Die Schuldenbremse wackelt
Liebe Freundinnen und Freunde der öffentlichen Daseinsvorsorge,
erinnern Sie sich noch an Marcel Fratzscher, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW? Fratzscher hatte 2014 auf Einladung von Sigmar Gabriel eine Kommission geleitet, die Konzepte für mehr Investitionen in Deutschland entwickeln sollte. Heraus kam der Vorschlag zur Autobahnprivatisierung, mit dem die Schuldenbremse umgangen werden sollte. Wir sagten: Die Privatisierung bleibenlassen, stattdessen die Schuldenbremse abschaffen! Heute fordert genau das auch Fratzscher: Schuldenbremse abschaffen. Sie sei unsinnig und schade Deutschland. Grüne Bundestagsabgeordnete, SPD-Abgeordnete, Gewerkschaften, sogar das arbeitgebernahe Wirtschaftsforschungsinstitut IW: Alle kritisieren die Schuldenbremse, fordern eine Ergänzung, Lockerung oder Abschaffung. Unsere Hartnäckigkeit trägt offenbar Früchte: 2011 hatten wir den ersten Flyer zur Schuldenbremse erstellt und seither kontinuierlich über die Privatisierungsfolgen dieser Regel aufgeklärt. Jetzt haben wir angesichts der Trendwende einmal Bilanz gezogen.
Auch in einer anderen Frage haben wir einen langen Atem bewiesen: In unserem Engagement gegen Bahnprivatisierung und für eine Verkehrswende. Nach unserer Gründung traten wir als erstes dem Bündnis „Bahn für Alle“ bei. Das Bündnis hatte 2006 bis 2008 maßgeblich dazu beigetragen, dass die Bahn doch nicht an die Börse kam. Seither hat Bahn für Alle unter anderem regelmäßig zur Bilanzpressekonferenz im Frühjahr und zur Fahrpreiserhöhung im Winter öffentlichkeitswirksame Aktionen veranstaltet – wir waren oft mit dabei. Auch der „Alternative Geschäftsbericht“ zur DB wird seit zehn Jahren vom Bündnis herausgegeben. Wir freuen uns, dass das Bündnis uns im Frühjahr angefragt hat, die Trägerschaft zu übernehmen. Wir haben gern “ja“ gesagt und sind seit dem 1. Juli formell Träger von Bahn für Alle.
Für beide Themenfelder gilt: Es sind noch einige Bretter zu bohren. Hartnäckigkeit ist weiterhin gefragt.
So wie bei der Schulprivatisierung in Berlin: GiB hat gerade aufgedeckt, dass der Berliner Senat das Berliner Schulbauvolumen künstlich hochgerechnet hat – mit viel zu hohen SchülerInnenzahlen. Mehr als eine Milliarde Euro werden gar nicht benötigt – genau die Summe, die man angeblich „nicht schafft“ und die deswegen mit der Übertragung des Schulbaus an die Howoge privatisiert werden soll. Wir haben unsere Berechnungen an die Presse gegeben und sind nun gespannt, wie es weitergeht. Wird man auch ohne Begründung privatisieren?
Mit herzlichen Grüßen
Carl Waßmuth
für die GiB-Aktiven
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TERMINHINWEIS
Fachkonferenz „Risikogeschäft öffentlich-private Partnerschaften“ am 10. September 2019 in Berlin.
Organisiert wird die Konferenz gemeinsam von Erlassjahr, Forum Umwelt und Entwicklung, Friedrich-Ebert-Stiftung, Gemeingut in BürgerInnenhand, Heinrich-Böll-Stiftung, Informationsstelle Peru, Südwind, Urgewald und WEED. Informationen zu Programm und Anmeldung siehe auf der GiB-Website.
GiB-PRESSEMELDUNGEN
12. August: „Senat setzte SchülerInnenzahl viel zu hoch an: BSO muss um eine Milliarde Euro gekürzt werden“
Der Senat hat zur Rechtfertigung für seine Schulprivatisierungspläne mehrfach falsche SchülerInnenzahlen verwendet. Vergangene Woche wurden von den Grünen im Abgeordnetenhaus neue Zahlen in Umlauf gebracht, die wieder von sehr hohen SchülerInnenzuwächsen ausgehen. Mehrere Tageszeitungen und der RBB berichteten. Die Steigerung soll demnach innerhalb von drei Jahren 24.000 beziehungsweise 26.000 SchülerInnen betragen. GiB hat aufgrund der Zahlen des statistischen Landesamtes eigene Berechnungen vorgenommen und kritisiert die zu hohe Zahlenbasis der sogenannten Berliner Schulbauoffensive (BSO). GiB fordert: Die Vertragsverhandlungen mit der Howoge abbrechen! Dem Beispiel von Tempelhof-Schöneberg folgen!
18. Juni: „Mieterhöhungsstopp und Mietobergrenze ermöglichen Wohnungstausch“
Kommt endlich der Mietendeckel? Heute will der Berliner Senat Maßnahmen zur Begrenzung der Mieten beraten. Gemeingut in BürgerInnenhand fordert, es muss endlich Schluss sein mit den Mieterhöhungen! Das sollte bundesweit gelten. Auch eine Mietenobergrenze ist überfällig. GiB kritisiert, dass der Neubau bisher von den vorgeschlagenen Regeln ausgenommen werden soll.
Der Berliner Senat plant eine Umsetzung der grundgesetzlichen Schuldenbremse in Berliner Landesrecht. Das im Jahr 2009 im Grundgesetz verankerte Kreditaufnahmeverbot hat sich aus der Sicht von Gemeingut in BürgerInnenhand seither als extrem gemeinwohlschädlich erwiesen. GiB fordert in einer Pressemitteilung einen Stopp des Schuldenbremsen-Unsinns und eine breite Diskussion. Die Pressemitteilung führte zu einer Berichterstattung durch den RBB. Der live zugeschaltete Finanzsenator wurde mit der Kritik von GiB konfrontiert und kam in Erklärungsnöte.
12. Juni: „Volksinitiativen in Berlin gesetzlich stärken“
Volksinitiativen müssen als Instrument der direkten Demokratie gestärkt werden. Das fordert GiB vom Gesetzgeber. Volksinitiativen benötigen neben einem Akteneinsichtsrecht, umfassendes Rederecht sowie eine Unkostenerstattung. Da die Erfolgsaussichten ihres Organstreitverfahrens nur begrenzt sind, zog die Volksinitiative „Unsere Schulen“ ihre Klage vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof zurück.
GiB-FACHARTIKEL
9. August: Erfolge in unserem langen Kampf gegen die Schuldenbremse
Wie oben dargestellt (und wie aus der Presseschau weiter unten hervorgeht), dreht sich derzeit der Wind in Sachen Schuldenbremse erheblich. GiB ist seit 2011 zur Schuldenbremse aktiv, begonnen hatten wir mit einem Flyer sowie einem Faktenblatt. Lange waren wir damit einsame Rufer, nun zeigen sich Erfolge. Wir haben die Trendwende zum Anlass genommen, einmal Zwischenbilanz zu ziehen.
10. Juli: Verkehr in Berlin: Leider klimaschädlich
Carl Waßmuth von GiB schreibt in einem Titelbeitrag für die Zeitschrift MieterEcho, dass es möglich wäre, die Klimabelastung aus dem Verkehr erheblich zu reduzieren. Zahl und Länge der Wege in der Stadt müssten reduziert und den Anteil gesteigert werden, der zu Fuß, mit dem Rad und ÖPNV zurückgelegt wird – am besten mit einer autofreie Innenstadt. In Berlin gibt es hingegen sogar Entwicklungen, die den Trend zu einem höheren CO2-Ausstoß noch verschärfen könnten. Dazu gehören Uber, eine geplante Privatisierung der S-Bahn, der Ausbau von U-Bahnen statt des Straßenbahnnetzes sowie die Fokussierung auf Batteriebusse und Elektroautos.
PRESSESCHAU (Auswahl!)
5. August / ntv. Weil derzeit Investoren in deutsche Staatsanleihen wegen der Negativzinsen Geld verlieren, fordert DIW-Chef Fratzscher ein Ende der Schuldenbremse. Stattdessen solle das Land investieren, in Infrastruktur und Bildung. Gegenüber Reuters äußerte Fratzscher laut ntv: „Die Schuldenbremse ist unsinnig und schadet Deutschland.“
Ebenfalls greifen cash.ch und DiePresse.com sowie die Welt das Thema am 5./6. August auf. cash.ch zitiert den Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), Michael Hüther: „Die Schuldenbremse ist nicht mehr zielführend, denn die Bedingungen haben sich geändert.“ Die taz berichtet am 6. August über einen aktuellen Aufruf unter dem Titel „Berliner Schuldenbremse darf nicht zur Investitionsbremse werden“, der von Dierk Hierschel (Ver.di-Bereichsleiter Wirtschaftspolitik), Jan Priewe (Hans-Böckler-Stiftung), Sabine Reiner (Ver.di-Ressortkoordinatorin), Thomas Sauer (Hochschule Jena), Axel Troost (Rosa-Luxemburg-Stiftung) und Harald Wolf (Die Linke) unterschrieben worden sei und sich speziell gegen die schärfere freiwillige Regelung der Berliner R2G-Koalition zur Schuldenbremse wendet, die auch die landeseigenen Unternehmen einbezieht. Am 15. August steht der Gesetzentwurf zur Berliner Schuldenbremse auf der Tagesordnung im Abgeordnetenhaus und wird dann im Hauptausschuss beraten, der eine Beschlussempfehlung an das Parlament geben wird.
Zu Privatisierung und ÖPP (öffentlich-privaten Partnerschaften) bundesweit wurde unter anderem berichtet:
InFranken.de/22. Juli. Der Ausbau der A3 ist ins Stocken geraten. Er soll zwischen Biebelried und Fürth/Erlangen von einem privaten Betreiber im Zuge eines ÖPP-Projektes (öffentlich-private Partnerschaft) erfolgen, mit 76 Kilometern eines der größten ÖPP-Projekte in Deutschland. InFranken.de berichtet: „Hier zeige sich, dass ÖPP-Projekte keine Allheilmittel seien und zitiert Landrat Alexander Tritthart (CSU): ‚Gott sei Dank haben wir uns beim Bau des Landratsamtes nicht darauf eingelassen.‘“ Unterstützung bekam Tritthart von Manfred Bachmayer (Grüne), den das Portal wie folgt zitiert: „Wenn sich nichts tut, muss man fragen, ob ÖPP-Projekte noch Sinn machen.“
Rechtslupe.de/9. August. Rechtslupe.de nimmt sich eines interessanten Themas im Zusammenhang mit ÖPP an: „Öffentlich Private Partnerschaft – und die Grunderwerbsteuerbefreiung“. Es zeigt sich an einem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. April 2019 – II R 16/17, dass diese Frage wesentlich von den Feinheiten der Vertragsgestaltung abhängt. Im Falle der Schulbauprivatisierung in Berlin hatte GiB davor gewarnt, dass die Grunderwerbsteuer infolge der gewählten ÖPP-Konstruktion das Vorhaben für die Bezirke verteuern könnte.
Zur Schulbauprivatisierung erschienen in den letzten Wochen zahlreiche Artikel, u.a.:
Zum Schuljahresbeginn 2019/20 in Berlin schmückte sich die Berliner Schulsenatorin mit der Einweihung der ersten Schnellbauschule im Rahmen der sogenannten Berliner Schulbauoffensive. Dabei reichen die Planungen für die neue Oberschule in Berlin-Mahlsdorf weit länger zurück. Dass die Schule gebaut wurde ist dem Kampf der Mahlsdorfer Eltern zu verdanken, die unterstützt wurden durch den CDU-Abgeordneten Mario Czaja. Viele Zeitungen berichteten von der Eröffnung und brachten gleichzeitig Zahlen zu einem in den nächsten Jahren drohenden eklatanten Schulplatzmangel. Die Berliner Morgenpost schrieb am 5.8.2019: „Zahlreiche Grundstücke und Schulbau-Vorhaben, die die die Beamten noch 2017 als ‚planerisch gesichert‘ dargestellt hatten, haben in der neuesten Auflistung diesen Status eingebüßt, weil Grundstücke eben doch nicht zur Verfügung standen oder sich Verfahren verzögert haben: „In Berlin fehlen in zwei Jahren 26.000 Schulplätze“. Neben der ISS Mahlsdorf wurde in Lichtenberg eine neue Grundschule eingeweiht. Weitere Meldungen waren unter anderem
Berliner Zeitung, 10.8.2019: „Bildungssenatorin über temporäre Lösungen „Schulbau bleibt ein Wettlauf mit der Zeit“
Berliner Zeitung, 5.8.2019: „Alle Bezirke betroffen. In Berlin fehlen rund 24.000 Schulplätze“
rbb24, 5.8.2019: „Prognose der Bildungsverwaltung Berlin fehlen in zwei Jahren rund 25.000 Schulplätze“
Ärger mit der Zahlenbasis für die BSO gab es schon im Mai: „Senat legt Neufassung des Schulbaufahrplans vor (Maßnahmen- und Finanzcontrolling)“ war eine Senatspressemitteilung vom 21. Mai 2019 überschrieben. Leider war der aktualisierte Schulbaufahrplan online nicht zu finden. Die Berliner Morgenpost berichtete am 5. August, dass die MitarbeiterInnen der Bildungssenatorin den Bericht derzeit erneut aktualisieren und er Ende Oktober vorliegen solle.
Am 19. Mai schlug Jens Anker in der Berliner Morgenpost Alarm: „Das Schulbauprogramm für Berlin kommt nicht in Gang“. Laut Bericht der Taskforce Schulbau riefen die Bezirke im vergangenen Jahr nur die Hälfte der von der Bildungsverwaltung für Schulneubau bereitgestellten Gelder ab – nämlich nur 54,5 der 106 Millionen Euro.