Blockupy und die aktuelle Lage in Griechenland

11.05.2012, von Stephan Lindner. Während in Deutschland immer mehr Proteste verboten werden und in den deutschen Medien die Diffamierungskampagene gegen Griechenland einen neuen Höhepunkt erreicht, werden in Griechenland gerade ohne ausreichende demokratische Kontrolle Milliarden an Großbanken und große Konzerne transferiert. Bitte helft mit Gegenöffentlichkeit herzustellen, damit die Wahrheit doch noch ans Licht kommt.

Geht es nach der Stadt Frankfurt, ist Demokratie entbehrlich. Lautstarker Protest gegen menschenverachtende Politik wäre einfach verboten. Egal ob ein Konzert von Konstantin Wecker, eine Mahnwache der Ordensleute für den Frieden, eine Diskussion besorgter Menschen über die Krise, eine internationale Großdemonstration oder das Besetzen von Straßen und Plätzen nach dem Vorbild von Occupy Wallstreet – nichts davon dürfte stattfinden. Noch ist es zwar wahrscheinlich möglich, diese Rechte vor Gericht zu erstreiten, das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der damit verbundene Demokratieabbau derzeit ein weltweites Phänomen ist.

Als am 3. Mai die Europäische Zentralbank im spanischen Barcelona tagte, setzte die spanische Regierung kurzerhand das Schengen-Abkommen außer Kraft. Dutzenden Menschen wurde die Einreise nach Spanien verweigert und 8.000 Polizisten machten aus Barcelona eine Art Schaufenster für Uniformen, Waffen, Helikopter und Polizeiwagen wie die FTD aus El Pais zitiert. Dabei hatte die spanische Bewegung auf Grund der zeitlichen Nähe zum 12. Mai nicht einmal größere Aktionen geplant. Telepolis berichtete vor kurzem, dass die spanische Regierung die Strafgesetze so verschärfen will, dass Aufrufe im Internet oder anderen Medien zu Protesten, die „ernsthaft den öffentlichen Frieden stören“ könnten, wie es auch Blockupy vorgeworfen wird, als Bildung einer kriminellen Vereinigung gewertet werden könnten. Dann drohen Haftstrafen von mindestens zwei Jahren, um sofort Untersuchungshaft verhängen zu können. Verhindert werden soll damit auch, dass die Strafen zur Bewährung ausgesetzt werden.

Gleichzeitig findet eine massive Verunglimpfungs-Kampagne gegen das linke Parteienbündnis SYRIZA statt, das bei den Wahlen in Griechenland seine Stimmen vervierfacht hat. Mit mehr als 16% wurde es zweitstärkste Kraft knapp hinter der konservativen Nea Dimokratia, deren absolute Stimmenzahl sich halbierte. Obwohl SYRIZA wiederholt erklärt hat, Griechenland in der Eurozone halten zu wollen, wird die Partei in fast allen Artikeln als antieuropäisch bezeichnet. Keine Kritik hört man hingegen, wo wirklich antieuropäische Töne zu hören sind, nämlich bei den zahlreichen Drohungen deutscher Politiker wie z.B. EZB-Mitglied Jörg Asmussen, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble oder Außenminister Guido Westerwelle, Griechenland gegen seinen Willen aus dem Euro zu schmeißen, sollte dort auch nur eine Minute ernsthaft daran gedacht werden, gemäß dem Willen der Wählerinnen und Wähler auf einer Neuverhandlung des von der Troika aus EZB, EU-Kommission und IWF diktierten Memorandums zu bestehen.

Für welche Inhalte SYRIZA wirklich steht, hat bisher auch wenig Aufmerksamkeit gefunden. Kein einziges namhaftes deutsches Medium, linke Tageszeitungen wie das Neue Deutschland und die Junge Welt eingeschlossen, scheinen sich bisher für die fünf Punkte zu interessieren, die der Vorsitzende von SYRIZA, Alexis Tsipras, nach der Wahl zu seiner Grundlage für Gespräche mit anderen Parteien erklärt hat.

Die ersten beiden Punkte bestehen darin, ab sofort keine weiteren Maßnahmen mehr umzusetzen, die zu weiterer Verarmung führen würden wie z.B. das Kürzen von Renten oder Löhnen und keine fundamentalen Rechte von Beschäftigten mehr zu schleifen, wie z.B. das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen.

Außerdem fordert SYRIZA die Erneuerung des politischen Systems. Explizit erwähnt wird dabei, dass es zukünftig möglich sein soll, korrupte Minister vor Gericht zu stellen und eine Änderung des Wahlrechts. Dass die stärkste Partei automatisch 50 der 300 Parlamentssitze extra erhält, ist wohl einzigartig in Europa. Deshalb kommt die mit nur etwas mehr als zwei Prozent Vorsprung gewählte Nea Dimocratia mit 18,85% der Stimmen auch auf 108 Sitze, während auf das mit 16,78% an zweiter Stelle gelandete SYRIZA-Bündnis nur 52 Sitze entfallen. Die Regelung soll die Vorherrschaft der Memorandums-Parteien Nea Dimocracia und PASOK zementieren, die Griechenland seit Jahrzehnten wie einen Erbhof regieren.

An vierter Stelle wird die öffentliche Kontrolle der Banken gefordert und die Veröffentlichung einer Untersuchung, die BlackRock kürzlich zum Zustand des griechischen Bankensektors durchgeführt hat. Diese Untersuchung wurde von der griechischen Zentralbank beauftragt. Sie ist wichtige Berechnungsgrundlage für die Staatshilfen, die die griechischen Großbanken gerade erhalten. Die Mittel dafür stammen aus den Krediten, die verbürgt von europäischen SteuerzahlerInnen und zu Lasten der griechischen Regierung vom EFSF aufgenommen werden. Von den 130 Mrd. Euro, die die griechische Regierung laut zweitem Memorandum noch erhalten soll, sind bis zu 50 Mrd. Euro für die griechischen Großbanken reserviert. Davon wurden 25 Mrd. Euro bereits kurz vor der Wahl ausgezahlt, der Rest sollte eigentlich kurz danach folgen. Echtes Mitspracherecht soll die Regierung dafür in den Banken aber nicht erhalten. Denn das Memorandum schreibt auch die Verabschiedung eines Gesetzes vor, das für den Fall, dass der Staat im Gegenzug für seine Zahlungen Aktien erhalten sollte, deren Stimmrechte beschneidet. Das Bankensystem soll auf jeden Fall privat bleiben. Deshalb ist im Memorandum auch geregelt, dass der Staat, je nach Höhe seiner Anteile, diese nach spätestens zwei, vier oder fünf Jahren wieder verkaufen muss. Ob er dabei dann ein gutes oder schlechtes Geschäft macht, ist der Troika egal. Schließlich geht es ja auch nur um eine Summe, die in etwa den Einnahmen eines kompletten griechisches Staatshaushalts entspricht und sollte dabei etwas schief gehen, gibt es ja auch noch die Bürgschaften der anderen Eurostaaten und des IWF.

Und wer ist BlackRock? Laut einem Artikel im Handelsblatt vom Juni letzten Jahres ist das mit einem verwalteten Vermögen von 3,65 Billionen Dollar der mittlerweile größte Vermögensverwalter der Welt. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt von Deutschland betrug 2011 gerade einmal 3,28 Billionen Dollar. Da den von BlackRock verwalteten Fonds auch signifikante Teile aller 30 im deutschen Aktienindex DAX notierten Firmen gehören, bezeichnet das Blatt den Finanzkonzern auch als den heimlichen Herrn des Dax. Die Deutsche Bank gibt zum Beispiel auf ihrer Hoempage an, dass Ende 2011 5,14% ihres Kapitals von BlackRock gehalten werden. Bei der Commerzbank waren es zum selben Zeitpunkt mehr als 3%. Auch in Griechenland ist BlackRock einer der größten ausländischen Investoren, wie IPREO für 2010 berichtet. Allein BlackRock Fund Advisor soll in diesem Jahr in Griechenland mit mehr als 150 Mrd. Dollar investiert gewesen sein.

Die New York Times berichtete in einem Artikel, unter welch konspirativen Umständen das Gutachten über das griechische Bankensystem zu Stande kam. Demnach tarnte BlackRock das Büro, das es für seinen griechischen Auftrag nutzte, als Solarfirma. Wie dabei mit Interessenkonflikten umgegangen wurde, die sicher zahlreich vorhanden sind, wenn der größte Vermögensverwalter der Welt die Kreditportfolios zahlreicher Großbanken durchforstet, bleibt hingegen im Dunkeln. Und dabei war der Auftrag in Griechenland, für den BlackRock, wie der Artikel ebenfalls erwähnt, 17 Mio. Dollar kassiert haben soll, bei weitem nicht der einzige seiner Art. Neben den USA war BlackRock in derartiger Mission auch schon in Irland aktiv. Dort soll es die Zahlengrundlage für das Rettungspaket der irischen Banken geliefert haben, wegen dem sich dann auch Irland dem Diktat der Troika beugen musste. Die spanischen Tageszeitung El Mundo berichtete vor kurzem, dass schon über ein weiteren Auftrag in Spanien verhandelt wird.

Dieses Vorgehen wirft auch die Frage auf, in welchem Zustand sich die europäische Bankenaufsicht befindet. Würde die nämlich funktionieren, müsste sie eigentlich selbst wissen, wie es um die Bankensysteme der Krisenstaaten bestellt ist. Aufträge im zweistelligen Millionenbereich an einen Finanzkonzern wie BlackRock wären dann überflüssig.

Der letzte Punkt aus dem Fünf-Punkte-Programm besteht schließlich in der Forderung nach einem Schuldenaudit. Eine internationale Expertenkommission soll in einem transparenten und öffentlichen Verfahren klären, wie es zu dem griechischen Schuldenberg gekommen ist. Bis dahin soll ein Moratorium gelten, während dessen keine weiteren Tilgungen und Zinszahlungen mehr geleistet werden. Was dann mit den Schulden passiert, wäre abhängig vom Ausgang der Untersuchung. Schulden, die illegal, illegitim, auf verwerfliche Art und Weise zu Stande gekommen oder einfach nicht tragfähig sind, müssten gestrichen werden. Dass eine derartige Schuldenstreichung nicht, wie beim kürzlich erfolgten Schuldenschnitt, völlig intransparent, sondern in einem öffentlichen und transparenten Verfahren erfolgt, liegt auch im Interesse der Menschen im Rest der Eurozone. Die bürgen nämlich mittlerweile gemeinsam mit den Anteilseignern des IWF zu etwa Dreiviertel für den bei der griechischen Regierung aufgelaufenen Schuldenberg. Sollte es zu einem weiteren Schuldenschnitt kommen, was sehr wahrscheinlich ist, wären auch die EFSF-Kredite betroffen und die zugesagten Bürgschaften fällig.

Ein Schuldenaudit könnte dazu beitragen, herauszufinden, wie groß der Schaden ist, der Griechenland durch Steuerhinterziehung und Korruption entstanden ist. Könnten die aus diesen kriminellen Machenschaften erwachsenen Profite eingetrieben werden, wäre das auch ein Beitrag dazu, die Schuldenquote wieder schneller auf ein tragfähiges Niveau zu senken. Verbunden wäre damit auch, dass die Strukturen aufgedeckt und zerschlagen werden würden, die für die derzeitige Lage mitverantwortlich sind. Ob das wohl der Grund ist, warum man in Deutschland so wenig darüber hört?

Die Liste der deutschen Konzerne, die in Griechenland in Bestechungsskandale verwickelt sind, ist lang. Ganz oben auf der Liste steht Siemens, das im letzten Jahrzehnt in Griechenland 100 Mio. Euro an Schmiergeldern verteilt haben soll. Ein Untersuchungsausschuss des griechischen Parlaments schätzte den dabei entstandenen Schaden auf bis zu 2 Mrd. Euro. Im März einigte sich der Konzern mit der griechischen Regierung auf eine Zahlung von 270 Mio. Euro. Im Gegenzug erklärte die griechische Regierung Siemens wieder zum sauberen Konzern und stellte alle Ermittlungen ein. Dabei besteht knapp ein Drittel der Summe aus einem Verzicht auf Forderungen, die zwischen Siemens und der griechischen Regierung ohnehin strittig waren. Bei weiteren 100 Mio. Euro handelt es sich um Investitionen, mit denen Siemens in Zukunft sicher keine Verluste schreiben will. Mit den verbleibenden 80 Mio. Euro sollen unter anderem Initiativen gegen Korruption finanziert werden. An diejenigen, für deren Renten wegen solcher Machenschaften derzeit das Geld fehlt, wurde hingegen erst einmal nicht gedacht. Dafür ließ aber der nächste Großauftrag an Siemens danach nicht lange auf sich warten. Der Konzern soll für 41 Mio. Euro Signaltechnik und elektronische Komponenten für die Modernisierung der Athener U-Bahn liefern, bezahlt zu etwa 70 Prozent mit EU-Subventionen. Sicher die effizienteste Verwendung dieser Mittel, wenn man die Not der griechischen Bevölkerung lindern will.

Während dessen droht der Ausverkauf Griechenlands immer mehr an Fahrt aufzunehmen. Erst kürzlich wurden wieder weitere Anteile an wichtigen Infrastruktureinrichtungen auf den Privatisierungsfonds Hellenic Republic Asset Development Fond übertragen, dessen einziger Zweck darin besteht, nach Vorbild der deutschen Treuhand seine Besitztümer zu privatisieren. Dabei lässt er sich unter anderem von der Deutschen Bank und der bundeseigenen Außenwirtschafts-Förderagentur Germany Trade and Invest (GTAI) beraten. Er hat, neben vielen anderen Einrichtungen, schon seit längerem die Häfen und Wasserwerke von Athen und Thessaloniki im Angebot. Auch hier gibt es einen strikten Zeitplan der Troika, bis wann was verkauft sein muss. Noch zieren sich die meisten potentiellen Käufer, weil sie glauben, dass die Preise noch weiter fallen. Auch weitere Anteile des Athener Flughafens stehen zum Verkauf. In diesem Zusammenhang soll auch das Konzessionsabkommen mit HochTief, das dem Essener Baukonzern in den letzten Jahren deutlich zweistellige Renditen bescherte (allein 2010 56%!) weiter verlängert werden.

Unterstützt die Forderung nach einem Schuldenaudit für Griechenland!

Kommt zur Schulden-Audit-Veranstaltung

während Blockupy Frankfurt

Freitag, 18. Mai, 15:00 Uhr bis 17:00 Uhr im Attac-Zelt

Wie setzen wir Schulden-Audits durch?

Mit

Angela Klein (SoZ, Köln)

Sonia Mitralia (Griechisches Komitee gegen die Schulden, Athen)

NN (lokale Schuldenkomitees Frankreich)

Myriam Bourgy (CADTM, Liege)

Stephan Lindner (Attac, Berlin)

Nähere Infos zu Blockupy Frankfurt unter http://blockupy-frankfurt.org/

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