Gemeingut-Infobrief | Ein schwarzer Tag für die Demokratie

Liebe Freundinnen und Freunde einer guten Gesundheitsversorgung,

der 22. November war ein denkwürdiger Tag. Und das nicht nur, weil an diesem Tag der Bundesrat die Krankenhausreform abgenickt hat. Die Abstimmung im Bundesrat war ein Musterbeispiel für Intransparenz, Machtkämpfe und parteipolitisches Kalkül.

Aber eins nach dem anderen. Der Bundesrat tagte am 22. November zur Krankenhausreform, genauer gesagt zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG). Damit nahm die Reform die vorletzte Hürde und kann nach der Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Kraft treten. Die Auswirkungen der Reform brachte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor kurzem in einem Interview gut auf den Punkt: Es würden ein paar Hundert Krankenhäuser schließen. Das war am Tag, nachdem das Gesetz den Bundestag passiert hatte. Bis dahin hatte Lauterbach immer behauptet, dass die Reform gerade die kleinen Kliniken schützen würde. Nach der Hiobsbotschaft waren die Erwartungen, dass der Bundesrat die Reform noch aufhält, groß. Aber es kam bekanntlich anders. Und damit sind wir bei den Gründen, warum der 22. November auch für die Demokratie ein denkwürdiger Tag war.

Im Vorfeld der Abstimmung wurde vielfach spekuliert, welche Länder sich wie verhalten würden. Dabei ging es gar nicht um das Abstimmungsverhalten zum Gesetz selbst, sondern darum, ob die Länder sich entscheiden, im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zumindest noch Änderungswünsche zu äußern und gegebenenfalls zu verhandeln. Denn das Gesetz war – anders als üblich bei Gesetzen, die stark Länderbelange tangieren – nicht zustimmungspflichtig durch die Länderregierungen. Die Länder stimmten daher lediglich darüber ab, ob sie den Vermittlungsausschuss anrufen wollen. Das Abstimmungsergebnis: 6 zu 6, dazu drei Enthaltungen und eine ungültige Stimme. Man kann daraus parteipolitische Taktik ablesen, aber fest steht auch: Es war kein Gleichstand, und schon gar nicht waren es weniger Stimmen für den Vermittlungsausschuss – wie das Ergebnis auf den ersten Blick vermuten lässt. Die sechs Länder, die für die Anrufung des Vermittlungsausschusses votierten, besitzen insgesamt 30 Stimmen. Die sechs Länder, die gegen die Einberufung waren, vereinen nur 22 Stimmen auf sich. Laut Grundgesetz soll die Stimmenverteilung im Bundesrat dem „demokratischen Ideal einer exakten Repräsentation der jeweiligen Einwohnerzahlen“ Rechnung tragen. Warum das „demokratische Ideal“ bei dieser Entscheidung keine Rolle spielte, wollen wir im nächsten Schritt den Bundespräsidenten fragen. Wir werden ihm dabei zu bedenken geben, dass dieses Gesetz, wenn es zustimmungspflichtig gewesen wäre, keine Mehrheit im Bundesrat bekommen hätte. Es bleibt zu hoffen, dass eines der Bundesländer deswegen vor dem Verfassungsgericht Klage erhebt.

Um über die Fallstricke der Reform und die Folgen von Schließungsplänen in Nordrhein-Westfalen aufzuklären sowie unsere alljährliche Schließungsbilanz zu präsentieren, hatten wir am 20. November zusammen mit dem Bündnis Krankenhaus statt Fabrik, dem Bündnis für gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen NRW und attac eine Pressekonferenz gegeben. Am Tag der Bundesratssitzung organisierten wir eine breit getragene Protestkundgebung vor Ort. Dort präsentierten wir auch die zahlreichen Briefe mit der Kritik an der Reform und übergaben sie an den Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses des Bundesrats, Minister Magnus Jung. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle, die an der Briefaktion teilgenommen haben – das Ergebnis war eindrucksvoll!

Trotz der Abstimmung im Bundesrat ist nicht alles verloren. Es gibt viel Widerstand vor Ort, und wir schaffen es, immer mehr Menschen und Initiativen zu erreichen und uns mit Gewerkschaften und anderen gesundheitspolitischen Akteuren zu vernetzen. Das macht uns stark. Schon jetzt ist klar, dass Lauterbachs Reform nicht so umgesetzt wird, wie er sich das erträumt hat. Es gibt viel Kampfgeist und erfreulicherweise auch Orte, an denen die geplanten Schließungen abgesagt oder die vollzogenen Schließungen wieder rückgängig gemacht wurden. Wir legen die Hände nicht in den Schoß. Schließen Sie sich uns an – entweder als Initiative oder als Einzelperson.

Mit solidarischen GrüßenLaura Valentukeviciute und Jorinde Schulz
für Gemeingut und das Bündnis Klinikrettung

PS: Um Daseinsvorsorge – darunter auch die Krankenhäuser – wirksam vor Schließungen, aber auch vor Privatisierung, Unterfinanzierung und Abbau zu schützen, muss mehr Geld aufgewendet werden. Aktuell sind die öffentlichen Haushalte äußerst knapp oder gar Sparhaushalte. Das liegt auch daran, dass der Staat seit 1995 keine Vermögensteuer mehr erhebt, obwohl sie im Grundgesetz verankert ist. Über die Jahre sind der öffentlichen Hand so Hunderte Millionen Euro entgangen. Deswegen haben wir mit anderen Verbänden eine Allianz für Vermögensbesteuerung gegründet. Das gemeinsame Statement ist hier zu finden und kann von Initiativen, NGOs und Organisationen mit unterzeichnet werden: https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/aufruf-fuer-ngos/ (Achtung: Keine Einzelpersonen)

Presseschau (Auswahl)

Neues auf der Gemeingut-Website

22. November: Mehr Informationen zu unserer Protestkundgebung gegen die Krankenhausreform, finden Sie in diesem Beitrag: https://www.gemeingut.org/protest-gegen-krankenhausreform-lauterbachs-blindflug-stoppen/

20. November: Ausführliche Darstellung unserer Pressekonferenz zur Krankenhausreform und zu Klinikschließung sowie die gesamte Pressemappe sind hier zu finden: https://www.gemeingut.org/gesundheitsbuendnisse-warnen-vor-khvvg-und-praesentieren-krankenhauschliessungsbilanz-2024/

Medienbeiträge zur Krankenhausreform

26. November ARD, Report Mainz: In mehreren Bundesländern werden Notfallpraxen geschlossen. Es droht die Gefahr, dass Menschen außerhalb der Sprechstunden nicht mehr ausreichend versorgt werden. Lauterbach setzt zwar voraus, dass die Notfälle, die nicht zwingend in einem Krankenhaus versorgt werden müssen, in einer Notfallpraxis versorgt werden, aber die Realität sieht anders aus: Nur 460 von 5.000 niedergelassenen ÄrztInnen in Baden-Württemberg übernehmen die Schichten in einer Notfallpraxis, eine rechtlich verbindliche Verpflichtung gibt es dazu nicht. Das versprochene Notfallgesetz kommt in dieser Legislatur nicht mehr zustande. Die Notfallpraxen und Krankenhäuser schließen weiter, während Lauterbach seine Versprechen verbreitet, dass die Ausdünnung Qualitätssteigerung bringt. https://www.ardmediathek.de/video/report-mainz/keine-notfallpraxen-schlechte-versorgung-auf-dem-land/das-erste/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIxNTE2NTc

22. November: Über die Abstimmung im Bundesrat berichtet die Tagesschau, sie zeigt ab der Minute 1:30 unsere Aktion und gibt unsere Kritik wieder. https://www.tagesschau.de/multimedia/video/schnell_informiert/video-1404852.html

22. November: In einem kurzen Video des NDR unter dem Titel „Praxistest für Krankenhausreform – ‚Weit weg von der Realität'“ wird thematisiert, dass viele Kliniken jetzt noch nicht wissen, was mit der Reform, die ab 2025 starten soll, auf sie zukommt. https://www.ndr.de/nachrichten/info/Praxistest-fuer-Krankenhausreform-Weit-weg-von-der-Realitaet,krankenhausreform248.html

21. November: Ralf Wurzbacher fasst in der jungen Welt unsere Informationen aus der Pressekonferenz in seinem Beitrag zusammen. Besondere Aufmerksamkeit widmet er der Geburtshilfe. Denn es wurden allein im letzten Jahr 13 Geburtshilfstationen geschlossen. In den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der Kreißsäle mehr als halbiert. https://www.jungewelt.de/artikel/488278.krankenhausreform-notgeburt-im-stra%C3%9Fengraben.html

21. November Tagesspiegel Background: Dana Bethkenhagen verfasst nach der Teilnahme an unserer Pressekonferenz einen informativen Beitrag zu Auswirkungen der Reform. Sie zitiert mehrfach auch unser Bündnis: „’Wer für Lauterbachs Reform ist, ist auch für Krankenhausschließungen‘, so fasst es Jorinde Schulz vom Bündnis zusammen […]. ‚Die Leistungsgruppen sind in ihrer jetzigen Form keine Qualitätssicherung, sondern ein Schließungsinstrument‘, sagt sie. Die geplante Vorhaltefinanzierung sei ein Etikettenschwindel. ‚Denn ob die Krankenhäuser sie erhalten, hängt von Fallzahlen und Mengenkriterien ab.‘ Gerade die wohnortnahen Krankenhäuser der Grundversorgung würden aus ihrer Perspektive durch die Reform benachteiligt.“ Leider befindet sich der Beitrag im bezahlpflichtigen digitalen Newsletter. https://background.tagesspiegel.de/gesundheit-und-e-health/briefing/entscheidung-in-letzter-minute

21. November Berliner Zeitung: Im Beitrag mit dem Titel „Exklusiv-Umfrage zur Krankenhausreform: Mehrheit der Bürger lehnt Lauterbach-Pläne ab“ geht es um die Umfrage, die wir beim Forschungsinstitut Civey in Auftrag gegeben haben. Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Mehrheit der Befragten fürchtet eine Verschlechterung der Versorgung durch die Reform und wünscht sich eine gemeinwohl- und nicht gewinnorientierte Krankenhausversorgung. Der Beitrag ist hinter der Bezahlschranke, aber die Umfrageergebnisse kann man hier sehen: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2024/11/4_Civey-Gemeingut-Umfrage-Krankenhausreform2024.pdf

20. November BR: Zur Talkshow „Münchener Runde“ des Bayerischen Rundfunks zum Thema Krankenhausreform ist unser Mitstreiter und ehemaliger Klinikleiter Klaus Emmerich eingeladen. Er bringt unter anderem die Selbstkostendeckung als das bessere Finanzierungssystem ein und stellt dar, dass dadurch viel mehr Personal für die Arbeit am Bett zur Verfügung stünde als bei dem jetzigen Fallpauschalensystem.
https://www.ardmediathek.de/video/muenchner-runde/aktuelle-folge/br/Y3JpZDovL2JyLmRlL2Jyb2FkY2FzdC9GMjAyM1dPMDE3ODE0QTA

14. November aerzteblatt.de.: Die Regierungskommission hat ein Gutachten zum Einstampfen der Geburtshilfe vorgelegt, und zwar mit dem gleichen Mantra, mit dem auch Krankenhausschließungen gerechtfertigt werden: je größer, desto besser. Deswegen sollen sich „kleinere Geburtshilfe[n] zu größeren Verbünden mit mindestens 500 Gebur­ten pro Jahr zusammenschließen“. Später soll die Zahl sogar auf 600 Geburten pro Jahr steigen. Kliniken, die das nicht erfüllen, werden keine Sicherstellungszuschläge bekommen – finanzielle Not und Schließung stehen dann in Aussicht. In dieser Legislaturperiode wird daraus zum Glück kein Gesetz mehr, aber die neue Regierung wird sicher einiges weiterverfolgen. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/155723/Gutachten-sieht-Kompetenzverbuende-fuer-bessere-Geburtshilfe-vor

Medienbeiträge zur Vermögensteuer

21. November Stern: „Reiche wurden zu lange geschont“, argumentiert Leon Berent in seinem Meinungsbeitrag und führt ein zentrale Ungerechtigkeit an: „Während Milliardäre in vielen Ländern immer geringere Steuern zahlen, trägt die breite Mitte einen wachsenden Anteil an der Steuerlast.“ https://www.stern.de/wirtschaft/reichensteuer–wer-milliardaere-schont–gefaehrdet-deutschland–meinung–35241646.html

19. November Deutschlandfunk: Beim ihrem diesjährigen Gipfel haben sich die G20-Staaten geeinigt, für eine wirksame Besteuerung von Superreichen zusammenzuarbeiten. Der Artikel fasst dazu die wichtigsten Fakten und Hintergründe zusammen: https://www.deutschlandfunkkultur.de/milliardaerssteuer-vermoegen-steuerhinterziehung-globale-mindeststeuer-100.html. Für eine globale Milliardärssteuer hatten sich im Vorfeld MinisterInnen aus Brasilien, Südafrika, Spanien und Deutschland in einem Beitrag im Spiegel ausgesprochen: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/globale-milliardaerssteuer-besteuert-die-superreichen-gastbeitrag-a-da3caf1f-38fa-4f0e-996b-17b82bb3f2b2

4. November Hans-Böckler-Stiftung: Der Verteilungsbericht 2024 des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung macht deutlich, wie gravierend Einkommensungleichheit und Armut in Deutschland inzwischen sind. Sorgen um den eigenen Lebensstandard reichen mittlerweile bis weit in die Mittelschicht hinein. https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-sorgen-um-lebensstandard-strahlen-bis-in-mittelschicht-aus-64567.htm

28. Oktober WDR: Ein neuer Oxfam-Bericht belegt, dass vor allem Superreiche den Klimawandel vorantreiben. „In 90 Minuten stoßen die reichsten 50 Milliardäre mehr CO2 aus als der weltweite Durchschnitt in seinem ganzen Leben“, so rechnet es eine neue Studie vor. https://www1.wdr.de/nachrichten/oxfam-studie-reiche-belastung-klima-100.html

Über Mythen und Irrtümer zu Reichtum in Deutschland klärt eine Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung aus dem Dezemeber 2023 auf. Der schöne Titel: „Geld allein macht nicht glücklich“: https://www.rosalux.de/publikation/id/51425

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