Die gravierenden Missstände in der Charité sind heute Thema in der Sitzung des Wissenschaftsausschusses im Abgeordnetenhaus in Berlin. Auslöser war eine RTL-Dokumentation vom 12. September 2024, die die katastrophalen Zustände im dortigen Krankenhausbetrieb enthüllte. Dr. med. Bernd Hontschik, Arzt, Autor und Mitstreiter im Bündnis Klinikrettung, kommt in der Dokumentation als Experte zu Wort. Anlässlich der Sitzung im Abgeordnetenhaus äußert er sich zum Hintergrund der Missstände:
„Ursache für die gezeigten Katastrophen ist das diagnose- und fallzahlorientierte Bezahlsystem der Krankenhäuser – die Fallpauschalenfinanzierung. Diese schafft den Anreiz, im gleichen Zeitraum maximal viele Fälle und maximal schwere Diagnosen abzurechnen. Seit der Einführung der Fallpauschalenfinanzierung ist die Liegezeit auf die Hälfte gesunken, die Zahl der Patient*innen trotz der massiven Stellenstreichungen um ein Fünftel gestiegen. Der Anstieg des Arbeitsdrucks war ebenfalls enorm, besonders in der Pflege. Dort wurden zehntausende Stellen gestrichen, während ärztliche Stellen zunahmen. Die einfache Logik dieses Missstands ist: Pflegekräfte verursachen Kosten, aber Ärztinnen und Ärzte generieren Einnahmen. Das ist der Grund für die enorme Belastung der Pflegekräfte. Das ist der Grund, weshalb auf Station immer wieder kein Arzt, keine Ärztin erreichbar ist: Sie stehen im OP-Saal, nur dort wird Geld gemacht.“
Hontschik weiter:
„Mit guter Medizin hat das schon lange nichts mehr zu tun: Charité ist überall. Das Problem betrifft ausnahmslos alle Krankenhäuser in unserem Land, denn es ist eine Folge der DRG-Finanzierung, was nur durch das Prinzip der Selbstkostendeckung gelöst werden kann.“
Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat mit seiner Reform Abhilfe versprochen. Die gescheiterte Fallpauschalenfinanzierung bleibt jedoch bestehen und wird bloß durch ein weiteres Pauschalensystem, die ebenfalls mengenabhängigen Vorhaltepauschalen, ergänzt. Daher werden die Missstände bestehen bleiben. Am kommenden Mittwoch, dem 25. September, findet im Gesundheitsausschuss des Bundestags eine Anhörung zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) statt. Das Bündnis Klinikrettung ist als Sachverständige eingeladen und hat eine Stellungnahme dazu verfasst. Die Stellungnahme zum KHVVG steht hier zum Download bereit: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2024/09/2024-09-19_Stellungnahme-Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz_BKR.pdf
Die RTL-Dokumentation „Ein krankens Hause – Inside Charité“ wird am Sonntag, den 29.9. um 13:10 Uhr im ntv Fernsehen erneut ausgestrahlt.
Charité ist überall – ich kann das bestätigen aus meiner Arbeit und privat.
Als hauptamtlich gerichtlich bestellter Betreuer mache ich erschreckende Erfahrungen von ambulanten und stationären Versäumnissen. Auch in persönlichen Bereich. Meine Partnerin wurde im letzten Jahr mit einer Fibrosierung der Nase, die Schmerzen bereitete, immer nur delegiert von Ambulanz zu Ambulanz, sie fand ein Jahr (!) keine stationäre Aufnahme, bis wir privat einen Operateur bezahlt haben. Ärzte betreiben hinter den Kulissen eine Triage, die unverantwortlich ist. Da das Problem bei ihr von grundauf nicht gelöst ist, liegt bei bestehender Fibrosierung nun eine Lidptosis beider Augen bei ihr vor, dennoch heißt es schlicht auf meine schriftlichen Anfragen, stationäre Aufnahme sei nicht medizinisch notwendig. Habe über mehrere Bundesländer ambulante Anfragen gestellt, aber alles vollzieht sich im Schneckentempo. Nach monatelanger Wartezeit auf Lidpsrechstunde wird dort ein Blutbild über 3 Autoimmunwerte gemacht, das 4 Wochen danach kommuniziert wird – und nur auf mehrfache Nachfrage. Wenn man 90 % der Zeit beide Augen nicht zur Verfügung hat, wird man nicht nur arbeitsunfähig, sondern schwer krank. Das ist ein winziges Beispiel aus meinem Alltag, in dem mir jede/r 3. Pfleger/in berichtet, er höre auf. Viele Ärzte sind überlastet, manchen benutzen auch die allgemein schwierige Lage, um nur ein Minimum abzuklären.
Unser Gesundheitswesen ist im freien Fall – wir bewegen uns auf britische Zustände des NHS zu ´
Wie der Abbau von Kliniken zu einer Verbesserung der Versorgung beitragen soll, ist jedem schleierhaft außer Lauterbach und ein paar praxisfremden Ökonomen.
Schön, wenn Lauterbach versorgt ist – wir nicht.
Mfg Harri Perschbach