Von Birah Swain, übersetzt von Anne Schulze-Allen
Februar 2014. In Delhi findet gerade ein politisches Erdbeben statt. Biraj Swain, die eine Kampagne und Forschungsarbeit zur Wasserversorgung leitet, betrachtet die unmittelbaren Auswirkungen auf den Zugang der Armen zu Wasser und Strom.
Seit einem Monat ist die zu einer politischen Partei gewordene Anti-Korruptionsbewegung, die Aam Admi „Common ManParty“ („Partei des kleinen Mannes“), in Delhi an der Regierung. Gerade zwei Tage im Amt, setzte sie die kostenlose Versorgung jedes Haushalts mit der „Lebensader“ Wasser durch (bemessen auf 140 Liter pro Kopf pro Tag, 20 000 Liter pro Monat). Mit der Feststellung, dass geschätzte 24,8% der Haushalte in Delhi keinen Wasseranschluss und keinen Wasserzähler besitzen, haben die privaten Medien diese Entscheidung als fehlgesteuerten Populismus gebrandmarkt. Sie nütze nur den jetzt schon über einen Wasseranschluss verfügenden Reichen und würde folglich zur Verschwendung führen.
Wie auch immer, durch die kostenlose Versorgung aller Gesellschaftsschichten und Kasten mit lebensnotwendigem Wasser, von der super-elitären “Lutyens“ Zone bis zu den ultra-armen Slums, hat die Regierung das Recht auf Wasser grundsätzlich und in der Praxis durchgesetzt. Das Ziel ist, den Ausschluss der Armen von der Wasserversorgung durch überhöhte Preise zu beenden und die kommunalen Haushalte unter Kontrolle zu behalten, so wie es in Manila/Philippinen, Grenoble/Frankreich und Argentinien usw. geschehen ist. Und indem sie den kostenlosen Wasserverbrauch von 20 000 Litern mit starken Preisanstiegen oberhalb dieser Schwelle verknüpft, geht sie das Problem der Wasserverschwendung an. Inzwischen wird auch das Rohrleitungssystem erweitert, um Trinkwasser allen zugänglich zu machen.
Die Regierung hat auch den korrupten Funktionären der Wasserversorgungs- und Wassertanker-Mafia einen Denkzettel erteilt. Es ist allgemein bekannt, dass die Versorgungseinrichtungen weltweit zu den korruptesten der öffentlichen Verwaltung gehören und ihre technische Beschaffenheit macht ihre Abläufe für viele undurchschaubar. Während man also die Versorgungsrichtungen bei der öffentlichen Hand belässt, ist es auch Teil des Programms, sie effizient, rechenschaftspflichtig und für die arme Bevölkerung auszurichten.
Es ist keine große Überraschung, dass der gegenwärtige oberste Minister von Delhi, Arvind Kejriwal, ein ausgebildeter Ingenieur ist, der bereits 2005 eine erfolgreiche Kampagne gegen die Privatisierung der Wasserversorgung von Delhi geleitet hat. Mithilfe des Transparenzgesetzes von Delhi hat er 9000 Seiten von geplanten Reformvorhaben ans Licht gebracht. Angefangen von übermäßig großzügigen Konzessionsverträgen bis zu superteuren Unternehmensberatern und exponentiellen Tariferhöhungen, hatten die Pläne das Potential einen Wasserkrieg auszulösen. Mit Schulden finanzierte Wasserversorgungs- und -entsorgungseinrichtungen haben bereits in vielen Städten dazu geführt, dass diese ihre Verpflichtung nicht einhalten konnten und die Endverbraucher mit teuren Krediten belastet wurden.
Im Gegensatz zum Wasser ist die Stromverteilung bereits privatisiert. Dank starker heimischer Tariferhöhungen ist die Elektrizität von Delhi eine der teuersten im Land. Die Stromversorgung wird von den beiden größten Firmen Indiens, dem Tata und dem Ambani Konzern, gemanaged.
Wie beim Wasser, hat die Regierung von Delhi eine Menge Maßnahmen auf den Weg gebracht, wie z.B. scharfe Tarifkürzungen (bis zu 50%) bei den ersten 400 Einheiten häuslichen Stromverbrauchs und stufenweise Erhöhungen oberhalb dieser Grenze.
Im vergangenen Monat hat der (seit langem von den Energieunternehmen gekaperte) Stromregulierer sich mit der Regierung angelegt und die Stromtarife wegen der Drohung der Privatfirmen, den Strom abzuschalten, einseitig um 8 % erhöht. Hierbei handelt es sich um das Standardrepertoire von Privatfirmen in wichtigen Bereichen wie Wasser und Strom.
Aber die Regierung von Delhi schlägt zurück. Durch Beauftragung des gesetzlichen Rechnungsprüfers, des „Controller and Auditor General“, mit der Prüfung der privaten Stromverteilungsfirmen, schreibt die Regierung die Regeln für das Engagement in Public-private Partnerships (PPP) neu. In einer Zeit, wo PPP als die Wunderwaffe für alle Dienstleistungsprobleme angepriesen wird, ist der Staat oft gezwungen sich zurückzuziehen. Der oberste Minister wehrt sich, indem er die Grenzen des Staates selbst neu zieht und wieder eine Aufsicht von Bürger und Staat über öffentliche Versorgungsbetriebe und ihre Funktionsweise einführt.
Ob das Experiment gelingt, die Stromrechnungen nachhaltig zu reduzieren und dennoch einen gerechten Zugang zu gewährleisten, steht noch aus. Aber es hat schon beispiellose öffentliche Diskussionen ausgelöst und Aufklärung über die Funktionsweise der Strom- und Wasserversorgung, die der allgemeinen Öffentlichkeit bisher nicht zugänglich waren. Wir wissen vielleicht nicht, ob eine öffentliche oder private Versorgung besser funktioniert, aber eine größere Rechenschaftspflicht und Transparenz von Versorgungsbetrieben und ihre Funktionsweise ist unstrittig.
Der nächste Schritt besteht darin den Aufgabenbereich von Regulierern neu festzulegen und eine größere Transparenz in den Auswahlprozess zu bringen. Es ist unabdingbar, dass der Posten des Regulierers nicht mehr ein Abladeplatz für ungewollte Bürokraten oder pensionierte Richter mit ernsthaften Interessenkonflikten ist, wenn diese Regulierer im Interesse des Gemeinwohls und im Sinne von Gerechtigkeit und Effizienz bellen und beißen sollen.
Ein Monat ist eine sehr kurze Zeit im Rahmen einer fünfjährigen Wahlperiode. Für eine Bürgerbewegung, die als politische Partei vor knapp einem Jahr neu gegründet wurde, ist sie noch kürzer. Aber wenn diese Experimente einer größeren Transparenz, Bereitstellung lebensnotwendiger Güter für alle, Rationalisierung von Tarifsystemen und erhöhter öffentlicher Beaufsichtigung Erfolg haben, dann wird es ein weiterer Sieg in der glorreichen Tradition von Cochabamba/Bolivien, Recife und Porto Alegre/Brasilien etc. sein.
Eine Politik, die die Massen agitiert, war das Markenzeichen der weltweiten Bewegungen für Wasser und ist auch dass Markenzeichen dieser Regierung. Die Regierung von Delhi schreibt zur Zeit die Geschichte einer größeren öffentlicher Beteiligung, die man sehr schwer rückgängig machen könnte. Und eine „public-public partnership könnte eine echte Gegen-Erzählung sein, in Indien, Südasien und global.
Birah Swain ist Mitglied der „Right to Water Coalition“ und hat gerade eine Studie über die Wasserver- und -entsorgungsprobleme von kleinen Städten in Südasien und Ostafrika beendet (wird z.Zt. veröffentlicht). Sie war verantwortlich für eine Meta-Analyse der Kreditgewährung der „Asian Development Bank und deren Auswirkungen auf den Zugang der Armen zu sanitären Einrichtungen. Sie kann erreicht werden unter biraj_swain@hotmail.com
Der Beitrag ist auf Englisch erschienen auf oxfamblogs.org und www.globe-spotting.de