von Jürgen Schutte
„Griechenland steht am Abgrund“,schreibt Michael R. Krätke im Freitag vom 13. Juni 2011. „Ein Ausweg scheint nicht in Sicht“. Seit dem Frühjahr 2010 werde in Griechenland unter dem Diktat des IWF, der EZB und der EU-Kommission ein Sparprogramm nach dem anderen exekutiert; bisher ohne jeden Erfolg weder für den Schuldenstaat noch die Eurozone.
Das Land, das innerhalb weniger Monate durch die ungehinderte Spekulation mit den Staatsanleihen an den Rand des finanziellen Ruins getrieben wurde, sieht sich zur Durchführung von „Reformenprogrammen“ genötigt, die auf einen totalen Ausverkauf der Gemeingüter hinauslaufen.
Man denkt auch daran, das ausgeplünderte Land ganz los zu werden. Womöglich ist eine Rückkehr zur Drachme „das kleinere Übel“, ließ Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, die Frankfurter Rundschau wissen. Mohamed El-Erian, der für die Allianz über rund eine Billion Dollar Fondsgeld wacht, erwog schon im Herbst 2010 für Griechenland eine zweijährige „Auszeit“ vom Euro.
Dem widersprach Maximilian Zimmerer, Vorstandsvorsitzender der Allianz Lebensversicherungs-AG und der Allianz Private Krankenversicherungs-AG und Mitglied im Vorstand der Allianz, dem weltgrößten Versicherungskonzern, am 6. Juni in der ZEIT: „Man sollte Griechenland auf gar keinen Fall fallen lassen. Das würde das Land nicht verkraften. Außerdem würden auch noch andere in den Abgrund gerissen, etwa die griechischen Banken oder andere, die diesen Geld geliehen haben. Griechenland muss aber alles unternehmen, seine Staatsfinanzen zu sanieren. Dazu gehört der Verkauf von Immobilien und Staatsunternehmen, aber auch die Senkung staatlicher Leistungen, etwa in der Sozialversicherung.“
„Ratingagenturen entmachten Länder auch ohne Fakten“ titelte die WELT am 3. Juni; „es könnte sich herausstellen, dass dieses Urteil in der Sache sogar berechtigt ist. Nur wirklich wissen kann das auch Moodys erst, wenn die neuen Daten zu Athens Sparprogramm vorliegen. Ohne es genauer zu wissen hatte die Agentur Ende Mai die Zahlungsfähigkeit des Landes massiv infrage gestellt. Daraufhin stiegen die Zinsen für griechische Staatsanleihen auf 15 bis 20 % – das sind für die Gläubiger, unter ihnen auch deutsche Banken, Gewinne.
Derzeit wird aus allen Rohren auf Griechenland gefeuert. Zugleich gibt man sich großzügig, profiliert sich als Helfer in der Not. Die von Finanzminister Schäuble propagierte „sanfte Umschuldung“ trifft jedoch auf den erbitterten Widerstand der privaten Anleger. Man fürchtet vor allem eine Minderung der eigenen Rendite; deutsche Banken haben nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 17.2.2011 knapp 37 Mrd. Euro zu verlieren.
Ausser den Gemeingütern geht es auch der Demokratie an den Kragen. Das Land, das wegen der drastischen Einschnitte am Rande eines Bürgerkrieges steht, wird von der EU, der EZB und dem IWF „an die kurze Leine genommen“ – so tönt es aus dem Hörfunkstudio Brüssel. Angesagt seien ein verschärftes Defizitverfahren, Kontrollen der Statistiken, Überwachung der Sparpläne. Genau das werde „auch gebraucht“, so EU-Kommissar Almunia. Athen muss regelmäßig zum Rapport antreten; noch nie war ein Staat „so intensiv und regelmäßig überwacht“.
Das ist nun allerdings vollkommen daneben getippt: Was heute den Griechen zugemutet wird, und morgen vielleicht schon den Portugiesen oder Spaniern, das erinnert verteufelt an das Schicksal der Kolonien, die bis zu ihrer Unabhängigkeit und teilweise noch danach in ganz vergleichbarer Weise der direkten und indirekten Gewalt ausgesetzt waren.
Klarheit bringt ein Blick auf die Nachdenkseiten, die an einen schon etwas älteren Aufsatz von Sepp Wall-Strasser erinnern. Hier wird Griechenland als der Sündenbock erkannt, zu dem das Finanzkapital und die Politik es machen: „Es ist, als wohnte man einem rituellen Schlachtopfer bei“ – man schlägt die Griechen und meint den Sozialstaat. „Es soll uns eindrucksvoll vor Augen geführt werden: “Ihr alle habt über eure Verhältnisse gelebt!” […] „Vor dem Hintergrund dieser Deutungslogik ist der Blick auf Griechenland zugleich ein Blick in unsere Zukunft: Was der neoliberalen Sparpolitik der letzten 25 Jahre nur Schritt für Schritt gelungen ist – den Wohlfahrtsstaat zurückzudrängen -, soll nun offenbar in einem raschen Coup vollendet werden“.