Pressemitteilung von GiB
Bei dem kommenden SPD-Parteitag in Dortmund wird es für die SPD-Parteitagsdelegierten zum ersten Mal die Möglichkeit geben, über die bereits beschlossene Grundgesetzänderung zur Autobahnprivatisierung innerhalb der SPD zu sprechen. Eine erste Gelegenheit, Fragen und Kritik an dem „größten Vorhaben der Legislaturperiode“ zu äußern und das Thema zu diskutieren.
Dazu Carl Waßmuth von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB):
„Die Debatte hätte im Vorfeld stattfinden müssen und nicht erst nach den Abstimmungen am 1. und 2. Juni. Das ist völlig undemokratisch. Aber auch im Nachhinein verspürt man offenbar Rechtfertigungsdruck: Die SPD-Spitze präsentiert sich als Privatisierungsverhinderer. Das ist Geschichtsklitterung. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Delegierten das nicht bieten lassen.“
GiB hat sich intensiv mit den Gesetzen, aber auch mit den Begründungen für das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten, auch der SPD-Abgeordneten, befasst. Vor diesem Hintergrund schlägt GiB den Delegierten sowie Journalisten die folgenden Fragen vor:
1. Ist die Gründung einer Infrastrukturgesellschaft Verkehr im Privatrecht keine Privatisierung?
Für die Autobahnverwaltung wird eine bundeseigene Gesellschaft in privatrechtlicher Form – eine GmbH – gegründet. Zwar sind der Verkauf sowie die Beteiligungen der Privaten an der Gesellschaft und ihren Töchtern grundgesetzlich ausgeschlossen, aber die privatrechtliche Form der Gesellschaft wurde ermöglicht, und genau das wird als formelle Privatisierung bezeichnet.
Ein vergleichbarer Fall ist die Bahn AG – auch eine Gesellschaft in Privatrecht und ebenfalls im 100%-tigen Eigentum des Bundes. Die Einflussnahme auf und Kontrolle über die Entscheidungen eines privatrechtlichen Unternehmens sind eingeschränkt bis unmöglich, weil sie dem Geschäfts- und Betriebsgeheimnisschutz sowie dem Aktienrecht unterliegen – auch bei Entscheidungen über ÖPP.
Die SPD-Sitze behauptet, dass eine formelle Privatisierung keine richtige Privatisierung sei. Der Verfassungsrechtler Prof. Christoph Degenhart hielt dem entgegen:
„Es handelt sich hier um eine formelle oder Rechtsform-Privatisierung, die auf der Projektebene Effekte einer materiellen Teil-Privatisierung haben könnte.“
2. Verhindert der Ausschluss von Netz-ÖPPs die Privatisierung der Autobahnen?
Netz-ÖPPs werden grundgesetzlich, ÖPPs über 100 km Länge einfachgesetzlich ausgeschlossen. Der große Coup dieser Argumentation war der grundgesetzliche Ausschluss von Netz-ÖPPs. Einzel-ÖPPs sollten gegenüber diesem Schreckgespenst offenbar harmlos aussehen. Allerdings gibt es Netz-ÖPPs weltweit nirgendwo. Auch in Deutschland beträgt die längste ÖPP-Strecke bisher 72,5 Kilometer. Die super-langen Netz-ÖPPs sind ein Phantom, es zu verbieten ist ungefähr ein so großer Erfolg wie ein Verbot von Ufos. Die nun als harmlos geltenden Einzel-ÖPPs sind hingegen die grassierende Privatisierungsform, sie haben auch bei Längen bis 100 km Finanzvolumina von über einer Milliarde Euro.
Die SPD sagt: ÖPPs wären nicht das Gleiche wie eine Privatisierung.
Der Publizist und bekannte Privatisierungskritiker Werner Rügemer erklärt den Zusammenhang wie folgt:
„Die Privatisierung der Autobahnen überall in der EU läuft anders. Die private Gesellschaft kann so viele PPP-Verträge vergeben wie sie will, neue Autobahnen in Auftrag geben, Kredite aufnehmen, Staatszuschüsse bekommen, Tochtergesellschaften gründen, Aufträge in Saudi-Arabien oder sonstwo suchen und so weiter. Die Investoren legen ja sowieso keinen Wert darauf, die Autobahnen zu kaufen. Das ist nirgends in der EU der Fall, auch nicht in Frankreich, Spanien und Italien, wo es die privaten Maut-Autobahnen schon länger gibt. Der französische Baukonzern Vinci verdient jährlich 6 Milliarden Euro mit dem Betrieb von Autobahnen – vor allem in Südfrankreich. Der hat noch nie auch nur einen Zentimeter Autobahn gekauft. […] In Deutschland ging es nie um den Verkauf der Autobahnen. Wenn trotzdem jetzt behauptet wird, es gebe keine Privatisierung, dann ist das eine Lüge.“
Tatsächlich hatten Versicherungswirtschaft und Bauindustrie zu Beginn auch nur genau das gefordert, was am Ende auch umgesetzt wurde: Eine Beteiligung privater Partner an der Infrastrukturgesellschaft lehnen sie ab. Eine solche Gesellschaft böte jedoch auf Projektebene viele Möglichkeiten, privates Kapital zu beteiligen.
„Öffentlich-private Partnerschaften haben sich bewährt.“ [1]
3. Sind Genussscheine, stille Beteiligungen und ÖPP-Kredite auf der Projektebene keine Formen von privaten Krediten?
Die SPD sagt, sie habe eine private Kreditaufnahme verhindert. Dabei sind Genussscheine, stille Beteiligungen und ÖPP-Kredite bei der Autobahngesellschaft jederzeit möglich. Die direkte Beteiligung war nie der Wunsch der institutioneller Anleger wie Versicherungen und Banken. Sie wollten schon immer nur über ÖPP einsteigen, d.h. sich auf der Projektebene und nicht auf der Gesellschaftsebene beteiligen. Mit Genussscheinen, stillen Beteiligungen und Aufnahme der ÖPP-Kredite ist das möglich. Diese sind eine besonders teure Form der privaten Kreditaufnahme und kostet viele Milliarden Euro an zusätzlichen Zinsen. Außerdem räumt es den Privaten indirekt erhebliche Mitspracherechte ein. Die Berliner Wasserbetriebe wurden so privatisiert. Diese neue Regelung im Grundgesetz schließt vermutlich stille Beteiligungen nicht aus, sie schließt sicherlich sogenannte eigenkapitalähnliche Anlagen nicht aus wie z.B. Genußscheine. Dabei geht es nicht um Peanuts: Allein mit Genußscheinen könnten 40 Milliarden Euro Schulden in einen Schattenhaushalt ausgelagert werden. Für Genußscheine muss man ca. 5% Zinsen bezahlen: das wären 2 Milliarden Euro jährlich. Die Hälfte der Einnahmen aus der Pkw-Maut ginge dann nicht in das Flicken von Löchern im Asphalt, sondern in die Taschen der Privatanleger.
Alleine diese drei Fragen könnten Diskussions- und Zündstoff für die Debatte bieten. Weitere Argumente finden sich hier:
Pressekontakt Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB):
Carl Waßmuth, Tel. 0179-7724334, Carl.Wassmuth@Gemeingut.org
Laura Valentukeviciute, 0176-23320373, Laura.Valentukeviciute@Gemeingut.org
Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e.V. Weidenweg 37, 10249 Berlin
[1] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft und Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (2015): Versicherungswirtschaft und Bauindustrie fordern bessere Rahmenbedingungen für Infrastrukturinvestitionen http://www.gdv.de/2015/10/versicherungswirtschaft-und-bauindustrie-fordern-bessere-rahmenbedingungen-fuer-infrastrukturinvestitionen/
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