Kommentar zu einer Buchanzeige im Tagesspiegel vom 2. Juni 2011
Von Jürgen Schutte
Die ehemalige Finanzsenatorin Fugmann-Heesing, die seinerzeit kräftig – und im Nachherein satt honoriert – an der Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe mitgewirkt hat, wendet sich in der Schlussphase des Wahlkampfs mit starken Worten an die Wählerinnen und Wähler. Was alle Spatzen von den Dächern pfeifen, das hat sie jetzt auch begriffen – und zum Thema einer Reklame-Verlautbarung in der anspruchsvollen Form eines Buches gewählt. „Sparkommissarin a. D.“ nennt sie Uwe Schlicht im „Tagesspiegel“ und titelt: „Als Bildungspolitikerin fordert die Berliner SPD-Frau Annette Fugmann-Heesing Milliardeninvestitionen.“
Wir verlangen gar nicht, dass eine Bildungspolitikerin gebildet sein muss. Aber in dem Bereich der Gesellschaft, den sie für sich reklamiert, sollte sie schon einige Kenntnisse haben. Sonst wird’s schief. Ihre Vorschläge „Wie wir wieder Spitze werden!“ gipfeln in Gemeinplätzen, die so abgedroschen sind, dass wir uns ihre Wiedergabe eigentlich sparen können. Man erledigt Propaganda jedoch nicht durch vornehmes Schweigen. Also sollen einige der von Fugmann-Heesing verkündeten tiefschürfenden Einsichten in der gebotenen Schärfe kommentiert werden.
„Wir haben zu wenige Krippen und Ganztagskindergärten, das Ganztagsschulangebot ist noch lange nicht flächendeckend, an den Hochschulen verlieren sich die Studierenden in zu großen Gruppen. Die Infrastruktur verkommt. Mensen an Schulen und Seminarräume für Kleingruppenarbeit an Hochschulen fehlen.“
Was fällt der hoffnungsvollen Buchautorin dazu ein? Sie erinnert sich daran, dass sie ihre größten Wirkungen – von Erfolgen mag man nicht sprechen – als Sparkommissarin gehabt hat und schlägt vor, die Zahl der Studienplätze in Berlin um ein Drittel zu reduzieren. Und zu einem Zeitpunkt, zu dem nach Angaben der Rektorenkonferenz in der Bundesrepublik zweihundertfünfzigtausend Studienplätze fehlen. Wie sich damit die „zu großen Gruppen“ in den Hörsälen auflösen lassen, bleibt Frau Fugmann-Heesings Geschäftsgeheimnis. Weiter: Durch „Bologna-Reform“ in höchsten Tönen. Durch diese werde der zeitlich frühere Berufseinstieg über Bachelor und Master erreicht. Den Beweis für diese Behauptung bleibt sie uns (wenigstens in Uwe Schlichts Zusammenfassung) schuldig – sie würde ihn auch nicht führen können, denn die Folgenlosogkeit dieser Reform für die Berufsaussichten der Jugend ist notorisch.
Einen veritablen Vogel schießt sie ab mit der Feststellung: „Statt der Fiktion, alle Hochschulen seien gleich, gelte heute die durch den Exzellenzwettbewerb und das Hochschul-Ranking gefördert Erkenntnis, dass einige Hochschulen viel leistungsfähiger seien als andere.“
Dass Exzellenz-Initiative zu einer dramatischen Verschlechterung der Hochschullehre geführt hat, zu einer Fixierung auf die Erhöhung der „Leistungen“, welche beim Ranking zählen, zu einer exorbitanten Ausbeutung der Angehörigen des Mittelbaus und des nichtwissenschaftlichen Personals, das weiss man in den betroffenen Fachbereichen sehr gut und es bleibt auch den Studierenden nicht verborgen. Dass wir auf diesem Wege „wieder Spitze werden“, glaubt die Autorin wohl selbst nicht; aber das „Höher – weiter – schneller“ klingt in ihren Ohren einfach zu gut.
Wie um sich selbst zu überbieten propagiert sie – nach dem Vorbild von Frau von der Leyen? – Bildungsgutscheine als eine von vier Säulen der Bildungsfinanzierung. Für die zweite Säule sollen die Studierenden durch Studiengebühren sorgen. Drittens müssten sie mit besseren Stipendien versorgt werden. Viertens die Rückzahlung soll erst dann einsetzen, wenn ein Mindesteinkommen erreicht ist.
Wie das gemeint sei, weiss vermutlich nicht einmal die forsche Fugmann-Heesing. Sollen die Bildungsgutscheine als Zahlungsmittel für Studiengebühren taugen? Oder soll diese Aufgabe von den Stipendien erfüllt werden? Und was verbirgt sich hinter dem Begriff Rückzahlung? Sollen die Kosten der Bildungsgutscheine oder die Stipendien oder beides zurückgezahlt werden. Ist nicht das Stipendium die Gewährung einer Förderung, deren Rückzahlung in der Regel gerade nicht erwartet wird? Vielleicht darf man von der Frau Dr. keine begriffsgeschichtlichen Kenntnisse erwarten – aber wie wäre es mit dem folgenden Vorschlag: Der Staat gibt die für Bildungsgutscheine vorgesehenen Summen direkt für die Schaffung neuer Studienplätze an die Länder ab und die Stiftungen, welche gewohnheitsmäßig für Stipendien zuständig sind und ohnehin zumeist direkt oder indirekt aus Steuermitteln finanziert werden, übernehmen pauschal die Studengebühren für alle Studierenden. Das wäre bildungspolitisch geklotzt bei äußerster Einsparung in der Verwaltung der Gelder.
Aber seien wir gerecht: Die hier unterstellte Rationalität ist Fugmann-Heesings Sache nicht. Sie will nicht Bildungsspolitik machen, sondern „Begabtenföderung“ und die schafft man, indem man alle Finanzierungsinstrumente am Ziel der Selektion schärft. Das alte und neue, von der SPD gerne adaptierte Prinzip der Elitebildung ist aus Fugmann-Heesings Vorschlägen nicht wegzudenken: Gutscheine und Stipendien für die Leistungsfähigen und Leistungsbereiten. Dass diese in aller Regel auch die Anpassungsfähigsten sind, dafür stehen die Auswahlkriterien des Arbeitsmarktes und das Fehlen wichtiger Grundelemente einer Wirtschaftsdemokratie in unserem Land.
Vor Jahren, als die andauernden Kämpfe um die Bildungsfinanzierung schon einmal in vergleichbarer Weise die Republik erschütterten, die damals noch eine Teilrepublik war, hatte die GEW einen Slogan, dessen Doppelsinn den Studierenden von heute ins Stammbuch geschrieben sei: „Was ist schon Elite – wir sind Klasse!“