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Höllenwelt und Hoffnung
Buchbesprechung von Rudolph Bauer zu Wener Rügemers Buch „Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure“, Erstveröffentlichung in der Zweiwochenschrift „Ossietzky“ 3/2019
Werner Rügemer, der kritische Publizist und Dokumentarist, hat eine fulminante Abhandlung veröffentlicht. Ihr Thema sind »Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts«. Bei diesen handelt es sich einerseits um die – wie es im Untertitel heißt – »neuen Finanzakteure« vorwiegend US-amerikanischer Provenienz. Andererseits lässt sich thematisch auch »der kommunistisch geführte Kapitalismus Chinas« (S. 261 ff.) darunter subsumieren. Der den Band abschließende Teil über den »Kapitalismus Chinas« umfasst allerdings nur ein knappes Viertel dessen, was im Ganzen über die »neuen Kapital-Akteure des Westens« und das »Verhältnis USA – Europäische Union« geschrieben wird. Die China-Passagen erscheinen deshalb wie eine Art Kontrastfolie. Sie zeigen ein »wirtschaftlich und sozial nachhaltig aufstrebende[s]« Land, das »sich völkerrechtlich korrekt verhält, menschenrechtlich aufholt, defensiv nachrüstet und eine multipolare Weltordnung mitzugestalten sucht« (S. 318).
Im Gegensatz dazu wird »die von den USA geführte westliche Kapital-Demokratie« als ein System beschrieben, dessen »volkswirtschaftlich sinnvolle Leistung schrumpft; die Völkerrecht und Menschenrechte verletzt; die zugleich schon global hochgerüstet ist und ebenso lukrativ wie lügenhaft weiter aufrüstet und neben den kleinen Kriegen die mögliche militärische Auseinandersetzung mit China und im Vorfeld Russland vorbereitet« (ebd.).
Die Gegenüberstellung von USA beziehungsweise USA und EU auf der einen Seite und der Volksrepublik China auf der anderen ist spannend geschrieben und lässt sich mit Gewinn lesen. Den Schwerpunkt der Untersuchung bildet jedoch die detailreiche, bestens recherchierte Ausleuchtung dessen, was im Buch generalisierend bezeichnet wird als »westliche Kapital-Demokratie« (S. 7 und an vielen anderen Stellen), »gegenwärtiger Kapitalismus« (S. 188 und andernorts), »westlicher Kapitalismus« (S. 194 und andernorts), »Silicon-Valley-Kapitalismus« (S. 152) und »Wildwest-Kapitalismus« (S. 197) oder als »privatisierter Staat« (S. 222).
Innerhalb des kapitalistischen Systemzusammenhangs konzentriert sich die Studie Rügemers auf die personellen und vor allem institutionellen Akteure sowie auf deren sowohl untereinander als auch länderübergreifend (nicht zuletzt auch »transatlantisch«) wirksames Handlungs- und Interessengeflecht: auf Kapitalorganisatoren wie BlackRock (unlängst ins öffentliche Licht gerückt durch den Aufsichtsratsvorsitzenden von BlackRock Deutschland, Friedrich Merz, CDU), Private-Equity-Investoren, Hedgefonds, Investment-Banken, Privatbanken, Venture Capitalists, traditionelle Banken und die »Internet-Kapitalisten« Google, Facebook und Amazon.
Die reichhaltige Lektüre der Kapitel über »die neuen Kapital-Akteure des Westens« ermöglicht den bestürzenden Einblick in eine Höllenwelt von Dante’schen und Breughel’schen Dimensionen – nur leider nicht in mittelalterlicher Weise, sondern von höchster und bedrückender Aktualität. Es ist erschreckend zu lesen, wie tief verankert sich Gesellschaft, Politik und Ökonomie im profitgierigen Sumpf der Überwachung, Entmündigung, Ausbeutung und Profitmacherei befinden. Niemand ist davon ausgenommen.
Will man die akribisch recherchierten Ausführungen von Werner Rügemer auf einen zusammenfassenden Nenner bringen, so lässt sich festhalten: Die bedrohlichen »Kapitalisten des 21. Jahrhunderts« sind in erster Linie US-amerikanischer Herkunft. Sie tummeln sich vorwiegend auf dem Parkett des Finanzkapitals, der Globalisierung und der Digitalisierung. Ihre Verbündeten sind systemkonforme Politiker, das kriegerische Militär und die Rüstungsindustrie, akademische Vollzugseliten und die »Alpha-Journalisten« der (Leit-)Medien. Rating-Agenturen, Wirtschaftskanzleien, Unternehmensberater, Stiftungen und Think Tanks bilden die »zivile Privatarmee des transatlantischen Kapitals« (S. 216 ff.).
Die »am längsten und dichtesten verflochtene Kapitalregion der Erde« ist die transatlantische Region USA-EU. Die neuen Finanzakteure »haben die ohnehin schon längst entwickelte Dominanz des Kapital-Standorts USA über Westeuropa beschleunigt« (S. 227). Die US-amerikanische Vorherrschaft zeige sich unter anderem auch auf dem Gebiet dessen, was Rügemer den »Kapital-Digital-Militär-Komplex« nennt (siehe S. 237-241), nicht zuletzt bei der Überwachung des Internets innerhalb Europas. (Das erklärt die eskalierenden US-Maßnahmen gegen den chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei auf dem europäischen Markt.) Die USA kontrollieren transozeanische Seekabel, die Produktion von Chips und Software, Server und Speicherkapazitäten. »80 Prozent des westlichen Internetverkehrs verläuft über die USA.« (S. 241) Hinzukommen in der Bundesrepublik, mitten in Europa, rund 30 US-Militärstützpunkte, Drohnen-Kommunikationsknoten und das größte Militärkrankenhaus außerhalb der Vereinigten Staaten. »Deutschland ist der durch die USA bei weitem am intensivsten besetzte und überwachte Staat überhaupt.« (S. 245)
Angesichts der geschilderten Übermacht der »neuen Kapital-Akteure des Westens« stellt sich die Frage nach einem rettenden Ausweg. Obwohl er China als eine Art vorbildliches Gegenstück schildert, beschwört Rügemer am Schluss seiner Ausführungen letztendlich »diejenigen, die sich für die Menschenrechte, das Völkerrecht, die Demokratie einsetzen – das sind wir, die sich zusammentun müssen« (S. 325).
Der Appell Rügemers klingt hilflos und verzweifelt. Was können »wir« und unser Engagement für Menschenrechte, Völkerrecht und Demokratie ausrichten gegen die Machtzusammenballung der »Kapitalisten des 21. Jahrhunderts«? Eine Antwort darauf bleibt der Autor schuldig, weil er es unterlässt, die systematischen Widersprüche des imperialistischen Kapitalismus aufzuzeigen. In einem Fortsetzungsband müsste Rügemer diese Widersprüche analysieren und in Verbindung denken mit den Ergebnissen der vorliegenden Studie über die institutionellen und personellen Akteure des Kapitalismus.
Bei Werner Rügemer würde das chinesische Entwicklungs- und Fortschrittsmodell dann wahrscheinlich nicht als »der kommunistisch geführte Kapitalismus« bezeichnet werden, wie es bei ihm heißt. Vielmehr spräche vieles – bislang! – für die Erwägung, dass Chinas Staatsführung einen Entwicklungspfad eingeschlagen hat, der entscheidende Grundsätze einer sozialistischen Gesellschaftsordnung verbindet mit einer politisch gesteuerten Marktökonomie im Makro- und Mikromaßstab. Diese Erkenntnis würde den »Aufstieg der neuen Finanzakteure« mit einer marxistischen Perspektive konfrontieren, die hoffen lässt, dass die kapitalistische Gesellschaftsformation überwindbar ist.
Werner Rügemer: »Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure«, PapyRossa, 360 Seiten 19,90 €
GiB e.V. dankt der Zweiwochenschrift Ossietzky für die Abdruckgenehmigung zur Buchrezension von Rudolph Bauer.