Liebe Freundinnen und Freunde der Daseinsvorsorge,
seit 2020 dokumentieren wir Klinikschließungen und warnen vor dem fortschreitenden Kahlschlag der Krankenhauslandschaft. Besondere Aufmerksamkeit bekam das Thema „Bettenmangel“ in der Pandemie, und Karl Lauterbach tingelte durch die Talkshows der Republik und sparte nicht mit Kritik an Spahns Politik. Jetzt ist er als Gesundheitsminister selbst in der Verantwortung. Die aktuellen Reformvorschläge seiner Kommission übertreffen jedoch alles, was wir uns an Negativem für Krankenhäuser vorstellen können. Der Präsident des Bayerischen Landkreistags spricht zu Recht von einer „Schneise der Verwüstung“, die die Reform in Bayern anrichten würde. Aber nicht nur Bayern ist betroffen: Tatsächlich sollen bis zu zwei Drittel aller Krankenhäuser entweder schließen oder ihre Abteilungen stark reduzieren.
Das Ministerium und untergeordnete Gremien wiegeln ab. Da ist von einer „Verlagerung von Behandlungen“ die Rede, wenn Abteilungen und Krankenhäuser ersatzlos geschlossen werden. Kliniken werden „ambulantisiert“; tatsächlich werden Ärzte und Medizintechnik abgezogen, es bleiben nur noch einige Pflegekräfte – und die Angehörigen, die künftig in die stationäre Pflege einbezogen werden sollen. Mit der Aufsplitterung der Behandlungen in 128 (!) Leistungsgruppen soll die „klinische Behandlungsqualität“ gesteigert werden. In der Realität werden die Behandlungsabläufe aus ökonomischen Gründen zersplittert, mit fatalen Folgen für Qualität und Bürokratie.
Und was wird aus dem zerstörerischen System der Fallpauschalen, das Lauterbach vor zwanzig Jahren mit verantwortet hat? Es werde „überwunden“, triumphiert Lauterbach, dabei justiert er das System nur zugunsten privater Klinikkonzerne nach. Und die stationäre Versorgung im ländlichen Raum wird durch Vorhaltepauschalen „gesichert“, wobei diese angebliche Sicherung keinen Cent mehr kosten darf und deswegen auch nicht funktionieren wird. Vorbeugend weist Lauterbach die Verantwortung für Schließungen infolge der Reform schon jetzt zurück: „Die Welle der Schließungen hat ja sowieso schon begonnen.“ Derzeit schließen 10 bis 20 Kliniken pro Jahr. Mit der Reform werden 100 bis 200 pro Jahr schließen. „Die Lobby tobt“ lautete ein Twitter-Bonmot von Lauterbach mit Blick auf seine Reform. Ein Toben der wirkmächtigen Lobby aus privaten Klinikkonzernen und Versicherungen, Pharmaindustrie oder Medizintechnikriesen haben wir jedoch nicht bemerkt. Vielleicht meinte Lauterbach aber auch ein Toben vor Begeisterung, das wäre schon eher vorstellbar.
Einige der Zahlen zu den erwarteten Schließungen stammen von einem Kommissionsmitglied, Prof. Boris Augurzky, er hält eine drastische Verringerung der Zahl der Krankenhäuser seit Jahren für wünschenswert. Einzelne Bundesländer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft äußern sich hingegen warnend, bleiben im Tonfall allerdings überraschend milde: Es dürfe „keine Eins-zu-eins-Umsetzung geben“. Mit einer solchen Kritik wird Kompromissbereitschaft statt Kampfeswille signalisiert.
Es ist Zeit, Klartext zu reden. Auch bei einer abgemilderten Umsetzung der Reform wird die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland voraussichtlich sinken. Wenn von aktuell 810 Geburtsstationen nur noch 428 übrig bleiben, werden deswegen über kurz oder lang mehr Kinder und Mütter sterben. In allen medizinischen Bereichen werden sich die Wartezeiten auf Behandlungen ausdehnen, auch das kann PatientInnen das Leben kosten. Die Reform droht fast flächendeckend die medizinische Ausbildung zu zerstören. Es werden weit weniger Pflegekräfte ausgebildet werden, weil die Zahl der ausbildenden Kliniken sinkt. Die ärztliche Ausbildung wird unter weiterer Spezialisierung leiden, ganzheitliche Behandlungsansätze geraten aus dem Blick, weil sich die Kliniken auf Leistungsgruppen spezialisieren müssen.
Ziel einer Reform sollte es sein, den Menschen die nach aktuellem wissenschaftlichen Stand bestmögliche medizinische Versorgung zugänglich zu machen. Lauterbachs Reform zielt nicht darauf ab, deswegen wehren wir uns nach Kräften dagegen: mit Aktionen, eigenen Konzepten zur Krankenhausfinanzierung und bedarfsgerechten Krankenhausstruktur, mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Wir halten Sie weiter auf dem Laufenden.
Freundlich grüßen
Laura Valentukeviciute und Carl Waßmuth
für die Aktiven von GiB
PS: Viele Menschen wissen noch nichts von der geplanten Reform. Deshalb haben wir in einer 4-seitigen Zeitung Lauterbachs Vorschläge und deren mögliche Folgen analysiert. Verteilen Sie diese Zeitung in Ihrem Umfeld. Sie können sie kostenlos – auch in größeren Mengen – bei uns bestellen. Schreiben Sie einfach eine E-Mail an info@gemeingut.org. Selbstverständlich freuen wir uns auch über Spenden für den Nachdruck der Zeitung.
13. März: In einer Pressemitteilung anlässlich des Krankenhausgipfels der Deutschen Krankenhausgesellschaft kritisiert das Bündnis Klinikrettung, dass die PolitikerInnen und Spitzenverbände in ihren Vorschlägen massive Klinikschließungen akzeptieren und den Verlust der flächendeckenden klinischen Versorgung in Deutschland einfach hinnehmen. Dem stellt das Bündnis Klinikrettung sein Modell der bundesweiten Krankenhausstruktur entgegen. https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/03/2023-03-13_Buendnis-Klinikrettung_Modell_bedarfsgerechte_Krankenhausstruktur.pdf, https://www.gemeingut.org/buendnis-klinikrettung-stellt-vorschlag-fuer-eine-bedarfsgerechte-krankenhausstruktur-vor/
13. März: Anlässlich der Koalitionsverhandlungen hat GiB die potentiellen Koalitionäre CDU und SPD angeschrieben. In den Briefen werden die PolitikerInnen aufgefordert, die Ausschreibung der Berliner S-Bahn abzubrechen und die Einbindung der Howoge auf die laufenden Neubauprojekte zu begrenzen. https://www.gemeingut.org/s-bahn-retten/, https://www.gemeingut.org/schulbau-berlin-neue-koalition-soll-howoge-schulbau-stoppen/
14. Februar: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat mögliche Auswirkungen der geplanten Krankenhausreform analysieren lassen und veröffentlicht. Die Analyse stammt von der Beraterfirma hcb. In einer Pressemitteilung unter dem Titel „Den Bock zum Gärtner gemacht: Kommissionsmitglied und Schließungsbefürworter hat die Auswirkungen der eigenen Reformschläge bewertet“ kritisiert das Bündnis Klinikrettung die Doppelrolle des hcb-Geschäftsführers Boris Augurzky. Denn er war als Mitglied von Lauterbachs Kommission an der Ausarbeitung der Reformvorschläge beteiligt, deren Auswirkungen er nun untersucht hat. Von einer unabhängigen Untersuchung kann nicht die Rede sein.
Die Pressemitteilung der DKG zur Veröffentlichung der Auswirkungsanalyse: https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/dkg-plaediert-fuer-augenmass-und-bringt-eigenen-vorschlag-in-die-reformdiskussion-ein/
13. Februar: In Berlin wurde die Wahl wiederholt. In einer Aktionsmail haben die Bündnisse Bahn für Alle und EINE S-Bahn für ALLE sowie GiB darum gebeten, E-Mails an PolitikerInnen zu schreiben. Viele sind dem Aufruf gefolgt und haben gefordert, die Ausschreibung der S-Bahn sofort abzubrechen. Der Druck war durch die Wahl so groß, dass einige Antworten eingingen: Von Kai Wegner, Spitzenkandidat der CDU, von der Senatskanzlei der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und von Senator Klaus Lederer, Die Linke. https://www.gemeingut.org/aktionsmail-hilfe-fuer-die-berliner-s-bahn/
10. Februar: In seiner neuen Zeitung unter dem Titel „Die Zeit ist reif. Wo bleibt die Revolution?“ informiert das Bündnis Klinikrettung über die Vorschläge der von Gesundheitsminister Karl Lauterbach geplanten Krankenhausreform und zeigt auf, welche Folgen die Umsetzung der Vorschläge für die Krankenhausversorgung in Deutschland hätte.
Presseberichte über GiB und Bündnisse, in denen GiB aktiv ist
13. März, ZDF „Drehscheibe“: Im Beitrag „Drei Bundesländer lassen Krankenhausreform prüfen“ kommt Klaus Emmerich vom Bündnis Klinikrettung zu Wort und kritisiert, dass die geplante Krankenhausreform die mühsam aufgebaute Krankenhausstrukture zerstören würde.
14. Februar, ZDF „Frontal“: „Kahlschlag bei Kliniken. Angst vor fehlender Notfallversorgung“. Im Beitrag kommen auch AktivistInnen vom Bündnis Klinikrettung aus Havelberg und von GiB zu Wort.
9. März, der Freitag: Zwei Mitgliedsorganisationen im Bündnis Klinikrettung – das Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus und das Dresdner Bündnis für Pflege – kommen im Beitrag von Ulrike Baureithel „Überversorgung nur auf dem Papier“ zu Wort und untermauern die im Beitrag geschilderte Kritik an der geplanten Reform. (hinter der Bezahlschranke)
5. und 9. März, Fränkischer Tag: In zwei Beiträgen thematisiert die Zeitung die Aktivitäten der Aktionsgruppe Schlus mit Kliniksterben in Bayern rund um das Krankenhaus Ebern. Die Aktionsgruppe hat Unterschriften gegen die Schließung des Krankenhauses gesammelt und einen offenen Brief an Landrat Wilhelm Schneider geschrieben. Der Landrat hält trotzdem an seinem „Leuchtturm-Projekt Kurzzeitpflege“ fest, das im Zuge der geplanten Krankenhausreform zur Schließung des Krankenhauses führen wird,- so Klaus Emmerich von der Aktionsgruppe. https://www.fraenkischertag.de/lokales/hassberge/gesundheit/aktionsgruppe-macht-landrat-verantwortlich-art-235331, https://www.fraenkischertag.de/lokales/hassberge/gesundheit/krankenhaus-ebern-wird-zu-alterszentrum-umgebaut-art-236690 (hinter der Bezahlschranke)
8. März, www.szh.de: Im Beitrag „Sanieren statt neu bauen. Bündnis Klinikrettung will Krankenhaus-Standorte in Pinneberg und Elmshorn erhalten“ werden die Aktiven der örtlichen Initiative interviewt. (hinter der Bezahlschranke)
8. März, merkur.de: Die Initiative Pro Krankenhaus Schongau wehrt sich gegen die Umstrukturierung der örtlichen Klinik. In einer Infoveranstaltung sprach auch Klaus Emmerich vom Bündnis Klinikrettung und warnte vor der Abstufung der Klinik mit den Worten „Level 1i ist kein Krankenhaus, es ist nicht mehr als eine organisierte Kurzzeitpflege“. Die Schongauer Initiative plant zahlreiche Aktionen, darunter eine Postkartenaktion oder eine Menschenkette. Mehr Informationen auf ihrer Website: https://www.pro-krankenhaus-sog.de/, https://www.merkur.de/lokales/schongau/schongau-ort29421/schongau-neue-krankenhaus-plaene-schlimmer-als-ein-zentralkrankenhaus-92130418.html
26. Februar, onetz.de: Mit der Aussage „Sicherstellungskrankenhäuser gehören in kommunale Trägerschaft“ zitiert die Zeitung die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern, die sich für die Rekommunalisierung der Klinik in Oerviechtach einsetzt. Derzeit gehört die Klinik dem Krankenhauskonzern Asklepios und soll weiterverkauft werden. https://www.onetz.de/oberpfalz/oberviechtach/aktionsgruppe-fuerchtet-krankenhaus-oberviechtach-kuenftig-ohne-notfallversorgung-id3979903.html
19. Dezember: Die möglichen Auswirkungen der geplanten Krankenhausreform diskutierten die VertreterInnen unter anderem vom Verein demokratischer Ärzt*innen, dem Bündnis Krankenhaus statt Fabrik und dem Bündnis Klinikrettung auf Einladung des Bundestagsabgeordneten Ates Gürpinar in der Online-Veranstaltung „Revolution von oben? Was bringen Lauterbachs Krankenhausreformen?“ Die Veranstaltung kann nachträglich geschaut werden unter https://www.ates-guerpinar.de/bundestag/berlin-bundestag/detail/revolution-von-oben-was-bringen-lauterbachs-krankenhausreformen-1/
Krankenhausreform
Über die Kritik an der geplanten Krankenhausreform berichteten viele Medien. Eine Zusammenfassung bietet der Beitrag „Krankenhausreform: Kliniken befürchten Kahlschlag und schlechtere Versorgung“.
Einige weiteren Infos aus der letzten Bund-Länder-Sitzung liefert das Deutsche Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/141220/Bundeslaender-setzen-Ausnahmeregelungen-bei-Krankenhausreform-durch
Im Artikel „Krankenhausreform: Aufschrei in den Ländern“ stellen Charlotte Kurz und Falk Osterloh die Auswirkungen auf die Krankenhausversorgung in den einzelnen Länder ausführlicher dar.
Eine Reihe von Kurzinterviews mit VertreterInnen aus Krankenhausgesellschaften, Politik und Versicherungen enthält der Text „Stimmen zu den Kommissionsvorschlägen und ihren Auswirkungen“, veröffentlicht von der Deutschen Krankenhausgesellschaft:
Befremdliche Aussagen macht der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Andreas Gassen im Beitrag „Krankenhausgipfel: Kassenärztechef fordert Abbau von Überkapazitäten“. Gassen fordert den Abbau der Krankenhäuser, damit die niedergelassenen Ärzte mehr operieren können, um gleich darauf zu betonen: „Wenn niedergelassene Fachärzte zum Skalpell greifen, müssen sie bei ambulanten Eingriffen genauso vergütet werden wie die Krankenhaus-Kollegen.“ Die Kosten für die Übernachtungen in den Kliniken verunglimpft er als „Hotel-Einnahmen“. Gerade auf dem Land verschärft sich zunehmend der Mangel an ambulanten Ärzten, und die örtlichen Kliniken sind für viele Menschen die einzige Anlaufstelle. Die Aussagen von Gassen gehen deswegen an den Bedürfnissen sowohl von PatientInnen als auch von vielen ÄrztInnen vorbei, vor allem auf dem Land. https://www.presseportal.de/pm/58964/5462597
Im Kontrast dazu stehen die Aussagen der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte. Mit der Ausdünnung der Krankenhauslandschaft sei durch längere Transportwege und die Reduktion von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten eine signifikante Verschlechterung der Notfallversorgung absehbar. So heißt es in der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft: „Gut nachvollziehbar ist, dass sich mit der Einschränkung des Spektrums vieler Krankenhäuser in der Fläche die ohnehin schon vielfach prekäre Lage bei der Suche nach aufnahmebereiten Kliniken weiter verschärfen wird.“ Die Notärzte fordern daher eine Überarbeitung der Reform. https://www.rnz.de/region/neckartal-odenwald_artikel,-Neckar-Odenwald-Kliniken-Notaerzte-kritisieren-Klinikreform-scharf-_arid,1072631.html (hinter der Bezahlschranke)
Die Süddeutsche Zeitung schildert die Sicht des Bayerischen Gesundheitsministeriums und der Bayerischer Krankenhausgesellschaft auf die Reformvorschläge in einem Beitrag mit dem aussagekräftigen Titel „Schneise der Verwüstung“: https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-refom-krankenhaus-plaene-verwuestung-1.5751394
Mit dem Zitat „Wenn es uns nicht geben würde, hätte ihn das Rettungsteam ins Passauer Krankenhaus bringen müssen. Die halbstündige Fahrt hätte der Patient auf keinen Fall überlebt.“ schildert der Beitrag auf ZDF „Bayern bangt um Kliniken auf dem Land“ eindrücklich die möglichen Auswirkungen der geplanten Krankenhausschließungen. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/krankenhausgipfel-lauterbach-reform-land-versorgung-100.html
15. März, bibliomedmanager.de: Gemäß Krankenhausindex des Deutschen Krankenhausinstituts bewerten 71 Prozent der Allgemeinkrankenhäuser ihre wirtschaftliche Situation als schlecht oder sehr schlecht. Die Krankenhäuser gehen davon aus, ihr Leistungsangebot in den nächsten Monaten deswegen reduzieren zu müssen. https://www.bibliomedmanager.de/news/leistungseinschraenkungen-drohen
12. März, Bayerischer Rundfunk: Die Bundesländer Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben die Universität Augsburg mit einem Rechtsgutachten beauftragt, in dem untersucht werden soll, ob die geplante Krankenhausreform zu weit in die Befugnisse der Länder eingreift und somit eventuell nicht verfassungskonform ist. https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/krankenhausreform-drei-bundeslaender-lassen-gutachten-erstellen,TYH7vX6
12. März, tagesschau.de: Das Bundesgesundheitsministerium stellt den Krankenhäusern Finanzhilfen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro zum Ausgleich für die gestiegenen Energiepreise zur Verfügung. Die Krankenhäuser können davon aber kaum profitieren, weil als Vergleichsmonat für die Preisdifferenz der März 2022 festgelegt wurde – da waren die Preise schon enorm gestiegen. Mehr dazu im Beitrag „Krankenhäuser bemängeln Hilfspaket“.
4. März, aerzteblatt.de: Der neue niedersächsische Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) versichert in einem Interview, die Reform solle “ gute Versorgung sichern. Das heißt nicht, Krankenhäuser zu schließen“. Das Gegenteil findet in Niedersachsen aber schon statt. Letztes Jahr erklärte die dortige Regierung, 30 bis 40 der derzeit 168 Krankenhäuser schließen zu wollen. Seit 1. Januar 2023 gilt in Niedersachsen ein neues Krankenhausgesetz, das die Umwandlung der Krankenhäuser in Regionale Gesundheitszentren (RVZ) oder Medizinische Versorgungszentren (MVZ) erleichtert. RVZ/MVZ sind keine Krankenhäuser, auch wenn Philippi das anders darstellt. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/141468/Reform-soll-gute-Versorgung-sichern-Das-heisst-nicht-Krankenhaeuser-zu-schliessen
2. März, Leipziger Zeitung: Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) fordert einen Fonds in Höhe von 100 Millionen Euro, um Krankenhäuser wieder in öffentliches Eigentum überführen zu können. Die Linksfraktion hat ebenso einen „Rekommunalisierungsfonds“ beantragt. https://www.l-iz.de/leben/gesundheit/2023/03/krankenhaus-privatisierungen-ruckgangig-machen-linksfraktion-landtag-beantragt-100-millionen-euro-517590, der Antrag ist hier zu finden: https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12635&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=0&dok_id=undefined
27. Februar, bibliomedmanager.de: Im Gastbeitrag „Mehr Redlichkeit“ verweist der Chef des Klinikkonzerns SANA, Thomas Lemke, auf die fehlenden Angaben der Regierung zu Kosten der Krankenhausreform. Zwar ist der Hinweis wichtig und richtig, aber die Wortwahl macht deutlich, worum es tatsächlich geht: „Für Atom- und Kohleausstieg wurden zig Milliarden an Steuergeld mobilisiert. Und was ist mit dem Ausstieg aus der stationären Versorgung?“ Dass es bei der Reform um den Ausstieg aus der stationären Versorgung, also um einen massiven Abbau der Krankenhäuser geht, traut sich ansonsten kaum jemand so deutlich zu sagen. SANA sitzt mit in der Regierungskommission, Lemke weiß also, wovon er spricht.
Einzelne Krankenhaus-Schließungen/Problemfälle bundesweit
Baden-Württemberg:
Die Reformvorschläge von Lauterbach bedeuten für 73 Prozent der baden-württembergischen Kliniken das Aus. Unter anderem könnte das Krankenhaus in Tuttlingen davon betroffen sein, was die Krankenhausversorgung in den Regionen Heuberg, Baar und Oberer Donau gefährden würde. https://www.schwaebische.de/regional/region-tuttlingen/tuttlingen/krankenhausreform-bedroht-tuttlinger-klinikum-auch-das-aus-ist-moglich-1418434
Gesundheitsminister Manfred Lucha ist ein vehementer Schließungsbefürworter, deswegen ist Baden-Württemberg auch ohne Lauterbachs Krankenhausreform Spitzenreiter bei den Klinikschließungen. Zum 28. Februar schloss das Mediclin-Krankenhaus in Schlüsselbad, das dem Asklepios-Konzerpt angehört (https://www.kma-online.de/aktuelles/klinik-news/detail/schluesselbad-klinik-stellt-betrieb-ende-februar-ein-49326); Das Hegau-Bodensee-Klinikum in Radolfzell soll zum 30. Juni geschlossen werden (https://www.kma-online.de/aktuelles/klinik-news/detail/ende-juni-ist-schluss-fuer-das-hegau-bodensee-klinikum-radolfzell-49255).
Bayern:
Für die LAKUMED Kliniken in Landshut-Achdorf und Vilsbiburg gibt es Fusionspläne, die als „Lösung“ für den Erhalt der Stadtorte dargestellt werden. https://www.radio-trausnitz.de/kommt-bald-die-klinik-fusion-im-raum-landshut-202792/
Wegen der geplanten Reform werden die bereits weit fortgeschrittenen Sanierungspläne für das Krankenhaus in Kelheim gestoppt. https://www.donaukurier.de/lokales/landkreis-pfaffenhofen/sanierung-und-neubau-am-mainburger-krankenhaus-vorerst-gestoppt-10726853
Berlin:
Sieben statt 50 Krankenhäuser würden in Berlin übrig bleiben, wenn die Reformvorschläge umgesetzt werden – berichtet der Tagesspiegel: https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-wirtschaft/nur-sieben-kliniken-blieben-ubrig-berliner-krankenhauser-warnen-vor-lauterbach-plan-9334556.html
Brandenburg:
Die Menschen in Forst (Lausitz) bangen um die Zukunft ihrer Geburtsklinik. Sie müsste nach der geplanten Krankenhausreform schließen. https://www.rbb24.de/studiocottbus/politik/2023/02/brandenburg-forst-lausitz-klinik-krankenhausreform-krankenhausgesellschaft.html
Nordrhein-Westfalen:
Das zum katholischen Krankenhausträger Nordkreis-Kliniken gehörende Krankenhaus in Linnich wurde zum 1. März geschlossen – trotz der Kritik des Stadtrats. https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/Linnich-kritisiert-Krankenhaus-Schliessung-100.html
Der Landtag in NRW beschäftigt sich mit der Petition gegen die Schließung der Asklepios Kinderklinik in Sankt Augustin: https://ga.de/region/sieg-und-rhein/sankt-augustin/landtag-in-duesseldorf-beschaeftigt-sich-mit-asklepios-klinik_aid-85508665
Die Krankenhäuser der Stadt Köln sollen fusionieren, die Kliniken in Holweide – Lauterbachs Wahlkreis – und Riehl sind gefährdet. https://www.kma-online.de/aktuelles/klinik-news/detail/kliniken-koeln-die-stadt-koeln-greift-durch-49333, https://www.ksta.de/koeln/koeln-betriebsrat-der-kliniken-spricht-sich-fuer-schliessung-von-zwei-krankenhaeusern-aus-492120
Rheinland-Pfalz:
BürgerInnen wollen ihren Klinikstandort retten: Die Paracelsus-Klinik soll in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt werden. „Aus Paracelsusklinik soll ‚Unser Bürgernahes Krankenhaus‘ werden“: https://56aktuell.de/aus-paracelsusklinik-soll-unser-buergernahes-krankenhaus-werden/
Saarland:
Ende März sollte das Evangelische Krankenhaus Saarbrücken schließen, jetzt wurde es vorzeitig am 10. März geschlossen. Die vorzeitige Schließung war unabdingbar, nachdem die Kündigungswelle den Weiterbetrieb unmöglich machte. https://www.sol.de/saarland/evangelisches-krankenhaus-saarbruecken-schliesst-noch-diese-woche,378274.html
Sachsen:
Zum 31. März soll die Paracelsus-Klinik in Reichenbach schließen. https://www.saechsische.de/gesundheit/1-000-menschen-demonstrieren-gegen-klinik-schliessung-in-reichenbach-5818166.html. Am 23. Februar sagte die sächsische Sozialministerin Petra Köpping (SPD) in einem Interview: „Wir wollen, dass die ambulante Versorgung in Reichenbach gesichert wird. Beim Treffen waren sich alle Teilnehmer einig, dass das Krankenhaus Reichenbach in seiner jetzigen Form leider nicht erhalten werden kann.“ https://www.saechsische.de/sachsen/sachsen-krankenhaeuser-fonds-koepping-5825346.html
Die Muldental-Kliniken in Grimma und Wurzen sollen umgebaut werden. Die Notfallversorgung wurde schon umgezogen, es laufen die Debatten über den Erhalt der Kinderstation. https://www.saechsische.de/leipzig/muldentalkliniken-5821415.html
Sachsen-Anhalt:
Zum 1. Mai schließen die Kinderklinik und die Geburtshilfe im SRH-Klinikum in Zeitz. https://www.volksstimme.de/sachsen-anhalt/landespolitik/krankenhaus-medizin-kinderklinik-sachsen-anhalt-schliessung-wegen-fachkraeftemangel-3562525?reduced=true
Schleswig-Holstein:
Mindestens 2.000 Menschen beteiligten sich an der Menschenkette gegen die Schließung der Klinik in Eckernförde. https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Imland-Klinik-Eckernfoerde-Menschenkette-gegen-Schliessung,imland190.html
Das Diako-Krankenhaus in Flensburg will zum 31. Mai den Fachbereich Gynäkologie innerhalb der Frauenklinik schließen. https://www.nordschleswiger.dk/de/suedschleswig/darf-diako-gynaekologie-einfach-schliessen-sagt-gesundheitsministerium
Das Marien-Krankenhaus (die Geburtsklinik) in Lübeck soll zum 1. September schließen. Die Beschäftigten wehren sich dagegen und wollen nicht in andere Standorte umziehen. https://www.ln-online.de/lokales/luebeck/uksh-zum-luebecker-marien-krankenhaus-umzug-erst-im-september-EFEXI4ZDQ5CDBDN5LRUM4QB5DI.html (hinter der Bezahlschranke)
Berliner Schulbau
10. März, Berliner Abendblatt: Nach der ersten Gesprächsrunde der Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD wurde verlautbart, „dass mehr Lehrer ausgebildet werden sollen und die Schulbauoffensive fortgesetzt werde“. https://berliner-abendblatt.de/berlin-news/schwarz-rot-fuer-berlin-giffey-und-wegner-kommen-sich-naeher-id211385
20. Februar, Berliner Woche: Ende März 2023 soll der Grundstein für das Gymnasium in Marzahn-Hellersdorf gelegt werden. Es ist das vierte Schulneubauprojekt, das die Howoge im Rahmen der Berliner Schulbauoffensive seit 2016 angeht. Bezirke und Senat haben inzwischen 25.000 neue Schulplätze geschaffen, während die Howoge bisher noch keinen einzigen fertiggestellt hat. https://www.berliner-woche.de/hellersdorf/c-bauen/howoge-baut-neues-gymnasium-an-der-erich-kaestner-strasse_a371084
12. Februar, Berliner Woche: Der Bezirk Pankow versucht sich wegen der verschobenen Investitionsvorhaben des Schulneubaus und der Sanierung gegen den Senat zu wehren. Von den ursprünglichen 29 Investitionsvorhaben blieben nach Verschiebung durch den Finanzsenator nur zwei Maßnahmen übrig. Damit wären 3.500 Schulplätze akut bedroht. Deshalb beschloss die BVV Pankow auf Antrag von SPD und Linken, eine Dringlichkeitsliste des Schulbaus aufzustellen. Enthalten sind 24 Vorhaben. https://www.berliner-woche.de/bezirk-pankow/c-bildung/pankow-beschliesst-dringlichkeitsliste-zum-schulbau_a371618
S-Bahn Berlin
Aktive der Bündnisse Bahn für Alle und EINE S-Bahn für ALLE sowie von Gemeingut in BürgerInnenhand übergaben am 16. Januar der Berliner Verkehrssenatorin Bettina Jarasch 10.328 Unterschriften gegen die Zerschlagung der Berliner S-Bahn. Die Nachricht wurde bundesweit von den Medien aufgegriffen. Hier einige Beispiele:
16. Januar, Berliner Zeitung: Unter der Überschrift „Neuer Betreiber für S-Bahn-Strecken gesucht: Mehr als 10.000 Unterschriften dagegen“ bringt die Berliner Zeitung die dpa-Meldung zur Unterschriftenübergabe https://www.berliner-zeitung.de/news/unterschriften-ubergabe-gegen-s-bahn-ausschreibung-li.307643
16. Januar, B.Z., Berliner Morgenpost, n-tv.de u.a.: Eine etwas kürzere Meldung mit einem Zitat von Carl Waßmuth (GiB) findet sich unter der Überschrift „Initiativen übergeben Unterschriften gegen S-Bahn-Ausschreibung“ in der B.Z. https://www.bz-berlin.de/berlin/initiativen-uebergeben-unterschriften-gegen-s-bahn-ausschreibung, unter der Überschrift „Unterschriftenübergabe gegen S-Bahn-Ausschreibung“ in der Berliner Morgenpost https://www.morgenpost.de/berlin/article237385125/Unterschriften-Uebergabe-gegen-S-Bahn-Ausschreibung.html sowie bei n-tv.de, dort unter der Rubrik Regionalnachrichten Berlin Brandenburg unter der Überschrift „Übergabe gegen S-Bahn-Ausschreibung“ https://www.n-tv.de/regionales/berlin-und-brandenburg/Unterschriften-Ubergabe-gegen-S-Bahn-Ausschreibung-article23848003.html.
Auch viele andere Medien bringen diese Meldung, zum Beispiel: https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/unterschriften-%C3%BCbergabe-gegen-s-bahn-ausschreibung/ar-AA16p5Xj,
https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de/16-01-2023-unterschriftenuebergabe-an-senatorin-jarasch/
https://live.vodafone.de/regional/berlinbrandenburg/initiative-unterschriften-uebergabe-gegen-s-bahn-ausschreibung/11874955
https://www.augsburger-allgemeine.de/berlin-brandenburg/initiative-unterschriften-uebergabe-gegen-s-bahn-ausschreibung-id65190911.html
16. Januar, Süddeutsche Zeitung: Die bundesweite Bedeutung der Ausschreibung ist der Süddeutschen Zeitung einen Artikel wert. Sie weiß: „Bei den jetzt zu vergebenden Strecken handelt es sich um die größte Ausschreibung in der Berliner S-Bahn-Geschichte.“ https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verkehr-berlin-unterschriften-uebergabe-gegen-s-bahn-ausschreibung-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230116-99-240424
16. Januar, rbb-Fernsehen: Die in Berlin bei vielen Zuschauerinnen und Zuschauern beliebte rbb-Abendschau berichtete im Nachrichtenblock über die Unterschriftenübergabe und zeigte dazu Filmmaterial. Leider sind die Beiträge immer nur wenige Tage online und daher nicht mehr abrufbar.
Ein Video von der Unterschriftenübergabe mit den Redebeiträgen von Carl Waßmuth für das Bündnis EINE S-Bahn für ALLE und von Bettina Jarasch (Berliner Verkehrssenatorin) sowie Rückfragen aus dem Publikum findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=jYa1CScPaec&feature=youtu.be
Daseinsvorsorge und Privatisierung
In einer aktuell erschienenen Streitschrift setzen sich Wolfgang Kubicki. langjähriger FDP-Abgeordneter und Prof. Tim Engartner mit Privatisierung auseinander. Kubicki verteidigt Privatisierung auch angesichts nachteiliger Folgen: Dort wäre schlecht privatisiert worden. Gleichzeitig erkennt er eine Daseinsvorsorgeaufgabe des Staates nicht an. Engartner fordert, den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen sowie eine Rückbesinnung auf den sozialen Staat. Wolfgang Kubicki, Tim Engartner: Privatisierung, Herausgegeben von Lea Mara Eßer bei Westend, 2023. https://makroskop.eu/08-2023/streitfrage-privatisierung/