Interview des Berliner Wassertisches mit der ehemaligen Vize-Bürgermeisterin von Paris Anne Le Strat
Die Rückführung der Berliner Wasserbetriebe in das Eigentum des Landes stellen die Berliner Politik, aber auch die Bürgerinnen und Bürger vor vielfältige neue Aufgaben bezüglich einer geeigneten Bewirtschaftung
von öffentlichen Betrieben.
Anne Le Strat, ehemalige stellvertretende Bürgermeisterin von Paris und Präsidentin der Pariser Wasserbetriebe, Initiatorin der Bürgerbeteiligung in Paris, ist auf Einladung des Berliner Wassertisches und des Berliner Wasserrates zu Gast in Berlin gewesen. Ulrike von Wiesenau, Pressesprecherin des Berliner Wassertisches, hat mit ihr anlässlich der Veranstaltung „Erfahrungen der rekommunalisierten Pariser Wasserbetriebe für Berlin“, die am 23. April 2014 im Abgeordnetenhaus von Berlin stattfand, ein Gespräch geführt.
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Ulrike von Wiesenau: Die Pariser Wasserbetriebe sind seit dem 1.Januar 2010 wieder in städtischem Besitz. Weshalb wurden die auslaufenden Konzessionen mit den privaten Partnern Suez und Veolia nicht erneuert und wie kamen die Wasserbetriebe in öffentliches Eigentum zurück?
Anne Le Strat: Im Januar 2010 holte die französische Hauptstadt nach 25 Jahren privater Wasserwirtschaft die Wasserversorgung in städtischen Besitz zurück, die auslaufenden Konzessionen der privaten Partner Suez und Veolia wurden nicht erneuert. Für die Konzerne, die seit 1985 für die Wasserversorgung rechts und links der Seine verantwortlich waren, stand zunehmend nur noch ihr Gewinn-Interesse im Vordergrund. Die
satten jährlichen Renditen führten zu massiv steigenden Wasserpreisen. Eine öffentliche Kontrolle der Unternehmen war dabei weitgehend unmöglich. Wir waren der Überzeugung, das in städtischer Regie besser
zu können und wollten die privat geführten Pariser Wasser-Unternehmen in ein neues öffentliches Unternehmen überführen. Mit »Eau de Paris« wurde ein Unternehmen in öffentlicher Hand gegründet, die Stadt Paris nahm den Betrieb wieder in eigene Regie zurück und gab damit das klassische französische Modell der Vergabe von Konzessionen an Privatunternehmen auf. Das erforderte viel Arbeit im juristischen
Bereich – die konkrete Umsetzung und institutionelle Ausgestaltung mußte erst gefunden werden – und einen intensiven Dialog mit den Beschäftigten und den Gewerkschaften über die Form des neuen öffentlichen Betriebes. Die Rekommunaliserung war eine Sache des politischen Willens. Vor der Wahl versprachen wir den Bürgerinnen, dass wir die Trinkwasserversorgung in kommunale Hände zurückführen würden. Das lösten wir ein.
Ulrike von Wiesenau: Wie reagierten die Mitarbeiter auf diesen Kurswechsel?
Anne Le Strat: Wir hatte keine Probleme mit den Arbeitnehmern, die die Arbeit vor Ort erledigen, sondern eher mit dem gehobenen Management und den Gewerkschaften. Heute rekutieren wir sogar Leute aus anderen Unternehmen, weil die Arbeitsbedingungen bei uns sehr gut sind. Das Bild hat sich also gewandelt. Würde heute jemand die Wasserbetriebe privatisieren wollen, gäbe es große Proteste.
Ulrike von Wiesenau: Wie wurde bei den rekommunalisierten Pariser Wasserbetrieben Transparenz und Kontrolle umgesetzt?
Anne Le Strat: Für die Zukunft erschien es uns sinnvoll, möglichst viele gesellschaftliche Gruppen aktiv einzubeziehen – also Transparenz, Mitsprache und Kontrolle zu ermöglichen. Wir haben deshalb ein
öffentliches und partizipatives Kontrollgremium, das »Observatoire parisien de l’eau« geschaffen. In ihm sind Organisationen des Verbraucher- und Umweltschutzes sowie unabhängige Wissenschaftler
versammelt. An diesem Gremium können sich alle Bürger beteiligen, es gibt keine gewählten Mitglieder, sondern es handelt sich um eine allen offen stehende Einrichtung. Das „Observatoire“ mit seiner basisdemokratischen Struktur ist staatlicherseits eingerichtet worden und kein Gremium von „Eau de Paris“, sondern der Stadt Paris. Es verfügt über eine beratende Funktion. In diesem Kreis werden wichtige
Wasser-Themen wie etwa die Preisgestaltung besprochen. Ein anderes Instrument ist der neue erweiterte Verwaltungsrat unseres öffentlichen Wasserbetriebes. In ihm sitzen neben Vertretern aller Fraktionen des
Stadtrates Delegierte der Beschäftigten sowie Vertreter des Verbraucher- und Umweltschutzes. Die Zukunftsentscheidungen des Wasserbetriebes können so demokratisch mitgestaltet werden.
Ulrike von Wiesenau: Was hat die Rekommunalisierung des Wassers der Stadt Paris gebracht?
Anne Le Strat: Wir konnten eine achtprozentige Preissenkung für Trinkwasser realisieren, es ist wieder möglich, langfristig zu planen, die Gewinne verbleiben im Betrieb und können in die Infrastruktur der
Wasserversorgung fließen, statt in die Hände der Aktionäre. Die Rekommunalisierung hat auch positive Effekte auf die Sozialpolitik, weil es wieder möglich ist, günstigere Tarife für sozial schwache Menschen anzubieten. Rekommunalisieren ist also auch sozialer. Wir haben wieder mehr Kontrolle über das Budget und können Investitionen längerfristig planen. Die privaten Unternehmen hatten Reparaturarbeiten
an ihre eigenen Firmen weitergegeben, die wiederum alles viel teurer fakturierten, jetzt werden solche Arbeiten ausgeschrieben. In Paris hat man gesehen, wozu die Liberalisierung führt: Zwei international
agierenden Konzerne hatten sich den Markt aufgeteilt und die Arbeiten untereinander verteilt, anstatt sie auszuschreiben. Das hat auf Dauer alles teurer und schlechter gemacht und ging zu Lasten der Kunden.
Ulrike von Wiesenau: Wie war der Zustand der Wasserbetriebe, als Sie diese übernommen haben?
Anne Le Strat: Wir konnten feststellen, dass nicht genug investiert worden ist, obwohl die Wasserkunden das Geld für die Investitionen bezahlt hatten. Dieses Geld wurde zuvor zweckentfremdet. Das haben wir
geändert. Heute fließt das gesamte Geld der Pariser Wasserkunden in den Betrieb.
Ulrike von Wiesenau: Das ist also ein wesentlicher Unterschied zu Berlin?
Anne Le Strat: Ja, denn auf der heutigen Tagung habe ich erfahren, daß in Berlin ein Teil des Geldes der Wasserkunden für die Rückzahlung der Kredite verwandt wird, die aufgenommen wurden, um die vor 14 Jahren privatisierten Veolia- und RWE-Anteile zurückzukaufen. Außerdem liefern die Berliner Wasserbetriebe Geld an den Landeshaushalt ab. Das ist bei uns nicht der Fall. Wir haben einen geschlossenen Kreislauf. Das Geld der Wasserkunden wird nur für das Wasser ausgegeben.
Ulrike von Wiesenau: Welche politischen Auswirkungen hat die jetzt in Frankreich verkündete
Austeritätspolitik auf das Wassergeschäft?
Anne Le Strat: Im Prinzip keine, weil alles Geld des Unternehmens von den Wasserkunden kommt und im geschlossenen Kreis im Betrieb verwendet wird, da greift die „Sparpolitik“ nicht. Die Infrastruktur wird
verbessert, die Mitarbeiter sind sehr motiviert. Die Bevölkerung schätzt den Service und findet den Wasserpreis angemessen. Das ist für uns ein großer Erfolg. Als wir die Reform in Paris angegangen sind, hat
das in Frankreich geradezu eine Revolution ausgelöst. Viele Gebietskörperschaften wollten dem Pariser Beispiel folgen, was aber eine langwierige Sache ist, weil die Konzerne Veolia und Suez auch politisch ziemlich einflussreich geworden sind und andere öffentliche Dienste bestellen. Doch eine breite Diskussion zu einer geeigneten Bewirtschaftung von öffentlichen Betrieben ist eröffnet worden und das ist ein guter Anfang.