Bundesfernstraßen-Gesellschaft – Teil I. Dem Verkehrssektor droht eine gravierende Strukturveränderung zulasten ökologischer Verkehrsträger. Neubau, Ausbau und Betrieb von Bundesfernstraßen sollen zentralisiert, ins Privatrecht ausgelagert und dann privatisiert werden. Autobahnneubau bekommt eine Renaissance. Für die Verkehrswende bleibt kein Geld mehr übrig.
Carl Waßmuth
Bundesfernstraßen-Gesellschaft zur Umgehung der Schuldenbremse
Der Vorschlag zu einer Bundesfernstraßen Gesellschaft (BFG) wurde von der Fratzscher-Kommission vorgeschlagen. Diese sogenannte Experten-Kommission war 2014 von Sigmar Gabriel einberufen worden. Versicherungen und Banken waren in der Kommission überproportional vertreten. Bei der BFG (1) geht es um 150 Milliarden Euro – so hoch ist etwa der Investitionsstau im Verkehrsbereich. Das ist der halbe Bundeshaushalt. Dieses Geld hat der Staat nicht bar, deswegen soll die vorgeschlagene BFG sich verschulden dürfen, und sie soll schuldenfinanzierte Autobahn-Projekte auflegen. Die aufgenommenen Kredite gelten wegen der speziellen Konstruktionsweise der BFG nicht als Schulden im Sinne der Schuldenbremse. Nichtsdestotrotz müssen die Schulden aus diesem gigantischen Schattenhaushalt aus Steuern und Gebühren zurückbezahlt werden. Und zwar zuzüglich der sehr teurer Zinsen, die der Preis wären für das Schuldenverstecken.
Die Interessen von Bauindustrie, Autoindustrie und Versicherungen
Doch es könnte sein, dass die Schuldenbremse nur ein vorgeschobenes Argument ist. Tatsächlich gibt es noch ganz andere Interessen. Es sieht danach aus, dass eine Allianz aus Bau-, Autoindustrie und Versicherungswirtschaft versucht, mit dem Vorschlag für eine BFG die Kontrolle über einen riesigen Anteil des Verkehrssektors zu erringen. Die großen Versicherungskonzerne haben von kleinen Leuten, die Angst vor der Altersarmut haben, Billionen an Euro eingesammelt. Daraus wollen sie eine Rendite für ihre Eigentümer erwirtschaften. Doch wo gibt es noch hochverzinsliche Anlagen? Die Zinsen für Staatsanleihen liegen nahe Null, also soll der Staat nach Auffassung der Versicherungskonzerne für sie andere hochverzinsliche Anlagemöglichkeiten schaffen.
Das geht im Straßenbau, und das geht mit öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPPs). Deswegen soll der Staat viel Straßenbau machen und viele, viele ÖPPs auflegen. Als Druckmittel für die Forderung nach höheren Renditen werden die Kleinanleger angeführt, denen man sonst keine angemessene Rente mehr ausbezahlen könne. Besonders interessant für Versicherungen sind Autobahn-Neubauprojekte, denn dort fließt viel schneller viel Geld als bei dem etwas mühsamen Erhalt. Die Autobahnen selbst interessieren die Versicherungen dabei vermutlich nicht, und erst Recht nicht der Verkehrssektor insgesamt und ökologische Fragestellungen.
Stets wird betont, die Autobahnen würden auf keinen Fall privatisiert. Das ist zutreffend: Die Autobahnen sollen vielmehr den Versicherungen als Pfand dienen für staatliche Gewinngarantien – die dann bezahlt werden aus Steuergeldern und staatlich festgelegten Gebühren. Und die Bauindustrie? Das Interesse der Bauindustrie ist nicht einfach, Geld durch Straßenbau zu verdienen. Sie wollen hochprofitabel bauen, sie wollen langfristige Verträge, die ihnen dauerhafte Geldflüsse garantieren. Das alles gibt es mit ÖPP. Also wollen sie möglichst eine Struktur, bei der Widerstand gegen ÖPP schwer oder gar nicht möglich ist. Das Interesse der Autoindustrie ist schlicht, weiterhin viele Autos, Busse, Lkws und vielleicht bald auch Gigaliner zu verkaufen. Dafür scheint ihnen die BFG eine geeignete Struktur, dem Straßenneubau einen neuen Schub zu geben.
Eine teilprivate Deutsche Autobahn AG?
Heute verwalten 30.000 öffentlich Beschäftigte den Straßenbau, 18.000 davon die Bundesfernstraßen. Diese Verwaltungen sind bei den Ländern angesiedelt, das hat das Grundgesetz so vorgesehen. Der Bund bezahlt die Baumaßnahmen, die Länder halten die sogenannten Auftragsverwaltungen vor und bezahlen die Planungskosten. In den vergangenen Jahren wurden allerdings viele Stellen abgebaut, das hat diese Verwaltungen nicht verbessert. Aber um eine Verwaltungsreform geht es der Fratzscher-Kommission nicht. Man schlägt nicht vor, die Verwaltungen wieder so auszustatten, dass sie eine seriöse Arbeit machen können. Die Verwaltungen sollen auch nicht demokratisiert und für Bürgeranliegen stärker geöffnet werden.
Das Kind soll stattdessen mit dem Bade ausgeschüttet werden: An Stelle der Auftragsverwaltungen soll die BFG den Bundesfernstraßenbau komplett übernehmen, eine privatrechtliche Gesellschaft soll gebildet werden, eine Art „Deutsche Autobahn AG“. Das Parlament soll diese GmbH oder AG wie bei der Deutschen Bahn nicht kontrollieren dürfen. In der Fratzscher-Kommission hatte man allerdings eine Vorstellung davon, wie die Interessen der Mitglieder der Kommission selbst die BFG kontrollieren könnten: Die BFG soll selbst teilprivatisiert werden. Dann säßen Versicherungen und Banken im Aufsichtsrat und könnten auch die Vor-standsposten besetzen.
Das Beispiel ASFINAG
In Österreich gibt es bereits seit 1982 eine Autobahn- (und Schnellstraßen)-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, kurz ASFINAG. Die ASFINAG wird in der Debatte um die BFG von vielen Seiten als positives Beispiel dargestellt. Die ASFINAG ist zu 100 Prozent in öffentlichem Eigentum, der öster-reichische Staat garantiert für die Schulden der AG. ÖPPs lehnt die ASFINAG nach eigenen schlechten Erfahrungen ab. Allerding ist das Positiv-Beispiel ASFINAG bei genauerem Hinse-hen enorm teuer, wie die Gewerkschaft ver.di am Beispiel Nordrhein-Westfalen (2) dargelegt
hat: Nordrhein-Westfalen und Österreich haben ein etwa gleich großes Autobahnnetz. Die ASFINAG erhält und betreibt dieses Netz für zuletzt 1,28 Mrd. Euro pro Jahr, Nordrhein-Westfalen für 0,34 Mrd. Euro jährlich. Umgerechnet auf den Autobahn-km ist die ASFINAG damit 3,7-mal teurer.
Dazu kommt: An vielen Stellen gehen die Vorschläge der Fratzscher-Kommission über das hinaus, was bei der ASFINAG schon institutionell umgesetzt wurde. Die BFG soll nicht nur teilprivatisierbar sein, sie soll auch keine Staatsgarantie bekommen und soll vorrangig mit ÖPP arbeiten. Diese drei Zuschärfungen werden die BFG noch einmal deutlich verteuern: Sofern die BFG Gewinne macht, wird ein Teil an die privaten Anteilseigner abfließen. Die Kredite, die die BFG aufnimmt, werden ohne Staatsgarantie und somit ohne AAA-Rating deutlich teurer ausfallen. Und ÖPPs selbst sind per se enorm teuer: 2014 wurden vom Bundesrechnungshof fünf Autobahn-ÖPP-Projekte mit einem Gesamtvolumen von 5,1 Milliarden Euro geprüft (3). Festgestellt hat man voraussichtliche Mehrkosten von 1,9 Milliarden Euro – das entspricht einem durchschnittlichen Kostennachteil von 38 Prozent für ÖPP.
Der gesamte Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in: mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, 4/15 November 2015
Endnoten:
(1) Tatsächlich gibt es noch keinen offiziellen Namen für das Projekt. Die eigentlich recht griffige Abkürzung aus einem frühen Berichtsentwurf Fratzscher-Kommission lautete BautIG für „Bundesautobahn-Infrastrukturgesellschaft“, taucht aber im Abschlussbericht nicht mehr auf. Vielleicht war der Begriff zu griffig auch für Kritiker… Die Abkürzung „BFG“ wurde gewählt, um das Wort-Ungetüm handhabbar zu machen.
(2) ver.di-Stellungnahme zum Vorschlag der Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ (Fratzscher-Kommission): Einrichtung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft, Juli 2015
(3) Bundesrechnungshof, „Bericht an der Haushaltsausschuss des Bundestags über Öffentlich Private Partnerschaften im Bundesfernstraßenbau“, Juni 2014