein könnte, wird nicht mehr gestellt. Die Meldungen von Krankenhäusern, die angesichts der Pandemie an ihre Behandlungskapazitäten gelangen, führen nicht zu der Schlussfolgerung, dass Kapazitäten ausgebaut oder zumindest nicht weiter abgebaut werden dürfen.
Die bange Fragestellung, ob die Behandlungskapazitäten in deutschen Krankenhäusern angesichts steigender Fallzahlen ausreichen werden, scheint bei ihnen keine Rolle zu spielen. Könnte es in Krankenhäusern zu Grenzentscheidungen kommen, welche/r PatientIn zuerst eine adäquate stationäre Corona-Behandlung erhält? Auch diese Fragestellung blenden die Gesundheitsberater offensichtlich aus. Das Fatale; Gesundheitsberater wie Prof. Dr. Reinhard Busse und Prof. Dr. Boris Augurzki sind ständige Berater der Bundesregierung. Ihre Expertisen haben ein hohes Gewicht bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie recherchieren auch für die Bertelsmann Stiftung, die 2019 in einer Studie „Krankenhäuser schließen – Leben retten!“ 600 statt bisher 1.925 bundesdeutsche Krankenhäuser forderte.
Bertelsmann Stiftung, Robert Bosch Stiftung und BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung für radikale Änderungen
Was die meisten BürgerInnen nicht verfolgen, ExpertInnen und Politik aber registrieren und aufgreifen: Inmitten der Corona-Krise preschen das BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung, die Robert Bosch Stiftung und die Bertelsmann Stiftung jetzt mit einem „Richtungspapier zu mittel- und langfristigen Lehren“ vor, das den Titel „Zwischenbilanz nach der ersten Welle der Corona-Krise 2020“ trägt. Man reibt sich die Augen, denn es gibt sie tatsächlich noch, die BefürworterInnen klinischer Konzentrationsprozesse und Kapazitätsverringerungen. AutorInnen des Papiers: Prof. Dr. Boris Augurzky, Prof. Dr. Reinhard Busse, Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, Prof. Dr. Gabriele Meyer. Trotz der Erfahrungen der Corona-Pandemie, die an die Kapazitätsgrenzen der Behandlungsressourcen ging und noch immer geht, empfehlen die AutorInnen der Bundesregierung und den Krankenkassenverbänden, Corona ausschließlich in großen Krankenhäusern behandeln zu lassen. Nicht belegte angebliche Qualitätsdefizite kleiner Krankenhäuser werden hierfür zur Begründung bemüht. Kleine ländliche Krankenhäuser würden somit aus hochwertigen Behandlungen – auch Corona – ausgeschlossen und komplett in ein Integriertes ambulant-/stationäres Zentrum (IVZ) umgestaltet. Mit der nicht belegbaren Behauptung, Corona könne man stationär lediglich in großen Krankenhäusern der Schwerpunkt- oder Maximalversorgung adäquat behandeln, propagieren Gesundheitsberater und Stiftungen eine ganz neue Kliniklandschaft.
Die neue Kliniklandschaft
Die neue Kliniklandschaft bevorzugt stationäre Versorgung in Krankenhäusern der hohen Versorgungsstufen. Die ambulante Versorgung (ohne stationäre Notfallversorgung) und einfache stationäre Versorgung verbliebe nach dem Richtungspapier der Bertelsmann Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und des BARMER Instituts für Gesundheitssystemforschung dann den dünn besiedelten Regionen. Krankenhäuser der untersten Versorgungsstufe sollen in Integrierte ambulante und stationäre Zentren überführt werden.
Das Prinzip
Ein neues Integriertes ambulant-/stationäres Zentrum löst die bisherige Grund- und Regelversorgung in Deutschland ab. Die ambulante Versorgung hat Vorrang. Die Notfallversorgung soll sich – wenn überhaupt – auf ambulante „Kleinnotfälle“ konzentrieren. Unterschiedliche Vergütung und unterschiedliche Qualitätsansprüche an Maximalversorger beziehungsweise Schwerpunktkrankenhäuser einerseits sowie integrierte ambulant-/stationäre Zentren andererseits bestimmen, welcher Standort noch was behandelt oder behandeln darf.
Die Bundesländer sollen (analog der Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen) die Krankenhäuser entsprechend ihrem Leistungsspektrum beziehungsweise ihrer Ausstattung konkret aufgliedern in
- Maximalversorger
- Schwerpunktkrankenhäuser
- Integrierte ambulant-/stationäre Zentren.
Was ist ein Integriertes ambulant-/stationäres Zentrum (IVZ)?
Die AutorInnen des sogenannten Richtungspapiers machen deutlich, dass sich das deutsche Gesundheitswesen aus der ländlichen Region massiv zurückziehen könnte und schreiben:
„Das IVZ leistet zur Sicherstellung der Basisversorgung in der Fläche einen entscheidenden Beitrag. Falls es eine stationäre Versorgung anbietet, beschränkt es sich auf die Grundversorgung in der Inneren Medizin, der Chirurgie und – in Abhängigkeit von regional vorhandenen Alternativen – in Ausnahmefällen der Geburtshilfe. Diese fachgebietsspezifischen Kompetenzen sind auch für die (eingeschränkte, s. o.) Notfallversorgung, das ambulante Operieren, die ambulante fachärztliche Versorgung und die Koordination der regionalen Leistungserbringung hilfreich.“
Wohnortnahe ländliche Krankenhäuser hätten dann ausgedient. Die Kluft zwischen städtischer Bevölkerung mit Krankenhäusern hoher Versorgungsstufe sowie ländlicher Bevölkerung mit überwiegend ambulanter Versorgung würde größer. Das ist ein gespenstisches Szenario, und seine BefürworterInnen gehen ständig ein und aus beim Gesundheitsministerium.
Wo bleiben die BürgerInnen?
Ebenfalls in der Corona-Krise wurden die BürgerInnen befragt, wie sie sich die deutsche Krankenhauslandschaft vorstellen. Das Urteil ist klar und eindeutig: Demnach ist eine sehr große Mehrheit der Befragten (88 Prozent) der Ansicht, dass ein Abbau von Krankenhausinfrastruktur nicht sinnvoll wäre. Ähnliche viele Befragte (85 Prozent) finden es auch nicht sinnvoll, dass Krankenhausschließungen und Bettenabbau weiterhin finanziell vom Staat gefördert werden. Danach gefragt, was sie für wichtiger halten – die Patientenversorgung oder die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser –, entscheidet sich fast jeder Befragte (96 Prozent) für die Patientenversorgung. Es wird höchste Zeit für mehr Demokratie! Es wird Zeit dafür, dass die Konzepte der Lobbyisten, besonders der Bertelsmann Stiftung und der Robert Bosch Stiftung, gestoppt werden. Es wird Zeit, dass die BürgerInnen über die Zukunft der Krankenhäuser mitbestimmen.
Autor: Klaus Emmerich, Klinikvorstand i. R., www.kliniksterben.jimdo.com