Von Carl Waßmuth / GiB
1994 wurde die Bahn formell privatisiert. Danach sollte die neu gegründete Aktiengesellschaft wirtschaftlicher Züge fahren und das Schienennetz betreiben, als das zuvor Reichsbahn und Bundesbahn getan hatten. Tatsächlich etablierte die DB AG aber sehr eigenwillige Investitions-Mechanismen und auch seltsame technische Auffassungen. Eine dieser Kuriositäten ist die Bauweise „Feste Fahrbahn“. Die DB AG hält an dieser Bauweise fest, obwohl sie teuer ist, störanfällig und sowohl Schienenunterbau als auch die auf den Schienen verkehrenden Wagen schneller verschleißen. Wie kann es dazu kommen?
Sperrungen am laufenden Band
Die sogenannte Feste Fahrbahn zeichnet sich aus durch einen Schienenunterbau aus Beton oder Asphalt, der entweder durchgängig ist oder aus Platten zusammengesetzt wird, Schwellen und Schotter entfallen. Mit dieser Bauweise wird seit Jahrzehnten experimentiert, in Deutschland und anderswo. Allerdings sind im Ausland Strecken in der Bauweise „Feste Fahrbahn“ stets nur wenige Kilometer lang und beschränken sich auf den Versuchsstatus oder auf kurze Abschnitte in Tunneln. Die DB AG hingegen hat die Bauweise zur Regel erhoben und inzwischen viele hundert Kilometer Bahnstrecke mit Fester Fahrbahn ausgestattet. Die Feste Fahrbahn soll günstiger in der Wartung sein und mehr Fahrkomfort für die Passagiere bieten. Tatsächlich hat diese Bauweise in der jüngeren Vergangenheit dazu geführt, dass neu gebaute oder frisch sanierte ICE-Streckenabschnitte wie Köln-Frankfurt oder Hamburg-Berlin nach nur wenigen Jahren schon wieder teuer grundsaniert werden mussten – bei gleichzeitiger Vollsperrung der Strecken. Vollmundige Prophezeiungen von 50 – 60 Jahren Lebensdauer haben sich nicht bewahrheitet [1]. Die nächste Sanierung und Sperrung einer Festen Fahrbahn steht in Berlin an: Hier wurde diese Bauweise angeblich wegen des Schallschutzes eingeführt, 2015 muss nach nur neun Jahren die Stadtbahn zwischen Hauptbahnhof und Friedrichstrasse, quasi die Ost-West-Hauptschlagader Berlins für Monate teilweise gesperrt werden, von den Bauarbeiten betroffen sein wird auch die parallel verlaufende S-Bahn.
Wagen: Schnell kaputt. Fahrbahn: Schnell kaputt. Untergrund: kann ausgespült werden
Nach dem Achsbruch eines ICEs auf der Strecke Frankfurt-Köln im Jahre 2008 haben die Bahnexperten Happe, Grubisic und Fischer in unterschiedlichen Beiträgen darauf hingewiesen, dass die deutlich steifere feste Fahrbahn die darauf verkehrenden Züge stärker belastet und schneller verschleißt, bzw. dass die Bahn die tatsächlichen Belastungen insbesondere der Radsätze unterschätzt [2]. Vergangenes Jahr zeigte sich, dass die Feste Fahrbahn auch eine Achillesferse hinsichtlich Auswaschungen des Untergrunds ist. Die Schnellstrecke Berlin-Stendal-Hannover war wegen des Hochwassers fünf Monate gesperrt, ein Viertel aller Bahnreisenden in Deutschland waren von der Sperrung betroffen. Bei Wikipedia heisst es: „Da eine Anpassung der Gleislage nach Einrichtung der Festen Fahrbahn nur noch im Rahmen der Korrekturmöglichkeiten des Schienenbefestigungssystems (wenige cm nach oben bzw. unten) möglich ist, bestehen besonders hohe Anforderungen an die dauernde Stabilität des Untergrundes“ [3]. Nun ist nach dem Hochwasser 2013 der Fall eingetreten, dass die Stabilität des Untergrundes in Frage stand. Die Zeitung ‚Tagesspiegel‘ beschreibt das Problem so: „Unklar ist aber, ob das Wasser die Platten unterspült hat – dann würden sie nachgeben, wenn ein tonnenschwerer ICE darüber rollt. Um den Untergrund zu erkunden, müssen die Bahn-Leute mit einer Art Ultraschall anrücken und die Dichte des Erdreiches prüfen.“ [4] So etwas dauert. Bei Schotter könnte man in wenigen Tagen alles nachstopfen. Bei der vorliegenden Veränderung im Untergrund unter der festen Fahrbahn musste einer der wichtigsten Streckenabschnitte in Deutschland für Monate gesperrt werden. Man möge sich vorstellen, die Autobahn A1 würde fünf Monate komplett gesperrt oder die Flugverbindung Berlin-Stuttgart fünf Monate gestrichen: Welch ein Aufschrei wäre wohl da die Folge?
Haben die Ingenieure versagt?
„Ich bin erschüttert über die Qualität deutscher Wertarbeit“ [5] kommentiert Igeb-Sprecher Jens Wieseke die Sperrung der Festen Fahrbahn nach dem Hochwasser. Aber schuld hat vermutlich nicht die Technik, sondern Kaputtsparer, die billige Technik bestellen: Gespart werden sollte und wurde am Personal. Sogenannte „Schotter-Stopfer“, die man bei der Festen Fahrbahn nicht mehr benötigt, wurden im Zuge der Umstellung der Regelbauweise entlassen bzw. ihre Stellen abgebaut. Denn auch wenn heute das Schotterstopfen schon stark automatisiert abläuft, ist es doch immer noch personalaufwendiger als die Wartung der Festen Fahrbahn – allerdings nur, bis dort die nächste Grundsanierung kommt. Der Bundesrechnungshof (BRH) hat in Sachen Feste Fahrbahn schon 1994 Stellung bezogen [6]. Der BRH vertrat die Auffassung, dass die Feste Fahrbahn deutlich teurer ist als Schotteroberbau, höhere Kapitalkosten werden bei weitem nicht durch günstigere Instandhaltungskosten ausgeglichen. Interessanterweise vertritt der BRH im gleichen Bericht auch die Auffassung, dass das zuständige Ministerium weisungsbefugt ist gegenüber der DB AG, ja dass der Bund sowohl als Anteilseigner der DB AG als auch als Zuwendungsgeber dazu verpflichtet ist, darauf zu achten, dass der Oberbau in der insgesamt für den Bund wirtschaftlicheren Ausführung gebaut wird.
Die Kosten tragen die Steuerzahlenden
Die Feststellungen des Bundesrechnungshofs haben das grundlegende Anreizsystem für die DB AG nicht kippen können. Seit 20 Jahren ist es bei der DB AG so geblieben: Die Klein-Klein-Arbeit der Wartung muss die DB AG selbst bezahlen, und deswegen macht sie es nur in geringem Umfang oder manchmal auch lange gar nicht. Große Maßnahmen bekommt die DB AG hingegen vom Bund bezahlt. Also lässt sie es zielsicher auf große Schäden ankommen. Auch im Fall der Sperrung nachdem Hochwasser 2013 war es so, dass die Kosten der Sanierung der Bund mit Mitteln aus seinem Fluthilfefonds getragen hat. Die DB AG hat vorausschauend 2007 ihre Versicherung gegen Hochwasserschäden gekündigt und von da an 23 Mio. Euro im Jahr gespart. Ökonomen nennen das „auf Fehlanreize reagieren“. Dabei geht noch nicht einmal die verquere Rechnung der Kaputtsparer auf: Den erhöhten Verschleiß und die höheren Wartungs- und Kontrollkosten für das rollende Material hat nämlich noch niemand eingerechnet. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der DB AG vorne und hinten die Wagen fehlen, auch weil sie die Radsatzwellen ihrer häufig prüfen muss. Dazu gesellt sich der Verlust im Betrieb: Monatelange Vollsperrungen sind im Krisenmanagement sehr teuer und verursachen enorme Einnahmeausfälle. Vor allem aber macht das Ganze das System Schiene für Reisende immer unattraktiver. Die Auto- und Flugzeugmanager in Aufsichtsrat und Vorstand der DB AG wird’s freuen, aber die Bahn verliert im Verkehrsmarkt Anteile und verliert so am Ende auch viel Geld. Die Fortführung der festen Fahrbahn als Regelbauweise bei der DB AG ist ein gravierender Missstand, der aus fehlender demokratischer Kontrolle des formell privatisierten Staatskonzerns herrührt. Und der schnellstmöglich abgestellt gehört.
Fußnoten:
[1] „Die Lebensdauer einer Festen Fahrbahn wird mit mindestens 50 – 60 Jahren veranschlagt“, http://gleisbau-welt.de/site/gleisbau/feste_fahrbahn.htm
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Feste_Fahrbahn
[6] Einbau der Festen Fahrbahn als Alternative zum Schotteroberbau, Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1994 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/12/084/1208490.pdf