Von Carl Waßmuth
Unter dem Deckmantel der Rekommunalisierung wird von den Parteien die Umschichtung der privaten Anteile hin zu Genossenschaften massiv gefördert. Schon die CDU/CSU schreibt in ihrem Wahlprogramm [1]: „Wie begrüßen und unterstützen […] Energiegenossenschaften“.
Im Wahlprogramm der SPD [2] ist man noch viel ausführlicher:
„Regionale „Bürger-Fonds” sollen den Erwerb von Anteilen an Infrastrukturen ermöglichen. Schon bestehende Beteiligungen wie „Bürgerwindparks” und Energiegenossenschaften sollten substanziell ausgebaut und auch auf leitungsgebundene Infrastrukturen – etwa im Bereich der Strom- und Breitbandnetze – Anwendung finden. Netze in Bürgerhand stärken die öffentliche Akzeptanz von Infrastruktureinrichtungen.“
„Für Akzeptanz und Durchsetzbarkeit von Energieinfrastrukturprojekten ist die frühzeitige Konsultation und Beteiligung der betroffenen Bevölkerung in Zusammenarbeit mit den Kommunen unabdingbar. Hilfreich sind auch unmittelbare Beteiligungen der Bevölkerung, wie z. B. in Form von „Bürger-Windparks”, Energiegenossenschaften, Netzbeteiligungen etc..“
Die großen Genossenschaften sollen legitimiert werden durch eine (vage versprochene) Förderung der kleinen:
„Wir setzen uns für eine Förderung des Genossenschaftswesens ein. Genossenschaften haben sich gerade in Zeiten großer struktureller wirtschaftlicher Veränderungen als innovative und stabile Unternehmensformen erwiesen. Nicht ohne Grund sind etwa in der Finanzkrise die Genossenschaftsbanken Volks- und Raiffeisenbanken im Vergleich zu Instituten anderer Rechtsformen am besten durch die Krise gekommen.
Die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen beispielsweise aus dem demografischen Wandel und beim Wohnungsbau können mit Hilfe von Genossenschaften erleichtert werden. Auch bei der Regelung der Unternehmensnachfolge bietet das Genossenschaftsmodell eine Alternative. Wir wollen deshalb das Genossenschaftsrecht weiterentwickeln, um die Attraktivität des Genossenschaftswesens zu steigern und die Gründung von neuen Genossenschaften zu erleichtern, auch durch Erleichterungen für Kleinstgenossenschaften.“
„Daneben wollen wir genossenschaftliche Organisationsformen in allen Bereichen stärken und deshalb die gesetzlichen Voraussetzungen für erleichterte Gründungen, bessere Förderbedingungen durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sowie die Förderung von Genossenschaftsanteilen, insbesondere bei Bau- und Wohngenossenschaften, schaffen. Für kleine kooperative Unternehmensformen, beispielsweise die Gründung von Kindertagesstätten durch Elterninitiativen, wollen wir eine unkomplizierte „Kleinstgenossenschaft” schaffen.“
Auch bei der Linken sieht man die Energiewende in Genossenschaftshand. Im Wahlprogramm [3] heißt es:
„Die regional gestaltete Energiewende als alternativer Pfad zur Dominanz der großen Stromkonzerne hat mittlerweile einen »point of no return« erreicht. Energiegenossenschaften werden gebildet, es entstehen Bioenergiedörfer und Städte und Kommunen erwerben die Konzessionen für die Energienetze zurück. Durch den fortgesetzten Ausbau ist die kommunale Wertschöpfung aus erneuerbaren Energien erheblich angewachsen. Die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an diesen Projekten ist starke Motivation, Wertschöpfung zu einem Entwicklungsimpuls für Region und Heimat zu machen.
DIE LINKE als sozialistisch-ökologische Partei ist Partnerin und Motor dieses gesellschaftlichen Wandels – in Ost und West.“„Strom- und Wärmenetze gehören konsequent in öffentliche Hand oder in die Hand unter demokratischen Gesichtspunkten geführter Unternehmen. In diesem Zusammenhang werden Stadtwerke und genossenschaftliche Versorger gestärkt.“
Bei der Linken ist man sehr gegen Privatisierung, ist sich aber gleichzeitig des privatrechtlichen Status von Genossenschaften offenbar nicht bewusst. Auch wird unter den Genossenschaften nicht unterschieden in groß oder klein, kapitalintensiv oder eher bürgerschaftlich usw.:
„Bereiche innerhalb der Wirtschaft, die der Daseinsvorsorge dienen – wie große Energieerzeugungsanlagen, Energienetze, Wasser und Abwasser sowie strategische Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit, Banken, Verkehr oder Wohnungswirtschaft – gehören in öffentliche oder genossenschaftliche Hand. „
„Private Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge werden rekommunalisiert. Genossenschaften im Wohnungsbau werden gestärkt. Die Möglichkeiten werden verbessert, dass Belegschaften ihre Betriebe übernehmen oder Genossenschaften gründen.“
„DIE LINKE unterstützt Belegschaften, die ihre in die Krise geratenen Betriebe in Eigenregie weiterführen wollen. Genossenschaften und Belegschaftsbetriebe bauen auf Wissen, Erfahrung und Planungsfähigkeiten der Beschäftigten auf und geben ihnen mehr Möglichkeiten, über Art und Inhalt der Produktion mitzubestimmen.“
„Ohne leistungsfähiges öffentliches Eigentum, ohne staatliches, kommunales, regionales, aber auch genossenschaftliches oder gemeinschaftliches Eigentum kann eine Demokratie nicht funktionieren.“
“ Um solidarische Ökonomie zu unterstützen, müssen Genossenschaften stärker gefördert werden.“
„Der soziale Wohnungsbau muss wiederbelebt und neu ausgerichtet werden. Er soll öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbau fördern.“
„Wir wollen die breite soziale Streuung des Grundeigentums in Deutschland erhalten, das private Kleineigentum, das genossenschaftliche und das öffentliche Eigentum vor Ausverkauf schützen.“
„Wir wollen Hemmnisse beseitigen, die einer noch erfolgreicheren Entwicklung der Agrargenossenschaften entgegenstehen, zumal diese Rechtsform den Vorrang der Menschen vor dem Kapital präferiert und namentlich die Genossenschaften in den neuen Bundesländern einen beträchtlichen Teil der Fläche bewirtschaften, Wertschöpfung, Arbeits- und Ausbildungsplätze sichern.“
Immerhin sieht man Demokratieprobleme:
„Wir unterstützen die Demokratisierung von Wohnungsgenossenschaften und wollen das Genossenschaftsrecht entsprechend ändern, damit die Genossenschaftsmitglieder mehr Mitsprache erhalten und über die Höhe der Miete sowie über Investitionen und Modernisierungen selbst entscheiden können. Die Geschäftsprozesse und Geldströme der Genossenschaften müssen gegenüber ihren Mitgliedern vollständig offengelegt werden.“
„Wir unterstützen die demokratische Mitwirkung von Mieterinnen und Mietern in Mieterbeiräten sowie Mitgliedern von Genossenschaften und fordern mehr Möglichkeiten ihrer Mitsprache in Entscheidungsprozessen. „
Mehr Mitsprache INNERHALB der Genossenschaften hilft jedoch weder gegen Ausgrenzungen von Nicht-Genossen noch gegen die Probleme mit der privatrechtlichen Organisationsform generell. Interessant auch dieser Aspekt:
„Modell des neuen Finanzwesens sind Sparkassen und Genossenschaftsbanken; die so zu schaffenden Banken werden wie die Sparkassen aufs Gemeinwohl verpflichtet.“
„Die Ausgestaltung einer sozialen Wirtschaft mit regionalen Wirtschaftskreisläufen muss klaren Maßstäben folgen, die Verteilungsmaßnahmen, demokratische Kontrolle, Teilhabe und Mitspracherechte für alle beteiligten Gruppen umfasst. Hierbei spielen für uns Genossenschaften eine wichtige Rolle, die vor dem Hintergrund der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise eine klare Alternative für ein soziales und nachhaltiges Wirtschaften darstellen. Wir wollen das Genossenschaftsprinzip ausbauen und das Genossenschaftsrecht stärken.“
Hier erfahren die Genossenschaften (z.B. in Form der Genossenschaftsbanken) durch die in Finanzfragen sonst so kritische Linke eine erhebliche Legitimation, sie stellen demnach ein wesentlicher Teil der Lösung dar.
Bei den Grünen ist es noch deutlicher, aber vielleicht auch bewusster oder ehrlicher. Im Wahlprogramm [4] setzt man Genossenschaften gleich mit (positiv besetzten) Unternehmen gleich:
„Bis zum Jahr 2020 wollen wir den Anteil der Erneuerbaren Energien mindestens verdoppeln und bis 2030 die Stromversorgung Deutschlands auf 100 % Erneuerbare Energien umstellen. Damit setzen wir das erfolgreichste wirtschaftliche Demokratisierungsprojekt in Deutschland fort. Die Bürgerinnen und Bürger, die Genossenschaften und kleinen Unternehmen vor Ort zusammen mit den Kommunen und Stadtwerken sind das Rückgrat der Energiewende – das ist das Ergebnis grüner Energiepolitik.“
Auch die Grünen sehen in Genossenschaften ein Rezept gegen weitere Finanzkrisen:
„Seit der Finanzkrise wächst der Sektor der nachhaltigen Banken rasant. Sie zeigen, dass ein anderer Finanzsektor möglich ist. Diese Banken setzen sich selbst strenge Regeln für ein nachhaltiges Verhalten und lassen in der Regel ihre KundInnen über ihre Aktivitäten entscheiden. Die meisten sind genossenschaftlich organisiert und handeln nicht primär gewinnorientiert. Grüne Politik unterstützt nachhaltige Banken regulatorisch.“
Zum Beleg für die positiven Effekte von Genossenschaften beleiht man sich bei der Solidarischen Ökonomie:
„Solidarische Ökonomie bedeutet für uns, unser Handeln an den Leitlinien sozialer, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit auszurichten. Wir fördern die verschiedenen Ansätze solidarischer Ökonomie, weil darin die Freiheit selbstbestimmten Handelns und Demokratie mit sozialer Gerechtigkeit verbunden wird. Hierbei knüpfen wir an erfolgreiche Beispiele wie BürgerInnenenergie-Genossenschaften oder lokale KonsumentInnen- und ErzeugerInnen-Gemeinschaften an.“
Und natürlich geht es vor allem um die Energie:
„Die Direktvermarktung von Ökostrom aus Genossenschaften und BürgerInnengemeinschaftsanlagen soll gestärkt werden, um Anreize zur dezentralen Stromerzeugung zu schaffen. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die Genossenschaftsbewegung. Wir wollen Gründungen in diesem Bereich erleichtern, genossenschaftliche Dienstleistungen einem breiteren Kreis zugänglich machen und ihre Weiterentwicklung fördern. Dazu entbürokratisieren wir die genossenschaftliche Rechtsform, z.B. durch eine Entlastung bei den Prüfungspflichten. Gleichzeitig beenden wir die Benachteiligung von Gemeinschaftsunternehmen besonders bei Gründungsund Förderprogrammen und erleichtern den Zugang zu Finanzierungsdienstleistungen.“
Wie bei SPD und Linken, nur expliziter, werden die großen Genossenschaften durch die kleinen solidarischen legitimiert:
„Darüber hinaus wollen wir ressourcenschonende Geschäfts- und Dienstleistungsmodelle mit gemeinschaftlicher Nutzung fördern, bei denen der Gebrauch statt des Besitzes im Vordergrund steht. Dazu gehören Carsharing-Modelle ebenso wie Generationen übergreifende Wohngemeinschaften, die eine Lösung für knapper werdenden Wohnraum in Großstädten bieten. Für Anbieter und VerbraucherInnen von Tausch-, Teil- und Verleihdienstleistungen sowie für die Open-Source- und Freie-Software-Bewegung wollen wir deshalb Rechtssicherheit schaffen. Ebenso unterstützen wir solidarische Handelsnetze sowie Regionalgeldinitiativen, um regionale Wertschöpfung zu fördern.“
„Die Gründung stadtteilorientierter Genossenschaften unterstützen wir ebenfalls – zum Beispiel indem wir für BewohnerInnen, die sich zu Wohngenossenschaften zusammenschließen, ein Vorkaufsrecht einführen.“
Das übergreifende Muster scheint folgendes zu sein: Um die Daseinsvorsorge, insbesondere den Um- und Ausbau der Energieversorgung privaten Kapitalanlegern aufbereiten zu können werden nun die Genossenschaften gepusht. Dabei wird nicht differenziert zwischen Genossenschaften mit Milliarden-Umsätzen und den kleinen, weitgehend auf ehrenamtlichem Engagement beruhenden Genossenschaften. Alles sei solidarische Ökonomie. Die kleinen Genossenschaften legitimieren die großen, und zu diesem Diebstahl von positivem Image sollen erstere durch kleine rechtliche Zugeständnisse zum Stillhalten bewegt werden.
Der aktuelle Rekommunalisierungstrend wird auf diesem Wege umgelenkt in einen simplen Wechsel von einem privaten Eigentümer zu einem anderen. Aber auch bisher öffentliches Eigentum wird für eine künftige Privatisierung vorbereitet. Das Kernmotiv Kapitalanlage erklärt auch, wie die großen Energiegenossenschaften zu so viel Geld kommen (in Hamburg in nur wenigen Monaten 50 Millionen Euro) oder zu kommen hoffen (wie derzeit in Berlin). In Niedrigzinszeiten gibt es jede Menge Anlage suchendes Kapital. Und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass Versicherungsriesen (wie die Allianz) oder Pensionsfonds demnächst bei den Energiegenossenschaften einsteigen.
Welche Regierung also auch zustande kommt: Wenn es kommt, wie es in den Wahlprogrammen angekündigt wurde, dann wird eine doppelte Chance verspielt: Gefährdet ist zum einen die zumeist jeweils nur alle 20 Jahre vorliegende Gelegenheit, die Energie zurück in öffentliches Eigentum und öffentliche Rechtsformen zu bekommen. Und auch die Gelegenheit, das aktuelle erhebliche Demokratiedefizit in der Steuerung der öffentlichen Daseinsvorsorge zugunsten einer echten, demokratischen Mitsprache der BürgerInnen zu beheben, wird so verpasst. Massiven Fehl- und Unterinvestitionen werden weiter stattfinden, Ausgrenzung von der Daseinsvorsorge über hohe Preise und schlechte oder ganz ausfallende Leistungen werden zunehmen. Es scheint so, dass zum Zurückzudrängen der Macht von Kapital und Parteien über die Daseinsvorsorge, über die Energienetze und –versorger den Volks- und Bürgerentscheiden die Schlüsselrolle zukommt.
[1] www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/regierungsprogramm-2013-2017-langfassung-20130911.pdf
[2] www.spd.de/linkableblob/96686/data/20130415_regierungsprogramm_2013_2017.pdf
[3] www.dielinke.de/fileadmin/download/wahlen2013/bundestagswahlprogramm/bundestagswahlprogramm2013.pdf
[4] www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Gruenes-Bundestagswahlprogramm-2013.pdf