Bei PPP werden die öffentlichen Kassen mit hoher Professionalität langfristig ausgeplündert

Interview mit Werner Rügemer über Public Private Partnership – Teil 1

Einen idealtypischen circulus vitiosus bildet die Privatisierungspolitik in Deutschland. Bei Public Private Partnership (PPP) überlassen die verschuldeten Kommunen ihre Infrastruktur privaten Unternehmen und diese vermieten die Infrastruktur wieder an die Kommunen zurück. Dies zeitigt jedoch aufgrund der absurd einseitig formulierten Vertragsbedingungen Zugunsten der Investoren genau den gegenteiligen Effekt, die geplante Entschuldung führt zu einem Anstieg der Verschuldung, weswegen auf die Kommunen noch mehr Druck ausgeübt wird, weitere Teile ihrer Infrastruktur zu veräußern, mit katastrophalen sozialen und politischen Folgen. Ein Interview mit Werner Rügemer über sein Buch Heuschrecken im öffentlichen Raum.

Herr Rügemer, in der Öffentlichkeit werden PPP-Projekte als partnerschaftliche Unternehmungen dargestellt, welche die Kommunen über die Zeit der klammen Kassen retten. Was ist Ihre Einschätzung?

Werner Rügemer: Mit PPP haben Banken und Investoren ein neues Kredit- und Anlageinstrument entwickelt, um wie sonst auch aus der öffentlichen Verschuldung neues Kapital zu schlagen. Es ist wie bei der staatlichen Bankenrettung keine Partnerschaft, sondern eine zusätzliche Abhängigkeit der öffentlichen Hand von Banken und Investoren. Übrigens werden PPP-Projekte nicht nur von Kommunen gemacht, sondern auch von Landesregierungen und von der Bundesregierung. Der Bund macht überhaupt die finanziell größten Projekte: Lkw-Maut auf den Autobahnen (Toll Collect), Sanierung und Betrieb von Autobahnabschnitten, z.B. die Autobahn A 1 zwischen Hamburg und Bremen.

Wie groß ist die Gefahr, dass Kommunen, Bundesländer und der Bund sich mit PPP erneut verschulden?

Werner Rügemer: Bei PPP werden die öffentlichen Kassen mit hoher Professionalität langfristig ausgeplündert. Die Standardlaufzeit der PPP-Verträge ist 30 Jahre. Während dieser Zeit übernimmt der private Investor alle bisherigen Aufgaben der öffentlichen Hand, also nicht nur wie bisher den Bau oder die Sanierung von Schulen, Gefängnissen, Straßen undsoweiter, sondern auch die Planung, das Controlling, den Betrieb und die Finanzierung. Diese Monopolfunktion nutzen die Investoren, um Extraprofite herauszuholen. Zusätzlich werden teure Berater eingesetzt, während Staat und Kommunen die Arbeitsplätze ihrer einschlägigen Experten abbauen. Deshalb kommt es in der Regel schon nach wenigen Jahren zu Nachforderungen der Investoren.

Können Sie eine Einschätzung abgeben, wie hoch sich bislang der Staat mit PPP weiter verschuldet hat?

Werner Rügemer: Ich schätze, dass die bisher etwa 200 Projekte auf kommunaler, Bundesländer- und Bundesebene einen Forderungswert der Privaten an die öffentliche Hand von etwa 20 Milliarden Euro darstellen. Das ist natürlich nicht die Höhe der zusätzlichen Verschuldung, denn die Erledigung der Aufgaben ohne PPP würde natürlich auch etwas kosten. Die Schätzung ist aber andererseits schon deshalb ganz unsicher, weil die Nachforderungen, die vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten der Verträge entstehen werden, noch gar nicht beziffert werden können. Das erste Projekt in Deutschland war Toll Collect im Jahre 2003. Die meisten Projekte sind gerade mal drei oder vier Jahre alt. Ein hohes Risiko mit Kostenfolgen ist auch der Zustand der Gebäude, Straßen undsoweiter nach dem Ende der 30jährigen Vertragslaufzeit.

Sie ziehen in Ihrem Buch das Beispiel Großbritannien heran, das man seit den 90er Jahren die Segnungen von PPP hat angedeihen lassen. Wie steht heutzutage England im Vergleich zu den Zeiten vor der Privatisierung da?

Werner Rügemer: PPP wurde in der Regierungszeit des Oberdemagogen Tony Blair ab 1997 in Großbritannien eingeführt. Er traf sich in Downing Street Nr. 10 häufiger mit Vertretern von McKinsey und Price Waterhouse Coopers als mit seinen Ministern. Als der brutale Ausverkauf der öffentlichen Unternehmen durch seine Vorgängerin Margret Thatcher zu katastrophalen Ergebnissen für die Bevölkerung geführt hatte, behauptete Blair: Wir mit New Labour verkaufen nichts mehr, wir machen Partnerschaft mit den Investoren. Inzwischen gibt es etwa 1.000 PPP-Projekte. Sie bilden Schattenhaushalte, weil die jahrzehntelangen Mietverpflichtungen nicht im öffentlichen Haushalt erscheinen. Zudem sind zahlreiche Projekte gescheitert, mit hohen zusätzlichen Kosten für den Staat; das bekannteste Beispiel dafür ist die Londoner Metro, bei der die Investoren schon nach drei Jahren in Konkurs gingen und dem Staat Schulden in Milliardenhöhe hinterlassen haben.

Warum ist ausgerechnet die Infrastruktur für die Unternehmen so attraktiv?

Werner Rügemer: Die Infrastruktur – also Schulen, Straßen, Autobahnen, Krankenhäuser, Rathäuser, Polizeipräsidien, Messehallen, Gefängnisse, Justizzentren, Wasserwerke, Kläranlagen und dergleichen – repräsentieren dauerhafte Bedarfe, die nicht oder nur wenig den konjunkturellen und krisenbedingten Schwankungen des kapitalistischen Marktes unterliegen. Diese Infrastruktur wird immer in mehr oder weniger gleicher Menge gebraucht und genutzt. Der dabei anfallende „cash flow“, die regelmäßigen Einnahmen aus Gebühren, Mieten undsoweiter sind für die Investoren und Banken höchst attraktiv: einmal wegen der langfristigen Regelmäßigkeit, zum anderen weil sie verpfändet, also sofort zu Geld gemacht werden können.

Welche Auswirkung hat PPP auf das politische System?

Werner Rügemer: Es wird untergraben, ausgehebelt, zur Farce gemacht. Die Verträge sind geheim, sowohl gegenüber der Öffentlichkeit wie auch gegenüber den gewählten Mitgliedern der Parlamente, Stadträte und Landkreistage. Selbst wenn Abgeordnete mal reinschauen dürfen, dürfen sie in der Öffentlichkeit nicht über die Inhalte sprechen. Abgesehen davon, dass sie die hochprofessionellen, juristisch ausgebufften Vertragstexte im Umfang von hunderten oder tausenden Seiten gar nicht verstehen könnten. Der Toll Collect-Vertrag beispielsweise, den kein Bundestagsabgeordneter vor dem Beschluss zu sehen bekommen hat, beläuft sich auf 17.000 Seiten.

Welche Aufgabe kommt den Beratern bei dieser Finanzierungspraktik zu?

Werner Rügemer: In jeder Phase werden spezialisierte Berater mit hohen Honoraren tätig: Zur Vorbereitung erstellen Beratungsbüros den sogenannten Wirtschaftlichkeitsvergleich, Wirtschaftsprüfer übernehmen die Ausschreibung und die Prüfung der Angebote, Wirtschaftskanzleien verhandeln und formulieren den Vertrag, private Ingenieurbüros planen, Steuerberater beraten die privaten Anleger… Diese Berater vertreten die Interessen der privaten Seite, sie sind Mitglied zum Beispiel in den beiden größten PPP-Lobbyverbänden „Bundesverband Public Private Partnership“ und „Partnerschaften Deutschland AG“. Außerdem übernehmen diese Berater so gut wie keine Haftung. Die staatlichen und kommunalen Experten, auch die Rechnungshöfe bleiben ausgeschaltet.

Laut Bundeshaushaltsordnung muss bei jedem PPP-Projekt ein Wirtschaftlichkeitsvergleich mit dem öffentlichen Pendant erstellt werden. Wie aussagekräftig sind solche Expertisen?

Werner Rügemer: Die Wirtschaftlichkeitsvergleiche werden von einer Handvoll Beratungsbüros erstellt, die alle gleichzeitig PPP-Lobbyisten sind. Sie gehen davon aus, dass die öffentliche Verwaltung langsam, bürokratisch, ineffektiv und lernunfähig ist und immer bleibt und sich mit solchen „modernen“ Verfahren wie PPP sowieso nicht auskennt.

Warum wurden PPP-Projekte mit Steuererleichterungen ausgestattet? Liegt das nicht quer mit dem angeblichen Vorteil, dass Staat und Kommunen mit PPP Geld einsparen?

Werner Rügemer: Private Investitionen werden seit der Vorherrschaft der neoliberalen Irrlehre durch Steuervorteile flächendeckend gefördert. In Deutschland wurde das durch die damalige Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP unter Bundeskanzler Helmut Kohl durchgesetzt, vor allem zunächst bei Immobilienprojekten und Privatisierungen in den „neuen Bundesländern“ Ostdeutschlands. Private Renten werden steuerlich gefördert. Auch PPP-Projekte werden von Anfang an steuerlich gefördert. Dass dies gleichzeitig die öffentlichen Haushalte strukturell und dauerhaft schädigt, nehmen Regierungen und Investoren bewusst in Kauf. Je höher die öffentliche Verschuldung, desto mehr Private können daraus Profit schlagen.

Wieviele PPP-Projekte gibt es bisher in Deutschland, die gescheitert sind?

Werner Rügemer: Das „Scheitern“ hat verschiedene Formen. Ich finde, dass jedes PPP-Projekt aus öffentlicher Perspektive gescheitert ist, denn es kostet mehr, es macht den Staat noch abhängiger, es untergräbt die Demokratie. Im engeren Sinne kann man die Projekte als gescheitert ansehen, bei denen die Nachforderungen inzwischen höher sind als der anfängliche „Effizienzvorteil“, welcher der Entscheidung pro PPP zugrundelag. Das ist beispielsweise beim Vorzeigeprojekt des Landkreises Offenbach der Fall: Dort lässt man alle 90 Schulen von Hochtief und SKE sanieren und betreiben.

Schon nach fünf Jahren hat sich die vereinbarte jährliche Miete von ursprünglich 52 auf 72 Millionen Euro erhöht. Am bekanntesten ist die Hamburger Elbphilharmonie, bei der sich die Baukosten verdreifacht haben. Bei wievielen Projekten die Nachforderungen den versprochenen Effizienzvorteil übersteigen, wissen wir wegen der Geheimhaltung nicht. Gescheitert sind auch solche Projekte, bei denen der Investor die Insolvenz erklärt hat, das ist beispielsweise bei einigen Bäderprojekten wie in Leimen (Baden-Württemberg) der Fall.

Wieviele Tote hat es bislang durch PPP gegeben?

Werner Rügemer: Tote hat es bisher wohl nur bei der Autobahn A 1 ergeben: Weil der Investor Bilfinger Berger durch einen prozentualen Anteil an den Mauteinnahmen bezahlt wird, hat er trotz der Bauarbeiten möglichst viele Lkws durchgeschleust; deshalb kam es zu zahlreichen und auch tödlichen Unfällen.

In der Öffentlichkeit ist aber von gescheiterten PPP-Maßnahmen wenig zu hören. Welche Rolle spielen die Medien?

Werner Rügemer: Wie bei „Finanzkrise“ und Bankenrettung stehen die etablierten Medien auf Seiten der privaten Investoren. Jedes neue Projekt wird von Frankfurter Allgemeine Zeitung, von Welt, Süddeutsche Zeitung, Kölner Stadt-Anzeiger, Stuttgarter Zeitung, Leipziger Volkszeitung oder Flensburger Nachrichten hochgelobt, der weitere Verlauf findet kein Interesse. Eine Ausnahme sind die TV-Magazine frontal21, NDR/markt und dann auch mal Monitor, die die Verläufe und Ergebnisse von PPP-Projekten darstellen.

Nun ist ja in den Kommunen die Privatisierungs- und PPP-Euphorie teilweise abgeebbt und auch ein wenig Kritik geäußert worden. Welches Ass können nun die PPP-Unternehmer und ihre Politiker aus dem Ärmel ziehen?

Werner Rügemer: Das Ass ist die nach der Bankenrettung erhöhte Staatsverschuldung, die von der Bundesregierung zu neuen zusätzlichen Kürzungen zulasten der Bundesländer und Kommunen genutzt hat. Wie schon gesagt, auch die Bundesregierung macht PPP-Projekte und forciert sie auch jetzt gerade. Das Bundes-Verkehrsministerium ist überhaupt der größte Auftraggeber. Das bisher knappe Dutzend Autobahnprojekte summiert sich auf mindestens fünf Milliarden Euro, weitere Projekte sind in Planung.

Das begann schon in der rot-grünen Bundesregierung unter Verkehrsminister Stolpe (SPD) mit Toll Collect, wurde in der CDU/SPD-Regierung von Minister Tiefensee (SPD) fortgesetzt und wird jetzt von Minister Ramsauer (CSU) nochmals verschärft. Daneben forciert die Bundesregierung PPP durch die Aktiengesellschaft „Partnerschaften Deutschland“, an der auch die Investoren, Banken und Berater Anteile halten.

„Unseriöse, spekulative und kriminelle Methoden“

Interview mit Werner Rügemer über Public Private Partnership – Teil 2

Die Reformen des Finanz- und des Arbeitsmarkts sowie die hauptsächlich in Form von PPP-Projekten getätigte Privatisierung der Infrastruktur haben bislang eindeutig negative Folgen für die Bürger gehabt. Zum Beispiel bei der Privatisierung der kommunalen Wohnungsgesellschaft in Dresden sind die schlimmsten Befürchtungen der damaligen Warner mittlerweile wahr geworden. Dennoch wird an dieser Politik unbeirrt festgehalten. Und mit dem Bankenrettungsschirm wird der Weg ins Desaster weiter beschritten. Jedoch regt sich erster Widerstand von unten. Zweiter Teil des Interviews mit Werner Rügemer über sein Buch Heuschrecken im öffentlichen Raum.

Welche allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Folgen kommen durch PPP auf die Bevölkerung zu? In Ihrem Buch entlarven Sie den Sparzwang der Kommunen als getarnte Sonderinteressen von außen, die nichts mit rationalem Wirtschaften im Interesse der Bevölkerungsmehrheit zu tun haben. Aber ist dieses Konzept nicht auch in der eigentümlichen Akkumulationslogik des Kapitals begründet?

Werner Rügemer: Die jeweils regierenden und als regierungsfähig angesehenen und sich für regierungsfähig haltenden politischen Parteien – also in Deutschland CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne – haben als Beschlusslage: PPP ist gut und soll staatlich gefördert werden. Insofern haben sie, in welcher Kombination sie in Bund, Bundesländern, Kommunen und Landkreisen sie auch das Sagen haben, die „kapitalistische Akkumulationslogik“ als Programm. Sie fördern die immer weitere Erschließung der bisherigen öffentlichen Infrastruktur durch Privatisierungen und private Kreditvergaben.

Genauso retten sie mit Steuergeldern bankrotte private Banken, und alle Landesregierungen retten die bankrotten Landesbanken, ob das nun eine CDU/FDP-Landesregierung wie in Schleswig-Holstein, eine CSU-Regierung in Bayern oder eine SPD/Grüne-Regierung in Nordrhein-Westfalen ist; dabei machen auch die Kommunen ganz selbstverständlich mit, sie wehren sich nicht gegen ihre Schädigung, weil sie das Gesamtmodell mittragen. Außerdem werden städtische Sparkassen zu diesen Rettungen ebenfalls herangezogen.

Die Folgen für die Mehrheit der Bevölkerung sind vielfältig: Erstens im PPP-Projekt selbst; da müssen zum Beispiel in einer neugebauten PPP-Schule die Lehrer und Schüler nun für ihren Parkplatz täglich zwei Euro an die Tiefgaragen-Betreiberfirma des Investors zahlen; in den Pausen kann nur in der privaten Betreiberfirma der Cafeteria konsumiert werden undsoweiter. Zweitens verschuldet sich die Kommune langfristig durch PPP noch mehr als wenn sie die Schule selbst betreiben würde, woraus wiederum „Sparzwänge“ erwachsen. Drittens kürzt die Bundesregierung die Zuweisungen an die Kommunen (für Kindergärten, Mieten der Arbeitslosengeld- und Grundsicherungs-Empfänger. etcetera), sodass Senioren- und Migrantenberatungen, Jugendzentren, Kleintheater und Schwimmbäder geschlossen werden, Zuschüsse zu Schulbüchern gekürzt werden, die Grundsteuer erhöht wird undsoweiter undsofort.

In Ihrem Buch plädieren Sie dafür, dass man die von der Finanzkrise betroffenen Banken hätte Bankrott gehen lassen sollen. Welche positiven Effekte hätte Ihrer Meinung nach diese Maßnahme gehabt und welche negativen Folgen bewirkt der Rettungsschirm?

Werner Rügemer: Die Banken waren ja nicht von der Finanzkrise „betroffen“, sondern sie haben sie selbst verursacht. Nach dem Verursacherprinzip, nach der Theorie der Marktwirtschaft („Die Unternehmen tragen das Risiko“) und nach dem geltenden Recht (Insolvenzordnung) hätte jede Bank regulär einem Insolvenzverwalter unterstellt werden müssen. Das hätte mehrere positive Effekte gehabt: Erstens die reinigende Wirkung, die eine kontrollierte Insolvenz hat, dass nämlich ein marktwirtschaftlich gescheitertes und nicht sanierbares Unternehmen vom Markt verschwindet. Der Markt würde überhaupt erst richtig funktionieren, wenn auch Spekulanten, Abenteurer und Kriminelle ausgeschaltet werden.

„Volkswirtschaftlich zerstörerisch“

Zweitens hätte der gerichtlich eingesetzte Insolvenzverwalter alle Forderungen der Gläubiger auf ihre Berechtigung prüfen müssen; dabei wäre natürlich herausgekommen, mit welchen unseriösen, spekulativen und auch kriminellen Methoden Kredite vergeben und weiterverkauft wurden, mit welchen Gefälligkeitstestaten sogenannte Wirtschaftsprüfer und Ratingagenturen Beihilfe geleistet haben; es wäre also herausgekommen, dass ein Großteil der Gläubigerforderungen keine Berechtigung hat und schon gar nicht im öffentlichen Interesse kompensiert werden darf. Und die Verursacher und Mittäter hätten nicht nur strafrechtlich, sondern auch zivilrechtlich zur Verantwortung und Schadenersatz gezogen werden können.

Drittens wäre dabei öffentlich geworden, dass die Finanzkrise gar nicht durch die öffentlich bekannten Geschäfte der Banken – Konten- und Depotverwaltung, Kreditvergabe an Unternehmen, Staaten und Konsumenten, Verkauf von Aktien und Geldanlagen – verursacht wurde, sondern durch spekulative Interbankengeschäfte, also durch Kreditkreisläufe zwischen den Banken (Beispiel „Cross Border Leasing“), durch Kreditverbriefungen, durch Zinswetten, durch Derivate, durch Kreditvergabe an Hedgefonds und Private Equity-Fonds („Heuschrecken“), durch Investmentbanking (Spekulation der Banken mit eigenem Kauf und Verkauf von Devisen- und Wertpapieren, Finanzierung von Unternehmensfusionen) usw. Dies alles ist volkswirtschaftlich in einigen Fällen bestenfalls neutral, mehrheitlich aber zerstörerisch. Bei einer Insolvenz unter staatlicher Aufsicht wäre dies klar geworden, und die Begründung für die staatliche Rettung wäre weggefallen.

Viertens wäre dabei deutlich geworden, welche Finanzpraktiken verboten werden müssen und welchen Wirtschaftsprüfern, Ratingagenturen usw. die Lizenz entzogen werden muss. Weil man aber diese Konsequenzen nicht gezogen hat, die Banken also blind gerettet wurden, können sie so weitermachen wie bisher. Das bedeutet aber, dass der erste Rettungsschirm nicht ausreicht und ständig weitere Rettungsschirme notwendig werden, national und international. Und das bedeutet weiter, dass die Rettungsschirme zu weiterer öffentlicher Überschuldung führen, dass vor allem die lohnabhängigen Bürger und die Transferempfänger die Zeche zahlen müssen und dass der Boden auch für das angebliche Heilmittel PPP weiter gedüngt wird.

Wie sehen die Alternativen zu dieser Politik aus? In Dresden wurde die Privatisierung der städtischen Mietwohnungen auch von der Linkspartei beschlossen. Inwiefern also kann man in punkto PPP auf die Politiker hoffen? Existieren in Deutschland Ansätze einer Gegenwehr?

Werner Rügemer: In Dresden hat nur die Hälfte der linken Ratsfraktion dem Verkauf der 48.000 städtischen Wohnungen an die „Heuschrecke“ Fortress zugestimmt; sie sind inzwischen alle ausgeschieden. Der andere Teil der Linksfraktion hat ein Bürgerbegehren gegen den Verkauf unterstützt. Der Dresdner Stadtrat hat inzwischen beschlossen, Fortress auf etwa eine Milliarde Bußgeld zu verklagen, weil die Sozialcharta in vielen Fällen verletzt wurde. Ich hoffe, dass diese Klage konsequent durchgezogen wird. Das wäre eine Ermutigung für andere, denn bei Privatisierungen und PPP sind zahlreiche Rechtsverletzungen geschehen.

Oft hat es gar keine ordentliche öffentliche Ausschreibung oder verdeckte staatliche Subventionen gegeben. So hat beispielsweise der Europäische Gerichtshof das Kölner PPP-Projekt der Kölner Messehallen für ungültig erklärt. Zahlreiche Kommunen verklagen die Deutsche Bank wegen gezielter Falschberatung bei Zinswetten, andere Kommunen zögern noch, da wirkt die Komplizenschaft nach.

Die Politiker, die bisher im Einverständnis mit den Banken und Investoren gehandelt haben, sind allermeist nicht lernfähig zumindest bisher. Es ist notwendig, sie durch Bürgerbewegungen zu zwingen wie auch in die Parlamente und Stadträte neue Kräfte einziehen müssen. Die Mehrheit der Bürger sehen bereits im Gegensatz zu früher öffentliche Unternehmen als besser an und man will mehrheitlich Stadtwerke, Verkehrs- und Wohnungsgesellschaften als öffentliches Eigentum. Einige PPP-Projekte sind schon durch den Einsatz von Bürgerinitativen, der Gewerkschaften und der Linkspartei gekippt worden.

Mindestens 1.000 Konzessionsverträge für kommunale Energienetze laufen in den nächsten beiden Jahren aus; bisher konnten RWE und Konsorten auf eine fast automatische Verlängerung der für sie lukrativen Konzessionen hoffen, das hat sich jetzt geändert. Eigene Leitungsnetze, dezentrale Energieproduktion – die Erkenntnis des Wertes öffentlicher Infrastrukturen breitet sich aus. Da hat sich ein Konfliktfeld entwickelt, von dem die etablierten Parteien und Medien öffentlich nicht zu sprechen wagen.

http://www.heise.de/tp/artikel/34/34802/1.html

1 comments

  1. Preisfrage: Gibt es eine „Schuldenbremse“?
    Diskutieren Sie mit, aber fangen Sie erst einmal an zu denken:
    http://www.humane-wirtschaft.de/schuldenbremse-und-was-davon-zu-halten-ist/comment-page-1/

    „Ihr werdet mir tausend Fragen stellen, und nachdem ich sie alle zu eurer Zufriedenheit beantwortet habe, werdet ihr von vorne anfangen.“

    Silvio Gesell, 1929

    Es gibt Kindergarten-Diskussionen und Diskussionen für Erwachsene. Erstere beschäftigen sich mit der a priori sinnlosen Frage, ob es noch eine andere Möglichkeit für das zivilisierte Zusammenleben geben könnte als die Natürliche Wirtschaftsordnung (echte Soziale Marktwirtschaft = freie Marktwirtschaft ohne Kapitalismus), die der Sozialphilosoph Silvio Gesell bereits 1916 vollständig und widerspruchsfrei beschrieben hatte (alle „Gegenargumente“ basieren auf Vorurteilen und Denkfehlern) und die Ludwig Erhard noch nicht durchsetzen konnte, weil ihm die „katholische Soziallehre“ in die Quere kam; letztere behandeln die überaus interessante Frage, warum es Kindergarten-Diskussionen sogar noch im 21. Jahrhundert gibt (wobei die „hohe Politik“, so genannte „Wirtschaftsexperten“ und der „hohe Journalismus“ noch nicht einmal bis zum „Niveau“ der Kindergarten-Diskussionen vorgedrungen sind).

    „Ich glaube – und hoffe – auch, dass Politik und Wirtschaft in der Zukunft nicht mehr so wichtig sein werden wie in der Vergangenheit. Die Zeit wird kommen, wo die Mehrzahl unserer gegenwärtigen Kontroversen auf diesen Gebieten uns ebenso trivial oder bedeutungslos vorkommen werden wie die theologischen Debatten, an welche die besten Köpfe des Mittelalters ihre Kräfte verschwendeten. Politik und Wirtschaft befassen sich mit Macht und Wohlstand, und weder dem einen noch dem anderen sollte das Hauptinteresse oder gar das ausschließliche Interesse erwachsener, reifer Menschen gelten.“

    Sir Arthur Charles Clarke (1917 – 2008), aus „Profile der Zukunft“

    Für die Überwindung der „Finanzkrise“ und den anschließenden, eigentlichen Beginn der menschlichen Zivilisation bedarf es der „Auferstehung der Toten“. Als geistig Tote sind alle Existenzen zu bezeichnen, die vor lauter Vorurteilen nicht mehr denken können. Werden Sie lebendig.

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