von Carl Waßmuth
Mit der Neuauflage der Großen Koalition droht die Umformung des Gemeinwesens. Unter dem Deckmantel der „Investitionen“ erwarten uns massive formelle, funktionelle und materielle Privatisierungen. Wir haben den Entwurf für den Koalitionsvertrag auf seine versteckten Privatisierungspläne untersucht. Man findet sie bei genauem Hinschauen an vielen Stellen.
Öffentlich-Private Partnerschaften
3393 Wir werden die noch nicht fertiggestellten Öffentlich-Privaten Partnerschaften der
3394 1.-3. Staffel realisieren, wenn deren Wirtschaftlichkeit auf Basis der mit dem Bundes-
3395 rechnungshof abgestimmten Regularien transparent nachgewiesen worden ist.
Kommentar GiB: Von den ÖPP-Projekten der 3. Staffel ist fast noch nichts vergeben, man könnte einfach aussteigen. Die ÖPP-Lobby jubelt schon:
„Am 07.02.2018 haben sich CDU/CSU und SPD auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag geeinigt. Der vorliegende Entwurf sieht vor, den Investitionshochlauf für die Verkehrsinvestitionen mindestens auf dem heutigen Niveau fortzuführen. Die noch nicht fertiggestellten Öffentlichen-Privaten Partnerschaften der 3. Staffel sollen realisiert werden.“ (Quelle: PSPC GmbH)
Kein Wunder freuen die sich – das sind nochmal 15 Mrd. Euro Auftragsvolumen. Also volle Bücher für die nächsten 10 Jahre! Und das sind nur die offiziellen Zahlen, also ohne die ÖPP-typischen Kostensteigerungen. Was solche Kostensteigerungen bedeuten, wird man bald näher erfahren (müssen): Am 18. Mai 2018 findet in Hannover ein Gerichtstermin in Sachen ÖPP-Vertragsnehmer A1 mobil GmbH versus Steuerzahlende statt. Die Nachforderungen der Privaten liegen bei knapp einer Milliarde Euro. In nur einem Projekt! Und steht zu ÖPP im Entwurf für den Koalitionsvertrag? „Bedingung <Wirtschaftlichkeit transparent nachweisen> einhalten“. Das gab es noch bei keiner Autobahn-ÖPP! Wenn das der neue Grundsatz ist, wäre es flächendeckend aus mit ÖPP. Aber sicher gibt es eine ganz eigene Auslegung von „transparent nachweisen“ … Und da ist sie auch schon:
3396 Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und die Konzessionsverträge werden wir nach
3397 Vergabe bei Zustimmung des Konzessionsnehmers im Internet veröffentlichen.
Kommentar GiB: Also erst vergeben – dann veröffentlichen. Damit eine genauere Prüfung der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ja nicht dazu führt, dass doch keine ÖPP gemacht wird! Und wenn der Konzessionsnehmer nicht will, dann veröffentlicht man eben doch nicht. Dabei könnte man so eine Veröffentlichung zur Bedingung der Ausschreibung machen.
Autobahn-Privatisierung
Zur Infrastrukturgesellschaft Verkehr, der neu zu errichtenden GmbH für künftige Autobahnprivatisierung und einer möglichen künftigen Mautgebühren-Abzocke hat man sich auf Folgendes geeinigt:
3399 Den Aufbau der Infrastrukturgesellschaft Verkehr werden wir unter Einbindung der
3400 Gewerkschaften und Personalräte bei den Organisationsentscheidungen eng
3401 begleiten. Die Möglichkeit, die Planfeststellung weiterhin durch die Länder
3402 durchführen zu können, ist rechtssicher auszugestalten.
Kommentar GiB: Was soll das heißen … eng begleiten …? Dahinter steht weder etwas Rechtsverbindliches noch etwas Transparentes. Aber weiter:
449 Verkehr
450 – Wir investieren auf Rekordniveau in unsere Infrastruktur. Fortsetzung des
451 Investitionshochlaufs für die Infrastruktur. Planungsbeschleunigungsgesetz, u. a.
452 zur Vereinfachung von Verfahren und Digitalisierung von Planen und Bauen. […]
Kommentar GiB: Die neue Infrastruktur-GmbH gibt es ja noch gar nicht, und sie wird es auch lange nicht geben. Und wenn sie endlich gegründet ist, wird sie lange brauchen, bis sie nennenswert etwas verbauen kann. Bei der österreichischen ASFINAG hat die Umstellung neun Jahre gedauert. Die Fortsetzung des Investitionshochlaufs für die Infrastruktur bedeutet also noch mehr ÖPP-Projekte, denn dort schränkt die begrenzte staatliche Leistungsfähigkeit die Bautätigkeit nicht ein. Fragt sich nur, zu welchem Preis und bei welcher Qualität.
Privates Kapital fördern
Im Entwurf für den Koalitionsvertrag gibt es viele Hinweise darauf, dass (auch) privates Kapital gefördert werden soll. Die Vorschläge orientieren sich weitgehend an den unseligen Ideen der Fratzscher-Kommission sowie von PricewaterhouseCoopers pwc (beide von Sigmar Gabriel beauftragt):
1873 Wir werden die Investitionsbereitschaft in Wachstumsunternehmen erhöhen und hier
1874 die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Wir wollen, dass Ideen aus Deutschland
1875 auch mit Kapital aus Deutschland finanziert werden können. Deshalb wollen wir
1876 mehr privates Kapital sowie institutionelle Anleger für Investitionen in Startups. Ge-
1877 meinsam mit der deutschen Industrie wollen wir die Auflage eines großen nationalen
1878 Digitalfonds initiieren.
Kommentar GiB: „Wir wollen mehr privates Kapital sowie institutionelle Anleger für Investitionen in Startups“ …, und was wollt ihr ihnen geben, damit sie tun, was ihr wollt? Steuergeld.
2455 1. Wirtschaft
2456 Die deutsche Wirtschaft ist in guter Verfassung. Das Gütesiegel „Made in Germany“
2457 steht für alles, was die Wirtschaft dieses Landes ausmacht: Ideen, Innovationen und
2458 Qualität. Damit das so bleibt, muss die Wirtschaft durch Stärkung von privaten und
2459 öffentlichen Investitionen, durch Stärkung der Innovationen und einen verbesserten
2460 Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnisse in hochwertige Produkte und Verfah-
2461 ren, durch weitere Modernisierung der Infrastruktur und gezielte Qualifikation der Be-
2462 schäftigten zukunftsfest gemacht werden.
Kommentar GiB: „Stärkung von privaten und öffentlichen Investitionen“: Und was wollt ihr den privaten Investoren geben, um sie zu stärken? Steuergeld.
2844 Gründungen
2845 Wir fördern die Gründungskultur in Deutschland und wollen deshalb unsere erfolgrei-
2846 chen Programme wie EXIST fortführen. Wir schaffen Strukturen, die Neugründungen
2847 und Nachfolge in der Start- und Übergangsphase unterstützen. In der Start- und
2848 Übergangsphase werden wir die Bürokratiebelastung auf ein Mindestmaß reduzie-
2849 ren. In den ersten beiden Jahren nach Gründung werden wir die Unternehmen von
2850 der monatlichen Voranmeldung der Umsatzsteuer befreien. Zudem werden wir die
2851 Bedingungen für Wagniskapital weiter verbessern. Antrags-, Genehmigungs- und
2852 Besteuerungsverfahren werden wir vereinfachen. Ziel sollte ein „One-Stop-Shop“
2853 sein. Wir brauchen in Deutschland eine deutliche Ausweitung des Volumens des
2854 Wagniskapitalmarktes, um insbesondere Unternehmen in der Wachstumsphase zu
2855 unterstützen. Deshalb wollen wir die Einführung steuerlicher Anreize zur Mobilisie-
2856 rung von privatem Wagniskapital über die bisherigen Maßnahmen hinaus prüfen. An
2857 diesen Wagniskapitalfinanzierungen sollen sich Privatwirtschaft, öffentliche Hand,
2858 KfW und europäische Finanzpartner beteiligen.
Kommentar GiB: „Die Bürokratiebelastung (für privates Kapital) auf ein Mindestmaß reduzieren“ bedeutet wohl, die letzten Kontrollen für privates Kapital auch noch abzuschaffen – damit Steuerflucht risikofrei wird. ÖPP-Projektgesellschaften haben in Großbritannien schon heute überwiegend ihren Sitz in Jersey, Guernsey und Luxemburg. Aber auch einige der Investoren in deutsche Autobahn-ÖPPs sind heute schon in Steueroasen ansässig. „Die Einführung steuerlicher Anreize zur Mobilisierung von privatem Wagniskapital“ – also da steht es ja. Wozu um Himmels willen, soll man privates Wagniskapital mit Steuergeld anfüttern, damit sie noch riskanter anlegen? Will jemand noch eine Finanzkrise heraufbeschwören?
Neuer Kolonialismus
3022 Wir wollen das Außenwirtschaftsförderinstrumentarium, insbesondere in Bezug auf
3023 neue Märkte und mit dem Schwerpunkt Afrika, weiterentwickeln. Wir nehmen be-
3024 wusst die Zukunftsthemen des afrikanischen Kontinents in den Fokus – Digitalisie-
3025 rung, Innovation und Ausbildung – und setzen zu diesem Zwecke das Eckpunktepa-
3026 pier zur wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas um, u. a. durch die Stärkung privater
3027 Investitionen, Hermes-Bürgschaften und innovativer Finanzierungsinstrumente.
Kommentar GiB: Also, die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas benötigt sicher keine „Stärkung privater Investitionen, Hermes-Bürgschaften und innovativer Finanzierungsinstrumente“. Das genau ist doch, was sie seit vielen Jahrzehnten in die Schuldenfalle getrieben hat.
Kommunale und andere öffentliche Unternehmen schwächen
Lyrische Worte oder lobende Worte können nicht immer darüber hinwegtäuschen, dass ein künftiger Verlust angekündigt wird:
2522 Kommunale und andere öffentliche Unternehmen sind wichtige Säulen der Sozialen
2523 Marktwirtschaft und der Daseinsvorsorge. Sie bieten sichere und gute Arbeit, stärken
2524 die regionale Identität und sind unverzichtbar für die Bereitstellung öffentlicher Güter.
2525 Sie sind von großer Bedeutung für die lokale Wertschöpfung. Dabei muss die Wett-
2526 bewerbsgleichheit zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen sichergestellt
2527 werden.
Kommentar GiB: Die „Wettbewerbsgleichheit zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen“ – das könnte zum Beispiel bedeuten, dass der „Wettbewerbsvorteil“ mancher öffentlicher Unternehmen, keine Umsatzsteuer zahlen zu müssen, geschliffen wird. Dieser Vorschlag stand schon mal im Zusammenhang mit dem „ÖPP-Erleichterungsgesetz“ 2009 auf der politischen Agenda, ist dann aber gescheitert. Zu Recht. Aber die nächste Große Koalition könnte es schaffen, die letzten noch funktionierenden öffentlichen Unternehmen in den Ruin zu treiben – oder den Gebührenzahlenden eine 19-prozentige Steuererhöhung überzuhelfen. Die Mehrwertsteuer ist eine sehr unsozialste Form der Steuererhebung.
2529 Mit einem kohärenten Zusammenspiel von privaten und öffentlichen Investitionen,
2530 einer Stärkung der Innovationskraft der Unternehmen, dem gezielten Ausbau moder-
2531 ner Infrastrukturen und einer Qualifikationsoffensive wollen wir, dass Deutschland
2532 auch in den nächsten Jahren auf Wachstumskurs bleibt und somit die Bedingungen
2533 für mehr Beschäftigung weiter verbessert werden
Kommentar GiB: Das „kohärente Zusammenspiel von privaten und öffentlichen Investitionen“ – was könnte das sein? Die öffentlichen Investitionen werden über GmbHs abgewickelt, damit private Investoren miteinsteigen können – um dann Zinsen (bei Bankkrediten) und Renditen (bei Eigenkapital von Privaten und bei ÖPP) zu bekommen. Geld, das dann später der Daseinsvorsorge fehlt. Das zumindest ist es, was pwc Sigmar Gabriel im Gutachten empfiehlt. Und der hat noch nicht fertig, oder?
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