Von Carl Waßmuth
Am 14. Oktober haben sich die Regierungschefs von Bund und Ländern auf einen Kompromiss zum Bund-Länder-Finanzausgleich geeinigt. Bestandteil der Vereinbarung ist, dass die Länder dem Bund gestatten, für die künftige Verwaltung der Autobahnen eine privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft Verkehr einzusetzen und dafür das Grundgesetz zu ändern. Details wurden nicht festgelegt. Der Privatisierungscharakter wird heruntergespielt. Vorausgegangen war die Zurückhaltung von nahezu allen wesentlichen Informationen zum Vorhaben. Nachfolgend die Aufforderung zu einer breiten öffentlichen Diskussion über das Vorhaben und seine Folgen. Beitrag als pdf-datei: hier.
(1) Vier Privatisierungsebenen
Der Beschluss vom 14. Oktober hat gerade einmal 86 Wörter[1], auf jedem Joghurtbecher steht mehr. Nichtsdestotrotz geht es um ein gewaltiges Vorhaben: Der Anlagenwert der Autobahnen beträgt allein ca. 180 Mrd. Euro. Dazu kommen die Bundesstraßen mit geschätzten weiteren 250 Mrd. Euro. Die Ausgaben des Bundes für die Bundesfernstraßen lagen 2013 bei 7,6 Mrd. Euro jährlich. Notwendig für die Substanzerhaltung und den Abbau des aufgelaufenen Investitionsstaus wären wenigstens fünfzehn Jahre lang 14 Mrd. Euro, in diesem Zeitraum also über 200 Mrd. Euro. Diese gewaltigen Summen, die zugehörigen Arbeitsplätze, Pensionsverpflichtungen, Anlagen und Vermögenswerte sollen nun in eine privatrechtliche Gesellschaft verschoben werden. Es wäre eine gewaltige Privatisierung. Dabei wird teilweise noch immer geleugnet, dass es sich um eine Form von Privatisierung handeln würde. So schrieb Sigmar Gabriel am Abend der Einigung an die SPD-Mitglieder: „Wir konnten durchsetzen, dass die Privatisierung von Autobahnen und Bundesstraßen ausgeschlossen wird.“ Die Aussage legt nahe, dass damit jegliche Privatisierung verhindert wird. Tatsächlich ermöglicht das Projekt auf vier Stufen unterschiedliche Privatisierungsformen:
- durch den Wechsel von einer Länderverwaltung zu einer privatrechtlichen Gesellschaft, die dann nicht mehr den Parlamenten untersteht, die mittelfristig die Beschäftigung im öffentlichen Dienst ersetzt durch schlechtere privatrechtliche Arbeitsverhältnisse und die Auskunftsanfragen künftig mit Hinweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse abweisen kann.
- durch die dann einfach mögliche Festlegung auf öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) als Standard, die eine Zentralisierung der Autobahnen und gegebenenfalls Bundesstraßen innerhalb einer Infrastrukturgesellschaft erlaubt. ÖPP erweist sich regelmäßig als teure Beschaffungsvariante. Die auf diese Art und Weise auflaufenden höheren Kosten[2] müssten entweder durch Einsparungen bei Personal und Material kompensiert oder durch Steuern und/oder (Maut-)Gebühren ausgeglichen werden.
- durch die Aufnahme von Fremdkapital, wobei entweder zukünftige Steuereinnahmen als Sicherheit dienen (Staatsgarantie) oder direkt oder indirekt die Autobahnen beliehen werden. Auch hier entstehen Mehrkosten gegenüber klassischen Staatsanleihen, ohne dass die gleichzeitigen Risiken (z.B. für die als Sicherheiten hinterlegten Autobahnen) in irgendeiner Art und Weise reduziert würden.
- durch die später jederzeit einfach mögliche Teil- oder Vollprivatisierung der privatrechtlichen Gesellschaft oder teilen / Tochtergesellschaften der Gesellschaft
Die Gefahr der Privatisierung auf den vier verschiedenen Stufen soll teilweise durch verschiedene Schadenbegrenzungsmaßnahmen eingehegt werden. Nachfolgend eine tabellarische Übersicht:
Privatisierungsstufe | Schadenbegrenzungsmaßnahme | Bewertung |
Teil- oder Vollprivatisierung der Fernstraßen und / oder Infrastruktur-gesellschaft | Unveräußerbarkeit der Fernstraßen und der Infrastrukturgesellschaft Verkehr im Grundgesetz | Die Unveräußerbarkeit der Fernstraßen und der zugehörigen Verwaltung im Grundgesetz ist derzeit bereits gegeben. Das nicht aufzugeben sollte Konsens sein und für alle großen Parteien gelten. Neue Regeln wären dennoch vermutlich schwächer und bergen das Risiko von folgenschweren Lücken, die z.B. durch spätere Regierungen einfachgesetzlich ausgenutzt werden könnten. |
Wechsel ins Privatrecht: Steuerung und Kontrolle | Keine AG, stattdessen weisungsgebundene GmbH |
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Wechsel ins Privatrecht: Tarifkonditionen | Alle Beschäftigten bleiben im öffentlichen Dienst und werden auch in Zukunft am gleichen Ort arbeiten wie bislang |
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Aufnahme von Fremdkapital | Offizielle Staatsgarantie zur Begrenzung der Kapitalkosten |
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Entscheidend ist bei alldem: Gegen die Festlegung auf ÖPP als Standard gibt es derzeit keine wirksame Schadensbegrenzungsmaßnahme. Ist die „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ erst einmal im Privatrecht gegründet, kann das Management selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang es ÖPP einsetzt. Auf dem Wege über ÖPP („Einzelprojektfinanzierung über die Finanzmärkte“) kann nahezu das gesamte Finanzvolumen der Infrastrukturgesellschaft Verkehr auf diesem Wege privatisiert werden. Besonders gravierend dabei ist die übliche Festlegung von ÖPP-Projekten auf 30 Jahre. Der Jahresumsatz im Fernstraßenbau- und betrieb von 10 bis 14 Mrd. Euro pro Jahr würde sich so in Kürze hochaddieren auf 300 Mrd. Euro und mehr. Allein die Privatisierungsstufe „ÖPP als Standard“ hätte demnach das Volumen eines ganzen Bundeshaushalts.
(2) Völlige Intransparenz
Es ist kaum vorstellbar, wie es gelingen konnte, ein so gewaltiges Vorhaben wie die mittelbare oder sogar direkte Privatisierung von bis zu 300 Milliarden Euro im politischen Raum zu platzieren, ohne nennenswerte Informationen dazu bereitzustellen, was genau geplant ist, welche Änderungen kommen und wie die Interessen von negativ Betroffenen integriert werden sollen. Aber die Bundesregierung wehrte zwei Jahre lang alle thematisch zugehörigen Anfragen erfolgreich ab. Das gilt sogar für die Entwürfe zur Grundgesetzänderung: Im April 2016 gab die Bundesregierung bekannt, der Entwurf wäre fertig. Der zugehörige Änderungsentwurf blieb jedoch Verschlusssache. Ein Whistleblower spielte im Juni 2016 Gemeingut in BürgerInnenhand den Entwurf zu – er ist auf der GiB-Website dokumentiert. Doch die Bundesregierung weigert sich weiter, einen Grundgesetz-Änderungsentwurf zur Verfügung zu stellen. Hinsichtlich des geleakten Textes wiegelte man in einer internen Sitzung ab, es handele sich um eine frühere Version, nicht um den aktuellen Bearbeitungsstand der Bundesregierung. Noch am 11.10.2016 – drei Tage vor der Sitzung der Bundesregierung mit den MinisterpräsidentInnen – antwortete die Bundesregierung, dass es keinen zwischen den Ministerien abgestimmten Entwurf gäbe. Dann einigte man sich plötzlich, den Artikel 90 GG zu ändern. Eine Woche vor dem Beschluss hatten die Bundesländer nach Aussage von Bayern keine Anfrage der Bundesregierung zu den zentralen Daten der Auftragsverwaltung erhalten (Anzahl der Stellen, Höhe der Gehälter und Pensionen). Umgekehrt lagen auch den Ländern bis zuletzt keine konkreten Vorschläge des Bundes vor. Ob das sogar für die Sitzung am 14.10 selbst galt, ist Gegenstand einer kleinen Anfrage der Linken, Sachsen-Anhalt. In jedem Fall war eine öffentliche Diskussion der Vorschläge aufgrund dieser Informationspolitik völlig unmöglich.
(3) Es fehlt: Problembeschreibung, Analyse, Begründung der Lösung
Die Bundesregierung will das Grundgesetz ändern, also in einen breiten gesellschaftlichen Konsens eingreifen. Es kann dabei erwartet werden, dass das zugrundeliegende Problem geschildert wird, dann analysiert und dass erst dann ein Lösungsvorschlag zur Diskussion gestellt wird. Im Falle der vorgeschlagenen Autobahnprivatisierung wurde das alles „eingespart“. Es fehlt die Problemschilderung, die Analyse und auch jegliche Begründung, warum genau die vorgeschlagene Lösung die Probleme löst (ohne andere, größere Probleme zu schaffen). Insbesondere soll die Infrastrukturgesellschaft Verkehr privatrechtlich organisiert werden. Diese zentrale Bedingung wurde und wird bisher nicht begründet. Aber auch andere angenommene Vorteile werden von der Bundesregierung kommentarlos vorausgesetzt.
Diskussion des „Ob“ vor Umsetzungsverhandlungen zum „Wie“
Trotz der schwachen Informationslage und der nahezu fehlenden Begründung für das von der Bundesregierung vorgeschlagene Vorgehen gibt es erste Ansätze einer inhaltlichen Diskussion. So stellen zum Beispiel sowohl die Regierung von Thüringen[3] als auch die SPD-Fraktion im Bundestag[4] das Postulat „Privatrecht“ zu Recht in Frage und fordern ein, auch eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) als Rechtsform zu prüfen.
Niedersachsen stellt in einer Protokollnotiz zum Beschluss vom 14.10.2016 das ganze Vorhaben in Frage:
„Aus Sicht Niedersachsens ist eine grundlegende Neuordnung der Aufgaben beim Bundesfernstraßenbau nicht geboten. Wesentliche Verbesserungen durch die unmittelbare Bundesausführung sind nicht ersichtlich. Umgekehrt sind neben erheblichen Übergangsproblemen dauerhaft Doppelstrukturen mit weiter bestehenden Verwaltungsaufgaben in Zuständigkeit der Länder zu befürchten.“
Schnellere Planungsreife ist fraglich
Offizielle Argumente der Bundesregierung liegen wie oben dargestellt bisher nicht vor. In Äußerungen gegenüber der Presse seitens einzelner Minister und auch von interessierten Lobbyverbänden wurde eine schnellere Planungsreife von Projekten als zentrales Motiv angegeben. Auch wurde der Wunsch nach einer Vereinheitlichung geäußert. Ob tatsächlich zu langsam geplant wird und wenn ja warum, wurde nicht untersucht. Zu einer Analyse des Status Quo der Planung im Bereich des Fernstraßenbaus gehört jedoch in jedem Fall die derzeitige erhebliche Unterfinanzierung: Statt 15 bis 20 Prozent der Baukosten erhalten die Länder nur drei Prozent für die Planung erstattet. Auch ist noch nicht belegt, dass eine schnellere Planung im Sinne des Gemeinwesens die bessere Planung ist. Beim ÖPP-Projekt Elbphilharmonie in Hamburg wurde nach schneller (tatsächlich auch: unfertiger) Planung ausgeschrieben. Die Bauzeit hat sich in der Folge erheblich verlängert, die Kosten verzehnfacht.
Mehr Effizienz ist fraglich
An andere Stelle wird angenommen, mit Zentralisierung käme es zu einer Effizienzsteigerung. So begrüßt der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie den Beschluss vom 14.10.2016 mit den Worten:
„Erstmals läge die Verantwortung für Planung, Bau, Finanzierung und Betrieb in einer Hand. Das bedeutet weniger Streitigkeiten zwischen den staatlichen Ebenen, mehr Effizienz, Schnellere Planungsreife […].“[5]
Ähnliches vermutet Prof. Dr. Alexander Eisenkopf in einem Gutachten für den ACE-Club:
„Durch aktives Finanzmanagement dieser Gesellschaft können die Investitions- und Finanzierungsprozesse verstetigt und damit vom öffentlichen Haushalt wirksam abgekoppelt werden. Hierdurch erwächst die Möglichkeit, Projekte zügig und unter rein wirtschaftlichen Kriterien umzusetzen und dadurch erhebliche Effizienzgewinne zu realisieren, die heute vor allem mit privat finanzierten Projekten assoziiert werden.“[6]
Fairerweise stellt Prof. Eisenkopf dabei auch dar, was die Voraussetzung für so eine Effizienzsteigerung wäre: die wirksam Abkopplung vom öffentlichen Haushalt. Eine solche Abkopplung für ein wichtiges Netz der öffentlichen Daseinsvorsorge ist aber in einer Demokratie fraglos unerwünscht. Davon unabhängig werden die angenommenen Effizienzgewinne auch von Eisenkopf nicht belegt, sie bleiben reine betriebswirtschaftlich motivierte Hoffnung. Die Erfahrungen mit privatisierten Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge in den letzten Jahrzehnten sind ganz anderer Natur.
Bessere Berücksichtigung von Lebenszykluskosten ist fraglich
Effizienzvorteile im Substanzerhalt mit einer ganzheitlichen Berücksichtigung der Lebenszykluskosten sind nur möglich, wenn die Fernstraßen der künftigen Infrastrukturgesellschaft Verkehr übertragen und dort auch kaufmännisch erfasst wird. Die kaufmännische Erfassung ist bei solchen vormals staatlichen Infrastrukturgesellschaften keine Selbstverständlichkeit. Im Falle der DB wurde die Infrastruktur zwar übertragen, aber nicht kaufmännisch erfasst wurde. Das ganze Schienennetz sowie viele Gebäude und Grundstücke im Gesamtwert von geschätzt 100 bis 200 Milliarden Euro hat der Bund der DB AG zum Buchwert von Null Euro übertragen. Da damit auch keine Rückstellungen für Ersatz und Erhalt gebildet werden müssen, besteht genau kein Anreiz, die Lebenszykluskosten bzw. die Vollkosten zu berücksichtigen.
Wird die Infrastruktur der Fernstraßen vom restlichen Straßennetz abgetrennt und z.B. in direktem Bundesbesitz belassen, besteht kein Grund für eine Betreibergesellschaft, sich den Kopf über die Lebensdauer und den langfristigen Zustand der Infrastruktur zu zerbrechen. Instand gehalten wird, was bezahlt wird. Ob dabei die Infrastruktur leidet oder davon profitiert, ist für den Gewinn der Betreibergesellschaft gleichgültig. Für sie ist entscheidend, ob die eigentliche Leistung (z.B. der Erhaltungsmaßnahmen) ausreichend vergütet wird.
Einzig die vollständige Übertragung der Infrastruktur an die Infrastrukturgesellschaft Verkehr und die dortige kaufmännische Erfassung der Infrastruktur inklusive aller Abschreibungen wäre zumindest in der Theorie imstande, Lebenszykluskosten zu optimieren. Das Gleiche könnte aber auch durch die Einführung der erweiterten Kameralistik oder der Doppik im derzeitigen Haushalt erreicht werden.
(4) Zahlreiche Folgen
Der Privatisierungscharakter des Projekts ist fraglos der größte und folgenschwerste Teil des Vorhabens. Die Einrichtung der Infrastrukturgesellschaft Verkehr wird jedoch auch zahlreiche weitere Folgen zeitigen, die nicht unmittelbar mit Privatisierung zusammenhängen, über die die Diskussion aber erst jetzt beginnt. Von dem Projekt sind breite Kreise der Gesellschaft betroffen. Autofahrende, Bahnreisende, Beschäftigte in Verwaltung und im Bau, das (mittelständische) Baugewerbe, Umweltorganisationen, Architekten- und Ingenieurkammern sowie alle, die von Steuergeldverschwendung betroffen sind: Sie alle werden nun die Details abfragen und beginnen, die Folgen für sich auszumalen. Und diese Folgen werden ganz überwiegend negativ sein. Nachfolgend eine (unvollständige) Auflistung.
Qualitätsverlust gefährdet Infrastruktur: Flüchtig planen, schlecht bezahlen, billig bauen
Die neue Gesellschaft soll per Definition effizienter werden als der derzeitige Zustand der Auftragsverwaltungen. Das wird einen Druck hin zu Einsparungen auslösen. Solche Einsparungen können kurzfristig realisiert werden, indem weniger Personal in der Gesellschaft selbst beschäftigt und indem neu eingestelltes Personal schlechter bezahlt wird. Eingespart werden kann in geringerem Maße auch beim Material, z.B. über Großeinkäufe und über die Festlegung auf ein beschränktes Spektrum an Materialien. Und eingespart werden kann durch gebündelte Vergaben: Millionenaufträge an Großkonzerne statt Bauen mit dem lokalen Mittelstand. Keine der Maßnahmen ist vermutlich dazu angetan, langfristig Kosten einzusparen. Weniger Personal in der Planung bedeutet zumeist mehr Probleme bei der Bauausführung. Weniger Bezahlung anzubieten in einem Markt, in dem die öffentliche Hand schon heute kaum noch gute IngenieurInnen und FacharbeiterInnen findet, wird sich auch auf die Qualität auswirken. Billigeres und nicht den lokalen Gegebenheiten angepasstes Material führt zu schnellerer Abnutzung mit zahlreichen Folgekosten. Und sind der Mittelstand und lokale Baustofflieferanten erst einmal in die Insolvenz gespart, ziehen die Großkonzerne auch wieder die Preise an.
Woher soll eigentlich das Knowhow kommen, das die neue Infrastrukturgesellschaft Verkehr benötigt, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden? Die derzeitig schon privatrechtlichen Gesellschaften des Bundes können hier wenig helfen. Die Verkehrsinfrastruktur¬gesellschaft (VIFG) hat gerade einmal 20 Beschäftigte. Auch die privatrechtliche Projektmanagementgesellschaft „Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH“ (DEGES) kommt auf nur 278 Beschäftigte. In der Straßenbauverwaltung sind aktuell aber 30.000 Menschen beschäftigt. Mit der Trennung in die Bereiche „Autobahnen“ und „alle anderen Straßen“ wird viel Wissen künftig in zwei unterschiedlichen Organisationssystemen gleichzeitig benötigt. Es ist bekannt, dass sich Spezialkenntnisse nur in jahrelanger verantwortlicher Tätigkeit aufbauen lassen. Mit der Gründung der Infrastrukturgesellschaft Verkehr lässt sich das nicht per Tastendruck durch „Kopieren und Einfügen“ übertragen. Folglich wird einzelnen Bereichen Wissen verloren gehen, das mittelbar auch die Qualität des Betriebs und die Pflege der Infrastruktur negativ beeinflussen wird.
Ins Chaos zentralisieren?
Im Betriebsdienst von Fernstraßen sind zahlreiche Aufgaben per se dezentral: der Winterdienst in Konstanz kann nicht von Berlin aus organisiert werden, auch nicht der Grünschnitt oder Sperrungen und Reparaturen nach Unfällen. Die zentrale Gesellschaft wird also nicht umhinkommen, in erheblichem Umfang dezentrale Strukturen zu bilden oder aus den bisherigen Strukturen abzuleiten. Eine eins-zu-eins-Übernahme ist allerdings nicht möglich, denn in vielen Bundesländern wird das Straßennetz (sinnvollerweise) insgesamt betrieben, d.h. Kreis- und Landstraßen über den Betriebsdienst erfasst. Das muss nun auseinandergerissen werden. Viele Straßenmeistereien werden nun für die Auslastung von Personal und Fuhrpark ein größeres Gebiet betreiben müssen, gleichzeitig fahren die Räumfahrzeuge der zentralen Infrastrukturgesellschaft Verkehr im gleichen Gebiet. Auch die Planung von Anschlussstellen, Auffahrten oder der Ableitung von durch Autobahnausbau zusätzlich generiertem Verkehr ins lokale Netz erfordert eine genaue Kenntnis lokaler Gegebenheiten. Andernfalls kommt man auf die neue Autobahn nicht rauf oder es kommt sehr viel Verkehr herunter, der dann die Gemeinden mit ihren Wohngebieten verstopft. Es entsteht also die absurde Situation, dass die Verkehrsschlagadern zunächst zentralisiert und organisatorisch vom restlichen System getrennt werden, um dann doch wieder ein dezentrales Organisationsmodell aufzubauen, das dann teilweise parallel, teilweise mit zahlreichen neuen oder neu zu definierenden Schnittstellen zu den regionalen Strukturen ausgestattet werden muss.
Sowohl die Deutsche Bahn AG mit ihren zeitweise 950 Tochtergesellschaften als auch der gescheiterte Versuch der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zeigen auf, dass sich Verkehrsinfrastrukturbehörden nicht am Reißbrett entwerfen lassen, ohne dass es dann bei der Umsetzung zu erheblichen Fehlentwicklungen, Konflikten und Kosten kommt. Vor einer neuen Mammutbehörde warnt auch Alexander Eisenkopf.[7] Die Verkehrssicherheit auf den Autobahnen muss an jedem einzelnen Tag gewährleistet sein – auch an jedem Tag einer schwierigen, zehn Jahre andauernden Übergangsphase. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr ist zivilrechtlich ein Straftatbestand. Ein Infrastrukturbetreiber trägt eine gewaltige Verantwortung für Leib und Leben der VerkehrsteilnehmerInnen. Im Falle des Übergangs der Autobahnverwaltung in das Privatrecht muss der öffentliche Auftrag über eigens zu setzende Anreizsysteme neu installiert werden. Ob solche Anreizsysteme überhaupt je zum (gemeinwohlorientierten) Funktionieren gebracht werden können, muss als fraglich angesehen werden. Die Verkehrsminister der Länder hatten das bereits im Februar des Jahres im Rahmen der Bodewig-II-Kommission sehr kritisch bewertet und in jedem Fall einen Übergangszeitraum von bis zu zehn Jahren prognostiziert. Das wären zehn Jahre, in denen mit den Autobahnen – ja was passiert?
Beschäftigte
Bereits unter dem Punkt „Qualität“ wurde angesprochen, dass die Beschäftigten verschärft um Arbeitsbedingungen und Stellen bangen müssen. Man könnte auch sagen: tausende Beschäftigte erwartet ein Höllenritt. Als die Berliner Wasserbetriebe 1999 teilprivatisiert wurden, entfielen in den folgenden zehn Jahren 30 Prozent der Stellen. Die Post vernichtete nach der Privatisierung über die Hälfte aller Stellen, bei den Wettbewerbern entstanden wesentlich weniger Arbeitsplätze, als Post AG und Telekom AG abgebaut hatten. Unterm Strich betrug die Reduktion 38 Prozent. Die DB AG reduzierte nach der formellen Privatisierung ihr Personal im Inland sogar um 55 Prozent. Es drohen Versetzungen, es droht der Wegfall der Arbeitsbereiche, es droht Arbeitsverdichtung. Auch die „Zentralisierung ins Chaos“, die oben als Möglichkeit skizziert wurde, würde die MitarbeiterInnen erheblich belasten, bis hin zu gesundheitlichen Folgen.
Umweltfolgen
Ob und wie in einer künftigen Infrastrukturgesellschaft Verkehr gemeinwohlorientierte Anreizsysteme installiert werden können, ist noch völlig offen. Ein zentraler gemeinwohlschädlicher Anreiz wird aber aller Voraussicht nach wirksam werden: Durch die Gebühreneinnahmen über Lkw-Maut und später die Pkw-Maut hat die neue Infrastrukturgesellschaft eine Interesse an mehr Straßenverkehr, da der die Einnahmen vergrößert. Es wird deutlich, dass der Name „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ täuscht: Hier geht es allein um Fernstraßen, höchstwahrscheinlich sogar ausschließlich um Autobahnen. Die Interessen des Schienenverkehrs, des ÖPNV, des Radverkehrs und der FußgängerInnen kommen im doppelten Sinn unter die Räder. Alle wollen weniger Straßenverkehr, selbst die CDU/CSU. Umgesetzt wird aber das Gegenteil: Der schädliche Straßenverkehr wird angeheizt, damit bei der neuen Infrastrukturgesellschaft die Maut-Kasse klingelt. Pariser Klimaziele werde damit unerreichbar, denn der wachsende Straßenverkehr frisst alle CO2-Einsparungen von Haushalten und Industrie wieder auf.
(5) Schwache Beschlüsse haben eine schwache Bindung
Der Beschluss vom 14.10.2016 ist denkbar dünn. So ist Rede ist von einer Grundgesetzänderung, aber nicht von welcher Änderung genau. Dieser Beschluss kann daher nur sehr geringe Bindungskraft haben. Die Informationspolitik der Bundesregierung wendet sich hier gegen ihre Interessen. Da so viele Details ungeklärt sind, haben alle sechzehn Länder ungezählte Möglichkeiten, zu erklären, dass sie diesem oder jenem Detail, das nun im Nachgang vorgelegt wird, nicht zugestimmt haben und auch nicht zustimmen werden. Ganz konkret erscheinen wenigstens die drei folgenden Szenarien nicht ganz unwahrscheinlich:
- Am 14.05.2017 ist Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Wenn dort z.B. die Beschäftigten so stark Druck machen, dass Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Abstand nimmt von dem Vorhaben, könnte das ganze Projekt scheitern.
- Im Juni 2017 ist SPD-Bundesparteitag. Das ist mitten im Wahlkampf, zudem soll dort der Kanzlerkandidat bestätigt werden. Sigmar Gabriel ist dabei immer noch im Rennen. Aber auch ohne Kandidatur hat er vermutlich ein Interesse an einer Fortführung seiner politischen Karriere, sei es als Minister oder als Parteivorsitzender. Eine Debatte, in der er sich gegen Vorwürfe verteidigen muss, die SPD auf Privatisierungskurs geführt zu haben, wird sich Gabriel nicht leisten wollen. Das könnte auch dazu führen, dass die Zustimmung der SPD-Fraktion im Bundestag zu einer Grundgesetzänderung nicht mehr sicher ist.
- 24 von 69 Stimmen im Bundesrat genügen, um die geplante Grundgesetzänderung zu verhindern. Da der Bundesrat als letzte Instanz dazu berät, wird das schon im Wahlkampf 2017 stattfinden. Nach Abschluss der Verhandlungen in Berlin wird die Linke bis dahin aller Voraussicht nach in drei Landesregierungen vertreten sein, die dann 12 Stimmen repräsentieren. Die Grünen werden sogar in elf Landesregierungen vertreten sein, die dann 47 Stimmen repräsentieren. Die CDU/CSU hingegen ist dann nur noch in sieben Bundesländern in der Regierung, ihr Einfluss ist auf Länderebene somit begrenzt. Es ergeben sich also zahlreiche Konstellationen, wie vier oder fünf Bundesländer die Grundgesetzänderung nur durch Stimmenthaltung durchfallen lassen könnten.
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Diskussion um die Autobahnprivatisierung erst beginnt. Der Versuch der Bundesregierung, durch eine Vorweg-Einigung mit den MinisterpräsidentInnen der Bundesländer Fakten zu schaffen, mag der dortigen Vorstellung von Demokratie entsprechen. Allgemein akzeptabel ist das jedoch keinesfalls. Wie aufgezeigt wurde, gibt es noch viele Stellen, an den das Vorhaben scheitern kann. Alle betroffenen gesellschaftlichen Gruppen, Verbände, Parteien, Fraktionen sowie der Bundestag, die Landtage und die Landesregierungen sind aufgerufen, sich jetzt intensiv in den Diskussionsprozess einzubringen und so wenn möglich einen fatalen Schnellschuss der großen Koalition zu verhindern.
[1] „Infrastrukturgesellschaft Verkehr: Reform der Bundesauftragsverwaltung mit Fokus auf Bundesautobahnen und Übernahme in die Bundesverwaltung (übrige Bundesfernstraßen opt out). Es soll eine unter staatlicher Regelung stehende privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft Verkehr eingesetzt und das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen im Grundgesetz festgeschrieben werden. Dazu entsprechende Ermächtigungen in Art. 90 GG. Eckpunkte für die Ausgestaltung sind festzulegen (u.a. Zeitplan, Regelungen in der Übergangsphase, Übergang von Personal-, Pensions- und Sachmitteln). Dabei sollen die Interessen der Beschäftigten hinsichtlich Status, Arbeitsplatz und Arbeitsort beachtet werden. Die Personalvertretungen werden eingebunden.“ https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2016/10/2016-10-14-beschluss-bund-laender.html
[2] So wurden vom Bundesrechnungshof 2014 für fünf Autobahn-ÖPP-Projekte mit einem Gesamtvolumen von 5,1 Milliarden Euro voraussichtliche Mehrkosten von 1,9 Milliarden Euro festgestellt. Das entspricht einem durchschnittlichen Kostennachteil von 38 Prozent, siehe Bundesrechnungshof, „Bericht an der Haushaltsausschuss des Bundestags über Öffentlich Private Partnerschaften im Bundesfernstraßenbau“, Juni 2014, www.gemeingut.org/wp-content/uploads/2014/06/2014-06-04_Bericht_BRH_zu_PPP_an_Haushaltsausschuss.pdf
[3] Protokollerklärung Thüringen zum Beschluss der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern am 14. Oktober 2016 in Berlin: „In der Ermächtigung des Art. 90 GG soll aus Sicht des Freistaats Thüringen geregelt werden, dass das unveräußerliche und vollständige Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen sowie an der Infrastrukturgesellschaft Verkehr festgeschrieben werden soll. Zudem sollte hinsichtlich der Rechtsform der Infrastrukturgesellschaft neben der privatrechtlichen Form auch die Rechtsform einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) geprüft werden.“ https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2016/10/2016-10-14-beschluss-bund-laender.html
[4] Kai Ihlefeld für den SPD-Parteivorstand am 26.10.2016: „Es liegen viele Vorschläge für die Errichtung einer Bundesfernstraßengesellschaft auf dem Tisch, die genauso wie die sich daraus ergebenden Probleme intensiv diskutiert werden müssen. In der SPD-Bundestagsfraktion gibt es beispielsweise schon länger den Vorschlag, eine staatliche Infrastrukturgesellschaft, eine Anstalt öffentlichen Rechts, einzurichten und keine privatrechtliche Gesellschaft.“
[5] Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V: „Bauindustrie zur Einigung über Bund-Länder-Finanzbeziehungen: Grundsatzbeschluss zur Gründung einer Infrastrukturgesellschaft für Bundesfernstraßen ist Durchbruch für mehr Effizienz und Transparenz“, Presseinformation vom 14.10.2016
[6] Prof. Dr. Alexander Eisenkopf: Eckpunktepapier zur Reform der Bundesfernstraßenverwaltung (Infrastrukturgesellschaft Verkehr) , erstellt im Auftrag des ACE Auto Club Europa e.V., 31. Oktober 2016
[7] Eisenkopf(2016): a.a.O.
Die Politik (und nicht nur die) ist den parasitären Finanzlobbyisten völlig auf den Leim gegangen. Die Privatisierung der staatlichen Altersvorsorge (privare = berauben) scheitert nun an der schnöden Niedrigzins-Realität (https://zinsfehler.com/2013/08/21/zinsmythen/). Das wussten unsere Finanzparasiten aber schon spätestens seit 2004: https://www.allianz.com/de/economic_research/publikationen/spezialthemen_fmo/news8.html/.
Nach dem Raub der Altersvorsorge nun also der Autobahnraub, damit das gescheiterte Geschäftsmodell der privaten Altersvorsorge über eine Grundgesetzänderung ad Infinitum prolongiert werden kann. Und unser Gabriel spielt auch noch den Steigbügelhalter. Wer hat uns verraten… http://norberthaering.de/de/27-german/news/712-spiegel-vs-sueddeutsche#weiterlesen.
Kein Wunder, dass sich der Trumpismus zu einem globalen Phänomen entwickelt: https://www.youtube.com/watch?v=Kd2d4_LcEig&t=2856s
LG Michael Stöcker
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Privatisierung, welch ein Wort!!
Aus dem Wortstamm „Privare“ und deren Sinn des Wortes ist unzweideutig der Begriff des vorsaetzlichen Raubes erfuellt.
Wenn denkenden Menschen dieser Fakt bewusst waere, dann stellt sich die Frage, ob all die beteiligten Menschen im Prozess des Raubes sich noch wohl fuehlen?
Und was soll dann noch der ganze Unsinn von tausenden beschriebenen Seiten zwecks Unterstuetzung des Raubes an Volksvermoegen.
Die Rechtspflege hat ja genuegend Instrumente aktiv zu werden, aber…. ich vergass fast, in D gibt es keine Rechtspflege mehr……
Aber auch ein gelungener Akt der Massentaeuschung im Rechtsverkehr, super gut gemacht….
Und wie im Sturzflug ein Volk der ehemals „Dichter und Denker“ noch sinken mag ??
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