von Carl Waßmuth / GiB
Ausgangslage
Die Bundesminister Gabriel, Schäuble und Dobrindt haben in den vergangen Wochen jeder für sich auf die Notwendigkeit zur Investition in die Infrastruktur hingewiesen, jedoch alle drei verbunden mit dem Hinweis, dass hierzu wegen der begrenzten Mittel im Haushalt privates Kapital einzuwerben sei. Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat sogar eine Expertenkommission eingesetzt, die zu dieser Frage unter dem Vorsitz von Prof. Marcel Fratzscher, dem Leiter des DIW Berlin und unter der Mitarbeit von u.a. Jürgen Fitschen von der Deutsche Bank, Dr. Helga Jung von der Allianz-Versicherung und Dr. Torsten Oletzky von der Ergo-Versicherung „Ideen und Impulse“ liefern soll.
Wird zu wenig investiert?
Der Erhalt und Ausbau und der bedarfsgerechte Umbau der Daseinsvorsorge ist eine Kernaufgabe staatlicher Tätigkeit. Wenn Staatsschulden überhaupt zu rechtfertigen sind, dann für Investitionen in die Infrastrukturen der Daseinsvorsorge. Jeder Euro, der in sinnvoll ausgelegter öffentlicher Infrastruktur angelegt ist, generiert ein Vielfaches seines Werts an volkswirtschaftlichem Mehrwert.
In die bestehende Infrastruktur in Deutschland wurde seit 2003 deutlich weniger investiert als die Jahre zuvor. Insbesondere wurde weniger investiert, als an Sachwertabschreibungen vorgenommen werden musste. Nun ist nicht jede Geldausgabe in Infrastrukturen an sich sinnvoll. Sowohl Stuttgart21 als auch der Berliner BER (verbunden mit der Schließung der drei Berliner Flughäfen Tempelhof, Tegel und Schönefeld alt) stellen Kapazitätsrückbauten dar. Und es gibt auch keine objektive Zahl, wie viel an Investitionen in einer Volkswirtschaft erforderlich sind. Vermutlich ist kein geringer Teil am Geschrei, dass der Staat mehr investieren muss, Teil einer Werbeveranstaltung der Bauindustrie, die bewirken soll, dass der Staat mehr konsumiert. Es bleibt aber ein Anteil an Unterinvestitionen, der unbestreitbar ist. Der Verfall von Straßen, Brücken und Tunneln ist objektiv feststellbar. Bei der Bahn werden mit jedem Fahrplanwechsel die Verbindungszeiten länger. Viele ökologisch und ökonomisch erforderliche Umbauten bleiben aus. Großen Anteil am Investitionsrückstand haben die ehemals staatlichen und heute privatisierten Unternehmen Deutsche Telekom (zu zwei Dritteln verkauft) und Deutsche Bahn AG (seit 20 Jahren formell privatisiert), die jeweils nach den Privatisierungen kaum noch investierten.
Den Investitionsrückstand beziffern verschiedene Studien auf 33,8 Milliarden Euro (Statistisches Bundesamt 2012), 40 Milliarden (nur Verkehrswege, Daehre-Kommission 2012 sowie Bodewig –Kommission 2014), 100 Milliarden Euro (Kreditanstalt für Wiederaufbau 2013), 120 Milliarden Euro (Institut der deutschen Wirtschaft, 2014) bis zu 128 Milliarden Euro (difu 2012). Zu diesen Rückständen kommen die Kosten spezifische Herausforderungen wie die Energiewende (200 Milliarden Euro, Bundesumweltministerium/DIW 2013) und der Ausbau der digitalen Infrastruktur (20 bis 34 Milliarden Euro: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014, 45 Milliarden Euro: Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste WIK 2014). In der Summe sind in den kommenden Jahren zusätzlich zur derzeitigen Investitionsleistung Deutschlands 280 bis 360 Milliarden Euro zu investieren.
Versteckte Schuldenaufnahme
Privates Kapital in öffentlichen Infrastrukturen der Daseinsvorsorge stellt jedoch eine versteckte Schuldenaufnahme dar. Zahlreiche Erfahrungen liegen dazu mit Public Private Partnerships (PPPs) vor. Mehrfach hat der Bundesrechnungshof darauf hingewiesen, zuletzt im Mai diesen Jahres: Mit den PPPs des Bundes wird die Schuldenbremse umgangen, und diese PPPs sind zudem eine deutlich teurere Form von Verschuldung als jede normale öffentliche Beschaffung und Finanzierung.
Auch wenn die neuen Formen von privatem Kapital in öffentlichen Infrastrukturen künftig nicht mehr PPP genannt werden sollten – die folgenden Grundprinzipien dabei bleiben unumgänglich:
- Die Gesamtkosten betragen durch die unvermeidbar hohen Zinsen das zwei-bis vierfache der Investitionskosten,
- die öffentliche Infrastruktur gerät unter private Kontrolle,
- die Schulden werden in einem großen Schattenhaushalt geparkt,
- die Auswahl der Projekte wird von den Privatinvestoren wesentlich mitbestimmt.
Soll die Rückzahlung der Investitionen über die Nutzerinnen und Nutzer erfolgen, so bedeutet das eine versteckte, aber massive Erhöhung von Gebühren. Statt explizite Schulden zu machen, würden die Einnahmen der Zukunft verpfändet, und das ebenfalls zu dem sehr hohen Zinssatz des privaten Kapitalmarkts. Gebührenerhöhungen dieser Art sind obendrein in großem Maße sozial ungerecht – als Verbrauchergebühren haben sie einen ähnlichen Effekt wie Mehrwertsteuererhöhungen und belasten vor allem die kleinsten und kleinen Einkommen sowie die konjunkturelle Entwicklung.
Forderungen
- Der Investitionsrückstand in den öffentlichen Infrastrukturen der Daseinsvorsorge in Deutschland ist gemäß dem festgestellten Bedarf abzubauen.
- In die Energie- und Verkehrswende ist sinnvoll und unter demokratischer Steuerung und Kontrolle, d.h. auch unter direkter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zu investieren.
- In den sozial gerechten Ausbau der digitalen Infrastruktur ist mit Augenmaß zu investieren. Die Netzneutralität ist dabei zu gewährleisten, die derzeitige Zersplitterung und Privatisierung des Gemeinguts Internet ist zu überwinden, das Netz ist auch physikalisch vor dem Zugriff Dritter („NSA“) zu schützen (d.h. keine „kleinen grauen Kästen unbekannter Herkunft“ an zentralen Knoten in Frankfurt und vor Überseekabelanschlüssen).
Für diese drei Aufgabenfelder sind die historisch niedrigen Zinsen für Bundesanleihen zu nutzen, die es der Regierung erlauben, bei sehr geringen Kapitalkosten zu investieren.
Gleichzeitig sind die Einnahmen des Staates durch sozial gerechte Maßnahmen zu erhöhen, wie sie etwa die Vermögenssteuer, eine Börsenumsatzsteuer/Finanztransaktionssteuer und eine Erhöhung und Ausweitung der Erbschaftssteuer ermöglichen.
Privatkapital zu anderen Konditionen als sie Bundesanleihen oder Kommunalkredite darstellen, ist als Finanzierungsform auszuschließen. Also keine PPPs, Direktinvestitionen von Versicherungen und Pensionsfonds, Bankkredite oder Mischformen der genannten Verschuldungsformen, und ebenso keine Refinanzierungsmodelle, die auf direkten oder indirekten Gebührenerhöhungen basieren.
Hintergrund: Zinseszins-Rechnungen
Selbst wenn die umworbenen Versicherungen sich mit drei Prozent Rendite zufrieden geben (was unwahrscheinlich ist) – sie stellen ohnehin nur acht bis zwölf Prozent der Investitionssumme, der Rest muss bei den Banken geliehen werden. PPP-Projekte haben üblicherweise ein Rating von BB+ bis BBB. Als Bauprojekte werden sie als sehr riskante Geschäfte eingestuft. Entsprechend hohe Zinsen verlangen die Banken: Unter sechs Prozent ist da kaum etwas zu haben. Sechs Prozent Zins statt ein Prozent Zins bedeutet aber, mehr als doppelt so teuer finanzieren. Zu dieser Frage nachfolgend eine kleine Grafik zu Annuitätendarlehen, die 30 Jahre lang laufen. Quelle: Wikipedia, eigene Berechnungen.