von Dr. Ulrike Kölver
Nach neuesten Informationen soll das Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement / Umfassendes Wirtschafts-und Handelsabkommen) zwischen Kanada und der EU bzw. ihren Mitgliedstaaten am 13. Mai 2016[1] im Europäischen Rat behandelt werden. Das Abkommen CETA ist der Türöffner für das weit bekanntere EU-US-Abkommen TTIP (transatlantic trade and investment partnership).
Bei der EU-Ratssitzung soll es wohl vor allem um zwei formale Fragen zu CETA gehen:
(a) ist CETA ein „reines EU-Abkommen“ oder ein „gemischtes Abkommen“?
(b) soll CETA zur „vorläufigen Anwendung“ gebracht werden?
Diese beiden Fragen hängen formal eng zusammen.
1.“Reines“ vs. „gemischtes“ EU-Abkommen
Ein „reines EU-Abkommen“ fällt allein in die Zuständigkeit der EU, sie ist alleiniger Vertragspartner gegenüber einer Nicht-EU-Vertragspartei. Für das Inkrafttreten eines solchen Abkommens genügt die Zustimmung des Europäischen Rates und des EU-Parlaments. Ein „gemischtes Abkommen“ fällt dagegen in die Zuständigkeit der EU und aller 28 Mitgliedstaaten, d.h. Vertragspartner sind sowohl EU als auch die einzelnen Mitgliedsstaaten. Für Inkrafttreten muss der jeweilige Vertrag von der EU und zusätzlich von allen 28 Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Die Frage „rein“ oder „gemischt“ ist also von erheblicher Tragweite: es liegt auf der Hand, dass Ratifizierung durch alle 28 Mitgliedstaaten ein zeitaufwändiger Prozess ist, der sich auf mehrere Jahre ausdehnen kann – und mehr noch: ein Prozess, in dessen Verlauf der ganze umstrittene konzernkonforme und völkerfeindliche Plan zu Fall kommen kann.
In dieser Sache besteht anscheinend ein Konflikt zwischen EU-Kommission und EU-Rat: Während die EU-Kommission zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des „ausverhandelten“ Entwurfs im August 2014 das Abkommen als reines EU-Abkommen ansah, vertritt der EU-Rat die Auffassung, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handle.[2] Auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums heißt es dazu:
„Nach Auffassung aller Mitgliedstaaten und des Juristischen Dienstes des Rates ist CETA ein so genanntes gemischtes Abkommen […] Daher bedarf es einer Ratifikation durch die EU und durch die 28 Mitgliedstaaten.“
Über inhaltliche Kriterien, nach denen sich die Unterscheidung zwischen den beiden Abkommensformen bemisst, wird nichts gesagt. Auch andere europarechtliche Gutachten halten CETA für ein eindeutig gemischtes Abkommen, so das von attac München in Auftrag gegebene Kurzgutachten des Zentrums für europäische Rechtspolitik der Universität Bremen vom Oktober 2014. Ob es sich bei der Meinungsverschiedenheit zwischen Kommission und Rat um einen echten Konflikt oder letztlich nur um ein Spiel mit verteilten Rollen handelt, ist bei der großen Intransparenz der Vorgänge in der Öffentlichkeit z. Zt. kaum zu erkennen. Laut BMWi scheint die derzeit zuständige Kommissarin Malmström seit Dezember 2014 von der ursprünglichen Kommissionsposition abzurücken. Andererseits aber ist auffällig, dass die Bundesregierung der Auffassung des EU-Rates gegenüber der Kommission keinerlei Nachdruck verleiht. In jedem Fall muss vom EU-Rat nach dem Vorlauf erwartet werden, dass er CETA weiterhin als gemischtes Abkommen auffasst – und das heißt: Ratifizierung durch alle Nationalparlamente der EU.
2. „Vorläufige Anwendung“
Einigkeit besteht unter den EU-Instanzen aber auf alle Fälle in der Frage der „vorläufigen Anwendung“ dieses Abkommens: denn während der EU-Rat sich mit seiner Position zu „rein“ versus „gemischt“ gut demokratisch gibt, leitet er genau daraus ein völlig undemokratisches Verfahren ab und scheint darin einig mit der Kommission zu sein. Mit der Begründung der allzu langen Dauer der Ratifizierungsprozesse wird nun ein Ratsbeschluss zur „Vorläufigen Anwendung“ des Abkommens angestrebt. Gestützt auf den Lissabon-Vertrag, der das zulässt, soll so den Entscheidungen aller demokratischen Instanzen in den Mitgliedsländern im Handstreich vorgegriffen werden. Dazu das Bundeswirtschaftsministerium:
„Es ist übliche Praxis, dass EU-Abkommen für vorläufig anwendbar erklärt werden, bevor sie mit ihrer Ratifizierung in Kraft treten können.“
Die Entscheidung über eine solche „vorläufige Anwendung“ trifft der EU-Rat, seine Kompetenz gilt jedoch nur für die Teile des Vertrages, die allein in EU-Zuständigkeit fallen. Welche genau das sind, bleibt bisher intransparent, es scheint jedoch auf alle Fälle für die berüchtigten Schadenersatzklagen von Investoren gegen Staaten zu gelten.[3] Nach den rechtlichen Grundlagen, die sich die EU mit dem Lissabon-Vertrag gegeben hat, ist dafür nicht einmal die Zustimmung des EU-Parlamentes erforderlich (wird aber für demokratische Kosmetik bevorzugt, siehe die Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums BMWi). Zur Ablösung der „vorläufigen Anwendung“ ist ausschließlich das „Inkrafttreten“ eines Abkommens vorgesehen. Eine andere zeitliche Befristung gibt es nicht. Bei Verschleppung von Parlamentsentscheidungen könnte also die vorläufige Anwendung beliebig immer weiter gelten.
3. Wirkung des Protestes
In ganz Europa und Amerika wachsen laufend Protest und Widerstand gegen die Abkommen CETA, TTIP und TISA. Die durchweg negativen Erfahrungen für die Bevölkerungen mit bereits bestehenden Freihandelsabkommen, wie NAFTA (North American Free Trade Agreement), sind mittlerweile weithin bekannt. Auch wenn sich TTIP bisher weit mehr als CETA in allen EU-Ländern und den USA herumgesprochen hat und Empörung auslöst, richtet sich die öffentliche Aufmerksamkeit inzwischen mehr und mehr auch gegen dieses nicht minder schädliche Abkommen. Denn jeder multinationale Konzern kann CETA durch eine kanadische Niederlassung zu seiner Bereicherung auf Kosten der Öffentlichkeit nutzen, mit ebenso schädlichen Folgen wie bei TTIP. Wenn CETA etabliert ist, haben die multinationalen Konzerne ihr Ziel auf beiden Seiten des Atlantiks schon erreicht.
Es dürfte somit immer schwieriger werden, dass CETA den „Marsch durch die Instanzen“ der EU-nationalstaatlichen Ratifizierungsorgane überstehen kann, besonders, da in mehreren Mitgliedstaaten dazu Referenden durchgesetzt werden können. Die EU-Instanzen – sei es Kommission, sei es Rat (mit seiner enorm einflussreichen Regierung der Bundesrepublik D.) – wollen offenbar nun versuchen, auf dem Weg der angeblichen Vorläufigkeit gegen alle deutlich zum Ausdruck gebrachte Ablehnung und ohne demokratische Legitimation CETA mit „vorläufiger Anwendung“ einzuschleichen.
Das klingt gefährlich, ist es auch. Aber: es zeigt auch, dass die massiven Proteste auf beiden Seiten des Atlantiks nicht vergeblich waren: der Rückzug auf „Vorläufigkeit“ ist bereits ein erheblicher Erfolg der Protestbewegung. Wenn EU-Instanzen und Regierungen sich nun mit diesem Trick über das alles hinwegsetzen wollen, ist das inzwischen auch ein unglaublicher Affront gegen die EU-Bevölkerung. Der Protest einer immer breiteren Bürgerbewegung wird weitergehen, in ganz Europa, in Kanada und in den USA.
[1] das Datum bzw. der Tagesordnungspunkt stehen noch nicht endgültig fest
[2] Zum Konflikt zwischen Kommission und Rat vergleiche auch die Seite „CETA-Leak“ von Mehr Demokratie
[3] Vergleiche Peter Mühlbauer, telepolis vom 25.01.2015