Am 22. September fand im Landtag in Düsseldorf eine parlamentarische Anhörung zu ÖPP und zur Fratzscher-Infrastrukturgesellschaft statt. Gemeingut in BürgerInnenhand war mit Werner Rügemer und Carl-Friedrich Waßmuth mit zwei Sachverständigen vertreten.
Anlass der Anhörung war folgender Antrag der CDU (Drs. 16/8643): „Der Landtag beschließt:
- Die Gründung einer überwiegend unabhängigen Infrastrukturgesellschaft durch den Bund zur Verkehrs-Finanzierung und -Planung wird begrüßt.
- Die Landesregierung wird aufgefordert, ÖPP-Projekte zum Ausbau der Bundesfernstraßen zu fördern und künftige Finanzierungsangebote der Bundesregierung umfassend zu implementieren.
- Die Landesregierung wird aufgefordert, die geplante Strukturreform des Landesbetriebs Straßenbau Nordrhein-Westfalen gemäß Vorlage 16/2598 mit dem Ziel einer verschlankenden Reform noch einmal zu überarbeiten.
- Die Landesregierung wird aufgefordert, dem Landtag zeitnah ein Konzept vorzulegen, wie die Umgestaltung des Landesbetriebs Straßenbau Nordrhein-Westfalen im Zuge der Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft aussehen soll.“
Die Pro-ÖPP-Strategie: Kleinreden und weglassen
Insgesamt geladen waren 22 Sachverständige, darunter bekannte ÖPP-Lobbyisten wie Bernwart Kulle von der ÖPP AG, Prof. Alfen von der Bauhaus-Universität Weimar und Prof. Böger von der VIFG. Ebenfalls als gute Lobbyistin in Sachen ÖPP erwies sich Prof. Beate Wiemann vom Bauindustrieverband NRW. In der Berichterstattung des Landtags wird sie wie folgt zitiert:
„Prof. Beate Wiemann vom Bauindustrieverband NRW hob hervor, dass im vergangenen Jahr 2,8 Prozent der Investitionen in Bundesfernstraßen als ÖPP-Projekte realisiert worden seien. Bis 2018 werde der Anteil auf maximal 8 Prozent anwachsen bei gleichzeitig steigendem Investitionsbedarf. Es gehe darum, für jedes Vorhaben die „beste Lösung“ zu finden, und zwar nicht die preisgünstigste, sondern die wirtschaftlichste. Hier könne ÖPP Vorteile haben, beispielsweise wegen „Termin- und Kostentreue“. Ziel müsse daher sein, diese Partnerschaften als sinnvolle Alternative zu etablieren.“
Interessant an dieser Argumentation ist, dass ÖPP hier klein geredet wird. „Gönnt uns doch das bisschen ÖPP“ konnte man im Tonfall heraushören. Und vielleicht auch „..und macht nicht so einen Riesenwind um so wenig.“ Tatsächlich geht es bei dem Wenigen um viele Milliarden Euro, die den Steuerzahlenden abgeluchst werden. Denn durch das kleine Loch der „2,8 Prozent“ fließen nicht nur das Know-How der öffentlichen Hand und unsere demokratische Kontrolle über die Daseinsvorsorge ab, sondern auch weit mehr als 2,8 Prozent der Gelder, die unserer Verkehrsinfrastruktur gewidmet sind.
Die Infrastrukturgesellschaft, die Punkt 1 des CDU-Antrages befördern will, wurde in der Anhörung von den ÖPP-Lobbyisten kaum angesprochen und auch in den Fragen der Abgeordneten kam sie fast nicht vor. Das ist umso erstaunlicher, als alle Bundesländer sich gerade intensiv mit dieser Frage befassen: Fast wöchentlich werden neue Stellungnahmen erstellt und aktuell tagt die zugehörige neue „Bodewig-2-Kommission“, die schon in wenigen Tagen erste Ergebnisse vorlegen will. In den Ministerien wird parallel fieberhaft an einem Entwurf für die erforderliche Grundgesetzänderung gearbeitet. Die schwache inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Infrastrukturgesellschaft während der Anhörung steht somit in einem scharfen Kontrast zu den Aktivitäten hinter verschlossener Tür.
ÖPP im Praxistest: Schönrechnerei, Förderung von Ogliopolen, Aushebeln von Klima- und Umweltfragen und vieles mehr
Kritische Stimmen waren in der Anhörung vertreten mit Werner Rügemer (GiB-Gründungspate), Carl Waßmuth (Infrastrukturexperte bei GiB), Prof. Holger Mühlenkamp, Dr.-Ing. Heinrich Bökamp von der Ingenieurkammer-Bau NRW, Dieter Donner vom BUND, Annette Zülch von der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen sowie von Eckhard Schwill von der Gewerkschaft komba. Dazu schreibt die Landtagsberichterstattung:
„Der Naturschutzverband BUND sprach sich gegen ÖPP-Projekte aus. Dieter Donner vom BUND sagte in der Anhörung, nach bisherigen Erkenntnissen seien die Projekte unwirtschaftlich. Einzelne Vorhaben seien bis zu 46 Prozent teurer gewesen als konventionelle. Oft werde ÖPP „schöngerechnet“. Donner kritisierte zugleich eine Fokussierung auf den Straßenbau in der Debatte. Dieser sei „kein Selbstzweck“. Es müssten alle Verkehrsträger in den Blick genommen werden. Auch müssten Klima- und Umweltfragen eine Rolle spielen.“
„Kritik kam […] von der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen. Annette Zülch warnte für den Verband vor Nachteilen für mittelständische Betriebe bei ÖPP-Projekten. Bei diesen beschränke sich der Wettbewerb auf eine geringe Zahl ausländischer Baukonzerne sowie in- und ausländischer Großbanken und Betrieben. Dies fördere die Bildung von Oligopolen – Marktformen, bei denen wenige Anbieter sich eine Branche aufteilen. Wenn ÖPP politisch gewollt sei, müsse es mittelstandsgerechte Vergabe- und Finanzierungsvorgaben geben.“
„Für die Gewerkschaft Komba NRW warnte […] Eckhard Schwill davor, die Straßeninfrastruktur als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge für den Wettbewerb zu öffnen. Mit Blick auf das Vorhaben des Bundes, eine zentrale Infrastrukturgesellschaft zu gründen, fragte er, welche Möglichkeiten die Bundesländer dann noch hätten, auf Bundesprojekte Einfluss zu nehmen. Zugleich bestehe die Gefahr, dass bewährte Strukturen beim Landesbetrieb Straßen NRW aufgelöst würden. Die Beschäftigten dort machten ‚einen guten Job‘.“
Erwähnenswert ist auch noch die schriftliche Stellungnahme von der österreichischen Grünen-Abgeordneten Gabriela Moser. Dort heißt es:
„Eine frühe, für die wissenschaftliche Bearbeitung und Beurteilung dieses Themas in Österreich richtungsweisende Arbeit des Österr. Instituts für Wirtschaftsforschung WIFO listete bereits 2004 treffend auf, dass sich Vorteile für ÖPP/PPP nur bei folgenden Voraussetzungen ergeben (aus heutiger Sicht würde man aufgrund der mittlerweile weit breiteren empirischen Erfahrung ergänzen: ‚ergeben können‘):
- geringer Bonität eines Staates (hohe Zinsen für Staatsverschuldung),
- Schwächen in der staatlichen Verwaltung,
- leicht absehbaren Risken,
- starkem Wettbewerb zwischen den privaten Interessenten für das Projekt und
- leicht überschaubaren Rechtsverhältnissen.
Die Mehrheit dieser Punkte trifft für Deutschland ebenso wie für Österreich nicht oder überwiegend nicht zu.“
Das Wortprotokoll ist unten beigefügt.
Unser Fazit
Die große Runde der an der Anhörung Beteiligten hat zwar viele Stellungnahmen hervorgebracht und bietet so eine Menge Material zu den jeweiligen Positionen. Insbesondere im mündlichen Teil der Anhörung wurde zudem deutlich, dass die ÖPP-Lobbyisten sich argumentativ in der Defensive sehen – und sich trotzdem einen massiven Ausbau von ÖPP erwarten: Eine Steigerung von 2,8 auf 8 Prozent bei wachsenden Volumen käme einem Wachstum von 300 bis 400 Prozent gleich – selbst wenn berücksichtigt wird, dass die 2,8 Prozent fraglos untertrieben sind. Die Übergehung der Infrastrukturgesellschaft im mündlichen Teil der Anhörung setzt sich jedoch auch in den schriftlichen Stellungnahmen fort. Das Verschweigen ist brisant: Mit Hilfe der Infrastrukturgesellschaft soll ÖPP nämlich zum Standardfall werden.
Wortprotokoll, Auszug:
Dr. Werner Rügemer (Köln) (Stellungnahme 16/2932):
Vielen Dank für die Einladung. Ich spreche nicht für einen Wirtschafts- oder einen sonstigen Interessenverband, sondern für Bürger; auch die gibt es in diesem Lande. Ich möchte mich auf drei Punkte konzentrieren: parlamentarische Kontrolle, Transaktionskosten, Alternativen. Mit der parlamentarischen Kontrolle sieht es sehr schlecht aus. Ich möchte mich konzentrieren auf die bisherigen Erfahrungen mit dem größten derartigen Projekt in Deutschland, „Toll Collect“. Es ist so gewesen, dass die Vertragspartner Daimler, Telekom und Cofiroute mindestens 16 Monate lang ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Dadurch haben sich im Bundeshaushalt 4 Milliarden € Ausfall ergeben, die sich bis heute mit Zins, Zinseszins und Konventionalstrafen auf etwa 8 Milliarden € aufsummieren. Was hat das mit parlamentarischer Kontrolle zu tun? Sie existiert hier nicht. Der rechtskräftige 17.000-Seiten-Vertrag ist in seiner endgültigen Form keinem Bundestagsabgeordneten vorgelegt worden, schon gar nicht vor der Entscheidung. Bekanntlich hat ein einziger Bundestagsabgeordneter, der damalige Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Bundestages, Herr Hofreiter, nachträglich – nachträglich! – versucht, in der dafür vorgesehenen Geheimschutzkammer des Bundestages den Vertrag einzusehen. Er musste vorher eine Verpflichtung – strafbewehrt – unterzeichnen, dass er das, was er sich, ohne Kopien machen zu dürfen, mit Bleistift oder Kugelschreiber und Papier hat aufschreiben können, nicht einmal in der Öffentlichkeit des Bundestages vorträgt; das darf er nicht. Zudem hat er festgestellt, dass die ihm vorgelegte Vertragsfassung nicht vollständig, sondern in einigen Punkten unvollständig gewesen ist. So sieht es mit der parlamentarischen Kontrolle aus.
Das Parlament wurde weiterhin ausgeschlossen, als es um die Verlängerung des Vertrages ging – der ja 2015 beendet werden sollte –, verbunden mit dem Eintreiben der 8 Milliarden €, die sich zulasten der Investoren angesammelt hatten. Hierzu hat keine parlamentarische Beratung stattgefunden. Auch im Bundestagswahlkampf 2014 haben die beteiligten Parteien dies – es ging immerhin um 8 Milliarden € – nicht zum Thema gemacht.
Wie Sie wissen, gibt es bei ÖPP die Standardregelung, im Streitfall ein privates Schiedsgericht einzuberufen. Das ist 2004 mit der Einreichung der Schadensersatzklage versucht worden. In zwölf Jahren hat dieses Schiedsgericht, nachdem es – ich glaube, erst nach sechs Jahren – berufen worden ist, zu keiner Entscheidung gefunden, auch weil die komplizenhaften Bundesregierungen verschiedener Färbung alle nicht nachhaltig darauf gedrängt haben, dass es zu einer Entscheidung kommt. Das Parlament blieb, wie gesagt, ausgeschlossen, sodass heute im Haushalt nach wie vor 8 Milliarden € als aufgenommener Kredit stehen. Man hätte beispielsweise die sogenannte „schwarze Null“ sehr viel leichter erreichen können.
Ich komme zu den Transaktionskosten bei diesem ausgewählten – größten – Verkehrsprojekt nach ÖPP-Muster in der Bundesrepublik. Die privaten Beratungskosten – hauptsächlich an Wirtschaftskanzleien – machen bis heute etwa 110 Millionen € aus, wobei allein 97,1 Millionen € an privaten Beratungskosten für die Begleitung des – erfolglosen – Schiedsgerichtsverfahrens aufgewendet worden sind. Das heißt, man hätte 97 Millionen € auch nicht ausgeben können und wäre zu dem gleichen – schlechten – Ergebnis gekommen. Die 97,1 Millionen € gelten nur für den Zeitraum bis 2012; Späteres ist nicht bekanntgegeben worden.
Ich komme zu den Alternativen. Gerade die jetzige Gabriel-Fratzscher-Kommission hat betont, auch durch ihre personelle Zusammensetzung, dass – entgegen dem, was Herr Kulle sagt – ÖPP ein Finanzierungsverfahren ist. Die Finanzierung soll, wie es aus dem Ausland schon bekannt ist, auch in Deutschland verstärkt durch Versicherungen und Kapitalanleger vollzogen werden. Aber auch, wenn ein Projekt durch Fremdkapital kreditiert bzw. durch Anleihen finanziert wird, muss das Geld zurückgezahlt werden. Diese entscheidende Nachbemerkung fehlt in den beschönigenden Darstellungen.
Deswegen kann die Alternative auch für andere Bereiche, nicht nur für den Straßenbau, nur darin bestehen, dass der Staat tatsächlich, so unangenehm das einigen Menschen auch erscheint, Steuereinnahmen erhöht, zum Beispiel durch eine Vermögensteuer, und zweitens dafür sorgt, dass die Kompetenz in der öffentlichen Verwaltung gestärkt wird, damit man nicht, wie bei „Toll Collect“ geschehen, ständig über den Tisch gezogen wird. Vielen Dank.
Carl-Friedrich Waßmuth (Gemeingut in BürgerInnenhand) (Stellungnahme 16/3009):
Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für die Einladung.
Ich vertrete die Organisation Gemeingut in BürgerInnenhand. Das ist eine sehr kleine Organisation, wir haben nur 1,5 hauptamtliche Stellen. Andererseits finden doch viele Menschen unsere recht spezialisierte Arbeit so wichtig, dass sie uns mit Spenden unterstützen. Wir wenden uns gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und setzen uns für die öffentliche und demokratische Kontrolle sowie die Mitbestimmung bei der Daseinsvorsorge ein.
ÖPP ist in Deutschland zu Recht – auch wenn das in der Summe der Vorträge etwas anders anklang – in der Defensive. Die Fratzscher-Kommission selbst hat sich schon nicht mehr getraut, hier eine Vorteilhaftigkeit zu bescheinigen. Die hat sich zurückgezogen und gesagt: Dazu liegen nicht genügend Erfahrungen vor. – Herr Prof. Mühlenkamp belegt das, und andere sagen es auch. Das heißt, man kann es nicht anhand der Empirie bewerten, aber man kann durchaus grundsätzliche Fragen an ÖPP richten. Man könnte die Empirie bekommen; es wäre an der Bundesregierung, das zu evaluieren. Im Autobahnbereich gab es viele Pilotprojekte. Dass keine Evaluation dieser Milliardenprojekte stattgefunden hat, ist ein Skandal im Skandal.
ÖPP ist Privatisierung. Das ist nicht ideologisch gemeint, sondern das zeigt sich an vielen Punkten. Die erste wichtige Privatisierung geschieht bei den privat erbrachten Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Das wird hier breit anerkannt, ist aber ein riesiger Fehler. Denn wenn man wissen will, ob etwas teurer oder günstiger wird, darf man nicht die fragen, die davon profitieren. Privatisiert wird die Rechtsberatung, die Vertragsgestaltung; man hat private Großkanzleien dabei. Selbst Teile der Ausschreibungen werden privatisiert und nicht mehr von der öffentlichen Verwaltung erbracht. Die Justiz wird mit den privaten Schiedsgerichten privatisiert. In der Summe werden dann öffentliche Aufträge auf einen Schlag für 30 Jahre in einem nahezu unkündbaren Vertragskonstrukt an einen Bieter vergeben. Das ist die Privatisierung dieser Aufträge. Der Mittelstand klagt zu Recht darüber, dass die Öffentlichkeit – Verwaltung und Demokratie – hier nicht mehr eingreifen kann.
Toll Collect wurde schon angesprochen. Im Hinblick auf private Schiedsgerichte gibt es übrigens auch eine Debatte über TTIP und TiSA. Viele Menschen äußern ihren Unmut darüber und wollen diese Form der Privatisierung der Justiz nicht akzeptieren. ÖPP ist im Übrigen längst kein Nischenthema mehr. Im Frühsommer wurde zum Beispiel in der Sendung „Mario Barth deckt auf!“ die Absurdität der Steuergeldverschwendung durch ÖPP thematisiert. Auch wenn dies bei einem Privatsender lief, kann man davon ausgehen, dass die Redakteure die Massentauglichkeit des Themas genau untersucht haben, bevor dafür eine halbe Stunde der besten Sendezeit vergeben wurde.
Zu den Kosten: Der Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe bescheinigen seit 2006, dass es teurer wird. Erst ist das F-Modell gescheitert, jetzt die A-Modelle. Bevor das ausgewertet wird, möchte man uns jetzt die V-Modelle verkaufen. Man weiß, dass die Finanzierungskosten die Dinge kaputt machen, dass sie sie viel teurer machen. Deswegen werden jetzt die volkswirtschaftlichen Aspekte einbezogen bis hin zum Stau, zu dessen wirklichen Kosten es wissenschaftlich eine riesige Streubreite gibt. Allen ist aber klar: Zinsen nahe null akzeptiert kein Investor. Deswegen müssen die Zinsen anders begründet werden. Der Zinsnachteil – das möchte ich noch einmal deutlich machen – ist enorm. 3 % mehr Zinsen – hier wurde von 2 bis 3 % gesprochen, Herr Prof. Böger, es sind in der letzten Anleihe aber 3 % nur im Fremdkapitalanteil gewesen – bedeuten bei 30 Jahren 50 % mehr Gesamtkosten. Die Versicherungswirtschaft möchte 7 % mehr Zinsen. Die sagen zwar: „aber nur für den klitzekleinen Eigenkapitalanteil“, aber dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass auch dafür die Risikoübertragung gilt, die das ganz Modell mitbegründen soll. Es wird wahnsinnig viel teurer. Um das auszugleichen, muss es schon richtig toll organisiert sein, zum Beispiel nach dem Lebenszyklusprinzip.
Das Lebenszyklusprinzip gibt es tatsächlich nicht, das ist auch meine Erfahrung als Bauingenieur. Ich berate die öffentliche Hand – für Gemeingut bin ich als ehrenamtlicher Vorstand tätig – in großen Bauvorhaben in den Leistungsphasen 1 bis 5, Objekt- und Tragwerksplanung, und ich weiß, dass langlebiges Bauen mit der Berücksichtigung von Wartungs- und Betriebskosten für die überhaupt nichts Neues ist. Das können sie schon lange, denn die bauen schließlich auch Bauwerke, die nicht nur den Vertragszeitraum umfassen, nämlich 30 Jahre, sondern sie bauen für 50, 60, auch 80 Jahre, bei Brücken für mindestens 50 Jahre, im Straßenunterbau für 100 Jahre. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn Sie wissen wollen, ob das teurer wird oder günstiger, dann müssen Sie wissen: Wie viel ist das Ganze hinterher wert? Ist es nach 30 Jahren kaputt oder nicht? Der Lebenszyklus wird behauptet, es ist aber nur ein Vertragszyklusprinzip. In keiner Wirtschaftlichkeitsuntersuchung wird berücksichtigt, ob Sie hinterher alles komplett sanieren müssen, wie es beim Schienennetz in Großbritannien der Fall war, das nach der Insolvenz des privaten Betreibers völlig kaputt war.
Insolvenz spielt übrigens auch eine Rolle bei der Restwertbetrachtung. Man kann ja sagen: Wir bedienen uns bei der Gesellschaft, wenn sie Dinge in nicht ordnungsgemäßem Zustand zurückgibt. – Schaut man dann mal, was von dieser Projektgesellschaft überhaupt noch übrig ist, dann werden Sie feststellen, dass Sie nichts bekommen. Selbst Toll Collect hat keine Rückstellungen für die 8 Milliarden € Forderungen gebildet. Das ist der nächste Skandal.
Ob das Ganze schneller fertig wird, dahinter würde ich ein Fragezeichen machen. Eine Baustelle mag vielleicht im Einzelfall zwei Monate schneller fertig werden, das ganze Verfahren dauert aber zwei Jahre länger, und das konterkariert diesen Effekt. Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf der Autobahn in einer Baustelle im Stau, Sie ärgern sich und sagen: Die öffentliche Hand baut so langsam, ein Privater würde das bestimmt besser machen. – Stellen Sie sich gleichzeitig vor, dass für diesen Abschnitt, der saniert werden soll, in einer Verwaltung 155 leere Leitz-Ordner ins Regal gestellt werden; so umfangreich waren beispielsweise die Ausschreibungsunterlagen für den Autobahnabschnitt auf der A1. Diese sollen von Planern und Verwaltungsfachleuten gefüllt werden. Das machen die in den nächsten zwei Jahren. Das heißt, nach zwei Jahren werden gerade diese 155 Ordner frisch kopiert auf den Hof irgendwelcher Bieter gefahren; vielleicht ist sogar ein mittelständischer Bieter dabei. So war es damals auch. Eines der fünf Konsortien hatte einen Mittelständler dabei, der dann gleich gesagt hat: Nehmt das ganze Zeug wieder mit. Ich biete da nicht mit, ich bin doch nicht verrückt. Wenn Sie dann im nächsten Jahr an derselben Stelle wieder im Stau stehen, die Autobahn ist immer noch nicht saniert, das ÖPP-Verfahren ist immer noch nicht fertig, können Sie sich vielleicht vorstellen, wie die Anwaltskanzleien die Verträge machen. Das heißt, Sie sollten sich überlegen, ob Sie dem Minister, der dann das rote Band durchschneidet und sagt: „Wir waren zwei Monate schneller“, dafür wirklich gratulieren wollen.