Ein Beitrag von Herbert Storn
Seit 2016 befasst sich Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) zusammen mit Mitgliedern der GEW und weiteren Engagierten mit der Berliner Schulbauoffensive (BSO). Dahinter versteckt sich eine problematische Rechtskonstruktion, mit der Bau und Sanierung von Schulen zum Teil der Landeswohnungsbaugesellschaft Howoge mbH übertragen werden sollen, so dass die Bezirke die Schulen im Anschluss für circa 30 Jahre zurückmieten müssen.
Was GiB 2017 bei einem ganz ähnlichen Projekt, der Verlagerung der Aufgaben von staatlichen Landesämtern auf eine privatrechtliche GmbH im Bundesbesitz, der Autobahn GmbH – damals in Übereinstimmung mit der Partei Die Linke und Gewerkschaften – als formelle Privatisierung kritisierte, wird jetzt von den Befürwortern der BSO als etwas anderes, nämlich als öffentlich-öffentliche-Partnerschaft bezeichnet und deshalb toleriert.
Toleriert wird damit auch, dass in den fünf Jahren bis heute zwar ein hoher Aufwand an Beratungstätigkeit für Rechtskonstruktionen getrieben, aber keine einzige Schule auf diesem Weg gebaut wurde und sich der Bau gegenüber den Planungen noch weiter deutlich verzögert. Auch der Sanierungsstau wurde nicht weniger, sondern mehr. In die Höhe geschossen sind derweil im Vergleich zu anderen Bundesländern die veranschlagten Kosten für die Schulbauten. Harsche Kritik kam deshalb auch vom Rechnungshof.
Und schließlich erweist sich auch das letzte Argument für die Übertragung von Teilen des Schulbaus an die Howoge als nicht stichhaltig: Wegen der Schuldenbremse sei der Staat gezwungen, Investitionsmittel über eine private Rechtsform zu mobilisieren. Denn tatsächlich ist mehr Geld da, als abgerufen wird.
Ein Demokratieproblem
Die Berliner Schulbauoffensive weist in Bezug auf Schulneubauten und -sanierungen deutschlandweit die komplizierteste Rechts- und Fachkonstruktion auf. Damit ist es für Betroffene und Interessierte schwierig, Sachverhalte zu analysieren und zu bewerten, zumal durch die Einbeziehung eines privatrechtlichen Trägers die Transparenz und Einflussnahmemöglichkeiten eingeschränkt werden. Alles Grundprobleme demokratischer Mitbestimmung. Umso wichtiger sind kritische zivilgesellschaftliche Organisationen. Das wird im Allgemeinen auch anerkannt.
So lehnte die GEW Berlin am 2. Dezember 2016 „die Ausgliederung von Schulsanierung und Schulneubau in Infrastrukturgesellschaften ab“, sprach sich am 29. November 2017 „gegen eine Übertragung des Eigentums an Schulimmobilien (Gebäuden und Grundstücken) in das Privatrecht“ aus und verhinderte mit ihrem Einspruch, dass der DGB Berlin eine Erklärung für die formelle Privatisierung des Schulbaus beschließen konnte. Im Jahr 2018 unterstützte die GEW die von Gemeingut in BürgerInnenhand ins Leben gerufene Volksinitiative „Unsere Schulen“ nach Kräften, ohne allerdings bei den verantwortlichen Politiker/innen Gehör zu finden.
Die Anhörung im Abgeordnetenhaus 2018 und die Kurzstudie 2021 sind basisdemokratische Beiträge, die es verdient haben, berücksichtigt zu werden
Die Hauptkritik an der Berliner Schulbau offensive kam von Gemeingut in BürgerInnenhand. GiB erarbeitete umfangreiche Stellungnahmen und erreichte mit Hilfe der Volksinitiative und den dazu gehörenden 30.000 Unterschriften eine Anhörung im Abgeordnetenhaus. Der Berliner Rechnungshof bestätigte in seinem Bericht für 2020 die Kritik von GiB. Die Bedenken werden wohl auch von vielen Bezirksbürgermeistern geteilt. Zumindest wurden bisher kaum Verträge unterschrieben oder gar Schulen durch die Howoge gebaut worden.
Weitere entscheidende Gesichtspunkte hat GiB in der „Kurzstudie zu Prognosefehlern als Basis der Berliner Schulbauoffensive (BSO)“ vom 27. Mai 2021 vorgetragen.
Der aktuelle Sachstand: Die Wahl zum Abgeordnetenhaus und die Bildung einer neuen Regierung wären ein guter Zeitpunkt für eine Überprüfung der bisherigen Strategie
Kurz vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus beschloss der Berliner Senat am 28. September 2021 den dritten Bericht zum „Aktuellen Sachstand Berliner Schulbauoffensive (BSO)“, rote Nummer 1189 AN. Er umfasst 34 Seiten (ohne Anlagen) und ist in mehrfacher Hinsicht besonders aufschlussreich.
Dieser letzte Bericht zur Schulbauoffensive hat im Vergleich zum vorausgegangenen Bericht (121 Seiten) nur ein Viertel an Umfang. Dennoch wird deutlich, dass die Howoge nicht viel zur Schulbauoffensive beiträgt, aber überproportional viel Geld und Energie für rechtliche Konstruktionen absorbiert. Es sollen von den 18 sogenannten Tranchen drei von der Howoge bedient werden. Dabei fällt auf:
- dass die Howoge zwar in der Tranche III (Neubauten) 18 Neubauschulen in Angriff nehmen sollte, davon aber bisher erst 1 Baugenehmigung erteilt wurde (Allee der Kosmonauten, Fertigstellung 2024/25!). Ansonsten gab es vereinzelte „Bedarfsprogramme“, die an die Bezirke übergeben worden sind. Für alle anderen Neubauten ist der Baubeginn aktuell für die Jahre 2023 bis 2026 und die Fertigstellung für die Jahre 2024 bis 2029 vorgesehen. Andere große Kommunen wie Frankfurt am Main haben vergleichbare Projekte schneller, preiswerter und transparenter mit Hilfe eigener Bauämter bewältigen können.
- In Tranche VII (Großsanierungen) gab es bisher keine Fertigstellungen, nur „Konzepte“ oder „Bedarfsprogramme“.
- In der Tranche V b (Holzmodulschulen) gab es drei Übertragungen beim Bau von kleinen Grundschulen in Holzmodulbauweise an die Howoge, nämlich die Übertragung der Standorte 07Gn03 Grundschule Marienfelder Allee, 11Gn18 Grundschule Rosenfelder Ring, 11Gn20 Grundschule Hohenschönhauser Straße. In dem Bericht heißt es weiter: Ausführung der bereits der Howoge übertragenen Grundschule 11Gn19 Rheinpfalzallee als Holzmodulschule. Weiter heißt es: „Für vier Schulstandorte führte die Howoge in 2019 und 2020 Wettbewerbsverfahren durch. Aus diesen Verfahren konnten die Generalplaner bereits gebunden werden. In 2021 wurden vier weitere Wettbewerbsverfahren gestartet und hierfür sollen teils in 2021 und teils bis Anfang 2022 die Wettbewerbssieger feststehen. Die Beauftragung der jeweiligen Generalplaner soll nach Abschluss der Verhandlungsverfahren im 1.Quartal 2022 erfolgen.“
- Es wurde die Maßnahme „Errichtung einer zweizügigen Grundschule auf dem Grundstück der Andreasstraße/Langestraße/Krautstraße (ehemaliges Pintsch-Areal)“ durch die Howoge übernommen. Bisher hieß es, die Howoge solle nur Sekundarschulen bauen, die Gründe für den Einstieg in den Grundschulbau bleiben ungenannt.
Die Mobilisierung von Finanzmitteln außerhalb des regulären Haushalts hat die komplizierte und intransparente Rechtskonstruktion mit der Übertragung von Grundstücken an die Howoge GmbH und ihre Zurückvermietung an die Bezirke bisher nicht gerechtfertigt. Die Hereinnahme der Howoge in den Schulbau hat bisher keine zusätzlichen Investitionsmittel in nennenswertem Umfang mobilisieren können, da man immer nur „Planungsvorläufe und Bauvorbereitungsmaßnahmen“ finanzieren musste. So sind 2019/20 insgesamt 3,7 Millionen Euro abgeflossen, davon 2,4 Millionen Euro für Neubau, und im ersten Halbjahr 2021 zusammen 6,7 Millionen Euro, davon 5,8 Millionen Euro für Neubauprojekte. Das Gesamtvolumen soll 5,5 Milliarden Euro betragen, die geflossenen Gelder liegen also im Promillebereich. Dafür hätte man eine solche Rechtskonstruktion sicher nicht gebraucht.
Leistungsfähiger waren die Bezirke. Für Schulbauinvestitionen standen ihnen 2019 immerhin 117 Millionen Euro zur Verfügung, 2020 rund 139 Millionen Euro und 2021 rund 180 Millionen Euro zur Verfügung, von denen nicht alle auch abgerufen wurden. Für die Bezirke gibt es verschiedene Haushaltstitel oder Fonds, die zum Teil auch aus Bundesmitteln bezuschusst werden. Den größten Finanzrahmen stellt das SIWA dar (Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt). Darin sind für Baumaßnahmen der Schulen 529 Millionen Euro vorgesehen, von denen zwischen 2015 und Mitte 2021, also in sechseinhalb Jahren, 251 Millionen Euro abgeflossen sind (47 Prozent).
Die Mittel können allerdings auch gar nicht voll ausgegeben werden, weil jedem Bezirk pro Schulplatz nur jene Kosten erstattet werden, die dem Median der Kosten in allen Bezirken entsprechen, festgelegt in der Landeshaushaltsordnung:
„Zur Berechnung der einzelnen Budgets wird für jedes Produkt ein einheitlicher Zuweisungspreis angesetzt. Basis der Preisermittlung ist ein produktbezogener Kostenvergleich zwischen den Bezirken. Dabei bilden die mittleren Kosten je Menge (Median der Stückkosten) die Grundlage des Zuweisungspreises.“ (in: Ausführungsvorschriften zur Landeshaushaltsordnung, hier zu § 26a LHO)
Dieses Benchmarking führt beim Schulbau zu folgendem Dilemma: Umso mehr Bauunterhaltungsmittel man ausgebe, umso schlechter stünde man gegenüber Bezirken da, die weniger ausgeben würden. Dieses sei sinnwidrig, da es erklärtes Ziel sei, diese Mittel auszugeben und die Lernsituation an den Schulen nachhaltig zu verbessern. Aber dies habe eben negative Auswirkungen auf die Kostenstruktur im Rahmen der Kosten- und Leistungsrechnung. Es verteuere die Schulprodukte, so Bezirksstadtrat Carsten Spallek (CDU) im Ausschuss für Schule der BVV Mitte am 14. März 2019 laut Niederschrift.
Durch die veränderte Schüler/innen-Prognose als Grundlage für die BSO ist die Einbindung der Howoge überflüssig geworden. In der „Kurzstudie zur Prognosefehlern als Basis der Berliner Schulbauoffensive (BSO)“ hat Gemeingut in BürgerInnenhand am 27. Mai 2021 festgestellt:
„Die vorliegende Studie weist nach, dass plausible Prognosen für den Zeitraum 2016 bis 2025 einen Gesamtzuwachs von 54.000 SchülerInnen voraussagen, 30.000 weniger als in der BSO-Basis-Schätzung. Da aber die Howoge auch in ihren eigenen optimistischen Szenarien nur knapp 20.000 zusätzliche Schulplätze bereitzustellen verspricht, verliert die komplette Auslagerung ihre Begründung und kann entfallen. Auf diesem Wege würde wenigstens eine Milliarde Euro gespart, Schulneubau und die Sanierung maroder Schulen könnten erheblich beschleunigt und langfristig finanziell abgesichert werden.“
Im aktuellen Sachstandsbericht des Senats vom September 2021 heißt es:
„Die Ergebnisse der aktuellen Modellrechnung zur Schülerzahlenentwicklung fallen insgesamt geringer aus als zuvor, mit der Folge, dass bis zum Ende des Prognosezeitraums voraussichtlich gut 19.000 weniger Schulplätze benötigt werden könnten. Vor diesem Hintergrund reduziert sich analog der zusätzliche Schulplatzbedarf. Inwieweit sich die nachfragesenkende Dynamik der demographischen Entwicklung (u.a. aktuell negativer Wanderungssaldo) bestätigt oder nur einen kurz- bzw. mittelfristigen Trend in Folge der Coronapandemie darstellt, bleibt abzuwarten und kann erst mit Vorlage der neuen Bevölkerungsprognose durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen beurteilt werden. (…) Das weitere Vorgehen wurde mit der Finanzverwaltung besprochen und entschieden, dass der Senat gemeinsam mit den Bezirken unverzüglich eine Fortschreibung im Rahmen des Monitorings 2021/22 beginnen wird, sobald die Nachjustierung der Datengrundlagen erfolgt ist.“
Damit bestätigt der Senatsbericht die Ergebnisse der „Kurzstudie zu Prognosefehlern als Basis der Berliner Schulbauoffensive (BSO)“ von GiB und auch die von GiB bei der Anhörung 2018 vorgelegten Schülerzahlprognosen. Der Senat bestätigt damit auch, dass das gesamte Howoge-Konstrukt auf einer falschen Grundlage beruht. Die Einbindung der Howoge für 20.000 zusätzliche Schulplätze ist in der geplanten Form nicht nötig, und die für das Konstrukt ausgegebene Begründung ist nicht haltbar.
Noch ist es Zeit für Korrekturen, um den Schaden kleinzuhalten! Es sollten keine weiteren Verträge mit der Howoge unterschrieben werden. Und der Demokratie würde es guttun, wenn nicht nur auf die ExpertInnen von PricewaterhouseCoopers gehört würde.