von Jürgen Schutte / Carl Waßmuth
Angenommen, es gelänge, ein PPP -Projekt zu finden, bei dem weder die Kosten davonlaufen, noch Qualitätsmängel oder Vernachlässigung der vom privaten Partner übernommenen Aufgaben zu beklagen wären. Vorteilsnahme, Unterschlagungen und Korruption kämen ebensowenig vor wie rücksichtsloser Umgang mit den Beschäftigten, Lohnsenkungen und Kündigungen. Selbst Insolvenzen zum rechten Zeitpunkt wären ausgeschlossen – angenommen also, es fände sich ein perfektes Projekt: Was gäbe es an einem solchen Tausendsassa noch zu kritisieren?
Die Antwort lautet: Die Politik der Privatisierung ist im Effekt ein Angriff auf die Demokratie.
Privatisierung hat viele Gesichter
Privatisierung heißt: Unterwerfung von öffentlichen Institutionen und Dienstleistungen unter das Gesetz der Gewinnmaximierung. Elementare Bereiche unserer Lebensgestaltung wie Bildung, Gesundheit, Energie, Wasser, Straßen, aber auch Gefängnisse und Friedhöfe werden zu Waren auf einem internationalen Infrastrukturmarkt. Mehr noch: Sie wer_den zu Finanzprodukten und zu Objekten der Spekulation. Das geschieht in vielen verschiedenen Formen und folgt unterschiedlichen politischen Strategien.
Indem sie die PPP-Modelle als ganzheitlich anpreisen, zielen die PPP-Befürworter auf Ganze. Sie wollen die Schulen und Krankenhäuser nicht nur bauen, sondern auf Dauer vollständig in ihre Hand bekommen. Der Staat soll sich auf seine „Kernaufgaben“ besinnen und beschränken. Der Begriff der „Kernaufgaben“ wird sehr eng gefaßt; es bleiben nur sehr wenige, scharf umgrenzte Bereiche, an deren In-Wert-Setzung man (noch) nicht arbeitet.
Wem gehört der öffentliche Raum
Öffentlichkeit als Ort ist Voraussetzung der Demokratie und der demokratischen Kultur. Die soziale Kontur und die kulturelle Energie einer Gesellschaft hängt eng mit der Existenz öffentlicher Institutionen und durch die Verfassung garantierter Rechte auf den Genuss von Dienstleistungen zusammen. Ganz abgesehen davon, dass diese auch die Solidarität in der Daseinsvorsorge umfassende Garantie auch ein Standortvorteil ist. Stimmt man der These zu, dass es nach dem Krieg ein deutsches „Wirtschaftswunder“ gab, so sollte doch auch Konsens darüber bestehen, dass zu den notwendigen, Grundlagen dieser für die große Mehrheit positiven Entwicklung auch die von der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts erkämpften sozialen und kulturellen Institutionen gehören. Vor diesem Hintergrund kann es durchaus bedrohlich erscheinen, dass die Bundesrepublik nun gerade in der Krise eine ganze Reihe dieser Errungenschaften aufgeben oder aktiv abschaffen will, welche doch mit großer Wahrscheinlichkeit die historische Bedingung dafür sind, dass das Land nach dem verheerenden zweiten Weltkrieg so bald wieder ökonomisch erfolgreich und politisch vergleichsweise zivilisiert dastand.
Wir gehen also von der Annahme aus, dass der öffentliche Raum mitsamt seinen staatlichen Unternehmen, seinen Anstalten des öffentlichen Rechts und den zahlreichen Institutionen der Selbstverwaltung eine unabdingbare Voraussetzung der demokratischen Kultur, des Rechts und des sozialen Zusammenhalts und infolgedessen auch des materiellen Wohlstands ist.
Die Demokratie hört am Fabriktor auf
Die Arbeitswelt ist in unserer Gesellschaftsordnung kein besonders demokratischer Bezirk. Die Entscheidung der arbeitenden Menschen, wie sie denn leben und arbeiten wollen, hat ihre unüberschreitbare Grenze am heiligen Recht des Eigentums. Jedes, auch das kleinste, Maß an Mitbestimmung musste den Unternehmern in langen, harten Kämpfen abgerungen werden; und sie waren stets auch nur unter der Drohung mit dem Äußersten, der Enteignung, zum Zugeständnis einer Betriebsverfassung bereit. Demgegenüber haben die arbeitenden Menschen in den Institutionen der Daseinsvorsorge und der staatlichen Verwaltung aus vergleichbaren, aber günstigeren historischen Bedingungen deutlich größere Personalvertretungsrechte. Die Entscheidungen in diesem Bereich sind in letzter Instanz durch Wahlen und andere Mittel demokratischer Kontrolle beeinflussbar. Im – zugegebenermaßen seltenen – Fall spricht hier der Souverän, von dem die Staatsgewalt in der Demokratie ja ausgehen soll, ein entscheidendes Wort mit.
Wir behaupten also: Jede Privatisierung einer öffentlichen Institution bedeutet einen Terrainverlust für die Demokratie. Das gilt auch, wo – wie bei der Bahnprivatisierung – das Unternehmen im Staatsbesitz bleibt und nur die Rechtsform verändert wird.
Handlungsfähigkeit des Staates
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Wie will der Staat dieser Verpflichtung entsprechen, wenn er die Mittel aus der Hand gibt, die für die Erfüllung dieser Aufgabe bestimmt sind? Die Institutionen der so genannten Daseinsvorsorge sind seit ihrer Entstehung spätestens im 19. Jahrhundert Grundlage einer staatlichen Einflussnahme, welche auch eine gewisse Steuerung makroökonomischer Prozesse im Interesse der Allgemeinheit erlaubte, in ihrer Wirkung auch dem sozialen Ausgleich diente sowie nicht zuletzt der Industrie – oft genug gegen ihre kurzfristigen Interessen – die nötigen Fachkräfte ausbildete. Eine solidarische Krankenversicherung, eine ausreichende Absicherung bei Arbeitslosigkeit und ein auskömmliches Einkommen im Alter ist nicht nur ein materieller Besitzstand, sie bedeuten für das Individuum eine gewisse Freiheit von Angst; und die ist , eine notwendige Voraussetzung für gesellschaftliches Engagement und ähnliche – im Begriff der Würde treffend zusammengefasste – Errungenschaften. Gesellschaftlich sind diese Errungenschaften eine Voraussetzung für den zivilisierten Umgang miteinander, für Solidarität und politische Kultur.
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass diese Werte, die von unseren Politikern so gerne beschworen werden, im täglichen Leben unserer Gesellschaft derzeit keine bestimmende, öffentlich wirksame Rolle mehr spielen. Der Angriff des Kapitals auf die öffentlichen Institutionen und Dienstleistungen ist auch deswegen so wirkungsvoll, weil die Entschlossenheit und Kraft, diese Errungenschaften aufrecht zu erhalten und zu verteidigen weitgehend fehlen. Die Handlungsunfähigkeit der öffentlichen Hand ist vielfach dadurch bedingt, dass die Institutionen durch den fortdauernden Entzug der Finanzen weitgehend kaputtgespart sind. Wegen Unterfinanzierung und Personalmangel sind sie in unterschiedlichem Ausmaß reformbedürftig. Bürokratischer Leerlauf und ineffektive Arbeits_organisation sind verbreitet; die Organe der Selbstverwaltung und der demokratischen Mitbestimmung sind nicht selten in Routine erstarrt. Sie sind von innen und von außen in einem bedrohlichen Ausmaß vernachlässigt und missachtet und somit anfällig für Verwertungsinteressen, die von „der Wirtschaft“ an sie herangetragen werden. Die mit moderner Technik,, professionell ausgearbeiteten Strategien und mit bedeutenden finanziellen Mitteln ausgestatteten Unternehmen haben es angesichts der genannten Mängel leicht, kommunale Mandatsträger mit der Betonung von Effizienz und Sparsamkeit zu beeindrucken.
Bewahrung und Reform der öffentlichen Institutionen
Die Kritik der Privatisierungspolitik hat sich auf die zwei von der Privatisierungs-Lobby kultivierten Argumentationsrichtungen einzulassen, den „Investitionsstau“ und den „Reformstau“. Die seit Jahrzehnten wachsende öffentliche Armut bedeutet nicht nur Schulden, die nicht mehr abzutragen sind. Sie bedeutet auch den Verlust an Gestaltungsfähigkeit in der Daseinsvorsorge, in der Infrastruktur, den grundlegenden Dienstleistungen, den Bildungseinrichtungen.
Dem Investitionsstau wäre abzuhelfen durch eine Reform der Kommunefinanzierung und das heißt, auch durch eine Revision der Steuerpolitik, durch welche die Kommunen in die finanzielle Zwangslage gekommen sind. Es ist mit anderen Worten Zeit für ein Kommunen-Rettungspaket. Dieses müsste hinauslaufen auf eine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten und vom Privaten zum Öffentlichen sowie auf eine andere, gerechtere Verteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen.
Der Reformstau kann nur aufgelöst werden durch eine kräftige Investition von demokratischer Initiative und politischem Engagement. Erforderlich erscheint eine Veränderung der öffentlichen Institutionen und Dienstleistungen, so dass diese durch die Gesellschaft wirklich kontrollierbar werden. Eine qualifizierte Mitbestimmung von außen und innen bietet sich als probates Mittel an: Von außen durch die Schaffung neuer und Reform bestehender Selbstverwaltungsorgane; von innen durch eine qualifizierte Mitbestimmung der Beschäftigten, welche die Qualität und Effizienz der Leistungen im Dienst der Allgemeinheit zu ihrer eigenen Sache machen.