Von Klaus Prätor
„Extremer Reichtum verursacht extreme Schäden“, so ist ein Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 5. Mai überschrieben. Befragt wird Ingrid Robeyns, Philosophieprofessorin an der Universität Utrecht und Schülerin des Wirtschaftsnobelpreisträgers Amartya Sen. Gerade wurde ihr Buch „Limitarismus. Warum Reichtum begrenzt werden muss“ ins Deutsche übersetzt. Sie betrachtet Reichtum ab einer bestimmten Höhe als unmoralisch und schädlich, zum einen weil er nicht mehr mit gutem Recht erworben sein kann, zum anderen weil er für die Gesellschaft schädliche Macht verleiht. Zu der Grenze müsste noch geforscht werden, aber sie vermutet sie in der Gegend von zehn Millionen Euro.
Es gibt bereits andere Studien, die in die gleiche Richtung weisen. Richard Wilkinson, britischer Professor für Epidemiologie und Gründer des Equality Trust, veröffentlichte mit Kate Pickert das Buch „The spirit level“ (deutscher Titel: „Gleichheit ist Glück“). Sie zeigen in einer empirischen Studie auf, dass wesentliche Faktoren der Lebensqualität in den reicheren Ländern durch eine weitere Steigerung des Wohlstands (BIP) kaum mehr gesteigert werden können, wohl aber – und zwar beträchtlich – durch eine gleichmäßigere Einkommensverteilung.
Zu diesen Faktoren gehören Lebenserwartung, das Wohlbefinden von Kindern, Morde, Klimaschädigung, die Anzahl der Strafgefangenen, Drogenprobleme, Teenagerschwangerschaften, Bildungsmöglichkeiten, das wechselseitige Vertrauen und die soziale Mobilität. In all diesen Bereichen haben die Länder mit der höchsten Einkommensspreizung (USA, UK et cetera) die schlechtesten Werte unter den relativ reichen Ländern, ungeachtet ihres absolut größeren Wohlstands. Positiv schneiden die skandinavischen Staaten und Japan ab. Auch bei den anderen Staaten erweist sich dieser Zusammenhang als hochsignifikant. Interessant und wichtig ist noch, dass die Vorteile gleichmäßigerer Einkommensverteilung nicht nur den Armen zugutekommen. Sie sind dort zwar am stärksten, aber die Vorteile wirken bis in die höchsten Einkommensgruppen hinein und sorgen auch dort für eine Besserstellung gegenüber ungleicheren Gesellschaften.
Die Ergebnisse werden viele nicht überraschen. Aber die empirischen Belege können helfen, auch breitere Kreise zu überzeugen. Die Neoliberalen setzen bis heute auf den Trickle-down-Effekt, nach dem vom Zuwachs auch immer etwas zu den Ärmsten „durchsickert“. Anderen bricht Umverteilung nicht radikal genug mit dem gegenwärtigen Denken. Umdenken ist unbedingt nötig, sollte aber auch die unterschiedlichen sozialen Ausgangspunkte mitdenken. Wenn man das tut, erweist sich Umverteilung als wesentlich auch für weiter reichende Ansätze.
Was kann man tun? Prinzipiell gibt es zwei Wege:
Die erste Möglichkeit besteht darin, die Einkommensunterschiede gering zu halten. Das ist zum Beispiel der Weg Japans. Die zweite Möglichkeit läuft darauf hinaus, die Unterschiede durch Abgaben zu verringern, in der Regel durch Steuern. Diesen Weg geht beispielsweise Skandinavien.
In den letzten 20 Jahren sind die Einkommensunterschiede weltweit und in Deutschland enorm gewachsen und reichen heute bis zu 1:500 innerhalb eines Betriebs. In der Schweiz fordern die Jusos eine Beschränkung auf 1:12. Aristoteles hielt nur 1:4 für moralisch tragbar.
Neben der Wiedereinführung eines höheren Einkommenssteuerspitzensatzes sind Vermögensteuer und/oder Vermögensabgabe Optionen, der Entwicklung zu mehr Ungleichheit gegenzusteuern. Die Lage in der Bundesrepublik sieht übrigens so aus, dass wir vor etwa 30 Jahren noch eine vergleichsweise egalitäre Gesellschaft waren. Seither nähern wir uns mit einem dramatisch zunehmenden Trend zu mehr Ungleichheit dem Durchschnitt aller in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vertretenen Staaten an und werden ihn wohl bald überschritten haben. Es sei denn, wir tun etwas dagegen.
Ingrid Robeyns sagt zum Abschluss des Interviews: „Ich glaube, wir sind an einem Wendepunkt: Immer mehr Menschen haben zumindest das Gefühl, dass etwas nicht stimmt mit den extremen Vermögen, die einige wenige anhäufen. Und dass sich etwas ändern muss.“