Stellungnahme zum Krankenhausreformgesetz

Das Bündnis Klinikrettung ist zur Anhörung zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) im Gesundheitsausschuss im Bundestag am 25. September 2024 als Sachverständige eingeladen und hat eine Stellungnahme dazu verfasst. Die Stellungnahme als PDF-Datei kann hier heruntergeladen werden: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2024/09/2024-09-19_Stellungnahme-Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz_BKR.pdf

Schriftliche Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz – KHVVG)

Das Bündnis Klinikrettung entstand im Jahr 2020 auf Initiative von Krankenhausbeschäf­tigten und aktiven Bürger*innen aus ganz Deutschland. Rund 20 Vereine und Initiativen versammeln sich unter seinem Dach. Das Bündnis Klinikrettung klärt über die verheeren­den Folgen des grassierenden Krankenhauskahlschlags für die betroffenen Kommunen auf und setzt sich für den flächendeckenden Erhalt und Wiederaufbau der stationären klini­schen Versorgung in Deutschland ein. Nicht zuletzt angesichts der Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie ist das Bündnis davon überzeugt, dass die aktuelle Zahl der Krankenhausbet­ten auf keinen Fall weiter reduziert werden darf.

Das Bündnis Klinikrettung begrüßt das Bestreben der Bundesregierung, eine Kran­kenhausreform umzusetzen. Denn die Lage der Krankenhausversorgung ist von Un­ter- und Fehlfinanzierung, einer gravierenden Personalnot und immer mehr Versor­gungsengpässen geprägt. Das bereits verabschiedete Krankenhaustransparenzge­setz und das aktuell zur Debatte stehende Krankenhausversorgungsverbesserungs­gesetz werden die Lage jedoch verschlimmern. Denn eine der wichtigsten Zielsetzungen der Reform ist die Zentralisierung der Krankenhauslandschaft, das bedeutet weitere Schließungen, vor allem von Krankenhäusern der Allgemeinversorgung in ländli­chen Regionen. Gesundheitsminister Lauterbach hat seine Schließungsabsichten sehr deutlich dargelegt: „Wir haben derzeit 1.720 Krankenhäuser. Dafür haben wir we­der den medizinischen Bedarf noch das Personal oder die finanziellen Mittel.“[1] Entge­gen weit verbreiteten anderslautenden Aussagen leisten die kleinen Allgemeinkrankenhäuser eine quali­tativ hochwertige und für die örtliche Bevölkerung unverzichtbare Versorgung.[2] Es herrscht nicht etwa Überversorgung, sondern vielerorts Unterversorgung[3] und flä­chendeckend eine Überlastung der Beschäftigten. Die Notwendigkeit eines Bettenab­baus wird häufig mit einer zu geringen Bettenauslastung der vorhandenen Kapazitä­ten begründet – diese Schlussfolgerung ist allerdings sehr oberflächlich. Die aktuelle Bettenaus­lastung ist verursacht durch das Fallpauschalensystem, in dem Aufnahme- und Entlassungstag als ein Tag in die Statistik eingehen, sowie durch notwendige Ein­schränkungen der Bettenbelegung aufgrund eklatanter Personalengpässe, die vor­übergehende Bettensperrungen unausweichlich machen. Bettenabbau und Kranken­hausschließungen sind ein gesundheitspolitischer Irrweg. Daher lehnt das Bündnis Klinikrettung die Krankenhausreform in der vorgesehenen Form ab. Eine Reform der Kranken­hausstruktur und
-finanzierung muss flächendeckend eine innerhalb von 30 Fahrmi­nuten erreichbare, bedarfsgerechte und gemeinwohlorientierte Gesundheitsversor­gung mit kommunalen Krankenhäusern gewährleisten.

Die deutsche Krankenhauslandschaft: Ausgangslage

Die Krankenhausreform kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Krankenhäuser und damit die Gesundheitsversorgung in Deutschland, bereits in akuter Gefahr sind. Fehl­anreize durch die DRG-Fallpauschalen, die systematische Unterfinanzierung des Krankenhaussektors sowie der über Jahre aufgebaute Investitionsstau bewirken flä­chendeckend Versorgungsengpässe und Überlastung. Patient*innen werden da­durch nicht oder nicht rechtzeitig behandelt, das Personal leidet unter chronischer Überarbeitung. Die prekäre finanzielle Lage der Krankenhäuser hat sich mittlerweile durch Preis- und Zinssteigerungen so dramatisch verschlechtert, dass aktuell eine Pleitewelle über die deutsche Krankenhauslandschaft hinwegrollt.

Das DRG-System bedroht vor allem die Grundversorgung: (Kleinere) Allgemeinkran­kenhäuser, Geburtshilfe und Kinderkliniken rechnen sich innerhalb des bestehenden Finanzierungsmodells nicht und müssen deshalb schließen. Andererseits besteht Überversorgung in den lukrativen Fachbereichen. So stieg beispielsweise die Zahl der orthopädischen Behandlungen seit 2005 um 54 Prozent.[4] Überwiegend private Fach­kliniken treiben diese Entwicklung voran und untergraben damit auch die fachüber­greifende stationäre Versorgung. Ihnen fehlt insbesondere die dringend benötigte klinische Notfallversorgung für eskalierende Krankheitsverläufe.

Seit 1991 wurden fast 550 Krankenhäuser geschlossen.[5] Im letzten Jahr erreichten die Schließungen die Rekordzahl von 24, aktuell sind rund 100 Krankenhäuser von Schlie­ßung bedroht. Die Zahl der Kreißsäle hat sich in den letzten 30 Jahren fast halbiert.[6] Zu Kinderkliniken schrieb die Regierungskommission für eine moderne und bedarfs­gerechte Krankenhausversorgung schon in ihrer ersten Stellungnahme im Juli 2022: „Mit den genannten 334 Standorten hat die Pädiatrie ein Konzentrationsniveau er­reicht, das weit über das in der Erwachsenenmedizin hinausgeht.“[7] Es ist absehbar, dass im Zuge der Reform die Kapazitäten hier weiter abgebaut werden, trotz der versprochenen Zuschläge für diese medizinischen Bereiche. Eine von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) beauftragte Auswirkungsanalyse zeigt auf, dass nach der Reform noch 227 Standorte mit Geburtshilfe verbleiben würden[8], also lediglich 12 Prozent. In den geplanten sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen, in die ungefähr ein Fünftel beziehungsweise rund 360 der Häuser um­gewandelt werden sollen, wird es weder Kreißsäle noch Kinderkliniken geben, eben­so wenig wie eine klinische Notfallversorgung.

Die kontinuierliche Ausdünnung der Krankenhauslandschaft geht einher mit der Pri­vatisierung des Krankenhaussektors. So ist die Zahl der Krankenhäuser, die von priva­ten Trägern betrieben werden, gestiegen, während die Zahl der Krankenhäuser in öffentlicher oder freigemeinnütziger Hand abgenommen hat. Schon im Jahr 2022 be­fand sich mit 40 Prozent der größte Teil der Krankenhäuser in privater Hand, im Ver­gleich zu 28,5 Prozent in öffentlicher Hand und 31,5 Prozent in freigemeinnütziger Trägerschaft. Die öffentlichen Kliniken stellen allerdings nach wie vor die meisten Betten zur Verfügung – fast 50 Prozent –, während die privaten Träger, obwohl sie in der Mehrzahl sind, die wenigsten Betten anbieten.

Die Auswirkungen des geplanten Gesetzes

Das sogenannte Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz setzt dem Kranken­haussterben nichts entgegen. Im Gegenteil, mit dem Gesetz strebt das Bundesge­sundheitsministerium eine starke Verringerung der Zahl der Krankenhäuser an. Da­mit wird der bestehende Kahlschlag systematisiert, und zwar auf folgende Weise:

  1. Mit der Herabstufung zu sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen (Level 1i) werden rund 350 Krankenhäuser als Häuser durchgehender stationä­rer Versorgung und Notfallversorgung nicht mehr existieren.[9] Andere Berechnungen, vgl. auch Seite 7, gehen von bis zu rund 360 Häusern aus.
  2. Zahlreiche weitere Kliniken werden durch die Verteilung beziehungsweise den Entzug von Leistungsgruppen Abteilungen abbauen oder ganz schlie­ßen müssen.
  3. Die Vorhaltepauschalen werden genauso wie die bisherigen DRG-Fallpauscha­len Kliniken keine Kostendeckung gewährleisten. Das wird zu wei­teren Insolvenzen und damit auch insolvenzbedingten Schließungen und Privatisierungen führen. Die aktuell unzureichende Krankenhausvergütung wird lediglich umverteilt, nicht erhöht.

Seit mindestens zehn Jahren bewirbt Karl Lauterbach mit den im­mer gleichen Argumenten die Verringerung der Zahl von Krankenhäusern. Angeblich verbessert Zentralisierung die Qua­lität und soll zudem den Personalmangel beheben. Aus dem Blickwinkel eines Gesund­heitsökonomen versprechen Krankenhausschließungen finanzielle Einsparungen und Entlastungen der Krankenkassen und der öffentlichen Haushalte, darunter auch der Haushalte der Bundesländer. Aus der Sicht einer Gesellschaft, die auf die Kranken­hausversorgung als Daseinsvorsorge angewiesen ist und dafür Steuern und Kranken­kassenbeiträge zahlt, ist der mit dem Gesetz eintretende Krankenhauskahlschlag ei­ne Missachtung ihrer Grundrechte. Zudem greift die Sichtweise der Gesundheitsöko­nomie auch nach ökonomischen Kriterien zu kurz. Denn die DRG-Fallpauschalenfi­nanzierung führt zu einer Explosion der Kosten für Bürokratie – die Gelder fließen al­so nicht in die Versorgung von Patient*innen, sondern in überbordende Verwal­tungsarbeit[10]. Auch überhöhte Renditeerwartungen von privaten Krankenhauskonzer­nen bedeuten im gegenwärtigen System, dass öffentliche Gelder nicht in Gesundheit, sondern in private Profite fließen.

Eine Reform der Krankenhausfinanzierung und -struktur ist notwendig, aber die ak­tuellen Gesetzesentwürfe des Bundesgesundheitsministeriums beheben die Ursa­chen der Missstände im Krankenhauswesen in keiner Weise. Dafür müsste die ge­plante Reform eine kostendeckende Finanzierung sicherstellen, statt weiter auf Wettbewerb und Leistungsdruck zu setzen. Sie müsste sich außerdem mit den Themen Renditebeschränkung und Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit im Krankenhaus­bereich befassen. Die Krankenhausreform von 1985, im Rahmen derer die Erlaubnis eingeführt wurde, mit dem Betrieb von Krankenhäusern Gewinne zu erwirtschaften, und die Einführung des DRG-Systems im Jahr 2003 sind aus heutiger Sicht klare Feh­lentscheidungen, die zurückgenommen werden müssen.

Die sogenannte Vorhaltevergütung und das System der Leistungsgruppen

Die Bezeichnung Vorhaltevergütung verspricht, dass Krankenhäusern diejenigen Kos­ten finanziert werden, die ihnen unabhängig von der Anzahl getätigter Behandlun­gen für das Vorhalten von Personal und Ausstattung entstehen. Die Einführung der Vorhaltevergütung wird im Gesetzesentwurf damit begründet, dass diese Kosten in­nerhalb des DRG-Systems, das ausschließlich Fälle vergütet, nicht angemessen be­rücksichtigt werden. Ein weiteres Ziel der Vorhaltevergütung ist die Senkung des An­reizes zur medizinisch nicht notwendigen Mengensteigerung, einem der vielen Fehl­anreize des DRG-Systems.

Die Ausgestaltung der Vorhaltevergütung im vorliegenden Gesetzesentwurf gewähr­leistet jedoch keine kostendeckende Finanzierung von tatsächlichen Vorhaltekosten. Tatsächlich ist es irreführend, dieses neue Pauschalensystem als Vorhaltevergütung zu bezeichnen. Tref­fender ist der Begriff Leistungsgruppen-Budgets.

Das Leistungsgruppen-Budget beziehungsweise die Vorhaltevergütung wird, so der Gesetzesvorschlag, für jedes Bundesland ermittelt. Das Volumen dafür ist limitiert und nicht kostendeckend. Es beträgt insgesamt bis zu 60 Prozent des Erlösvolumens aus allen DRGs, kurz gesagt: Es ist insgesamt gedeckelt, also ein Festbudget. Dieses wird auf die einzelnen Leistungsgruppen aufgeteilt. Für jede Leistungsgruppe steht also pro Bundesland ein bestimmtes, gedeckeltes Budget zur Verfügung, das auf die Krankenhäuser aufgeteilt wird, welche die entsprechende Leistungsgruppe anbieten dürfen sollen. Es handelt sich hierbei um einen klassischen Fall der Kostensteuerung. Das Budget ist vorab festgelegt und ergibt sich nicht aus den Bedarfen. Seine Festlegung ge­schieht auf der Grundlage der DRG-Fallpauschalen, genau der Finanzierungsweise, von der seit Jahren bekannt ist, dass sie medizinische Bedarfe nur unzureichend ver­gütet, besonders die Grundversorgung.

Folgende Punkte kritisiert das Bündnis Klinikrettung an der geplanten Vorhaltevergü­tung und an den geplanten Leistungsgruppen:

  • Anhand rigider Qualitätskriterien für die Leistungsgruppen[11], zum Beispiel Mengenvorgaben, Vorgaben zur Ausstattung oder Vorgaben zur Bereitstellung weiterer Leistungsgruppen, sollen den Krankenhäusern bestimmte Leistungsgruppen und damit die Möglichkeit, bestimmte Behandlungen durchzuführen, entzogen werden. Aber Mengen sind kein Kriterium für Qualität. Will man die Qualität von Krankenhäusern stei­gern, muss man das Personal gut ausbilden und entlasten, die Kliniken finanzi­ell und von der Ausstattung her ertüchtigen, und es müssen Bedingungen ge­schaffen werden, dass die Kliniken bedarfsgerecht arbeiten können und nicht profitorientiert vorgehen müssen.
  • In ihrer aktuellen Ausgestaltung dienen die Leistungsgruppen also nicht als Instrument der Qualitätssteigerung, sondern als Schließungs­instrument. Denn je weniger Krankenhäuser eine Leistungsgruppe anbieten, desto mehr Geld gibt es über die Vorhaltepauschalen pro Leistungsgruppe für die verbleibenden Krankenhäuser. Die Bundesländer können sich in ihrer Kran­kenhausplanung also zwischen Pest und Cholera entscheiden: Verteilen sie die Leistungsgruppen auf möglichst wenige Häuser, müssen die anderen schlie­ßen oder ihr Behandlungsangebot einschränken. Verteilen sie die Leistungs­gruppen wiederum an viele Krankenhäuser, gibt es pro Haus zu wenig Geld – auch so sind Schließungen vorprogrammiert. Die Rede von der Qualitätssteige­rung durch Leistungsgruppen ist daher bloß ein weiterer Euphemismus für Krankenhauskahlschlag.
  • Auch die Vorgabe, bestimmte weitere Leistungsgruppen als Bedingung für die Zuteilung einer Leistungsgruppe anzubieten, wird Schließungen bewirken. Ein Beispiel: Die Leistungsgruppen „Allgemeine Innere Medizin“ und „Allgemeine Chirurgie“, die das Gros der Krankenhausbehandlungen umfassen, benötigen beide laut Qualitätskriterien zwingend auch die Leistungsgruppe „Intensivmedizin“ mit Notfall-Labor, einen Facharzt mit Weiterbildung Intensivmedizin, drei intensivmedizinisch erfahrene Fachärzte in Rufbereitschaft und die Möglichkeit einer CT-Nutzung rund um die Uhr. Weitere Kriterien sollen folgen. Diesen Standard werden die meisten Krankenhäuser ohne Basisnotfallversorgung nicht erreichen. In Folge werden sie keinen Versorgungsauftrag für die „Allgemeine Innere Medizin“ und „Allgemeine Chirurgie“ erhalten und daher schließen müssen. Dies ist eine gravierende Bedrohung für die Häuser der Grundversorgung im ländlichen Raum.
  • Um die Qualitätskriterien zu erfassen, sollen komplexe und technisch an­spruchsvolle Verfahren entwickelt werden. Das Bündnis Klinikrettung sieht darin nicht nur eine Erhöhung des bürokratischen Aufwands für die Krankenhäuser, son­dern auch die Tendenz, dass vor allem große Klinikketten in der Lage sein wer­den, solch ein Messsystem zu managen. Die kleineren Kliniken werden die Er­fordernisse an benötigter Technik und personellem Aufwand nicht so einfach stemmen können. In Folge wird ihnen die Qualität abgesprochen, ihnen wer­den die Leistungsgruppen abgezogen, und das Krankenhaus wird teilweise oder vollständig schließen. Große Kliniken hingegen können ganze Abteilun­gen für Qualitätsmanagement aufbauen und werden die Gewinner der Reform sein.

Ein Blick auf die Schweiz, wo im Jahr 2011 Leistungsgruppen für die Krankenhausplanung eingeführt wurden, zeigt, wie dieses Instrument zu Schließungen führt. Der regelmäßig drohende Entzug der Leistungsgruppen bewirkt enorme Unsicherheit bei den Krankenhausträgern in Bezug auf die Patient*innen- und Personalplanung. Im Ergebnis ziehen etliche Träger vor Gericht, um den Entzug von Leistungsgruppen rückgängig zu machen. Die jahrelangen Gerichtsverfahren erschweren die Planungen im Krankenhaus zusätzlich.

Die Folgen der Reform für die Gesundheitsversorgung

In der Debatte um den Gesetzesentwurf verspricht das Bundesgesundheitsministeri­um der Bevölkerung, dass die geschlossenen Krankenhäuser ersetzt werden, und si­chert sogar zu, dass die Qualität der medizinischen Versorgung mit der Zentralisie­rung steigen wird. Um diese Versprechen auf ihre Haltbarkeit zu überprüfen, hat das Bündnis Klinikrettung die Krankenhausschließungen der vergangenen vier Jahre in Hinblick auf zustande gekommene Nachfolge- und Ersatzlösungen untersucht. Diese Untersuchung zeigt, dass die entstandenen Versorgungslücken kaum kompensiert werden. Bei 77 Prozent der Schließungen gingen die stationären Kapazitäten voll­ständig verloren, nur in 5 Prozent der Fälle wurden alle Betten erhalten – aber nicht vor Ort. Bei 32 Prozent der Schließungen wurde der Verlust der medizinischen Versorgung auch durch keine andere Ersatzmaßnahme – wie beispielsweise eine am­bulante Einrichtung – ausgeglichen. In einem Drittel der Fälle fiel die Versorgung also nach den Schließungen komplett weg.[12]

Die im Juni 2023 im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums veröffentlichten Be­rechnungen der Unternehmensberatung Oberender und der Softwareentwickler Bin­doc zeigen, dass bis zu 358 Krankenhäuser von einer Schließung und einer darauffolgenden Umwandlung be­troffen wären.[13] Setzt man den Trend der bisherigen Schließungen fort, bei dem in nur 14 Prozent der Fälle Ersatzangebote zustande kamen, würde an lediglich 50 der 358 betroffenen Standorte eine, in aller Regel zudem unzureichende, Nachfolgelö­sung eingerichtet, die restlichen 300 Häuser fielen ersatzlos weg.

Die Folgen der Reform für die gesetzlich Versicherten

Das Bundesgesundheitsministerium beziffert die Kosten für den Strukturumbau im Rahmen der Krankenhausreform auf 50 Milliarden Euro. Diese Summe soll zur Hälfte von den Bundesländern, zur anderen Hälfte von der Gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden. Die hälftige Übernahme der Kosten durch gesetzlich Versicherte kritisierte der Bundesrechnungshof jüngst als unzulässig und stellte fest: „Die Finanzierung soll über eine Minderung der Zuweisungen an Krankenkassen erfolgen, was zu einem sprunghaften Anstieg der Deckungslücke führen würde.“ Das bedeutet, dass dadurch den gesetzlichen Krankenkassen noch weniger Gelder für die Finanzierung ihrer Ausgaben, wie zum Beispiel für Krankenhausleistungen zur Verfügung stehen wird. Die Reform ist somit eine Doppelbelastung für die gesetzlich Versicherten. Sie werden diejenigen sein, die unter der Erosion der Krankenhausversorgung als Folge der Reform zu leiden haben. Außerdem müssen sie für die Zerstörung ihrer Versorgung auch noch selbst zahlen. Zudem findet eine ungerechte Besserstellung privat Versicherter statt, weil die privaten Krankenkassen nicht zur Finanzierung betragen müssen und somit dafür keine Beitragserhöhung vornehmen müssen.

Die Auswirkungen der Reform für das Krankenhauspersonal

Die Krankenhausreform wird infolge der Schließungen zahlreiche Entlassungen nach sich ziehen. Auch wenn die Reform damit beworben wird, dass das Personal in den verbleibenden Krankenhäusern konzentriert wird und damit der Personalmangel ge­mildert wird, ist es zunächst Tatsache, dass die Beschäftigten von den schließenden Krankenhäusern entlassen werden und sich an anderen Standorten neue Stellen su­chen müssen. Damit sind längere Fahrtwege zum Arbeitsort und andere Veränderun­gen verbunden, die viele nicht auf sich nehmen werden, wie die bisherigen Erfahrun­gen zeigen.[14] Es droht ein verschärfter Exodus vor allem im Pflegebereich, weil viele Beschäftige den Beruf wechseln oder in den Vorruhestand gehen werden.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) veröffentlicht regelmäßig eine Liste der von Insolvenzen bedrohten Krankenhäuser (Insolvenzmonitoring). Der Liste ist unter anderem zu entnehmen, wie viele Krankenhausstandorte mit wie vielen Betten und Beschäftigten betroffen sind. Aus dem letzten Insolvenzmonitoring der DKG vom März 2024 lässt sich errechnen, wie viele Beschäftigte kleiner, besonders von Schlie­ßung bedrohter Krankenhausstandorte mit unter 200 Betten von Entlassungen be­troffen wären. In einem Krankenhaus mit einer Bettenzahl unter 200 arbeiten im Durchschnitt 279,6 Mitarbeiter*innen. Die Zahl der Beschäftigten in den Wäschereien, La­bors und anderen Zulieferbetrieben sind dabei nicht einberechnet. Bei den rund 360 Schließungen, die in Folge der Reform laut den Berechnungen von Oberender und Bindoc drohen, wären daher 100.800 Mitarbeiter*innen akut von Entlassungen bedroht.

Die Forderungen des Bündnis Klinikrettung

Nach vielen Jahren Krankenhauskahlschlag bedarf es einer grundlegenden Reform der Krankenhausversorgung. Die aktuellen Reformpläne verschlimmern jedoch die Missstände. Daher darf die Krankenhausreform in dieser Form nicht beschlossen werden. Stattdessen ist ein neuer Aufschlag vonnöten. Folgende Maßnahmen müssen Bestandteil einer Krankenhausreform sein:

  • Statt einer Zentralisierung der Versorgung ist ein Erhalt der bestehenden und ein Wiederaufbau verlorenen gegangener Krankenhäuser erforderlich.
  • Die Bundesregierung muss finanzielle Hilfen für bedrohte Krankenhäuser zur Verfügung stellen.
  • Alle geplanten Krankenhausschließungen müssen umgehend gestoppt wer­den.
  • Für die ambulante Versorgung gilt, dass sektorenübergreifende Versorger und ähnliche Einrichtungen zwar eine sinnvolle Ergänzung ambulanter Praxen zu den Angeboten von Allgemeinärzt*innen, Fachärzt*innen und Therapeut*in­nen sind, aber keinen angemessenen Ersatz für Allgemeinkrankenhäuser mit Notfallversorgung darstellen. Sie sollten daher keine Liegebetten haben, denn ohne durchgehende ärztliche Anwesenheit wäre dies fahrlässig. Sektorenüber­greifende Versorger gehören wie Krankenhäuser in kommunale Hand, um Fehlangebote beziehungsweise unzureichende, vor allem renditeorientierte Angebote zu vermeiden.
  • Um die gravierenden Probleme der aktuellen Krankenhausfinanzierung zu be­heben, ist die vollständige Abschaffung des DRG-Systems zugunsten der Ein­führung der Selbstkostendeckung als Finanzierungsmodell erforderlich. Außer­dem ist ein Renditeverbot für den Krankenhausbetrieb einzuführen.

Die Bundesgesundheitsministerium und der Regierungskommission konzentrieren sich mit ihrer Krankenhausreform auf eine klinische Mangelverwaltung mit weniger Personal, abgesenkten klinischen Leistungsangeboten und weniger Klinikstandor­ten.[15] Ihnen ist vorzuwerfen, dass sie alternative Konzepte ohne restriktive Eingrif­fe, beispielsweise das Finanzierungsmodell Selbstkostendeckung der Krankenhäu­ser[16] zu keinem Zeitpunkt ernsthaft diskutiert haben. Der Bevölkerung wird fahrlässig eine mögliche Absicherung der flächendeckenden klini­schen Versorgung mit selbstkostendeckender Vergütung und deutlich reduziertem Verwaltungsaufwand vorenthalten. Es findet ein systematischer Enteignungsprozess statt. Das Gemeingut einer flächendeckenden Krankenhausversorgung wird vernichtet.

 

[1]Bundesgesundheitsministerium, Lauterbach: „Wir werden alle Krankenhäuser retten, die wir benötigen.“, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/interviews/interview/main-echo-060424.html

[2]„Worüber wir reden, wenn wir über die Qualität der Krankenhausversorgung reden“, Interview mit Bernd Hontschik, https://www.gemeingut.org/worueber-wir-reden-wenn-wir-ueber-die-qualitaet-der-krankenhausversorgung-reden/

[3]Aktionsgruppe ‚Schluss mit Kliniksterben in Bayern‘ sieht dramatische Entwicklung bei den Klinikinsolvenzen, https://medinfoweb.de/detail.html/aktionsgruppe-schluss-mit-kliniksterben-in-bayern-sieht-dramatische-entwicklung-bei-den-klinikinsolvenzen.88833

[4]Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Harald Weinberg, Kathrin Vogler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 17/14451 und Daten aus „Implantationen künstlicher Kniegelenke in deutschen Krankenhäusern nach Alter 2022“, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/785126/umfrage/implantationen-kuenstlicher-kniegelenke-in-deutschen-krankenhaeusern-nach-alter/

[5]Statistisches Bundesamt, Grunddaten der Krankenhäuser 2022, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Publikationen/Downloads-Krankenhaeuser/statistischer-bericht-grunddaten-krankenhaeuser-2120611227005.xlsx?__blob=publicationFile, sowie für 2023 die Recherchen des Bündnis Klinikrettung.

[6]Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. N 009 vom 15. Februar 2023, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/02/PD23_N009_231.html

[7]„Erste Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung. Empfehlungen der AG Pädiatrie und Geburtshilfe für eine kurzfristige Reform der stationären Vergütung für Pädiatrie, Kinderchirurgie und Geburtshilfe“

[8]Dr. Eberhard Hansis und Dr. Hannes Dahnke, vebeto GmbH: Auswirkungsanalyse im Auftrag der Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. zur 3. Stellungnahme der Regierungskommission bzgl. einer Reform der Krankenhausvergütung, https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/1_DKG/1.7_Presse/Kurzversion_DKG_Auswirkungsanalyse_Basisszenario_von_Vebeto_und_hcb.pdf

[9]„Krankenhausreform: Rund 350 Kliniken könnten dem Level 1i zugeordnet werden“, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/143653/Krankenhausreform-Rund-350-Kliniken-koennten-dem-Level-1i-zugeordnet-werden

[10]„DKI-Umfrage: Drei Stunden werden täglich für Dokumentationen benötigt“, https://www.bibliomedmanager.de/news/51167-drei-stunden-werden-taeglich-fuer-dokumentationen-benoetigt

[11]www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/K/KHVVG_GE_Kabinett.pdf

[12]„Bilanz über Ersatzeinrichtungen nach Krankenhausschließungen im Zeitraum 2020-2023. Leere Versprechen: Kaum Ersatz nach Krankenhausschließungen“ 19. März 2024, https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2024/03/2_Ersatz-Krankenhausschliessungen_Kurzbilanz_BKR.pdf

[13]„Krankenhausreform: Rund 350 Kliniken könnten dem Level 1i zugeordnet werden“, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/143653/Krankenhausreform-Rund-350-Kliniken-koennten-dem-Level-1i-zugeordnet-werden

[14]https://youtu.be/nDlf9QusdK0

[15]Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern, Projektstudie Zukunft der Krankenhäuser – Auswirkungsanalyse zum Referentenentwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes, https://kliniksterben.jimdofree.com/app/download/13299277799/Zukunft+deutscher+Krankenh%C3%A4user+-+Auswirkungsanalye+zum+Referentenentwurf+des+Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz+%E2%80%93+KHVVG.pdf?t=1710843641

[16]Bündnis Klinikrettung, Selbstkostendeckung der Krankenhäuser, https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/11/2022-10_Studie_Selbstkostendeckung_Buendnis_Klinikrettung.pdf

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