Eine Stellungnahme von GiB (hier der Text zum download)
Die österreichische ASFINAG scheint für viele politische Akteure ein interessantes Vorbild für eine deutsche Fernstraßengesellschaft zu sein. Tatsächlich ist die ASFINAG alles andere als eine gute Alternative zur bestehenden Auftragsverwaltung. Nachfolgend eine Zusammenstellung der Probleme, die Versuche einer solchen Übertragung mit sich bringen könnten.
Allgemeines
Struktur und Aufgaben der ASFINAG
Die österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, kurz ASFINAG, ist eine Infrastrukturgesellschaft, die für Planung, Finanzierung, Ausbau, Erhaltung, Betrieb und Mauterhebung des österreichischen Autobahnen- und Schnellstraßennetzes zuständig ist. Die ASFINAG ist vollständig im Eigentum der Republik Österreich. Sie wurde 1982 gegründet, 1997 wurden dem Unternehmen durch einen Vertrag mit dem Bund weitere Aufgaben übertragen. Die ASFINAG erhebt und erhält in staatlichem Auftrag die gesetzlichen Mautgebühren. Die ASFINAG erhält kein Geld aus dem Staatsbudget, sondern führt eine Dividende an die Republik Österreich ab.
Die ASFINAG hat in den vergangenen 15 Jahren das österreichische Autobahnnetzes forciert ausgebaut und in diesem Zuge Schulden in Höhe von derzeit 11,6 Milliarden Euro angehäuft[1].
Infrastrukturgesellschaften zur Umgehung der Schuldenbremse
Die ASFINAG ist eine dem Staat nicht zuzurechnende Infrastrukturgesellschaft. Solche Gesellschaften werden kritisiert, z.B. vom Ökonom und Verwaltungswissenschaftler Prof. Holger Mühlenkamp:
„Die bisher häufig zur Umgehung der Schuldenbremse gewählte Alternative “Öffentlich Private Partnerschaften” (ÖPP) steht in der Kritik und droht eventuell unattraktiv zu werden. Die Fratzscher-Kommission “entdeckt” eine weitere Möglichkeit: Bezüglich der Staatsverschuldung dem Staat nicht zuzurechnende Infrastrukturgesellschaften. Diese Alternative bietet zugleich die Möglichkeit, Kosten der Eurokrise von den Kapitalanlegern zu den Verbrauchern und Steuerzahlern zu verlagern.“ [2]
Im Orginal des Abschlußberichts der Fratzscher-Kommission[3] lautet der Vorschlag zur ASFINAG:
„Eine erste Möglichkeit zur Umsetzung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft ist die Schaffung einer Gesellschaft in einhundertprozentigem Bundesbesitz. Ihre Organisation gliche damit dem österreichischen Modell der ASFINAG, einem privatrechtlichen Unternehmen in Bundesbesitz.“
Die Motivation ‚Schulden-verstecken‘ findet sich implizit ebenfalls im Fratzscher-Bericht:
„Zur Kapitalaufnahme gibt die ASFINAG Anleihen aus, die mit einer Garantie der Republik Österreich ausgestattet sind. Die ASFINAG wird nicht dem österreichischen Staatssektor zugeordnet. Ihre Verschuldung wird somit bei der Prüfung zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien nicht berücksichtigt.“
Probleme der ASFINAG
ASFINAG-Schulden sind versteckt
Auch andere Quelle bestätigen, dass Österreich seine ASFINAG-Schulden verstecken darf:
„Tatsächlich befindet sich die ASFINAG vollständig im Eigentum der Republik Österreich, wird jedoch nach dem Europäischen System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG) 1995 trotz 100%igem Eigentum des Bundes und Staatsgarantie für die Schulden dem Privatsektor zugerechnet (Nauschnigg 2015).“ [4]
Damit werden die Schulden nicht als öffentliche Schulden aufgefasst. Hinsichtlich der Transparenz und der demokratischen Kontrolle bedeutet ein solches Auslagern, dass die Schulden in Haushalt nicht mehr dargestellt werden müssen und dem Parlament nicht mehr unterstehen.
Österreich und Deutschland im Vergleich
Für die Rückzahlung der ASFINAG-Schulden reichen die Mauteinnahmen der ASFINAG nicht aus.[5] Durch den weiteren Ausbau der Autobahnen sollen diese Schulden in den kommenden drei Jahren sogar noch auf 12,6 Mrd. Euro steigen. Diese dem Privatsektor zugerechneten Schulden würden die Gesamtverschuldung Österreichs bei Anrechnung als öffentliche Schulden um ca. 4 Prozent erhöhen. Für die ASFINAG-Schulden wurden 2015 durch die Gebührenzahlenden durchschnittlich 3 Prozent Zinsen gezahlt, 2014 waren es noch 3,17%.[6] Deutschland hatte 2015 etwa 301,3 Mrd. Euro an Bundeseinahmen. Die vergleichbaren Einnahmen Österreichs betrugen 71,5 Mrd. Euro und somit etwa ein Siebtel.[7] Das jeweilige BIP der beiden Länder steht im Verhältnis 9:1 zueinander (3.059 Mrd. Euro zu 339 Mrd. Euro). Die Streckennetze stehen im Verhältnis 6:1, sofern man den von der ASFINAG verwalteten 2200 km nur die 13.000 deutschen Autobahn-km gegenüberstellt. Die ASFINAG verwaltetet aber auch die Schnellstraßen, die mit den deutschen Bundesstraßen vergleichbar sind. Diese Bundesstraßen haben im Durchschnitt etwa halb so viel Spuren wie die deutschen Autobahnen. Rechnet man also die 40.000 km deutschen Bundesstraßen zu 50 Prozent ein (d.h. mit weiteren 20.000 km), ergibt sich ein Verhältnis von 15:1. Je nachdem, welches Verhältnis man zugrunde legt, geht es bei dem Vorhaben ‚Das ASFINAG-Modell auf Deutschland übertragen‘ um das mittelfristige Verstecken von deutschen Schulden in der Größenordnung von 70 bis 175 Mrd. Euro.
Autobahnen dienen als Sicherheiten für die Schattenkredite
Es ist interessant, wie die ASFINAG selbst begründet, warum ihre Schulden nicht als Staatsschulden gerechnet werden müssen. In einer öffentlichen Anhörung des deutschen Bundestags[8] am 13.4.2016 stellte ASFINAG-Chef Dr. Klaus Schierhackl dar, den 11,6 Mrd. Euro Schulden stünde der geschätzte Wert der ASFINAG von 20 Mrd. Euro gegenüber. Nimmt man diese Aussage Schierhackls ernst, wäre die ASFINAG pro Mitarbeiter so viel wert wie der Technologiekonzern Apple. Vermutlich rechnete Schierhackl aber im Unternehmenswert die österreichischen Fernstraßen mit ein. Die Autobahnen werden also als Sicherheiten verstanden – der Einstieg in die Privatisierung.
Höhere Kosten der ASFINAG im Vergleich mit NRW
Die ASFINAG ist keineswegs ein garantierter Hort des effizienten Straßenbaus. Das zeigen Vergleiche mit bekannten Kosten für den Neubau, Ausbau und Betrieb von Autobahnen. Exemplarisch ist das Beispiel Nordrhein-Westfalen angeführt, das ver.di ausgearbeitet hat:
„Nordrhein-Westfalen und Österreich haben ein etwa gleich großes Autobahnnetz. Die ASFINAG erhält und betreibt dieses Netz für zuletzt 1,28 Mrd. Euro pro Jahr, Nordrhein-Westfalen für 0,34 Mrd. Euro jährlich. Umgerechnet auf den Autobahn-km ist die ASFINAG 2014 damit im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen 3,7-mal teurer.“ [9]
Ein Teil der höheren Kosten kann durch die schwierigeren topografischen Verhältnisse erklärt werden. Zudem investiert NRW in den letzten Jahren wenig, was kritisiert wird. Dem steht gegenüber, dass NRW gegenüber Österreich eine höhere Verkehrsinfrastrukturdichte hat, wodurch eine größere Anzahl von Brücken durch Querung von Straßen, Schienenwegen und Wasserstraßen anfällt, was wiederum den Autobahnbau und –erhalt in NRW gegenüber Österreich verteuert.
In der Gesamtbilanz vermögen die genannten Unterschiede die fast viermal höheren Kosten der ASFINAG nicht zu erklären. Es verbleibt somit ein starkes Indiz, dass die ASFINAG ihre Gelder ineffizienter verwendet als die Auftragsverwaltung in NRW.
Probleme bei der Übertragung des ASFINAG-Modells auf Deutschland
Schulden verstecken in Deutschland stößt an die Grenzen des Grundgesetzes
Mit Hilfe von ÖPP können jetzt schon Schulden vor der Schuldenbremse versteckt werden. Für die europäischen Schuldenregeln („Mastricht-Kriterien“, Fiskalpakt) müssen ÖPPs allerdings gemeldet werden. Mit einer Gesellschaft in Anlehnung an die ASFINAG besteht nun offenbar bei der Regierung die Hoffnung, sowohl die Schulden der Gesellschaft als auch ihre ÖPPs könnten künftig auch vor den europäischen Schuldenregeln versteckt werden. Deutschland müsste zum Schuldenverstecken allerdings das Grundgesetz ändern:
„Im Vergleich zu einer privatrechtlichen Finanzierungsgesellschaft, die nicht außerhalb des staatlichen Bereichs im Licht der Maastricht-Kriterien steht, dürfte ein ASFINAG-Modell mit Verschuldungsverbot insofern Nachteile aufweisen bzw. schwieriger zu gestalten sein, als dass der Bedarf zur Verankerung von Schutzmechanismen, die eine bei diesem Modell ja per Definition nicht intendierte zukünftige Verschuldung oder Privatisierung verhindern, erhöht ist. Derartige (Meta-) Regeln wären zwingend auf einer grundgesetzlichen Ebene zu „platzieren“.[10]
Es ist enorm diskussionswürdig, ob nun das Grundgesetz geändert werden muss, nur damit Schulden besser versteckt werden können. Das widerspricht eklatant den Anliegen der Schuldenbremse, die die letzte Große Koalition ebenfalls per Grundgesetz eingeführt hatte.
Fehlanreiz durch die Schuldenbremse in Deutschland
Die Diskussion zur ASFINAG wurde auch bei den Gewerkschaften geführt. Im Fratzscher-Bericht enthalten, aber als abweichend und ergänzend ausgewiesen sind die Positionen der in der Kommission vertretenen Gewerkschaften IGM, ver.di, IG BCE, IG BAU sowie des DGB. Diese fordern dort einerseits eine Reform der Schuldenbremse:
„Öffentliche Investitionen in die Infrastruktur sind von der Schuldenbremse auszunehmen.“[11]
Andererseits nehmen die Gewerkschaften auch Bezug auf die ASFINAG:
„Eine Infrastrukturgesellschaft für die Bundesfernstraßen (Verkehrsinfrastrukturgesellschaft) könnte in Anlehnung an das regionalisierte ASFINAG-Modell gebildet werden.“ [12]
Unklar bleibt, was für die Gewerkschaften ein „regionalisiertes ASFINAG-Modell“ ist. Eine Grundgesetzänderung zur Schuldenbremsenumgehung ist damit aber offenbar nicht gemeint. So kritisierte Frank Bsirske am 25.2.16 in Berlin die vorgeschlagene Fernstraßengesellschaft, weil sie der Umgehung der Schuldenbremse und dem Aufbau von Schattenhaushalten diene.[13] Bsirske:
„Es ist ein Stück aus dem Tollhaus: Erst wird eine Schuldenbremse beschlossen, dann sucht man Wege, sie zu umgehen“ [14]
Ein solches Vorgehen wird teuer. Die Mehrkosten durch die private Finanzierung sind allein wegen der Zinsdifferenz der Kredite erheblich. Die Zinsen von Fremdkapital liegen immer deutlich über den Zinsen von Staatsanleihen, auch in Hochzinsphasen. Ein durchschnittlich drei Prozent höherer Zinssatz bei einem Kredit mit 30 Jahren Laufzeit, wie er im Fernstraßenbau üblich ist, würde die Gesamtkosten von Zins und Tilgung um ca. 50 Prozent vergrößern, ein sechs Prozent höherer Zinssatz sogar um 200 Prozent. Ein Modell in Anlehnung an das ASFINAG-Modell käme somit zwingend deutlich teurer als die bisherige Finanzierung aus dem Haushalt im Rahmen der konventionellen Vergabe.
Dem wird seitens der Befürworter solcher Modelle entgegnet, dass solche Mehrkosten der Finanzierung durch Effizienzsteigerungen an anderer Stelle überkompensiert würden. Um diese Kosten auszugleichen, stehen nur die Posten Material[15] und Personal[16] zur Verfügung. Dass damit die hohen Mehrkosten nicht kompensiert werden können, kann bereits durch grobe Überschlagsrechnungen nachvollzogen werden, er findet sich auch regelmäßig in den Berichten des Bundesrechnungshofs und der Landesrechnungshöfe wieder.
Stefan Körzell, Mitglied des Bundesvorstands des DGB, fordert, künftig alle Verkehrswege (also auch Schienen- und Schifffahrtswege) staatlich zu finanzieren:
„Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP) sind langfristig teurer, wie der Bundesrechnungshof belegt hat. Und sie sind auch auf kurze Sicht teurer.“[17]
Durch die derzeit extrem niedrigen Zinsen auf dem Kapitalmarkt könne der Staat die Sanierung von Verkehrswegen sehr günstig finanzieren, zum Teil sogar zu negativen Zinsen.
ÖPP verteuert das ASFINAG-Modell für Deutschland
Die Vorschläge aus dem Verkehrsministerium, die sich wiederum eng an der Fratzscher-Kommission orientieren, gehen über das hinaus, was bei der ASFINAG schon institutionell umgesetzt wurde. Das Modell unter dem Arbeitstitel ‚Bundesfernstraßengesellschaft (BFG)‘ soll mit ÖPP arbeiten, wohingegen die ASFINAG darauf nach eigenen schlechten Erfahrungen verzichtet. Die Verpflichtung der BFG, ÖPP einzusetzen, ergibt sich aus den bereits laufenden sowie aus den geplanten ÖPP-Vorhaben, die Verträge darstellen, die noch bis zu 30 Jahre lang laufen. Zahlen liefert ein Forschungsvorhaben der Technischen Universität Braunschweig, beauftragt vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe:
„Nach Umsetzung der 3. ÖPP-Staffel wären insgesamt 10,8 % des Streckennetzes für die Vertragsdauern nicht mehr für den „Teilmarkt Bundesautobahnen“ relevant.“ [18]
„In Bezug zum BAB-Netz haben die acht Projekte einen Streckenanteil von 3,6 % (ca. 470 von 12.949 km). In der monetären Bewertung auf Basis der Haushaltszahlen ergibt sich für 2016 (veranschlagt) ein Anteil an den Ausgaben für BAB von ca. 8,8 %. Langfristig ist eine Ausweitung von ÖPP-Projekten zu erwarten. Nach der Umsetzung der derzeitig geplanten drei ÖPP-Staffeln wird der für ÖPP zweckgebundene Anteil für Bundesautobahnen im Bundeshaushalt im Jahre 2030 voraussichtlich bis zu 20 %betragen. Bei steigendem Gesamtbudget würde der Anteil bei bis zu 15 % liegen.“ [19]
Bezogen auf die Neu- und Ausbau hat ÖPP bereits heute eine dominante Rolle. In Deutschland erfolgten bereits 58,3 Prozent aller Autobahnneubauprojekte der letzten Jahre per ÖPP. Damit ist ÖPP schon heute, das heißt vor Einführung einer Bundesfernstraßengesellschaft, das bevorzugte Modell für den Autobahnneubau. [20]
Zusätzlich gibt die Bundesregierung an, im Rahmen der geplanten BFG zusätzliches privates Kapital auf Projektebene einbeziehen zu wollen:
„Sofern zusätzlich privates Kapital in Infrastrukturmaßnahmen fließen soll, wäre dies, wenn die Wirtschaftlichkeit gegeben ist, für Projekte der Gesellschaft möglich. Dadurch soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass sich Private am Netzausbau und -erhalt beteiligen können, so dass die Investitionsstrategie der Bundesregierung in ihrer Wirkung noch verstärkt werden kann.“[21]
„Privates Kapital für Projekte der Gesellschaft“ ist eine Umschreibung von ÖPP, eine andere Form von Einbezug privaten Kapitals auf Projektebene gibt es nicht. Das deckt sich mit der Haltung der Bundesregierung, die anders als die ASFINAG nach wie vor von ÖPP überzeugt ist. So unterhält Deutschland nach wie vor gemeinsam mit der Bauindustrie die ÖPP-Lobby-Agentur „ÖPP-Deutschland AG“, um ÖPP unter anderem im Autobahnbau zu fördern.
Ein ASFINAG-Modell ohne Staatsgarantie verteuert die Kredite der Gesellschaft
Das deutsche ASFINAG-Modell ‚ Bundesfernstraßengesellschaft‘ soll anders als die ASFINAG selbst keine Staatsgarantie bekommen. Das Bundesverkehrsministerium forderte am 11.12.2015:
„Ein Haftungsverbund zwischen der Gesellschaft und dem Bund besteht nicht.“ [22]
Die beiden Ausprägungen „keine Staatsgarantie“ sowie „Verpflichtung zu ÖPP“ werden die BFG noch einmal deutlich verteuern: Ohne Staatsgarantie werden die Kredite, die eine BFG aufnimmt, kein AAA-Rating erhalten und auch deswegen deutlich teurer ausfallen. ÖPP ist gegenüber der konventionellen Vergabe erwiesenermaßen deutlich teurer und wird somit die Tätigkeit der Gesellschaft insgesamt verteuern.
Die ASFINAG macht keine ÖPPs, eine deutsche ASFINAG würde voll auf ÖPP setzen
Kaum jemand fordert offensiv ÖPP, aber ohne ÖPP macht die ganze Konstruktion einer BFG für die meisten an der Diskussion um eine Fernstraßengesellschaft Beteiligten keinen Sinn. Schließt man ÖPP ganz aus, bleibt von den Reformvorschlägen wenig übrig. Dass ÖPP ein wichtiges – vermutlich das zentrale – Instrument zum Einbezug privaten Kapitals wird, zeigt auch die enorme Schnittmenge der Interessen von Bauindustrie und Versicherungen, die ein gemeinsames Positionspapier dazu verfasst haben[23] . Vor diesem Hintergrund werden vermutlich auch die Hoffnungen enttäuscht, eine deutsche ASFINAG könnte sich wie die österreichische ASFINAG eines ausgeweiteten Einsatzes von ÖPP enthalten. Die bundesdeutschen Gesellschaften, die den Prozess begleiten und institutionell umsetzen sollen, sind vor allem die VIFG, die DEGES und die ÖPP Deutschland AG. Alle drei Gesellschaften sind extrem ÖPP-bejahend[24]. Auch aus Sicht der Demokratietheorie bestehen bei den genannten drei (privatrechtlich verfassten) Organisationen Anreize, ÖPP zu befürworten: Ihnen wachsen Bedeutung und Aufgaben zu, wenn sich der Einsatz von ÖPP ausweitet.
Schulden verstecken ist riskant
Die Schulden zu verstecken, ist nicht nur ein Problem von demokratuischer Steuerung und Kontrolle. Es werden damit auch instabile Zustände generiert. Auch hier spielt eine (eventuell geleistete oder explizit verweigerte) Staatsgarantie eine wichtige Rolle. Der Fratzscher-Bericht fordert, keine Staatsgarantie zu geben:
„Die österreichische Erfahrung zeigt, dass bei der Konstruktion einer Betreibergesellschaft im Bundesbesitz eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Infrastrukturgesellschaft und Staat vorzunehmen ist. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine Verschuldung der Gesellschaft, die nicht dem Staatssektor zugeordnet werden kann und somit bei der Prüfung der Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht berücksichtigt werden sollte. Um eine eindeutige Trennung an dieser Stelle zu erzeugen, spricht sich die Expertenkommission dafür aus, dass der Bund keine Staatsgarantien bei einer Kreditaufnahme durch die Gesellschaft abgibt.“ [25]
Anders als im Fratzscher-Bericht dargestellt ist es fraglos möglich die Verschuldung der Gesellschaft dem Staatssektor zuzuordnen. Das allerdings scheint der Fratzscher-Kommission nicht opportun. Dass die Schulden der Gesellschaft bei der Prüfung der Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht berücksichtigt werden sollen, dient bestimmten Interessen und nicht objektiven Vorgaben. Im Übrigen bleibt der Wiederspruch unaufgelöst, dass die Schulden der ASFINAG trotz Staatsgarantie nicht auf die Kriterien des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes angerechne werden und die Fratzscher-Kommission dennoch an dieser Stelle dafür plädiert, in Deutschland keine Staatsgarantie zu geben. Die Gründe für diese zentrale und auch im eigenen Kontext wiedersprüchliche Empfehlung werden nicht angegeben. Zu vermuten ist, dass man die Österreichische Konstruktion für nicht dauerhaft hält.[26] Demnach wäre es gegebenenfalls nach einer anfägnlichen Phase der Verbuchung der Schulden im Privatsektor möglich, dass die EU-Kommission die Forderung erhebt, die Schulden der ASFINAG künftig als Staatsschulden nach Maastricht zu melden. Im Zuge der Schuldenkrise Griechenlands wurden mehrfach Schulden aus vergleichbaren Gesellschaften, aber auch aus PPP-Projekten »aufgefunden« und dann als Staatsschulden verbucht, wodurch sich der Schuldenstand Grichenlands sprunghaft erhöhte. Dabei kam es jeweils zu erheblichen Reaktionen an den Finanzmärkten, mittelfristig wurde auch die Kreditwürdigkeit griechischer Staatsanleihen herabgesetzt, die daran geknüpften Zinskosten stiegen.
Tatsächlich wäre es ist denkbar, dass im Zuge einer Überprüfung von Österreich hinsichtlich der Einhaltung der Stabilitätskriterien durch die EU-Kommission die Forderung erhoben wird, die Schulden der ASFINAG künftig als Staatsschulden nach Maastricht zu melden. Das hätte dann womöglich gravierende Konsequenzen und könnte auch den Verlust des AAA-Status von Österreich bedeuten.
Bildet Deutschland das ASFINAG-Modell mit Staatsgarantie ab, kann Vergleichbares auch hierzulande passieren – damit wäre eine ursprünglich gegebene Staatsgarantie auf einmal eine Bedrohung, da sie ein plötzliches Schuldenverbuchen bedeuten könnte. Die Bundesregierung könnte als Reaktion die Staatsgarantie – die heute noch von vielen Seiten gefordert wird – unter dem Druck der Finanzmärkte zurückziehen. Damit wäre über die Bande der europäischen Kommission eine vollständige formelle Privatisierung der Fernstraßen gelungen.
Es erscheint somit nicht ratsam, eine Struktur zu bilden, die vorrangig einer bestimmten und zudem möglicherweise labilen Form der Schuldenbilanzierung dient.“[27]
Mit anderen Worten: Deutschland sollte von der EU sich nicht abhängig machen in Fragen, wie es seine Schulden bilanziert – und schon gar nicht per Grundgesetzänderung. Ändert die EU die Regeln, kann das weitreichende Folgen haben, die heute kaum jemand antizipieren kann oder möchte.
Fazit
- Eine deutsche ASFINAG wäre eine Infrastrukturgesellschaft, die auf institutioneller Ebene das leistet, was auf Projektebene mit ÖPP gemacht wird – Schulden verstecken und privates Kapital einbeziehen. Wie teuer und intransparent ÖPPs sind, wird in immer breiteren Kreisen bekannt.
- Deutschland könnte seine Schulden nur per Grundgesetzänderung verstecken. Das wäre eine geradezu absurdes Vorgehen: Erst die Schuldenbremse ins Grundgesetz einbauen, dann das Grundgesetz ändern, um teure und intransparente Umgehungen zuzulassen. Stattdessen sollte man schlicht Investitionen von den Regelungen der Schuldenbremse ausnehmen. Das entspräche der viele Jahrzehnte geltenden „goldenen Regel“, und das fordert im Übrigen auch der Sachverständigenrat der Bundesregierung.
- Vergleicht man die Größenordnungen von Österreich und Deutschland, so bedeutet „Das ASFINAG-Modell auf Deutschland übertragen“ das mittelfristige Verstecken von Schulden in der Größenordnung von 70 bis 175 Mrd. Euro. Dabei dienen laut Aussage der ASFINAG die österreichischen Autobahnen als Sicherheiten für die Schattenkredite der ASFINAG.
- Ein Vergleich der ASFINAG mit Nordrhein-Westfalen zeigt, dass die ASFINAG ihre Gelder vermutlich ineffizienter verwendet als die Auftragsverwaltung in NRW – womöglich auch infolge der höheren Kapitalkosten.
- Die Übertragung des ASFINAG-Modell für Deutschland soll nach dem Willen der Bundesregierung nicht 1:1 erfolgen. Vielmehr sind weitreichenere Formen von Entstaatlichung vorgesehen: Es soll keine Staatsgarantie gegeben werden, und es sollen gezielt auf Projektebene auf ÖPP gesetzt werden. Dass eine deutsche ASFINAG auf ÖPP setzen würde, wird auch über die ÖPP-bejahenden Akteure sichergestellt, die das Modell institutionell umsetzen sollen. Die weiteren Entstaatlichungen verteuern das Modell zusätzlich und in erheblichem Umfang.
- Und nicht zuletzt ist das Schuldenverstecken vor den europäischen Institutionen gesamtwirtschaftlich überaus riskant: Veränderungen in der Schuldenbewertung seitens der EU könnten Auswirkungen auf die Kreditkosten von Deutschland haben. Damit würde Deutschland in wichtigen Fragen abhängig von Entscheidungen, die der Bundestag später kaum beeinflussen kann. Solche Veränderungen könnten die Kreditkosten von Deutschland insgesamt verteuern.
Anmerkungen
[1] http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/4716787/Asfinag-muss-dem-Staat-doppelt-so-viel-abliefern?from=simarchiv, zuletzt abgerufen am 10.4.2016
[2] Mühlenkamp, Holger (2016): Vortragsfolien „Empfehlungen der Fratzscher-Kommission – Wirkungen und Alternativen, Der Staat – in Zukunft eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung?“ ver.di-Fachdialog, Berlin, 14.01.2016, online: https://gemeinden.verdi.de/++file++56c61cd2ba949b0680000994/download/
Vortrag%20Prof.%20Dr.%20M%C3%BChlenkamp.pdf, zuletzt abgerufen am 11.4.2016
[3] Fratzscher-Bericht (2015)
[4] Eisenkopf, Alexander (2015): Kurzstudie im Auftrag des ACE Auto Club Europa e.V., Reformmodelle für die Verkehrsinfrastrukturpolitik: Von den öffentlich-privaten Partnerschaften zur Bundesfernstraßengesellschaft
[5] Angaben nach: Dr.in Gabriela MOSER, Nationalratsabgeordnete, Vorsitzende des Rechnungshofausschusses des Nationalrats der Republik Österreich, „Beantwortung des Fragenkatalogs zum Thema ÖPP/PPP (für die Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr im Landtag NRW, Düsseldorf, 22.9.2015)“
[6] http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/1599577/Bilanz_Asfinag-traegt-Schuldenberg-langsam-ab, zuletzt abgerufen am 10.4.2016
[7] http://derstandard.at/2000023872971/Budget-2016-Die-Champions-League-als-Ziel, zuletzt abgerufen am 10.4.2016
[8] Anhörung im Verkehrsausschuss aufgrund des Antrages der Linksfraktion „Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen“, Bundestags-Drucksache 18/6547
[9] ver.di-Stellungnahme zum Vorschlag der Expertenkommission »Stärkung von Investitionen in Deutschland« (Fratzscher-Kommission): Einrichtung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft, Juli 2015
[10] Becker/Beckers/Ryndin (15.08.2015), TU Berlin, Fakultät Wirtschaft und Management Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik (WIP) Bereich Infrastrukturmanagement und Verkehrspolitik: Schreiben an die SPD-Bundestagsfraktion, Betreff „Stellungnahme im Rahmen des Dialogs zur Gründung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft des Bundes“
[11] Fratzscher-Bericht (2015), Ergänzende und abweichende Positionen der in der Kommission vertretenen Gewerkschaften
[12] Ebd.
[13] Tagesspiegel vom 25.2.2016, a.a.O.
[14] Ebd.
[15] Die „Effizienzsteigerungen bei Material“ führten beim ÖPP-Projekt auf der A1 schon nach einem dreiviertel Jahr zum teilweisen Ablösen des Belags
[16] „Effizienzsteigerungen beim Personal“ können auch mit Umgehungen des Vergaberechts und Lohndumping umschrieben werden
[17] DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell am 23.2.2016 im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ), Online: http://www.dgb.de/themen/++co++d2d6e940-da15-11e5-b980-52540023ef1a, zuletzt abgerufen am 12.4.2016
[18] Lehrstuhl für Infrastruktur- und Immobilienmanagement der TU Braunschweig: Bericht zum Forschungsvorhaben „ÖPP- Infrastrukturprojekte und Mittelstand“ Auftraggeber: Zentralverband Deutsches Baugewerbe, online: http://www.zdb.de/zdb-cms.nsf/res/TUBS_Forschungsbericht_ZDB.pdf/$file/TUBS_Forschungsbericht_ZDB.pdf, zuletzt abgerufen am 11.4.2016
[19] Ebd.
[20] Thiele/Waßmuth (2016): Aktuelle Entwicklungen bei der Privatisierung der Daseinsvorsorge in Deutschland mit besonderem Fokus Bundesfernstraßen, Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, online: https://www.gemeingut.org/wordpress/Privatisierungsstudie/, zuletzt abgerufen am 11.4.2016
[21] BMVI (2015), a.a.O.
[22] BMVI (2015), a.a.O.
[23] Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (2015): Gemeinsame Pressemitteilung – Versicherungswirtschaft und Bauindustrie zu den Beratungen des Bundes zur Umsetzung der Vorschläge der Fratzscher-Kommission, 06.10.2015. Online: http://www.presseportal.de/pm/24058/3140131 (letzter Zugriff: 12.4.2016).
[24] So befürworteten die DEGES und die VIFG in zwei Landtagsanhörungen 2015 als zwei von fünf Organisationen ÖPP uneingeschränkt. In 13 Stellungnahmen wurde pro und Kontra abgewogen, in 17 Stellungnahmen wurde ÖPP generell abgelehnt, siehe dazu Thiele/Waßmuth (2016), S.74, Tabelle 11
[25] Fratzscher-Bericht (2015), a.a.O.
[26] Das würde auch erklären, warum die ASFINAG selbst seit Jahren offensiv für ihr Modell wirbt – man möchte, dass Deutschland einen ähnlichen Weg geht, um die eigene Position gegenüber der EU zu stärken.
[27] Siehe dazu auch Thiele/Waßmuth (2016)
Errata: In einer früheren Fassung hatten wir angegeben, mit den Angaben von Dr. Schierhackl wäre die ASFINAG pro Mitarbeiter sechseinhalb Mal mehr so viel wert wie der Technologiekonzern Apple. Dabei wurde der geschätzte Wert nur auf die 600 LandesmitarbeiterInnen bezogen, die Schierhackl in der Sitzung angesprochen hatte. Nimmt man alle 2.674 MitarbeiterInnen (Stand 31.12.2014), ergibt sich der nun im Text genannte Wert (ASFINAG pro Mitarbeiter ist etwa soviel Wert wie Apple pro Mitarbeiter).
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