Redaktionsbeitrag von „Prager Frühling“
Comeback der Commons
Die Commons kommen zurück – als theoretisches Modell und als politische Praxis, dem Commoning. Die vergangenen Jahrhunderte wurden sie von rechten wie linken TheoretikerInnen für tot erklärt. Die politische Ökonomie marxistischer Prägung sah die Einhegung von Gemeineigentum als abgeschlossenen Prozess und als Voraussetzung für die Entstehung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln an. Mit den Einhegungen im Zuge der Industrialisierung stellte sich für MarxistInnen die Frage nach den Commons nicht mehr. Auf der anderen Seite prägte der Neomalthusianer Garrett Hardin mit der von ihm 1968 popularisierten katastrophischen Metapher der “Tragödie der Commons” für Jahrzehnte die Überzeugung, Commons seien naturnotwendig zum Scheitern verurteilt. Der Mensch als Homo oeconomicus und Nutzenmaximierer zerstöre zwangsläufig die Gemeingüter, weil er sie übernutzt.
Der lagerübergreifenden Absage an die Commons folgt nun ein ebensolch lagerübergreifendes Revival. Nicht nur Kommunist_innen und Ökosozialist_inen interessieren sich für Commons, sondern plötzlich auch Weltbank und neoliberale Think Tanks. Grund genug zu fragen, wo emanzipatorische Potentiale und wo mögliche Grenzen liegen.
Einmal Wissenscommonismus und zurück
Das Revival der Debatte um Commons wurde nicht zuletzt durch die Widersprüche in der Produktivkraftentwicklung in postfordistischen Wissensgesellschaften befördert. Die Institutionalisierungsversuche einer Wissensallmende durch Lizenzmodelle wie bspw. Creative Commons hat auch eine breite theoretische Debatte angestoßen, die wir in der Wissenscommunismus.com-Ausgabe beschrieben haben. Hardt/Negri haben in der Wissens- und immatriellen Produktion bereits die latent kommunistischen Potentiale aufscheinen gesehen.
Auch im Bereich materieller Güter sind Commons ein Versuch Antworten auf die Enteignungen der vergangenen neoliberalen Dekaden und neue Entwicklungen, wie beispielsweise durch „land-grabbing“ (Dazu in dieser Ausgabe Tore Prien) zu finden. Die Linke sollte daher Commons nicht auf Wissensgüter und nichtrivale (sich nicht verbrauchende, nicht-endliche) Güter begrenzen. Was commons ist, was der Allgemeinheit gehört, was für alle frei zugänglich ist, von Nutzer*innen im Interesse des Gemeinwohls verwaltet wird, ist nicht per definitionem auf natürliche Ressourcen und Wissen begrenzt, sondern ist als Gegenstand umkämpft. Für eine progressive Linke muss es vielmehr darum gehen, den Bereich dessen, was als Commons organisiert werden kann, auszuweiten. (Dazu in dieser Ausgabe der Beitrag von Lena Kreck)
Jenseits von Markt und Zentralverwaltungswirtschaft
Das Konzept Commons eignet sich als strategischer Bezugspunkt für linke Politik, weil er Demokratisierung der Wirtschaft mit der Aneignung öffentlicher, gemeinsamer gütet verbindet. Im Mittelpunkt steht eine ausgeprägte Beteiligungs- und Nutzer*innenorientierung. Sie grenzt sich von autoritären Sozialismusvorstellungen oder staatsbürokratischen Ansätzen ab, in denen Entscheidungen nicht durch die Betroffenen, sondern im Politbüro oder in geschlossener Aufsichtsratssitzung getroffen werden.
Die demokratische Selbstverwaltung durch die Nutzer*innen, birgt die Chance auf einen verantwortungsbewussten, d. h. solidarischen und ressourcensparenden Umgang mit diesen Gütern. Teilen statt Haben: Nicht die Vernutzung im Interesse weniger, sondern der Erhalt einer Ressource oder von Gütern im allgemeinen Interesse wird zum Maßstab. Commons eröffnen neue Perspektiven auf die Frage, wie Demokratie in der Wirtschaft zu implementieren ist – sowohl im Bezug auf Entscheidungs- als auch auf Eigentumsstrukturen. Wirtschaftsdemokratie wird als Selbstverwaltung gedacht und nicht als zentralistische Planung verstaatlichter Industriebetriebe. Commons bieten die Perspektive wirklicher Vergesellschaftung durch die Demokratisierung der Verfügungsgewalt. Das bedeutet wiederum nicht, dass Commons einfach nur im Gegensatz zum Staat stehen. Im Gegenteil, an vielen Stellen ist es notwendig, dass die Gemeingüter rechtlich abgesichert werden oder dass sie eine Institutionalisierung erfahren, die staatlich geschützt werden muss.
Ein emanzipatorisches Verständnis von Commons stellt das Prinzip von Privateigentum dabei aber ganz grundsätzlich in Frage. Von besonderer Dringlichkeit ist deshalb die Frage, wie auch größere ökonomische Einheiten – z. B. Großbetriebe – im Sinne der Commons umgestaltet werden können. Wirklich basisdemokratische Genossenschaften, Belegschaftseigentum, öffentliche Unternehmen mit Bürgerbeiräten, im derzeitigen Recht lassen sie sich nur bedingt ausdrücken. Wie Commons in den verschiedenen Bereichen installiert und organisiert werden können, muss daher weiter entwickelt werden.
Commons als Bewegungs- und Kampfbegriff
Commons gibt es nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. In vielen Metropolen erleben die Kämpfe um Wohnen, das Recht auf Stadt, Energie und Wasser eine Renaissance. Sie reichen von der Gründung von Energiegenossenschaften über demokratische Stadtwerke, von Feldbefreiungs-Bewegungen hin zu Gemeinschaftsgärten und guerilla gardening als ein praktisches Rückgängigmachen von Einhegungen. Auch das Engagement gegen Privatisierung und für eine demokratische Rekommunalisierung gehören dazu. In den Ländern des Südens finden Kämpfe gegen die Patente auf Saatgut und gegen Landgrabbing statt. Landbesetzungen durch Kleinbäuer*innen stellen die Eigentumsfrage. Das Prinzip Commons bietet sich als Kristallisationspunkte dieser Kämpfe an.
Halbinseln gegen den Strom oder genügsames Eiland
Die Kehrseite dieser vielgestaltigen Offenheit, lässt sich auch als Unbestimmtheit benennen. Als “Halbinseln gegen den Strom” (Habermann), die weder irrig Insel im falschen Ganzen zu sein beanspruchen und doch Strukturen schaffen sollen, die Markt- und Profitlogik zuwiderlaufen, unterliegen sie einer doppelten Gefahr. Je nachdem, wie die Strömung steht, droht die Gefahr, dass sie sich zu selbstgenügsamen Eilanden wandeln, deren gesellschaftliches Transformationspotential gen Null tendiert. Oder im gegenteiligen Fall, dienen sie als Bereich, in dem die nicht profitablen und dennoch gesellschaftlich notwendigen Arbeiten erbracht werden müssen. (Dazu in dieser Ausgabe Ulrich Brand und Daniela Gottschlich)
Das ist nicht der Commonismus, den wir meinen
Neben diesen Gefahren, denen alle Formen solidarischer Ökonomie ausgesetzt sind, gibt es darüber hinaus eine Reihe von interessegeleiteten Umdeutungen der Commons. VertreterInnen des Green-Capitalism verkaufen Bürgeraktien und Aktionärsrechte als Demokratisierung. Mit Bezug auf die Global Commons, See, Luft, Atmosphäre und Weltraum, die allen zugänglich sein sollen, rechtfertigen die in der Nato verbündeten Staaten globale militärische Präsenz. Als “neutrale” Ordnungsmacht garantierten sie, so die Behauptung, nur den Zugang “aller” zu Global Commons und den Schutz vor der Nutzungsausschließung anderer durch Piraten und anderer “Schurken”. UN und Weltbank haben mit den Schutz des Regenwaldes genutzt, um Reservate einzuhegen, dabei die jahrhundertelangen Nutzer enteignet und den Zugang auf zahlungskräftige ÖkotouristInnen beschränkt. Dies verdreht die Bedeutung von Commons in ihr Gegenteil. Denn mit den bereits zitierten Ansprüchen, der demokratischen, kollektiven Entscheidung oder zumindest die Zustimmung zu den gesetzten Regeln aller Nutzenden haben die genannten Beispiele nichts zu tun.
Die Linke und Commons
Commons sind ein Thema für eine moderne Linke, die Räume zwischen Marktlogik und Staatsverwaltung eröffnen will. Es gibt insbesondere viele ganz praktische, kommunalpolitische Anknüpfungspunkte, sei es im Hinblick auf Energie, Wohnen oder digitale Infrastruktur. Bundespolitisch Aktive sollten regelmäßig ans Grundgesetz erinnert werden, in dem die Möglichkeit der Re-Commonalisierung explizit eingeschrieben ist. In Art. 15 heißt es „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“
Eines dürfte klar sein: Eine gerechte Gesellschaft der Freien und Gleichen muss einen Rahmen schaffen, in dem Commons sich frei entfalten können. Sie enthebt die Linke nicht von der Verantwortung sich gegen Privatisierungen und Freihandelsabkommen, für andere Eigentumsverhältnisse und für demokratische Organisationsformen zu kämpfen. Im Gegenteil: Commons sind geradezu als Aufforderung zu verstehen, der Dominanz des Privateigentums und seinen desaströsen Folgen ein Stoppschild zu setzen. Commons brauchen auch einen starken Wohlfahrtsstaat. Nur Modelle einer sozialen Mindestsicherung oder eines Grundeinkommens versetzen alle in die Lage auch frei von materiellen Ängsten und Auschlusslagen auch tatsächlich an den Commons teilhaben und mitbestimmen zu können.